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2010 | Buch

Prekäres Unternehmertum

Unsicherheiten von selbstständiger Erwerbstätigkeit und Unternehmensgründung

herausgegeben von: Andrea D. Bührmann, Hans J. Pongratz

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Über dieses Buch

Unternehmensgründung und selbstständige Erwerbstätigkeit eröffnen nicht nur Erfolgschancen, sondern bringen erhebliche Prekaritätsrisiken mit sich. Auf der Grundlage konzeptioneller Überlegungen und neuerer empirischer Befunde verknüpft der Band zwei aktuelle, aber bisher kaum im Zusammenhang betrachtete gesellschaftliche Entwicklungen: die zunehmende Bedeutung von Unternehmertum und die wachsende Gefahr der Prekarisierung der Erwerbsarbeit.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Prekäres Unternehmertum. Einführung in ein vernachlässigtes Forschungsfeld

Prekäres Unternehmertum. Einführung in ein vernachlässigtes Forschungsfeld
Zusammenfassung
Zwar können schon seit Mitte des 20. Jahrhunderts vermehrte Beiträge zu Fragen der Entrepreneurship-Forschung konstatiert werden. Der eigentliche Beginn der Formierung einer transdisziplinär orientierten Entrepreneurship-Forschung liegt aber erst in den 1980er Jahren (siehe Acs/Audretsch 2003; Cornelius et al. 2006): Zu dieser Zeit begannen Forschende aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen – der Ökonomie, der Psychologie, den Rechtswissenschaften, der Geschichte sowie der Soziologie – und Akteure bzw. Akteurinnen aus verschiedenen Praxisfeldern, intensiver über Fragen wie Problemstellungen der Gründung und Führung einer unternehmerischen Existenz sowie über deren gesellschaftliche Relevanz zu diskutieren.
Andrea D. Bührmann, Hans J. Pongratz

Die soziale Lage selbstständiger Unternehmer/innen

Prekaritätsrisiken unternehmerischen Handelns
Zusammenfassung
Unternehmerisches Handeln ist riskant. Diese Aussage erscheint auf den ersten Blick als ökonomische Binsenweisheit mit geringer sozialwissenschaftlicher Relevanz. Der Erfolg einer ökonomischen Unternehmung lässt sich zwar kaufmännisch kalkulieren, aber nicht mit Sicherheit prognostizieren; denn dieser Erfolg realisiert sich auf Märkten, auf denen Warentausch durch kontingente wechselseitige Abstimmungsprozesse zwischen einer Vielzahl von anbietenden und nachfragenden Akteuren zustande kommt. Wer mit dem eigenen Angebot keine kostendeckenden Erlöse erzielt, trägt nicht nur keinen Gewinn aus seiner Unternehmung davon, sondern muss sogar mit Verlusten rechnen. Denn ein „Risiko als Gefahr eines Verlustes oder Schadens“ (Mikus 2001: 5) existiert nur dann, wenn Verlust oder Schaden mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit tatsächlich eintreten können. Die Betriebswirtschaftslehre versucht, mit Instrumenten des Risikomanagements (Götze et al. 2001, Rogler 2002, Wolke 2008) den Umgang mit den Unwägbarkeiten des Marktes auf eine rationale Basis zu stellen und soweit wie möglich berechenbar und beherrschbar zu machen.
Hans J. Pongratz, Stefanie Simon
Mikro-Selbstständigkeit und Restrukturierung des Arbeitsmarktes – Theoretische und empirische Aspekte zur Entwicklung des Unternehmertums
Zusammenfassung
Vor noch nicht allzu langer Zeit galten in der Bundesrepublik Deutschland die Selbstständigen als eine privilegierte Berufsgruppierung, die sich vor allem mit Blick auf ihren sozialen Status und ihre Einkommenssituation überdurchschnittlich positiv von anderen Berufsgruppen unterschied. Zwischenzeitlich ist jedoch das Bewusstsein gestiegen, dass auch innerhalb der Selbstständigen enorme Differenzierungslinien zu beobachten sind und wir auch hier im Rahmen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels ‚Gewinner‘ und ‚Verlierer‘ finden können. Diese Spreizung mag es historisch gesehen schon immer gegeben haben, aber sie tritt für die Bundesrepublik Deutschland erst neuerlich stärker (wieder) in das akademische Bewusstsein. In sektoraler und horizontaler Hinsicht finden sich hier zunehmend variierende und differenzierte Formen an Sozial- und Berufsexistenzen, von denen die Solo-Selbstständigen mit ihren Mikrofirmen eine realiter wachsende Gruppierung darstellen.
Dieter Bögenhold, Uwe Fachinger

