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19.07.2022 | Produktion + Produktionstechnik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Matrixproduktion vereint Wirtschaftlichkeit und Flexibilität

verfasst von: Thomas Siebel

4 Min. Lesedauer

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Flexibel und wandlungsfähig: Das Konzept der cyber-physischen Matrixproduktion weist den Weg für die Fabrik der Zukunft. Erste Unternehmen haben es mit Erfolg umgesetzt, doch es besteht noch Forschungsbedarf.

Schwankende Losgrößen, individualisierte Produkte, härterer Wettbewerb: Das Marktumfeld für produzierende Unternehmen ist im Wandel und setzt sie unter Druck. Verschärft werden die Anforderungen an produzierende Unternehmen durch zunehmend unsichere globale Lieferketten. Mit der cyber-physischen Matrixproduktion beschreiben nun Forschende des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA ausführlich einen Ansatz, mit dem Unternehmen in Zeiten schwankender Nachfrage und volatiler Rohstoffversorgung weiterhin wirtschaftlich produzieren können.

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2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

Methodik zur Gestaltung eines modularen Montagesystems

Auf Basis des vorgestellten Konzepts der Modularen Produktion als Organisationsform für die Montage im Automobilbau wird in Abschnitt 5.1 ein modulares Produktionssystem modelliert.

Paradigmenwechsel in der Serienproduktion

Die cyber-physische Matrixproduktion vereint bislang gegensätzliche Produktionsprinzipien: die sehr flexible, ab mittleren Stückzahlen aber ineffiziente Werkstattproduktion, in der beispielsweise Bleche mit verschiedenen Werkzeugen schrittweise bearbeitet werden, und die hochproduktive, aber unflexible automatisierte Linienproduktion. Gerade für Unternehmen der Großserienproduktion bedeutet der Einstieg in die Matrixproduktion einen Paradigmenwechsel. Orientiert sich die Planung einer Linienproduktion bislang am Aufbau des herzustellenden Produkts, so richtet sich die Konfiguration einer cyber-physischen Matrixproduktion an Fertigungsprozessen, nicht an einem speziellen Produkt aus.

Fluide Produktion: Maschinen organisieren sich autonom

In einer Matrixproduktion sind die einzelnen Fertigungsmodule schachbrettartig angeordnet. Sie sind frei anfahrbar und können logistisch individuell beplant werden. So durchläuft jeder Fertigungsauftrag einen spezifischen Pfad durch die Produktionsstruktur. Einen vorgegeben Fertigungstakt gibt es nicht, stattdessen können Operationsreihenfolge und Auftragsverteilung während des Betriebs ad hoc festgelegt werden. Warenlager, Fertigungsmaschinen und Transportsysteme sind über einen digitalen Zwilling cyber-physisch vernetzt. Der digitale Zwilling bildet die Produktionsprozesse und Fertigungsmodule im virtuellen Raum ab und optimiert Stoffströme und Maschinenauslastung.

Die hohe Flexibilität dieses Ansatzes in einer bestehenden Produktion geht dabei mit einer hohen Wandlungsfähigkeit einher. Innerhalb weniger Stunden lassen sich Teile der Produktion rekonfigurieren oder einzelne Station können umgerüstet werden, ohne dass der laufende Betrieb unterbrochen wird.

Die cyber-physische Matrixproduktion in ihrer höchsten Ausprägung bezeichnen die Autorinnen und Autoren als fluide Produktion. Darin sind nicht mehr nur Arbeitskräfte und produzierte Bauteile beweglich, sondern auch die Betriebsmittel, die sich autonom zu Funktionseinheiten zusammenfinden. Stationär ist in der fluiden Produktion nur noch das Fabrikgebäude.

Pioniere sind Konzerne der Auto-, Halbleiter- und Elektronikindustrie

Für ihre Expertise haben die Autorinnen und Autoren 28 Unternehmen recherchiert und befragt, die eine Matrixproduktion bereits eingeführt haben oder sich in der Umsetzungsphase befinden. Dabei kamen die flexible Produktion in folgenden Szenarien zur Anwendung:

  • Fertigung von Produkten mit großer Spreizung der Bearbeitungszeiten
  • Fertigung von Produkten mit hoher Varianz und kaum prognostizierbaren Produktionsprogrammen
  • in Hochlauf- oder Auslaufphasen von Produkten
  • für die Aftermarket-Produktion.

Allerdings zeigte die Recherche auch, dass sich kaum KMU unter den Pionieren der Matrixproduktion befanden, stattdessen mit Unternehmen wie Infineon, Daimler Trucks oder SEW-Eurodrive fast ausschließlich große Unternehmen oder Konzerne aus den Bereichen Automobil-, Halbleiter- oder Elektronikindustrie. Als Gründe für die Schwierigkeiten der KMU nennen die Autoren unter anderem das Fehlen von Standardlösungen und leicht umzusetzenden Baukastensystemen.

Zwar attestiert die Expertise den verfügbaren Technologien für die Matrixproduktion einen hohen Reifegrad. Anders sieht es jedoch bei den Systemen zur Produktionssteuerung aus: Hier konnten die Autoren keinen Anbieter identifizieren, der ein standardisiertes und umfassendes Softwarepaket für die Matrixproduktion anbietet – wenngleich sich entsprechende MES derzeit in Entwicklung befinden.

Forschungsbedarf bei Gestaltung und Modularisierung

Damit sich Matrixproduktionssysteme in industrieller Breite durchsetzen können, bedarf es den Autoren zufolge Fortschritte auf unterschiedlichen Feldern. Hoher Bedarf bestehe etwa an einer Planungsmethodik, mit der Unternehmen die Grundstruktur einer Matrixproduktion speziell auf ihr Produktportfolio zuschneiden können. Fertigungshardware sollte noch stärker modularisiert werden, wobei Prozessmodule beispielsweise die Qualität ihrer Fertigung mitabsichern oder modular einwechselbare Teilkomponenten mit eigenem digitalen Abbild entwickelt werden sollten.

Verbindliche und durchgängige Kommunikationsstandards von der Hardware bis hin zur Steuerung sollten weiter entwickelt werden, wobei der Standard OPC UA in Verbindung mit der TSN-Datenübertragung großes Potenzial böten. Geschäftsmodelle wie Manufacturing-as-a-Service oder Subscription-Modelle dürften mit der Matrixproduktion weiter an Bedeutung gewinnen. Forschungsbedarf besteht den Autoren zufolge hier in der rechtlichen Absicherung hinsichtlich Datenhoheit, Prozesswissen und Haftungsfragen.

Schließlich sollten auch Fragestellungen des Change Managements und die Reaktionen von Arbeitskräften auf die veränderte Produktionsweise eingehender untersucht werden. Neben den Forschungsfragen sollten Ausrüster und Anwender in der Industrie sowie Gremien und Forschungseinrichtung stärker vernetzen, um ganzheitliche, aufeinander abgestimmte Lösungen für Matrixproduktionssysteme zu erarbeiten.

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