3.2.1 Ersatzfähiger Schaden
Wie bei allen Schadenersatzansprüchen ist zunächst zu klären, ob überhaupt ein ersatzfähiger Schaden entstanden ist. Dies wird im Falle der Produkthaftung vor allem begrenzt durch Art 9 PHRL, wonach lediglich Personenschäden und bestimmte Sachschäden vom Haftungsregime der Richtlinie erfasst sind. Letztere sind zudem doppelt begrenzt: Zum einen verlangt die deutsche Fassung dabei eine „Selbstbeteiligung“ des Opfers in der Höhe von (nunmehr) € 500, was der österreichische § 2 Z 2 PHG so umgesetzt hat, dass der Hersteller „nur mit dem 500 Euro übersteigenden Teil“ haftet, während andere Mitgliedstaaten
19 das lediglich als Mindestschaden verstehen (und dem Opfer daher auch die ersten € 500 Euro ersetzen, sofern der Sachschaden insgesamt diese Schwelle übersteigt). Zum anderen sieht Art 9 lit b PHRL Ersatz nur für Schäden an solchen Sachen vor, die „gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt“ sind und (kumulativ!) vom konkreten Opfer auch tatsächlich nur so verwendet wurden.
20 Beide Einschränkungen sind zwar unbefriedigend,
21 führen aber bei autonomen Fahrzeugen zu keinen anderen Ergebnissen als bei konventionellen.
Eine schon bislang beim Schadensbegriff der Produkthaftung höchst umstrittene Frage hat aber bei selbstfahrenden Autos und ähnlichen stark von Software abhängigen Produkten besondere Relevanz, und zwar die Ersatzfähigkeit sogenannter Weiterfresserschäden.
22 Gem Art 9 lit b PHRL ist zwar klar, dass nur die „Beschädigung oder Zerstörung einer anderen Sache als des fehlerhaften Produktes“ Ansprüche aus Produkthaftung auslöst, womit der Eigentümer eines autonomen Fahrzeugs nicht dessen (End-)Hersteller auf Ersatz klagen kann, wenn etwa vorinstallierte, aber fehlerhafte Firmware oder KI das Auto im wahrsten Sinne des Wortes an die Wand fährt. Dies schließt aber keineswegs Ansprüche gegen den Softwareentwickler als Zulieferer des problematischen digitalen „Bauteils“ aus;
23 was aber natürlich wiederum voraussetzt, dass digitale Inhalte überhaupt als Produkte iSd Richtlinie gelten.
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Schließlich stellt sich umgekehrt gerade auch bei stark „datenlastigen“ Produkten die Frage, ob Schäden an den digitalen Inhalten selbst ersatzfähig sind, wenn also etwa durch eine Kollision mit einem autonomen Fahrzeug Daten korrumpiert oder gelöscht werden, sei es in einem anderen Fahrzeug, sei es in Infrastruktureinrichtungen oä, was zumindest einen Neuinstallationsaufwand auslöst. Auch hier geht es um den Begriff der „Sache“ iSd PHRL und damit wiederum insbesondere um die Voraussetzung der Körperlichkeit, aber eben nicht bei der Produktdefinition, sondern beim Schadensbegriff. Dennoch muss wohl ein und derselbe Begriff „Sache“ an beiden Stellen der Richtlinie (Art 2 und Art 9 lit b PHRL) gleich interpretiert werden: Schließt man Software als Produkt wegen mangelnder Körperlichkeit aus, können auch Schäden an Daten nicht ersatzfähig sein. Dies hat der österreichische Gesetzgeber – allerdings ohne klare Deckung im Richtlinientext – konsequenterweise so entschieden, indem gem § 1 Abs 1 PHG nur Schäden an „körperlichen“ Sachen ersetzt werden können, so wie gem § 4 PHG nur „körperliche“ Sachen Produkte sein können.
3.2.2 Produkt
Soweit es um ein autonomes Fahrzeug als Ganzes geht, ist es zweifelsohne ein Produkt iSd PHRL, ist dies in Art 2 PHRL doch definiert als „jede bewegliche Sache, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache oder einer unbeweglichen Sache bildet“. Selbst wenn ein unfallkausaler Fehler des Fahrzeugs nicht in dessen Hardware, sondern in seiner Steuerungssoftware lag, ist doch das Auto als Ganzes fehlerhaft iSd PHRL, womit Unfallopfer auf dieser Basis Entschädigungsansprüche haben können.