Charakteristische Risikolagen und Bewältigungsstrategien

Der Gender Income Gap bei den Selbstständigen – Empirische Befunde
Zusammenfassung
In den letzten 40 Jahren gab es viele deutsche wie internationale Studien zur Ungleichheit der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt. Wir wissen sehr viel über die schlechteren Positionen und die Benachteiligungen von Frauen im Berufsleben, wie die Einkommensungleichheit (Gender Wage Gap), die horizontale wie vertikale Segregation des Arbeitsmarktes, den ‚sticky floor‘, die ‚Glasdecke‘ und so weiter. Viele theoretische Ansätze wurden entwickelt, um diese Ungleichheiten zu erklären (z.B. Frauenberufe als hausarbeitsnah, statistische Diskriminierung, ‚the disembodied worker‘, ‚gender bias in the job evaluation system‘, ‚gender at work‘ usw., als Überblick siehe z.B.: Teubner 2004, aktuell: Aulenbacher/Wetterer 2009).
Claudia Gather, Tanja Schmidt, Susan Ulbricht
Prekarisierung auf Dauer? Die Überlebenskultur bäuerlicher Familienbetriebe
Zusammenfassung
Während noch in den 1970er Jahren in den landwirtschaftlichen Kreisen Deutschlands allgemein Aufbruchstimmung herrschte, vermittelte der sich stetig beschleunigende Agrarstrukturwandel und der agrarpolitische Diskurs des ‚Wachsens oder Weichens‘ auf den bäuerlichen Höfen einerseits Hoffnung auf Wachstum und Konsolidierung, andererseits Unsicherheiten und Zukunftsängste. Mit der Wiedervereinigung 1989 und einem sprunghaften Anstieg der durchschnittlichen Betriebsgröße in der BRD, der Umweltkonferenz von Rio 1992 mit neuen Auflagen zum Umweltschutz und den Vereinbarungen zur Liberalisierung des Welthandels im Rahmen der GATTVerhandlungen 1994 kamen weitere gravierende Herausforderungen hinzu. Die Öffnung auch der deutschen Landwirtschaft hin zum Weltmarkt wurde von Politik und Agrarökonomie gemeinsam propagiert und forciert. Trotz zahlreicher Programme zur Unterstützung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume befürchteten vor allem die klein- und mittelbäuerlichen Betriebe, dieser Weltmarktorientierung zum Opfer zu fallen. Die in Brüssel auf dem Weg zur Liberalisierung des EU-Milchmarktes beschlossene schrittweise Erhöhung der Milchquote mit dem Ziel ihrer völligen Abschaffung bewog insbesondere Milcherzeuger/innen und ihren Interessenverband zu zahlreichen Protestaktionen und düsteren Prognosen. Dies sei der Anfang vom Ende der (klein)bäuerlichen Landwirtschaft. Große Unternehmen würden durch die Produktion nachwachsender Rohstoffe weiter wachsen, die Ernährung der Bevölkerung über den Weltmarkt sichergestellt, die Nahrungsmittel produzierenden bäuerlichen Familienbetriebe nun ganz verschwinden, mit erheblichen Folgen für ländlichbäuerliche Regionen.
Heide Inhetveen, Mathilde Schmitt
Freischaffende Künstlerinnen und Künstler – Modernisierungsavantgarde für prekäres Unternehmertum?
Zusammenfassung
Das Bild des klassischen Unternehmers – männlich, Alleinernährer der Familie, international agierend mit einem technologieorientierten Großunternehmen – war lange Zeit das in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft vorherrschende, empirisch jedoch keineswegs repräsentative Bild. In den 1980er Jahren sind die Selbstständigenzahlen in Deutschland und in Europa stark gestiegen. Unter den Gründungen spielt der, eben beschriebene, klassische Unternehmer eine immer geringere Rolle. Dies belegen Untersuchungen zu Existenzgründungen und erwerbswirtschaftlicher Selbstständigkeit in Deutschland. Stattdessen scheinen unter den Gründungen und dauerhaft bestehenden Unternehmungen prekäre Arbeitsverhältnisse an Bedeutung gewonnen zu haben. Außerdem sind die Selbstständigen zunehmend weiblich, führen ihre Tätigkeit in Teilzeit und ohne Beschäftigte aus (Meager 1993: 27; Sternberg 2000: 15).
Caroline Dangel-Vornbäumen
Sozialpolitische Perspektiven der ‚neuen Selbstständigkeit‘
Zusammenfassung
In Deutschland ist der Anteil selbstständiger Erwerbsarbeit außerhalb der Landwirtschaft seit den 1990er Jahren kontinuierlich gestiegen. Die Bedeutungszunahme der Selbstständigkeit ist verbunden mit einer Änderung ihrer Struktur. So wächst die Zahl der ‚neuen‘ Selbstständigen, die oftmals direkt aus der Arbeitslosigkeit kommen und häufig Klein- und Kleinstunternehmen, vornehmlich im Dienstleistungssektor, gründen. Außerdem ist dies mit einer stärkeren Arbeitsmarktdynamik verbunden, so dass häufigere Wechsel in und aus der Selbstständigkeit heraus Bestandteil der Erwerbsbiographien eines wachsenden Teils der Bevölkerung werden. Der Boom, die Struktur und die Dynamik der ‚neuen‘ Selbstständigkeit stellen neue Herausforderungen an wohlfahrtsstaatliche Akteure und Institutionen dar. Unmittelbar gefordert sind die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme. Die Frage, ob und in welcher Form die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme in Deutschland auf die Herausforderungen eingestellt sind bzw. wie sie ihnen begegnen, soll im Folgenden erörtert werden.
Karin Schulze Buschoff

