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12.10.2022 | Produktion + Produktionstechnik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Industrie wird langfristig unter der Energiekrise leiden

verfasst von: Christoph Berger

4:30 Min. Lesedauer

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Kurz-, mittel- und langfristig werden die hohen Gas- und Strompreise sowie die weltweite Konjunkturabschwächung gravierende Auswirkungen auf den Industriestandort Deutschland und seine Unternehmen haben.

Die konjunkturellen Aussichten verschlechtern sich. Das ist die Kernaussage einer von den Leibniz-Instituten für Wirtschaftsforschung aus Essen, München und Halle (RWI, ifo, IWH) sowie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (ifw) Ende September 2022 veröffentlichten Gemeinschaftsdiagnose für 2022. "Der russische Angriff auf die Ukraine und die daraus resultierende Krise auf den Energiemärkten führen zu einem spürbaren Einbruch der deutschen Wirtschaft", sagte Torsten Schmidt, Konjunkturchef des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Sprecher der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose im Rahmen der Ergebnisvorstellung. Für Deutschland bedeute die Versorgungslage mit Gas permanenten Wohlstandsverlust.

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Energiekrise und Lieferstopp für Gas: Auswirkungen auf die Betriebe in Deutschland

Seit 2021 steigen die Energiepreise kräftig an. Mit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine sind sie noch einmal in die Höhe geschnellt. Neben Lieferkettenstörungen und Exportrückgängen dämpft das die wirtschaftliche Entwicklung, Konjunkturprognosen wurden deutlich nach unten revidiert.

Auch die Unternehmen seien vor diesem Hintergrund auf weitere Unterstützung der Politik angewiesen, wobei darauf geachtet werden müsse, dass es nicht zu dauerhaften Subventionen komme. Immerhin zeige sich der Arbeitsmarkt stabil. Aufgrund des Personalmangels in vielen Branchen sei trotz der Wirtschaftskrise keine erhöhte Arbeitslosigkeit zu erwarten, erklärte Schmidt weiter. 

Verlagerung ins Ausland und Betriebsschließungen

Von der Gemeinschaftsdiagnose alarmiert zeigt sich der Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Dessen Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben sagte auf die Ergebnisse bezugnehmend: "Rekordinflationsraten, insbesondere die explodierenden Energiepreise, treffen viele Unternehmen ins Mark. Produktionsstopps, Wertschöpfungsverluste, die Verlagerung von Produktion ins Ausland bis zu Betriebsschließungen sind die Folgen." Laut seinen Aussagen würden die aufgezählten Risiken aktuell keine Aussicht mehr auf einen Aufschwung zulassen. Seine Forderung: "Alle Kraftwerke, die Energie liefern können, müssen ans Netz und bis zum Ende der Energiekrise am Markt bleiben." Alle Hürden beim Ersatz von Gas, etwa beim Fuel Switch, müssten abgeräumt werden. 

Von einer schrumpfenden Produktion im Verarbeitenden Gewerbe geht auch Deutsche Bank Research in der Anfang Oktober 2022 veröffentlichten Analyse "Energiekrise trifft Industrie bis ins Mark" aus. Von einem Rückgang um 2,5 % für 2022 und 5 Prozent für 2023 ist darin die Rede. Die Produktion in der chemischen Industrie könnte 2022 sogar um bis zu 10 % zurückgehen, 2023 um weitere 9 %. Klar ist in jedem Fall, dass die größten Rückgänge in den energieintensiven Industrien zu erwarten sind. Die Unternehmen in diesen Sektoren hätten zwar die meisten kurzfristigen Möglichkeiten genutzt, um von Gas auf andere Energieträger umzusteigen oder die Energieeffizienz weiter zu erhöhen, so die Analyse, weitere Maßnahmen seien nun aber die Drosselung der Produktion, die Schließung einzelner Werke und/oder die Verlagerung der Produktion in Fabriken im Ausland.

Energieintensive Bereiche besonders betroffen

Besonders betroffen sind laut der Analyse die Branchen Chemie, Metallerzeugung, Baustoffe und Papier, allesamt energieintensive Bereiche. Nicht ganz so pessimistisch seien die Investitionsgüterproduzenten. Dies liege vor allem an den nach wie vor hohen Auftragsbeständen in der Automobilindustrie, der Elektrotechnik und dem Maschinenbau. Allerdings, so die Prognose, könnten sich die Industriekunden im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld mit Investitionen in neue Maschinen, Anlagen oder Gebäude zukünftig zurückhalten – ähnlich wie es bereits im Wohnungsbau passiert. Dies führe zu einem Rückgang bei den Auftragseingängen für die Industrie.

Deutsche Bank Research geht damit von einer rückläufigen Entwicklung für alle Industriebranchen aus. Der Wegfall der Gaslieferungen aus Russland werde zudem zu anhaltend höheren Preisen für Energie führen. Somit falle auch das wirtschaftliche Erholungspotenzial für die deutsche Industrie im weiteren Verlauf von 2023 sehr begrenzt aus.  

Was die Lage der Beschäftigten betrifft, kommt die Analyse von Deutsche Bank Research allerdings zu einem anderen Schluss als die zu Beginn erwähnte Gemeinschaftsdiagnose. Demnach werde die Zahl der Kurzarbeiter im Verarbeitenden Gewerbe in der nächsten Zeit zunehmen, wenig später die Beschäftigung in der Industrie sinken, "da einige Branchen mit strukturellen Verlusten an Produktionskapazitäten und Beschäftigung in Deutschland konfrontiert sein werden", wie Eric Heymann schreibt. Laut seiner Vorschau wird außerdem der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland in den nächsten Jahren voraussichtlich schrumpfen.

Kommt es zu einer Deindustrialisierung in Deutschland?

Selbst der 10-Jahres Ausblick ist trübe. Eric Heymann von Deutsche Bank Research schreibt in dem Paper: "Wenn wir in etwa zehn Jahren auf die aktuelle Energiekrise zurückblicken werden, könnten wir diese Zeit als Ausgangspunkt für eine beschleunigte Deindustrialisierung in Deutschland betrachten." Wobei eher der Industriestandort Deutschland leiden werde, weniger die großen deutschen Industrieunternehmen. Letztere hätten die Möglichkeit, ihre Aktivitäten besser zu internationalisieren und Produktionsstandorte nach ihren individuellen Kosten- und Kundenstrukturen auszuwählen.

Abgesehen von diesem möglichen Ausblick auf 2032: Die jüngsten Daten der volkswirtschaftlichen Analyseeinheit der Deutschen Bank zur inländischen Produktion und zu den Auftragseingängen zeigen, dass der nächste zyklische Abschwung in den meisten Industriesektoren in Deutschland begonnen hat. Ähnlich wie der DIHK zählt Heymann die hohen Gas- und Strompreise, die weltweite Konjunkturabschwächung sowie eine insgesamt schlechtere wirtschaftliche Stimmung, die auf die Investitionsneigung drücke, zu den Hauptfaktoren für den Einbruch.

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