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29.05.2012 | Public Relations | Interview | Online-Artikel

"Teilhabe darf keine Alibi-Veranstaltung sein"

verfasst von: Andrea Amerland

7 Min. Lesedauer

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Wie echt sind die Partei-Aktivitäten zur Bürgerbeteiligung im Web? Und diskutiert online nur eine webaffine Elite? Ein Interview mit Thomas Krüger, Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung, zur Online-Mitmachdemokratie, der politischen Kultur in Deutschland und den kommunikativen Herausforderungen, vor denen die Parteien stehen.

Springer für Professionals: Auf dem 12. Bundeskongress Politische Bildung, der vom 21.-23.05. in Berlin stattfand, ging es um neue Formen der poltischen Partizipation. Welche neuen Formen gibt es und wie geht die Politik/die Politberatung damit um?

Thomas Krüger: Aus der repräsentativen Demokratie ist längst eine Mitmachdemokratie geworden. Das war auch der Ausgangspunkt des Bundeskongresses: Politik passiert heute nicht mehr im Elfenbeinturm von Parlamenten und Ministerien. Das Thema Partizipation allein ist natürlich nicht neu, es gehört zur Politik, wie die Luft zum Atmen. Was aber neu ist: Ihre Formen sind vielfältiger geworden – so vielfältig wie unsere Gesellschaft. Beim Bundekongress zeigte sich, dass der Methodenkanon zwar schon ein ganzes Stück weit aufgestockt wurde, aber hier noch viel passieren kann und muss. Ganz neu ist z.B. für die Politik das Tranzparenzgebot: Nichts ist mehr selbstverständlich, politische Entscheidungen müssen legitimiert werden. Das Internet ist daher als Chance zu verstehen. Hier lässt sich auch in einem Flächenland wie Deutschland über größere Distanzen hinweg die direkte Teilhabe von Vielen organisieren.

Teilnehmende des Bundeskongresses stellten auch die Frage, ob nicht die Rolle des Internets für die politische Partizipation überschätzt wird. Aber wenn ich das Ergebnis und allein schon den Aufbau des Bundeskongresses und die Beteiligung sehe, würde ich das verneinen: Nicht nur die analoge, sondern auch die digitale Interaktion und Diskussion wurde beim Kongress gelebt. Wir sind übers Netz an Leute rangekommen, die normalerweise eher nicht zu einem Kongress dieser Art kommen würden: Unter den 900 Teilnehmenden waren eben nicht nur Personen aus unserer klassischen Zielgruppe wie Lehrerinnen und Lehrer, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren und in der Politik Aktive und Interessierte, sondern auch Bloggerinnen und Blogger, Studentinnen und Studenten, junge Leute, die sich für die digitale Welt interessieren.

Wir haben Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus und mit vielfältigen Interessen hier eine Plattform bieten können, um teilzuhaben und ins Gespräch zu kommen – eben auch digital: Über Livestreams vom Kongress, Web-Talks, Online-Abstimmungen über die Workshops, einem Kongress-Wiki oder den Veranstaltungsblog. Und: Es hat funktioniert und wurde super angenommen. Das zeigt uns, dass auch die digitalen Angebote echte Partizipation möglich machen.

Die Bundesregierung möchte mit dialog-ueber-deutschland.de oder enquetebeteiligung.de Bürgern Diskussion und Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen ermöglichen. Die FDP verschickt Postwurfsendung mit dem Aufruf, Dialog-Partner im Internet zu werden. Die Piraten locken mit Liquid Feedback. Kritiker sprechen von einer PR-Maßnahme, von einer Pseudo-Partizipation oder eine Placebo-Demokratie gegen die Politikverdrossenheit. Wie bewerten Sie die aktuellen Dialog-Bestrebungen der Parteien? Wie bürgernah sind diese Plattformen wirklich?

Heute sind die Zeichen der Unzulänglichkeit des politischen Prozedere offensichtlich. Partizipation mithilfe des Internets erfolgt in Deutschland bislang, wenn überhaupt, noch nach alten Mustern: Der fordert die Bürgerinnen und Bürger punktuell zur Partizipation auf, wobei herkömmliche Prozesse, wie Anhörungsverfahren, nun einfach digital organisiert werden. Die heutige Zivilgesellschaft ist aber schon weiter. Das Internet spielt die entscheidende Rolle für Bürgerinnen und Bürger, die sich proaktiv in den politischen Beteiligungsprozess einbringen wollen. Auf unserem Online-Portal pb21.de zum Thema Web 2.0 in der politischen Bildung, das die bpb gemeinsam mit dem DGB ins Leben gerufen hat, informieren unsere Fachexpertinnen und -experten über Herausforderungen, Chancen und Defizite und kommen zu dem Ergebnis: In der Regel ist es so, dass bei vielen Projekten zur Bürgerbeteiligung immer noch Politik und Bürger getrennt voneinander diskutieren.

