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31.03.2015 | Produktmanagement | Schwerpunkt | Online-Artikel

Digital Natives – das neue Verbraucher-Phantom

3:30 Min. Lesedauer

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Nichts ist so flexibel wie die Zielgruppendefinition – je nachdem, welche Agentur man fragt. Und täglich kommen neue, kreative Bezeichnungen hinzu – wie etwa 'Digital Natives'. Dann wird es auch noch persönlich, ärgert sich Springer-Autor Heino Hilbig kräftig.

Das kennen Sie bestimmt auch: Nach zwei Jahren ist mal wieder ein neues Smartphone und der Gang zum Lieblingsanbieter fällig, wo ein junger Vertriebsexperte das obligatorische Verkaufsgespräch beginnt, welches ohnehin immer in neuen Tarifen endet (warum eigentlich?). Nur, dass Sie vom ersten Teil des Gespräches eigentlich kein Wort verstehen. Aus dem Mund des eloquenten Tarifberaters entströmen so viele neue, unglaublich technisch klingende Worte, die Sie in den folgenden Minuten alle erst einmal kennenlernen müssen. Und jeder dieser Begriffe bezeichnet etwas, was nicht nur ‚total cool‘ ist, sondern Ihr altes Handy definitiv auch nicht kann.

Wenn Sie diese Erfahrung nachvollziehen können, dann sind sie offensichtlich kein ‚Digital Native‘, also einer, der jedes neue Handy schon durch den Verkaufskarton hindurch bedienen kann und sich durch den Katalog der Online-Begriffe schneller bewegt als Sie lesen können.

Begriffswildwuchs im Marketing

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Und damit sind wir auch schon beim Thema, denn auch das Marketing kennt diesen Begriffswildwuchs nur zu gut. Schicke neue Worte, die eigentlich nur sagen sollen ‚ich weiß was, was du nicht weißt‘. Digital Native ist so ein Begriff. In den technischen Produktsegmenten dürfte es kaum einen Marketingleiter geben, der von seinen Web-Agenturen nicht schon Referate zum unterschiedlichen Umgang der Natives oder Immigrants mit den neuen Techniken dieser Welt gehört hätte.

Nun habe ich damit ein grundsätzliches Problem: Ich liebe Technik und bin trotz meines Alters (im Marketingsprech bin ich ‚Baby Boomer‘) häufig schneller und tiefer mit neuen Techniken vertraut als die meisten Natives. Und so empfand ich schon immer die Abgrenzung Digital Natives von den Immigrants und Ignorants als diskriminierend, wenn dadurch das Gefühl vermittelt werden sollte, diese Generation würde völlig anders denken, als der Rest der Menschheit – Entscheider auf der Markenseite eingeschlossen.

Alles eine Frage der Technik – oder der Digital-Native-Sozialisation

Aber auch Mitleid für die Generation unserer Kinder kommt bei mir auf, wenn, wie auf einem Kongress im letzten Jahr geschehen, ein Keynote-Speaker behauptet, zukünftige „Native“-Führungskräfte wären so Multitasking-fähig, dass sie Freigaben für Unternehmens-Postings auf den sozialen Netzwerken eben mal (und kontinuierlich) neben ihrer eigentlichen Arbeit erteilen könnten. Burnout, ick hör dir trapsen!

Fakt ist: der heutigen „jungen“ Generation fällt der Umgang mit komplexen technischen Produkten wie einem Smartphone viel leichter als der damals jungen Generation vor zehn Jahren. Das liegt aber nicht an einem neuen Technik-Gen der aktuellen Generation – sondern daran, dass man heute – Apple sei Dank! - HighTech mit einem Fingerwisch intuitiv bedient, während man noch vor zehn Jahren Geduld, Ausdauer und ein gerüttelt Maß an Vorwissen brauchte, um selbst ein ganz normales Handy voll durchschauen zu können.

Dass der spielerische Umgang mit Hardware, Apps und Web ein technisches Thema ist und keine Generationenfrage, spürt man immer spätestens dann, wenn mal etwas nicht funktioniert: Dann sind die Problemlösungsraten in den Generationen eher normalverteilt, wie man an der PISA Studie 2014 wieder gut erkennen konnte. Und darüber, dass sich auch das Medienverhalten dieser Generation nicht wesentlich von anderen unterscheidet, gibt es sogar bei Wikipedia schon eine lange Liste entsprechender wissenschaftlicher Literatur zum Nachlesen.

Einteilung in Digtal Native, Immigrant und Ignorants ist diskrimierend

Was bleibt von dem Konzept der Digital Natives dann eigentlich noch übrig? Die Einteilung in Natives, Immigrants und Ignorants ist also nicht nur diskriminierend und überfordert die Natives mit den daran anknüpfenden Erwartungen, sondern führt vor allem das Unternehmensmarketing auf völlig falsche Gleise. Wer sein Marketing auf einen scheinbar ganz anders denkenden Teil der neuen Menschheit ausrichtet, läuft Gefahr, die Menschen hinter diesen Begriffen zu vergessen.

Sollten wir uns deshalb an dieser Stelle nicht fragen, ob wir das, was wir als Marketeers im Unternehmen bewirken können, mit solchen pseudowissenschaftlichen Phantomen wirklich erreichen?

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