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28.07.2016 | Produktion + Produktionstechnik | Interview | Online-Artikel

"Das gesamte System der Produktion ins Auge fassen"

verfasst von: Eva Hestermann-Beyerle

3 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Prof. Dr.-Ing. Engelbert Westkämper

Bis 2011 leitete Engelbert Westkämper das Institut für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) an der Universität Stuttgart sowie das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), ebenfalls Stuttgart.

Springer-Autor Engelbert Westkämper fordert ein Umdenken in den Unternehmen. In der Produktion gelte es, kurzfristiges Denken zu strategischem Denken und Planen zu verändern.

Springer Professional: In Ihrem kürzlich zusammen mit Carina Löffler veröffentlichten Buch "Strategien der Produktion" beklagen Sie, dass in den westlichen Industriestaaten eine Deindustrialisierung stattgefunden hat. Was bedeutet das und wie kam es dazu?

Prof. Dr.-Ing. Engelbert Westkämper: Deindustrialisierung ist das Gegenteil der seit dem 18. Jahrhundert zunächst in Europa vor sich gegangenen Industrialisierung. Sie bedeutet allein in den letzten 40 Jahren einen Rückgang der verarbeitenden Industrie an der gesamten Bruttowertschöpfung von über 30 Prozent in den westlichen Industriestaaten. Das entspricht dem Verlust von etwa einem Drittel aller Arbeitsplätze. Die Ursachen sind vielfältig, sie liegen sowohl in den Wirtschaftssystemen als auch in der Tatsache, dass die Schwellenländer sich sehr gut entwickelt haben und Anschluss an westliche Standards fanden.

Was haben die Unternehmen in den Industrieländern falsch gemacht?

Man kann eine Tendenz zu kurzfristigen Maßnahmen und kurzfristig erzielbaren Ergebnissen beobachten. Dabei wurden längerfristige Maßnahmen und solche mit hohen technischen Risiken, also Investitionen in Produkte und Produktionskonzepte, oft vernachlässigt. Viele Unternehmen haben stattdessen in Schwellenländer expandiert und dort zu starkem Wachstum beigetragen, sodass dort eine Konkurrenz für die heimischen westlichen Standorte entstand.

Was müsste Ihrer Meinung nach getan werden?

Das kurzfristige Denken in Unternehmen und Politik müsste in langfristig wirksame strategische Maßnahmen gelenkt werden. Das betrifft sowohl die Maßnahmen der Unternehmen als auch die Infrastruktur in den Staaten der Europäischen Union oder auch der USA. Ziel sollte somit eine Reindustrialisierung sein. Man müsste also kurzfristiges Denken zu strategischem Denken und Planen verändern.

Aber die Unternehmen planen doch ihre Zukunft.

Sicher, in den großen Unternehmen gibt es strategische Planungen. Diese beziehen sich aber meist nur auf das Portfolio der Produkte und Märkte. Allenfalls werden noch die langfristig notwendigen Ressourcen eingeplant. Die Produktion dagegen ist selten Gegenstand strategischer Planung. Und hier liegt das eigentliche Defizit.

Das System Produktion ist in Ihrem Buch ein zentraler Begriff. Was meinen Sie damit genau?

Wir haben den Bilanzrahmen des Systems Produktion deutlich erweitert und verstehen darunter das Zusammenwirken und die Relationen sämtlicher beteiligter Elemente. Dazu gehören die Produktionsprozesse und Prozessfolgen sowie ihre Vernetzungen untereinander. Wir suchen also für die Zukunft nicht nur die rationellste Ausführung der Prozesse, sondern auch Synergien in der Kooperation aller Beteiligten innerhalb der Unternehmen und auch über die Grenzen des einzelnen Unternehmens hinaus.

Empfehlung der Redaktion

2016 | Buch

Strategien der Produktion

Technologien, Konzepte und Wege in die Praxis

Das Buch beschreibt die strategischen Konzepte für die Fabriken der Zukunft und ordnet diese in ein systematisches Vorgehen ein. Damit verfolgt es eine ganzheitliche Sicht auf das System Produktion. Die Autoren entwickeln einen methodischen Ansatz …


Welche langfristigen Ziele sollten die Unternehmen in der Produktion anstreben?

In der Produktion orientiert man sich traditionell an drei Zielen: Qualität, Kosten und Produktionszeiten. Dies reicht jedoch in der Zukunft nicht aus. Künftig werden zusätzliche Ziele entscheidend sind, wie zum Beispiel Wandlungsfähigkeit, Flexibilität und Nachhaltigkeit. Der Aktionsbereich bezieht sich somit nicht mehr nur auf die Herstellung und die dafür eingesetzten Ressourcen, sondern in der Zukunft auf den gesamten Lebenszyklus der Produkte von ihrer Herstellung bis zur Entsorgung und bezieht damit auch die produktbegleitenden Dienstleistungen mit ein. Es muss also das gesamte System der Produktion ins Auge gefasst und in den Mittelpunkt der Wertschöpfung gelegt werden. Unternehmen müssen zunächst einen Maßnahmenplan mit langfristiger Perspektive entwickeln, wir nennen ihn Migrationsplan. An seinem Ende stehen klare Vorstellungen, also eine Vision, wie die Fabrik der Zukunft aussehen soll. Ein wirksames Instrument dazu ist der von mir schon vor Jahren entwickelte Technologiekalender. Aus diesem lassen sich die notwendigen Investitionen und Strukturveränderungen sowie die Wirkung der Technologien und Konzepte auf die Beschäftigung ableiten. 

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Die Hintergründe zu diesem Inhalt

2016 | OriginalPaper | Buchkapitel

Re-Industrialisierung der verarbeitenden Industrie

Nachhaltige Wertschöpfung für Europas Industrie
Quelle:
Strategien der Produktion

2016 | OriginalPaper | Buchkapitel

Visionen und strategische Konzepte für das System Produktion

Grenzen überwinden mit Strategie und Technologie
Quelle:
Strategien der Produktion

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