Fraglich ist aber, ob die Software selbst auch als Produkt von der PHRL erfasst ist, was nicht nur dann schlagend wird, wenn sie erst nach Inverkehrbringen des Fahrzeugs installiert wurde, insbesondere von einem Drittanbieter. Zwar sind Software und andere digitale Inhalte „das dominante Wirtschaftsgut der modernen Ökonomie“,
25 dennoch ist umstritten (und von der PHRL in ihrem Wortlaut offengelassen), ob auch solche unkörperlichen Sachen „Produkte“ sein können oder nur körperliche.
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Der österreichische Gesetzgeber hat die Frage, wie soeben erwähnt, in § 4 PHG in ersterem Sinne entschieden, obwohl diese Konkretisierung nicht dem Wortlaut der Richtlinie entspricht. Allerdings ist zu bedenken, dass die PHRL auf Grund ihrer Entstehungsgeschichte wohl mit deutschem Verständnis des Sachbegriffs zu lesen ist, und gem § 90 BGB sind „Sachen im Sinne des Gesetzes … nur körperliche Gegenstände“, während das österreichische Pendant § 285 ABGB keine derartige Einschränkung kennt. Damit fielen Schäden durch fehlerhafte Software aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie, obwohl die Kommission 1988 ausdrücklich bestätigt hatte, dass die Richtlinie „auf Computer-Software Anwendung“ finde.
27 Dies ist allerdings wohl im Lichte der damaligen Zeit zu interpretieren, als Software lediglich auf physischen Datenträgern vermarktet wurde und nicht per Download, weil das Internet damals noch gar nicht kommerziell genutzt wurde.
Dennoch sollten Hersteller digitaler Inhalte wie Software für deren Fehler genauso haften wie die Produzenten körperlicher Erzeugnisse. Sofern dies nicht durch entsprechende Interpretation der PHRL erreicht werden kann,
28 ist diese entweder zu ändern oder durch ein korrespondierendes Haftungsregime zu ergänzen, wie dies auch die
New Technologies Formation der
Expert Group on Liability for New Technologies29 in ihrem Endbericht fordert.
30 Die
Product Liability Formation derselben
Expert Group hat in dieser Frage noch nicht Stellung bezogen. Angedacht war dort allerdings zuletzt zumindest eine Art erläuterndes Dokument;
31 in so wesentlichen Fragen wie der Produktdefinition scheint jedoch bislang noch keine Einigung erzielt worden zu sein.
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3.2.3 Haftpflichtige
Die Schlüsselperson der Produkthaftung ist – wie schon erwähnt – der Endhersteller, bei selbstfahrenden Kraftfahrzeugen also derjenige, der sie unter eigener Marke „schlüsselfertig“ vertreibt. Da es sich dabei jedenfalls um körperliche Gegenstände handelt, stellt sich die vorhin diskutierte Detailfrage zumindest aus Opfersicht also grundsätzlich zunächst nicht. Auch die Zulieferer von Bauteilen wie Getriebe, Reifen etc haften als Teilhersteller solidarisch mit dem Erzeuger des Endprodukts, wenn gerade diese Komponenten fehlerhaft sind.
Schwieriger ist es bei der Frage der (direkten) Haftung der Softwareentwickler und Erzeuger von digitalen Inhalten wie Navigationskarten. Sind diese Daten fehlerhaft bei Auslieferung des Fahrzeugs, kann sich das Opfer wiederum an den Endhersteller desselben halten, der sich dann allenfalls (primär wohl vertraglich) bei seinen Zulieferern regressieren kann. Wie schaut es aber mit einem Direktanspruch der Opfer gegen die Datenentwickler aus? Dies kann nicht nur bei zwischenzeitlicher Insolvenz des Fahrzeugproduzenten relevant sein, sondern vor allem in jenen Fällen, in denen der Halter des Fahrzeugs nach dessen Auslieferung Updates bezieht, und zwar nicht nur über Direkterwerb vom Dritten, sondern auch dann, wenn er dessen Aktualisierungen über den Fahrzeughersteller erwirbt, der in Bezug auf diese Daten dann ja nur Lieferant iSd Art 3 Abs 3 PHRL ist und als solcher zumindest aus Produkthaftung derzeitigen Zuschnitts nur eingeschränkt haftet, nämlich dann, wenn er seinen Zulieferer nicht rechtzeitig bekannt gibt.
33 Ein Direktanspruch gegen Hersteller von digitalen Inhalten kommt aber nur dann in Frage, wenn dieselben als Produkte iSd PHRL anerkannt sind, was zuvor zwar gefordert wurde, aber derzeit noch höchst umstritten ist.
