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20.05.2021 | Produktion + Produktionstechnik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Klimaneutrale Industrie: Auf diese Technologien kommt es an

verfasst von: Thomas Siebel

6 Min. Lesedauer

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Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral werden. Die Industrie muss ihren Beitrag dazu leisten, unter anderem mit effizienteren Prozessen, CO2-Abscheidung und dem Einsatz von Biomasse.

Mit der am 12. Mai 2021 beschlossenen Novelle zum Klimaschutzgesetz hat die Bundesregierung die eigenen Ziele zur Treibhausgasminderung verschärft. Statt wie bislang geplant bis 2050 soll Deutschland nun schon bis 2045 klimaneutral werden. Neben der Energiewirtschaft setzt die Regierung damit insbesondere auch die Industrie zusätzlich unter Druck. Bis 2030 soll die Industrie, die im Jahr 2020 circa 24 % der deutschlandweit ausgestoßenen Treibhausgase (THG) verursacht hat, ihren Ausstoß von heute 178 t CO2-Äquivalenten (CO2ä) auf dann 118 t CO2ä reduzieren. Gegenüber der ursprünglichen Fassung des Klimaschutzgesetzes ist das eine um circa 15 % verschärfte Zielvorgabe.

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2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

Reduction of Carbon Dioxide Emission into the Atmosphere: The Capture and Storage (CCS) Option

The Capture and Storage of Carbon Dioxide (CCS) is illustrated in this chapter. CO2 can be captured from point sources (power plants and industries) or directly from the atmosphere (Direct Air Capture (DAC)) or even from mobile sources.

Mit einem 8 Milliarden Euro schweren Paket für Sofortmaßnahmen sollen Industrie und Energiewirtschaft in den nächsten zwei Jahren unterstützt werden, unter anderem mit einem Investitionspakt für "klimafreundliche Produktion in Deutschland", der bislang aber noch nicht vorgestellt wurde, und mit einem beschleunigten Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft.

Industrieverbände sehen eigenen Einsatz nicht gewürdigt

In der Industrie, die heute 37 % weniger THG verursacht als noch 1990, stoßen die verschärften Emissionsziele auf Kritik. Hildegard Müller vom Verband der Automobilindustrie (VDA) bezeichnet die Industrie in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Treiber des Klimaschutzes und beklagt, dass die gewaltigen Anstrengungen der Industrie zum Klimaschutz nicht gesehen, anerkannt und gefördert werden. VDMA-Präsident Karl Haeusgen sieht die Industrie als "bösen Klimasünder" dargestellt und befürchtet eine zunehmende Abwehrhaltung gegenüber der Klimapolitik. Dabei setzten Anlagen aus deutscher und europäischer Produktion schon heute den weltweiten Maßstab in Sachen Energieeffizienz.

Effizienzsteigerung als günstigste Maßnahme

Was auf die Industrie zukommen könnte, damit die ambitionierten Klimaziele einzuhalten sind, haben die Boston Consulting Group und Prognos im Jahr 2018 im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie untersucht. Allein mit Effizienzmaßnahmen ließe sich in der Industrie bis 2050 ein Fünftel der Energie gegenüber dem Verbrauch im Jahr 2015 einsparen. Öfen, Antriebe, Pumpen und Beleuchtung, zum kleineren Teil auch Prozesse in der Stahlerzeugung, Grundstoffchemie oder der Zementproduktion böten hier Potenziale.

Kohle müsste in einem ersten Schritt überall dort als Energieträger ersetzt werden, wo sie nicht stofflich genutzt wird. Stattdessen sollte die in Deutschland vorhandene Biomasse vorrangig in der Industrie genutzt werden, und zwar für die Bereitstellung von Wärme in Nieder- und Mitteltemperaturprozessen. Laut der Studie ließe sich die Wärmeerzeugung in der Industrie durch den Einsatz national verfügbarer Biomasse "sehr weitgehend" de-fossilisieren. 90 % der Gaskessel könnten bis 2050 im Rahmen bestehender Reinvestitionszyklen durch Biomassekessel ersetzt werden, wenn der Umstieg bereits heute angegangen würde. Weitere Emissionen ließen sich durch den konsequenteren Ersatz von Fluorkohlenwasserstoffgasen in Kühlungsprozessen erreichen.

Ohne CCS geht es nicht

Um 95 % der THG-Emissionen gegenüber 1990 einzusparen, müsste man in Deutschland nach Einschätzung der Autoren allerdings an die Grenzen des aus heutiger Sicht technisch Möglichen gehen. Für die Industrie bedeutet dies den Einsatz von Carbon-Capture-and-Storage(CCS)-Technologien, also die Abscheidung und Einlagerung von CO2 aus Industrieabgasen in unterirdischen Speichern. Betroffen wären hier unter anderem die Stahlherstellung über die Hochofen-Konverter-Route, die Zementproduktion und die thermische Abfallverwertung. Langfristig käme auch die Nutzung des abgeschieden CO2 mittels der sogenannten Carbon-Capture-and-Utilization (CCU) in Frage, etwa für die Erzeugung synthetischer Gase oder als Grundstoff für chemische Erzeugnisse.

