Zwei Jahre Corona-Pandemie veranlassten viele Verbraucher, sich finanziell einzuschränken. 2022 belastete die enorme Inflation als Folge des Ukraine-Kriegs die Menschen. Nun ist die Zahl privater Insolvenzen deutlich gestiegen, offenbart das aktuelle Crif-Schuldenbarometer. Eine Besserung ist nicht in Sicht.
Im abgelaufenen Jahr meldeten insgesamt 96.231 Verbraucher Insolvenz an, hat das im Februar veröffentlichte Schuldenbarometer 2022 des Informationsdienstleisters Crif ermittelt. Das ist zwar ein Rückgang von 11,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Allerdings sind die Zahlen aus dem Jahr 2021 mit rund 109.000 privaten Pleiten nicht ganz vergleichbar, betonen die Studienautoren. Denn viele Betroffene hatten ihren Insolvenzantrag 2020 zurückgehalten und erst im Folgejahr gestellt, um von einer Anfang 2021 in Kraft getretenen Gesetzesreform zu profitieren, mit der das Restschuldbefreiungsverfahren von sechs auf drei Jahre verkürzt wurde. Ein Vergleich mit dem Jahr 2019 - also noch vor Ausbruch der Corona-Pandemie - ergibt hingegen einen deutlichen Anstieg um 10,8 Prozent. Damals waren rund 86.800 Menschen in die Privatinsolvenz gerutscht.
Zahl der Schuldnerberatungen steigt deutlich
Auch die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) stellt in ihren regelmäßigen Umfragen unter den zusammengenommen rund 1.400 Beratungsstellen einen stetig steigenden Beratungsbedarf der Verbraucher fest. Träger des AG SBV sind neben den Verbraucherzentralen die AWO, Caritas, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie, Parität sowie die Kommunen. Laut der jüngsten Umfragerunde, an der sich von November bis Dezember vergangenen Jahres 460 Beratungsstellen beteiligt haben, ist die Anzahl der Schuldnerberatungen um 65 Prozent geklettert. 16 Prozent der Einrichtungen meldeten sogar eine stark steigende Nachfrage.
Neben einem inflationären Plus bei den Verbraucherpreisen belasten laut der Crif-Studienautoren auch steigende Miet- und Energiekosten die finanzielle Situation vieler Privatpersonen in Deutschland. Die Menschen verfügen daher über weniger Geld, um ihren Verpflichtungen wie Kreditzahlungen, Mieten oder Finanzierungen nachzukommen. Das führe langfristig erst in die Überschuldung und dann möglicherweise in eine Privatinsolvenz.
Lage für finanzschwache Haushalte spitzt sich zu
"Die Wirtschaft in Deutschland befindet sich weiterhin im Krisenmodus. Durch die weiter steigenden Kosten ist eine Verschuldungswelle in Deutschland möglich. Wenn die Kosten stark steigen, wird es für Personen, die schon bislang am Existenzminimum leben, schwierig", fasst Frank Schlein, Geschäftsführer von Crif Deutschland die aktuelle Lage vieler Verbraucher zusammen.
"Gerade für finanz- und einkommensschwache Haushalte wird sich die finanzielle Lage zuspitzen - auch weil die finanziellen Reserven durch Einbußen in der Corona-Pandemie aufgebraucht worden sind. Wirtschaftliche Krisen wirken sich dabei mit einer gewissen Verzögerung auf die Verbraucher aus." Während aktuelle Insolvenzstatistiken die Vergangenheit abbilden, würden die Folgen steigender Kosten vor allem die Zahlen ab 2023 beeinflussen. Crif geht für das Gesamtjahr von bis zu 100.000 weiteren Privatinsolvenzen in Deutschland aus.
Schuldenmachen als "Hobby"
Umso erschreckender ist ein Social-Media-Trend, der bereits 2022 Fahrt aufnahm: "In Netzwerken wie Tiktok ist es unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen schick geworden, unter dem Hashtag #klarnaschulden die eigene Finanzlage einem größeren Publikum zu präsentieren. Häufig handelt es sich um Nutzer, die bei der Vielzahl unüberlegter und unkoordinierter Kreditabschlüsse den Überblick verloren haben", fasst Payment-Experte Bernd Richter in der Februar-März-Ausgabe der Zeitschrift "Bankmagazin" die Problematik zusammen.
Im Kern gehe es dabei stets um Konsumschulden, die über das Fintech Klarna angehäuft wurden. "Die bizarre Mode entwickelte sich binnen Wochen zum Phänomen mit millionenfachen Aufrufen und sorgte für eine gewaltige Aufmerksamkeitswelle", so Richter. Schnell wurde Kritik am Geschäftsmodell und dem mangelhaften Schutz von finanziell unerfahrenen, in der Regel jungen Nutzern sowie der Ruf nach Nachbesserungen laut.
Politik will BNPL strenger regulieren
"Im März 2022 erklärte Klarna, keine unbefristeten Kredite mehr anbieten zu wollen, das eigene Gebührenverzeichnis transparenter zu gestalten und Fristen für zinsfreie Kredite zu verlängern", erläutert der Experte in seinem Bankmagazin-Beitrag. Dennoch sei inzwischen auch aus Brüssel klar zu vernehmen, man wolle den Ambitionen der Finanzindustrie hinsichtlich BNPL (Buy Now, Pay Later) strengere Regeln auferlegen. "Grundsätzlich sollen dabei mehr Kreditformen von der auszuarbeitenden Richtlinie erfasst werden. Die aktuell gültige Grenze von 200 Euro für eine vorschriftsmäßige Bonitätsprüfung könnte dabei revidiert werden."
Eine Umfrage des Spezialisten für Forderungsmanagement Lowell hatte in der Folge des Aufruhrs um die besagten Tiktok-Videos ergeben, dass für 54 Prozent der Teilnehmer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren diese Bezahlmethode nicht infrage kommt. Weitere 22 Prozent sagten, dass sie zuerst sicherstellen würden, ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung zu haben, um den Betrag zahlen zu können. Zudem bewerten die Autoren der Crif-Studie positiv, "dass viele Bundesbürger derzeit eine hohe Sparmotivation aufgrund von wirtschaftlicher Unsicherheit oder Zukunftsängsten haben".
Viele Rentner belasten Geldsorgen
Und diese Sorgen sind vor allem in der Altersgruppe ab 61 Jahre groß. "Für viele Senioren reichen Einkommen oder Rente nicht mehr aus - sie müssen eine Privatinsolvenz anmelden", erklärt Schlein. Auch die Zahl derer, die auf Grundsicherung angewiesen sind, weil die Altersbezüge nicht reichen, steige kontinuierlich an. Insgesamt rutschten 2022 rund 14.900 Verbraucher, die 61 Jahre und älter sind, in die Pleite. Das ist im Vergleich zum Jahr 2021 ein Plus von ein Prozent.
Allerdings seien die Fallzahlen verlichen mit 2019 auch bei älteren Bundesbürgern um 57,3 Prozent angestiegen, belegt das Schuldenbarometer. "Durch die weiterhin hohe Inflation und die Energiekrise erwarten wir in der Altersgruppe 61 Jahre und älter auch 2023 steigende Insolvenzzahlen", so Schlein.