Prekaritätsprobleme im Gründungsprozess

Ich-AG und Co. – Risiken und Chancen öffentlich geförderter Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit
Zusammenfassung
‚Jeder ist Unternehmer‘, so titelt die Website ‚Gründungszuschuss.de‘. Obwohl die Seite so heißt wie das aktuelle Förderinstrument der Bundesagentur für Arbeit (Gründungszuschuss), wird sie nicht von dieser betrieben. Sondern verantwortlich zeichnet eine Gruppe junger Selbstständiger aus München. Dieses Phänomen deutet darauf hin, dass sich im Umfeld staatlicher Gründungsfinanzierung ein eigener Markt für Information und Beratung herausgebildet hat. Denn zur Produktpalette der Gruppe gehören eigene beratende und weiterbildende Dienstleistungen speziell für geförderte und zuvor arbeitslose Gründerinnen und Gründer. Es ist ein Beispiel für zahlreiche ähnlich gelagerte Beratungs- und Weiterbildungsangebote und lässt auf eine expandierende Nachfrage durch Gründungsinteressierte schließen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der quantitativ gestiegenen Bedeutung der öffentlichen Gründungsförderung. Sie lässt sich an der zumindest bis 2007 enorm gewachsenen Anzahl von Gründungen aus der Arbeitslosigkeit ebenso ablesen wie an den gestiegenen öffentlichen Ausgaben für Existenzgründungen. Während andere arbeitsmarktpolitische Programme gekürzt wurden (etwa ‚Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen‘ und ‚Fortbildungen und Umschulungen‘), erreichte die Gründungsförderung im Jahr 2006 den Status des größten Einzelpostens aktiver Arbeitsmarktpolitik (Caliendo et al. 2007: 2).
Ute Luise Fischer
Suchbewegungen: Kooperative Unternehmungen zwischen kapitalistischer Prekarität und solidarischer Ökonomie
Zusammenfassung
Die Geschichte der Moderne lässt sich nicht nur als Geschichte der globalen Durchsetzung des Kapitalismus und seiner Metamorphosen lesen, sondern auch als Geschichte des Protests und des Widerstands gegen die sozialen und ökologischen Folgen dieser Produktionsweise und als Geschichte der Suche nach Alternativen zu den unter kapitalistischen Bedingungen für die meisten Menschen im Grunde genommen stets prekären Arbeits- und Lebensbedingungen. Die theoretische wie praktische Kritik des Kapitalismus setzt dabei zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Bedingungen an unterschiedlichen Aspekten an: an der privaten Aneignung des gesellschaftlich produzierten Reichtums; an der Unterwerfung des Gemeinwesens unter die Logik der Kapitalverwertung; an der Untergrabung der natürlichen ‚Springquellen‘ des gesellschaftlichen Lebens; an der Ausbeutung der unmittelbaren und mittelbaren Produzentinnen und Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums; an der Verschwendung von menschlichen und natürlichen Ressourcen; an der forcierten Arbeitsteilung und den entfremdeten Arbeitsbedingungen; an der Logik des Äquivalententausches und der Dominanz des Geldes; an der Irrationalität der Vertauschung von gesellschaftlichen Zielen und Mitteln. Obwohl in hohem Maße heterogen, lassen sich die zahlreichen im Laufe der Geschichte entstandenen theoretischen und praktischen Anläufe, eine Ökonomie zu entwerfen und zu verwirklichen, die die negativen Konsequenzen des Kapitalismus zu kompensieren oder ihn sogar als Ganzes zu überwinden trachten, in ihrer Gesamtheit als Ausdruck der Suche nach einer ‚solidarischen Ökonomie‘ begreifen. Insbesondere in den Prinzipien der Solidarität und der Kooperation besitzen alle Ansätze zumindest an ihrem Ausgangspunkt ein gemeinsames Leitmotiv, unabhängig davon, was praktisch aus den je eigenen Ansprüchen auch geworden sein mag. ‚Solidarische Ökonomie‘ soll daher als eine ‚regulative Idee‘ verstanden werden, die viele Ansätze und Organisationsformen umgreift, die sich in Auseinandersetzung und in Abgrenzung zu kapitalistischen Formen des Produzierens und Wirtschaftens herausgebildet haben und weiter herausbilden.
