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11.04.2014 | Produktion + Produktionstechnik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Industrie 4.0 nimmt Fahrt auf

verfasst von: Dieter Beste

7 Min. Lesedauer

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Zum Messeschluss in Hannover wird deutlich, dass der Zug in Richtung „Industrie 4.0“ kräftig an Fahrt gewinnt. Die Frage in den Unternehmen lautet nicht „ob“, sondern „wie“ aufspringen – wenn nicht schon längst geschehen.

„Industrie 4.0 wird schneller kommen, als viele es vor einem Jahr noch für möglich gehalten haben“, konstatierte heute Dr. Jochen Köckler, Mitglied des Vorstandes der Deutsche Messe AG zum Abschluss der Hannover-Messe. In der Leinestadt trafen in dieser Woche mehr als 180 000 Besucher auf rund 5 000 Aussteller.

Der Begriff Industrie 4.0 steht für die intelligente Vernetzung von Produktentwicklung, Produktion, Logistik und Kunden. Aus Sicht des VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau) hat die diesjährige Hannover-Messe die Innovationskraft des Maschinenbaus eindrucksvoll bestätigt. „Deutschland ist der Maschinenbau-Nabel der Welt, und wir sehen hier in Hannover wieder einen Produktivitätsschub, der diese technologisch führende Position weiter stabilisieren wird“, bilanzierte zum Messeabschluss VDMA-Hauptgeschäftsführer Dr. Hannes Hesse.

Maschinenbauer blicken optimistisch in die Zukunft

Das aktuelle Maschinenbau-Barometer der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC umschreibt das positive Gefühl in der Branche mit Zahlen. Aus der Studie, für die 100 Führungskräfte aus dem Maschinen- und Anlagenbau befragt wurden, geht hervor, dass 80 Prozent der Maschinenbauunternehmen eine positive Wirtschaftsentwicklung in Deutschland sehen. Demnach plant die Mehrheit der Befragten in den kommenden zwölf Monaten größere Investitionen. Diese Investitionen sollen sich im Schnitt auf einen Anteil von 6,3 Prozent des Gesamtumsatzes belaufen und vor allem den Bereichen Forschung und Entwicklung sowie Produkteinführungen zugutekommen.

Das Zukunftsthema Industrie 4.0 ist laut PwC-Studie bereits heute auf der Agenda vieler Maschinenbauunternehmen angekommen: Für ein Drittel der Befragten ist es wichtig bis sehr wichtig. Vor allem umsatzstarke, große Branchenakteure messen diesem Thema überdurchschnittlich häufig Relevanz bei. Nach den besonders bedeutsamen Aspekten von Industrie 4.0 gefragt, wurden vor allem Prozessoptimierung, Datenmanagement sowie interne und externe Vernetzung genannt.

Kräftige Wachstumschancen durch Industrie 4.0

Nach der gemeinsam vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und Bitkom, Sprecher der IT-, Telekommunikations- und Neue-Medien-Branche, zur Hannover-Messe veröffentlichten Studie „Industrie 4.0 – Volkswirtschaftliches Potenzial für Deutschland“ sind durch die Industrie 4.0 allein in sechs volkswirtschaftlich wichtigen Branchen bis zum Jahr 2025 Produktivitätssteigerungen in Höhe von insgesamt rund 78 Milliarden Euro möglich. Durchschnittlich 1,7 Prozent pro Jahr und Branche können als zusätzliche Bruttowertschöpfung erzielt werden. Dieser Begriff umschreibt den Gesamtwert aller produzierten Waren und Dienstleistungen, abzüglich der Vorleistungen. Besonders stark können der Maschinen- und Anlagenbau, die Elektrotechnik und die chemische Industrie profitieren.

„Industrie 4.0 ist ein echter Produktivitätstreiber – die Wertschöpfungsketten verändern sich durch die Digitalisierung und Vernetzung von Produktion und intelligenter Produkte“, resummierte Bitkom-Präsident Professor Dieter Kempf bei der Vorstellung der Studie. Untersucht wurden sechs Branchen, die vom Zusammenwachsen von Produktion und Internet besonders früh und stark betroffen sind: Maschinen- und Anlagenbau, Elektrische Ausrüstung, Chemische Industrie, Kraftwagen- und Kraftwagenteile, Informations- und Kommunikationstechnologie (ITK) sowie Landwirtschaft. In den drei erstgenannten Branchen ist jeweils ein zusätzliches Wachstum in Höhe von 2,2 Prozent pro Jahr möglich.

Maschinenbau profitiert in zweifacher Weise

Der Maschinenbau ist Anwender und Anbieter der neuen Technologien. Die riesigen anfallenden Betriebs-, Zustands- und Umfelddaten können genutzt werden, um effizienter zu produzieren. Zudem können die eigenen Produkte mit Industrie-4.0-Technologien ausgestattet werden und so beispielsweise neue Service-Modelle entstehen. Die Branche der elektrischen Ausrüster umfasst vor allem die Herstellung elektrischer und optischer Geräte. Mit Industrie 4.0 können ihre komplexen Produktionsprozesse fast in Echtzeit überwacht werden. Das schafft höhere Transparenz und senkt Lagerkosten. Zudem können die weltweit verteilten Produktionsprozesse nach dem Motto „Plug and Produce“ einfacher eingerichtet und angepasst werden.