Schwieriger wird es in der zweiten Fallgruppe der Aktualisierungen, die vom ursprünglichen Fahrzeug-(end-)hersteller selbst regelmäßig auf das Fahrzeug hochgeladen werden, sei es OTA oder bei einem Serviceaufenthalt in einer Vertragswerkstätte, endet die produkthaftungsrechtliche Verantwortung des Herstellers doch an sich mit Inverkehrbringen des Fahrzeugs (Art 7 lit b PHRL). Genau dieser Punkt ist aber derzeit (ebenso) umstritten, werden doch viele Produkte mittlerweile laufend direkt von ihren Produzenten (oder zumindest in ihrem Namen) aktualisiert. Zwar tritt der Produktabnehmer dazu typischerweise in ein Vertragsverhältnis mit dem Hersteller,
34 aber zumindest für
innocent bystanders ist daraus nichts gewonnen, die gerade bei Verkehrsunfällen sehr häufig Geschädigte sind. Hierzu wird diskutiert, ob der Zeitpunkt des Inverkehrbringens neu definiert werden solle, wenn bereits bei Auslieferung des Produkts feststeht, dass dieses zumindest noch auf bestimmte zukünftige Zeit an vom Hersteller stammende Updates gebunden bleibt, womit Fehler, die gerade aus diesen Aktualisierungen resultieren, dann noch in die Verantwortlichkeit des Produzenten fielen, von dem sowohl ursprüngliches Erzeugnis als auch Updates stammen.
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3.2.4 Fehler
Der Hersteller haftet nur für Schäden, die durch Fehler seines Produktes verursacht wurden. Fehlerhaft ist es gem Art 6 Abs 1 PHRL dann, „wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände … zu erwarten berechtigt ist“, wobei insbesondere auf die „Darbietung des Produkts“, dessen zu erwartenden Gebrauch (einschließlich sozialüblicher missbräuchlicher Verwendung)
36 sowie auf den Zeitpunkt seines Inverkehrbringens abzustellen ist. „Die Sicherheit, die zu erwarten man nach dieser Bestimmung berechtigt ist, ist … vor allem unter Berücksichtigung des Verwendungszwecks und der objektiven Merkmale und Eigenschaften des in Rede stehenden Produkts sowie der Besonderheiten der Benutzergruppe, für die es bestimmt ist, zu beurteilen.“
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„Sicherheit ist … nicht gleichzusetzen mit völliger Ungefährlichkeit in jedem erdenklichen Sinne.“
38 Auch geht es nicht um die mit aktueller Technik höchstmöglich erzielbare Sicherheit, sondern um einen dem Beworbenen entsprechenden Standard (der aber natürlich Mindestvorgaben der Rechtsordnung jedenfalls entsprechen muss). Gerade bei Kraftfahrzeugen ist allen Marktteilnehmern klar, dass es unterschiedliche Ausstattungsvarianten gibt, die verschiedene Sicherheitsniveaus zur Folge haben; nicht alle Autos haben sämtliche bei Inverkehrbringen technisch möglichen Fahrassistenten und Zusatzausstattungen, die typischerweise nur mit Aufpreis zur Standardvariante erkauft werden können.
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Die Erfahrungen mit traditionellen Produkten, gerade auch mit konventionellen Kraftfahrzeugen, können natürlich für die Bestimmung der Sicherheitserwartungen an autonome Fahrzeuge herangezogen werden, wodurch auch die Latte für die Beurteilung von deren allfälliger Fehlerhaftigkeit gelegt wird. Hierbei ist allerdings zum einen zu bedenken, dass die Technologie des autonomen Fahrens vor allem auch mit dem Argument besonders stark propagiert wird, dass die Unfallfrequenz dramatisch sinken werde und das Verkehrsgeschehen insgesamt um vieles „sicherer“ werde, womit die „Darbietung“ derartiger Produkte die Erwartungen wohl in die Höhe schraubt. Andererseits ist zu fragen, ob wir uns als Konsumenten nicht schon mittlerweile damit abgefunden haben, dass neu auf den Markt kommende technische Geräte ständig aktualisiert und damit verbessert werden, wir also gar nicht mehr erwarten, dass ein Produkt bei Inverkehrbringen schon perfekt ist.
Insbesondere bei Produkten mit KI und damit auch autonomen Fahrzeugen kommt dazu, dass deren Funktionen nicht notwendigerweise ab Werk vorbestimmt sind, sondern durch eigene Weiterentwicklung verändert werden können, womit das Verhalten im Verkehr nicht zwingend dem entspricht, was ursprünglich vorprogrammiert wurde. Welche Erwartungen kann man an ein System haben, das sich planmäßig unerwartet verhält?