Oliver Bierhoff, Hanns Wienold
Restarts: Bergen erneute Gründungen für zuvor gescheiterte Selbstständige mehr Chancen denn Risiken?
Zusammenfassung
Unternehmerische Tätigkeit birgt Chancen, aber auch Risiken. Beides lässt sich beispielhaft anhand von Angaben der Einkommenssteuerstatistik belegen. Danach lag 2003 das durchschnittliche Netto-Einkommen von Selbstständigen mit 38.562 Euro deutlich über dem von abhängig Beschäftigten mit 26.975 Euro (vgl. hierzu und im Folgenden Merz 2006: 6). Die 10 % reichsten Selbstständigen verdienen 55,9 % des gesamten Einkommens der Selbstständigen, die 10 % reichsten abhängig Beschäftigten 28,3 % des gesamten Einkommens der abhängig Beschäftigten. Um zu diesen Reichsten zu gehören, müssen Selbstständige jährlich mindestens 78.244 Euro und abhängig Beschäftigte 50.012 Euro verdienen. Am unteren Ende der Einkommensskala zeigt sich ein umgekehrtes Bild. Die 10 % ärmsten Selbstständigen verdienen jährlich weniger als 3.622 Euro und die 10 % ärmsten abhängig Beschäftigten weniger als 5.535 Euro.
Rosemarie Kay, Peter Kranzusch
Wider die theoretischen Erwartungen: empirische Befunde zur Motivation von Unternehmensgründungen durch Migrant/inn/en
Zusammenfassung
In der Vergangenheit konzentrierte sich die soziologische Entrepreneurshipforschung ausgehend von modelltheoretischen Überlegungen vielfach auf erfolgreiches Unternehmertum und seine wirtschaftlichen und/oder politischen Bedingungen (Maurer/Schimank 2008; Swedberg 2009b). Unterbelichtet blieben dabei zumeist Fragen nach den weniger erfolgreichen Kämpfen um das unternehmerische Über-Leben und die Risiken einer unternehmerisch-selbstständigen Arbeits- und Lebensführung am Rande des Existenzminimums. So sind bislang kaum Fragen nach unternehmerischen Aktivitäten diskutiert worden, das vielleicht gar nicht zu einer Unternehmensgründung führt, eine Unternehmensauflösung einleitet oder aber in – mehr oder minder auf Dauer gestellte – prekäre unternehmerische Lebenslagen bzw. -führungen einmündet (vgl. dazu auch Aldrich 2005: 451). Dabei wird Unternehmertum als prekär betrachtet, wenn sich die unternehmerisch Tätigen in einer sozialstrukturell objektiv als schwierig beobachtbaren und/oder subjektiv als heikel empfundenen sozialen Lage befinden. D.h. wenn das Einkommens-, Schutz- und Inklusionsniveau auf längere Sicht unter den gesellschaftlichen Standard zu sinken droht bzw. sinkt und/oder die unternehmerisch Tätigen darauf hoffen müssen, unternehmerisch erfolgreich zu sein, und doch permanent befürchten, (noch) weiter sozial abzusteigen. Prekäres Unternehmertum wird hier also sowohl mit Blick auf objektive Erwerbsstrukturen wie Marktbedingungen als auch auf subjektive Orientierungen bzw. Handlungsstrategien bestimmt.
Andrea D. Bührmann
Backmatter
Metadaten
Titel
Prekäres Unternehmertum
herausgegeben von
Andrea D. Bührmann
Hans J. Pongratz
Copyright-Jahr
2010
Verlag
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-531-92513-4
Print ISBN
978-3-531-16956-9
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-92513-4