Etwas niedriger fallen die Chancen für den Automobilbau aus. Hier wird ein zusätzliches Potenzial von 1,5 Prozent pro Jahr erwartet. Die Branche gilt primär als Anwender von Industrie 4.0, insbesondere in der Produktion und Logistik. Allerdings können die neuen Technologien auch in den Fahrzeugen eingebaut werden. Das erhöht die Verkehrssicherheit und erleichtert das Management von Ersatzteilen und Wartung. Für die ITK-Branche als Anbieter von Industrie-4.0-Technologien wird ein Potenzial in Höhe von 1,2 Prozent pro Jahr gesehen. Chancen ergeben sich vor allem aus neuen Produkten und Dienstleistungen für eine einfache, flexible und echtzeitnahe Produktionsplanung und -steuerung. Die zusätzlichen Wachstumschancen in der Landwirtschaft liegen ebenfalls bei rund 1,2 Prozent. Sie kann insbesondere von der Vernetzung von Landmaschinen untereinander sowie dem Einsatz mobiler Geräte profitieren.

Vierte industrielle Revolution wird Deutschland verändern

„Industrie 4.0 hat das Zeug dazu, unsere industrielle Wertschöpfung so zu revolutionieren wie das Internet die Wissensarbeit“, kommentiert Professor Wilhelm Bauer vom Fraunhofer IAO die Studien-Ergebnisse. Bislang könne man allerdings nur einen kleinen Teil der erwarteten Potenziale einordnen. Viel werde davon abhängen, ob und wie es in Deutschland gelingen werde, neue Geschäftsmodelle in den traditionellen Industriebranchen einzuführen. Um das volle Potenzial der Industrie 4.0 zu heben, müsse das „Ökosystem“ aus Mensch, Technik und Organisation ganzheitlich betrachtet werden.

Wie in Hannover auch deutlich wurde, hat der große Player Siemens aus der beschleunigten Verschmelzung von realer und virtueller Produktion längst den Schluss gezogen, für die Industrie 4.0 eine umfassende technologische Plattform anzubieten. Das Unternehmen präsentierte seine Strategie für die nächsten Schritte auf dem Weg in die Zukunft der Industrie: Basierend auf seinem umfassend integrierten Produkt-Portfolio für industrielle Anwendungen wird Siemens den Fokus in der Entwicklungsarbeit auf den Ausbau seines Manufacturing Operations Management (MOM) Systems legen. Darüber hinaus wird die Entwicklung des Produktangebotes der Digital Enterprise Platform konsequent weiter vorangetrieben. Neue Automatisierungskomponenten werden so ausgelegt, dass sie gemäß dem Motto „plug ‘n‘ produce“ noch einfacher in Automatisierungs- und Antriebslösungen integriert werden können.

Industrieller IT- und Software-Markt wächst überproportional

„Rund um den Globus unternehmen Volkswirtschaften massive Anstrengungen, um die eigenen produzierenden Industrien zu stärken. Die fortschreitende Digitalisierung bei Fertigungstechnologien eröffnet dabei neue Möglichkeiten, Industrieunternehmen fit für die Zukunft zu machen und in neu entstehenden globalen Fertigungsnetzwerken nachhaltig am prognostizierten globalen Wachstum zu partizipieren“, sagte Siegfried Russwurm, Mitglied des Vorstands der Siemens AG und CEO des Sektors Industry, auf der Hannover-Messe.

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Auf dem Weg in die sich weiter vernetzende globale Fertigungswelt wird der Markt für industrielle IT und Software nach Einschätzung von Siemens in den kommenden Jahren mit durchschnittlich sieben Prozent pro Jahr rund doppelt so schnell wachsen wie der Gesamtmarkt für industrielle Automations- und Antriebstechnik. „Mit Totally Integrated Automation (TIA), Integrated Drive Systems (IDS), PLM-Software und Data-Driven Services ist Siemens Vorreiter bei durchgängigen und integrierten Produktionstechnologien“, sagte Russwurm in Hannover: „Dies ist die Basis für eine ganzheitliche Optimierung der Produktentwicklungs- und Produktionsprozesse unserer Kunden, die sich mit uns zusammen auf den Weg in die Zukunft der Industrie machen.“

Forscher bieten Know-how für den Transformationsprozess

Für die Umsetzung in den Unternehmen bieten unter anderem die Wissenschaftler mehrerer Fraunhofer-Institute ihre Dienstleistungen an. „Dass die Hannover-Messe als eine der wichtigsten Industriemessen der Welt den Weg zur Fabrik der Zukunft im Kontext von Industrie 4.0 ein zweites Mal in Folge aufgreift, zeigt, dass das Thema keine Eintagsfliege ist“, hatte Professor Thomas Bauernhansl, Institutsleiter des Fraunhofer IPA in Stuttgart, schon zu Beginn der Hannover-Messe hervorgehoben. „Sicherlich ist die vierte industrielle Revolution gerade auch ein Hype-Thema, das rauf und runter gespielt wird. Andererseits gibt es in diesem Umfeld sehr gute Beispiele, die zeigen, dass wirklich Substanz dahintersteckt.“ Bauernhansl nannte in diesem Zusammenhang die Online-Plattform Virtual Fort Knox, die für produzierende Unternehmen bedarfsgerechte funktionale IT-Lösungen bietet, die Nutzung von Informationstechnik in wertschöpfenden Prozessen vereinfacht und die Vernetzung über Standort- und Unternehmensgrenzen hinweg optimiert.

Auf dem Weg hin zur Fabrik der Zukunft bietet das Karlsruher Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) den Unternehmen Unterstützung bei Entscheidungsprozessen an. Das Benchmarking-Portal des Fraunhofer ISI ermöglicht Unternehmen den systematischen Vergleich der Leistungsfähigkeit ihres Produktionssystems mit anderen. Ein solcher Vergleich könne helfen, Optimierungsbedarf bei der Innovations- und Produktionsstrategie in einem Unternehmen zu identifizieren und Optimierungspotenziale besser einzuschätzen.

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