40 Sind die Sicherheitserwartungen an ein autonomes Fahrzeug einfach nur abstrakt, dass es im Ernstfall die richtigen Entscheidungen treffen wird, obwohl wir gar nicht wissen, wie weit sein maschinelles Lernen schon fortgeschritten ist? Und was ist im Ernstfall die „richtige“ Entscheidung – was dient dazu als Maßstab? Das was ein menschlicher Fahrer unter den Umständen getan hätte? Wohl kaum (oder zumindest nicht immer), schließlich sollen autonome Fahrzeuge ja bessere Entscheidungen treffen. Wie kann aber etwa auf ein anderes autonomes Fahrzeug abgestellt werden, das sich möglicherweise ganz anders entwickelt, weil es völlig andere Verkehrssituationen „gelernt“ hat? Natürlich wird es hier weitreichende Standardisierungen geben, die mit ständigen Updates zumindest flottenweit verbreitet werden, so dass es auf das individuelle „Lernen“ eines einzigen Fahrzeugs kaum ankommen wird. Dennoch wird es (z. B. wetterbedingt) zumindest in den ersten Jahren immer wieder neuartige Situationen geben, die noch nicht systemweit eingespeist sind – wie soll dann das „Verhalten“ der KI eines Fahrzeugs beurteilt werden, und vor allem: ist das Fahrzeug fehlerhaft (ab Auslieferung!), weil seine KI im Ernstfall die „falsche“ Entscheidung getroffen hat?
Dazu kommt die zumindest bislang in den meisten Ländern
41 bestehende Entlastungsmöglichkeit für Hersteller, die der optionale Art 7 lit e PHRL bietet: Können sie nachweisen, dass ein vom Kläger nachgewiesener Fehler „nach dem Stand der Wissenschaft und Technik“ zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produktes „nicht erkannt werden konnte“, haften sie für diesen Fehler nicht. Dies war zwar schon ursprünglich höchst umstritten und ist nach überwiegender Meinung nur in sehr engen Grenzen möglich,
42 dennoch könnte dies in den hier interessierenden Fällen einer Produkthaftung für autonome Fahrzeuge häufiger greifen, wenn man bedenkt, dass die KI sich systembedingt selbstständig entwickelt und verändert.
43 Daher wird die nie verstummte Kritik an dieser Einrede zu Recht gerade in der Diskussion um den Anpassungsbedarf der PHRL im Lichte neuer Technologien wieder stärker.
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3.2.5 Beweislast
Die in der Praxis vermutlich größte Herausforderung für Opfer eines Verkehrsunfalles mit autonomen Fahrzeugen wird vermutlich der ihnen obliegende Nachweis der Schadensursache sein, schließlich haben sie gem Art 4 PHRL „den Schaden, den Fehler und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden zu beweisen“.
45 Im Gegensatz zu traditionellen Produkten, die den Verfassern der Richtlinie in den 1970er-Jahren vorgeschwebt sind, verlassen moderne Produkte und vor allem selbstfahrende Autos nicht die Sphäre des Herstellers in einem finalen Zustand, der es im gleichen Maße zuließe, aus einem später auftretenden Schadensereignis auf einen bereits vor Auslieferung passierten Fehler zu schließen. Der Betrieb von autonomen Fahrzeugen hängt von so vielen externen Faktoren und ständigen Veränderungen ab, einerseits durch laufend erfolgende Updates, andererseits durch kontinuierliche Verarbeitung von Daten durch das Auto selbst, dass nicht so wie bei einer explodierenden Mineralwasserflasche ein bei Inverkehrbringen bereits vorliegender Fehler derselben naheliegt, sofern eine typischerweise überschaubare Reihe von möglichen anderen (externen) Ursachen wie unsachgemäße Lagerung der Flasche ausgeschlossen werden kann. Dazu kommen Individualisierungen durch den Fahrzeughalter, der das vom Hersteller ausgelieferte Auto mit weiterer Software oder Daten zusätzlich an seine persönlichen Bedürfnisse und Präferenzen anpasst.
Nun könnte man natürlich argumentieren, dass autonome Fahrzeuge wohl mit Unfalldatenspeichern oder ähnlichen Logging-Systemen ausgestattet sein werden, die im Nachhinein die Abläufe wenigstens im Fahrzeug rekonstruieren lassen.
46 Aber abgesehen davon, dass diese selbst fehlerhaft sein können, wird es möglicherweise schwierig sein, zum Beispiel die rückblickend falsche „Reaktion“ der KI des Autos auf ein Außenereignis als einen bereits bei Auslieferung vorliegenden Fehler der KI und damit des Fahrzeugs zu identifizieren. Viele sprechen sich daher dafür aus, Art 4 PHRL zugunsten der Opfer zu entschärfen, bis hin zu einer Beweislastumkehr.
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