Wenn Unternehmenslenker öffentlich Stellung zu gesellschaftspolitischen Themen nehmen, geht das mitunter nach hinten los. Dennoch wird politisches Engagement für CEOs wichtiger. Hierbei hilft ein Corporate-Political-Responsibility-Konzept.
Neben klassischen Medien äußern sich CEOs auch bei öffentlichen Auftritten oder in sozialen Netzwerken zu politischen Ereignissen – und werden damit auch Ziel von Beleidigungen und sogar Drohungen.
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Derzeit lassen viele CEOs ihre Zurückhaltung in punkto politischer Positionierung in den Medien fallen. Angesichts der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, die für viele Unternehmen massive wirtschaftliche Einbußen bedeuten, ist das nicht verwunderlich.
Gesellschaftliches oder nur Eigeninteresse?
Manches Statement hat dabei aber ein Geschmäckle. Etwa, wenn dm-Vorstand Christoph Werner die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung zu weit gehen. Stattdessen fordert er bessere medizinische Versorgung und mehr Selbstschutzmöglichkeiten. Die "Süddeutsche Zeitung" wirft in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob dies nicht allzu interessegeleitet sei. Schließlich verkaufe die Drogeriekette seit kurzem Corona-Antikörpertests.
Der Familienunternehmer Martin Herrenknecht hingegen kritisierte im Dezember in einem "Focus"-Interview insbesondere die Corona-bedingte Schließung der Gastronomie und Hotels. Als Tunnelbau-Unternehmer macht er sich damit nicht verdächtig, für die eigene Sache zu kämpfen. Bemerkenswert ist vielmehr, dass er sich in dem Gespräch außerdem für Friedrich Merz als neuen CDU-Chef ausspricht.
Bloß keine Parteipolitik
Eine solche Positionierung ist laut der Studie "The Political CEO – Gründe für sozialpolitischen Aktivismus von Vorständen" eher selten. Weniger als jeder Zehnte von 40 befragten CEOs großer Unternehmen aus neun Ländern Europas findet es angemessen, öffentlich parteipolitische Haltung zu beziehen. "Europäische CEOs wollen mit der öffentlichen Stellungnahme einen Mehrwert zum inhaltlichen Diskurs leisten, aber keine parteipolitische Haltung einnehmen. Sie nennen ökologische, ökonomische und soziale Themen als die geeignetsten Themenbereiche zur öffentlichen Stellungnahme", erklärt Christoph Cewe, der die Studie im Rahmen seiner Masterarbeit an der European School of Management and Technology, Berlin (ESMT) angefertigt hat.
Lieber schweigen als angreifbar machen
Zwar geben mehr als Dreiviertel der Befragten an, dass Geschäftsführende zu politischen Themen Stellung beziehen sollten, aber nur ein Viertel der Studienteilnehmenden hält es für sehr wahrscheinlich, dies auch selbst zu tun. Der meistgenannte Grund, warum CEOs sich mit soziopolitischen Kommentaren zurückhalten, ist die Sorge, dies könne der Firma schaden. Doch auch möglicherweise verärgerte Mitarbeitende, Aktionäre und Kunden sind wichtige Motive.
Hinzu kommt das Risiko von Beschimpfungen, Drohungen und Boykottaufrufen im Netz. Kaum jemand weiß das besser als Siemens-Chef Jo Kaeser, denn er meldete sich immer wieder auch zu politischen Themen zu Wort – wie etwa zur Festnahme der Rettungsboot-Kapitänin Carola Rackete.
Eigen-PR ist bei europäischen CEOs selten das Motiv
Die Gründe, warum sich CEOs dennoch zu gesellschaftspolitischen Fragen öffentlich äußern, sind vielfältig, wie die ESMT-Studie belegt:
Beweggründe von CEOs für gesellschaftspolitische Stellungsnahmen | Antworten (in %) Mehrfachnennungen möglich |
Entscheidende soziale Fragen ansprechen und einen Beitrag zur Gesellschaft leisten | 76 |
Unternehmenswerte zum Ausdruck bringen | 70 |
Gelegenheit, dem Ruf des Unternehmens zu dienen | 51 |
Persönliche Überzeugung zum Ausdruck bringen | 43 |
Für die Mitarbeitenden | 30 |
Für die Aktionäre | 22 |
Für die Kunden | 16 |
Gelegenheit, das eigene Ansehen zu fördern | 11 |
Quelle: The Political CEO, Christoph Cewe |
Die Erwartungen an Unternehmen steigen
Springer-Autor Wolfgang Griepentrog sieht einen weiteren Grund: Top-Managern werde häufig ein Ethikdefizit nachgesagt. "Sie müssen daher glaubhaft und wirkungsvoll vermitteln, wie sie ihrer unternehmerischen, gesellschaftlichen und ökologischen Verantwortung gleichermaßen gerecht werden", schreibt er in dem Buchkapitel “Die Bausteine des CEO-Reputation-Managements: Sieben Handlungsfelder ergeben das Mosaik des guten Rufs“. (Seite 14) Dies gilt umso mehr, da von Konzernen zunehmend erwartet wird, dass sie nicht nur wirtschaftlich erfolgreich sind, sondern auch einen tiefergehenden Sinn und Zweck (Purpose) verfolgen.
Johannes Bohnen geht noch einen Schritt weiter. Der Public-Affairs-Experte hält es für unerlässlich, dass Unternehmen systematisch ihre politische Marke entwickeln und in ein nachhaltiges politisches Umfeld zu investieren. "Denn es sind die Vitalität, Freiheit und Sicherheit der liberalen Demokratie, die Unternehmen wachsen lassen", erklärt Bohnen in dem Buchkapitel “Warum Unternehmen eine politische Haltung benötigen“ (Seite 94). Corporate Social Responsibility reiche nicht aus, gebraucht werde Corporate Political Responsibility (CPR).
Corporate Political Responsibility sichert die Existenz
Das Streben nach Profit in einen Gemeinwohlzusammenhang zu stellen, erhöhe auch die Identifikation der Mitarbeiter, gerade der jüngeren Generation, sei also ein Business Case, betont Bohnen. Insofern schließe das Verständnis, dass Unternehmen öffentliche und politische Akteure sind, an die aktuelle Purpose-Debatte an: CPR liefere eine erweiterte Antwort auf die Frage nach der Sinnhaftigkeit unternehmerischen Handelns. Und CEOs, die Haltung zeigen, sind ein Teil davon.
Wird diese Haltung allerdings nicht gelebt, wird sie schnell als inszeniert und Greenwashing entlarvt. Hier gilt das Glaubwürdigkeitsprinzip, das Wolfgang Griepentrog bereits als Orientierungssystem für einen guten Ruf empfiehlt: "Im Zentrum stehen die Werte Ehrlichkeit, Transparenz und Authentizität." (Seite 14) Bohnen zufolge geht es beim Haltungsbegriff innerhalb des CPR-Konzepts vor allem "um eine strategische Positionierung in der Gesellschaft, die konsequent und berechenbar durchgehalten wird." (Seite 120)