Auch Stahl ließe sich emissionsärmer produzieren, und zwar mittels Direktreduktion von Eisenerz mit Wasserstoff und anschließender Verarbeitung im Elektrolichtbogenofen. Allerdings liegen die Kosten für die wasserstoffbasierte Stahlproduktion gegenüber dem Einsatz von CCS laut der Studie um ein Vielfaches höher. Wo sich Emissionen nicht vermeiden lassen, müsste der bestehende Energiemix durch Biogas und durch aus erneuerbaren Energien erzeugtes Gas (Power-to-Gas) ersetzt werden. Zusammen mit fast vollständig emissionsfreier Energie- und Wärmeversorgung könnte die Industrie mit den genannten Maßnahmen 93 % ihrer Emissionen im Vergleich zu 1990 einsparen. Mehr geht nach Kenntnis der Autoren nicht, da einige technische Prozesse wie CCS oder die Adipinsäureherstellung nicht restlos emissionsfrei zu betreiben sind.

Hohe CCS-Kosten, lohnende Effizienz

Insgesamt würden sich die Kosten für die skizzierte THG-arme Industrie auf 230 Milliarden Euro belaufen, wovon allein 110 Milliarden Euro auf den Aufbau einer umfangreichen CCS-Infrastruktur entfallen würden. Dabei sind die CO2-Vermeidungskosten von CCS laut der Studie vergleichsweise hoch. In der Stahlproduktion oder der Grundstoffchemie liegen sie zwischen 60 und 110 Euro je eingesparter Tonne CO2ä. Übertroffen werden diese Kosten durch die Umstellung des Energiemix‘ auf Biogas und Power-to-Gas, was mit 280 Euro/t CO2ä einhergehen würde.

Kosten senken lassen sich hingegen mit Effizienzmaßnahmen. Mittels bedarfsgerechter Dimensionierung von Antrieben und Energiemonitoring ließen sich 200 Euro/t CO2ä einsparen, durch die Vernetzung von Energieeffizienz und Digitalisierung wären Einsparungen von bis zu 180 Euro/t CO2ä möglich. Trotzdem sind nach Darstellung der Autoren Anreize nötig, um Energiemaßnahmen in der Industrie umfassend umzusetzen, da die Amortisationszeiten aus betriebswirtschaftlicher Sicht zum Teil lang, die erzielbaren Einsparungen nur gering oder tatsächliche Energieverbräuche heute nicht transparent sind.

Als eine der teuersten Maßnahmen für eine THG-arme Industrie führen die Autoren die wasserstoffbasierte Direktreduktion bei der Stahlherstellung auf, für die sie Vermeidungskosten von etwa 490 Euro/t CO2ä berechnen. Auch CCU mit anschließender Herstellung von Methanol wäre mit Vermeidungskosten von 520 Euro/t CO2ä kostenintensiv. Allerdings weisen die Autoren auch darauf hin, dass die genannten Technologien die unterirdische Speicherung von CO2 mittels CCS langfristig ersetzen könnten, wenn sie wirtschaftlicher werden.

Ist das Geld für Klimaschutz gut investiert?

Dass mit der deutschen Klimapolitik und angesichts der hohen Kosten einiger geförderter Technologien Steuergelder sinnvoll investiert werden, bezweifeln Rupert Pritzl und Fritz Söllner. In ihrem Beitrag Rationale Klimapolitik – ökonomische Anforderungen und politische Hindernisse für das List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik werfen sie der Politik vor, "bei weitem nicht den kosteneffizientesten Weg" eingeschlagen zu haben und "genau das Gegenteil einer volkswirtschaftlich effizienten Klimapolitik" zu betreiben. Beispielsweise sei die Festlegung auf bestimmte Technologien für CO2-Einsparungen anstelle von technologieoffenen Anreizen nicht rational. Grundsätzlich plädieren die Autoren für einen einheitlichen Preis auf Treibhausgasemissionen, der neben der THG-Vermeidung auch Maßnahmen zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre umfasst.

"Es wäre ineffizient, zu hohen Kosten eine bestimmte Menge an CO2-Emissionen zu vermeiden, wenn man zu geringeren Kosten dieselbe Menge an CO2 aus der Atmosphäre mit Hilfe der erwähnten negativen Emissionstechnologien entfernen könnte." Rupert Pritzl, Fritz Söllner

Peter Koren fordert die Politik zum Schutz der heimischen Industrie auf. Insbesondere für energieintensive Unternehmen seien die deutlich steigenden Energiekosten bedrohlich. Im Kapitel Die politische Rolle der Industrie im Kampf gegen den Klimawandel des Buchs CSR und Klimawandel fordert er einen wirksamen Carbon-Leakage-Schutz und er mahnt, dass trotz insgesamt positiver volkswirtschaftlicher Effekte von Klimaschutzmaßnahmen für einzelne Sektoren und Unternehmen erhebliche betriebswirtschaftliche Risiken entstehen; und das umso mehr, je stärker sie im internationalen Wettbewerb stehen.

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