Hier müssen die Ebenen zusammengebracht werden um den Dialog zu einem echten werden zu lassen – das braucht Mut und Experimente. Es braucht den Mut auch der Parteien, die Kontrolle über die "eigenen" Inhalte bewusst abzugeben, mehr Kontrollverlust zu wagen! Tendenziösen Web-Umfragen, die eher der Meinungsmanipulation dienen, oder einer Beschränkung auf einen Klick mittels eines ‚Gefällt mir‘-Buttons, können nicht echte Instrumente der Partizipation für aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger sein. Teilhabe darf keine – und das vor allem nicht für Jugendliche – Alibi-Veranstaltung oder Dekoration sein. Dies wird von den Bürgerinnen schnell durchschaut – egal ob on- oder offline.

Den Weg zu einer deliberativen Demokratie, also die Aushandlungsprozesse zwischen den Repräsentanten und der Zivilgesellschaft, durch das Web 2.0 flexibler, liquider zu gestalten, halte ich für einen guten Weg, der aber konsequent und richtig gedacht werden muss. Der periodische Wahlakt kann nämlich hier zugunsten eines ständigen, öffentlichen Diskurses als ständiges Forum politischer Partizipation ergänzt werden. Die Legitimität politischer Entscheidungen kann hier durch Transparenz hergestellt und hochgehalten werden.

Findet die Online-Demokratie nicht eher auf Facebook und Twitter, auf Blogs und in Foren statt?

Sowohl als auch: Der direkte Dialog kann sicherlich auf allen Ebenen und an allen Orten in der digitalen Medienwelt stattfinden – überall dort, wo die Zugänge dafür geschaffen worden sind. Die sogenannten "digitalen Graswurzelmedien" spielen dabei natürlich eine besonders große Rolle wie etwa die Protestbewegungen zeigen. Die Netzcommunity kann hervorragend die Klaviatur der öffentlichen Kommunikation 2.0 bespielen. Ihre Akteure verstehen sich auf Partizipation 2.0, also Beteiligung, die nicht von oben initiiert wird, sondern von den Bürgerinnen und Bürgern selbst ausgeht. Facebook, Twitter und Co. Schaffen ihnen nur die Räume, in denen ihre selbstverwaltete und selbstgewählte Teilhabe und Mitbestimmung möglich ist. Letztlich muss es aber darum gehen, wie diese Diskussionen in die formellen Entscheidungs- d.h. Gesetzgebungsprozesse einfließen können – auf ganz konkrete, transparente und auch verbindliche Weise.

Internet-Nutzer, die soziale Netzwerke nutzen, scheinen politisch aktiver als andere Gruppen. Bildet sich im Internet eine Elite bzw. gibt es eine Spaltung zwischen internet-affinen, politisch-aktiven Bürgern und Offlinern?

Die Gefahr besteht und wir müssen als politische Bildner dieser Spaltung entgegen arbeiten, aber: Die Spaltung unserer Gesellschaft zwischen den Aktiven und Passiven ist auch ein allgemeines Phänomen. Das Thema Inklusion und Exklusion hat sich daher auch wie ein roter Faden durch den gesamten Bundeskongress Politische Partizipation gezogen. Eben nicht nur bei den neuen Partizipationsformen über das Internet, sondern auch bei den Möglichkeiten der Teilhabe im Alltag ist es Realität, dass Bevölkerungsgruppen hier einfach wegbrechen: Menschen mit Behinderung, sozial Benachteiligte aufgrund von Einkommen, Geschlecht oder Herkunft – ihre Anliegen und Wünsche kommen aufgrund fehlender Zugänge zu Politik und Gesellschaft viel zu kurz. Das stellt eine eklatante Gefahr für unseren sozialen Zusammenhalt dar!

Den Unterschied zwischen politisch-aktiven und -passiven Bürgerinnen und Bürgern findet man daher auch bei konventionellen Teilhabeformen. In den Politikwissenschaften heißt das "soziale Selektion". Wir dürfen nicht übersehen, dass die Komplexität der direkten Beteiligungsmöglichkeiten auch viele Verunsichert. Da müssen wir die Kunst der politischen Bildung beherrschen, Teilhabeprozesse überhaupt erst möglich zu machen – digital wie analog. Bedeuten nämlich manche Angebote der Partizipation für die einen die absolute politische Teilhabe, sind sie für die anderen noch ganz weit weg von der eigenen Lebenswirklichkeit. Um dahin zu kommen, müssen Hemmschwellen abgebaut und Know-How bereitgestellt werden. Wir kennen in Deutschland zum Beispiel Bürgerhaushalte, bei denen die Online-Beteiligung inzwischen eine wichtige Rolle spielt – eine Übersicht über die deutschen Bürgerhaushalte bekommt man auf der von der bpb mitinitiierten Plattform www.buergerhaushalt.org.

Welche Konsequenzen hat das Web 2.0 insgesamt für die politische Kommunikation? Oder anders gefragt: Vor welchen Herausforderungen stehen die Parteien in Deutschland, um das Internet in Sachen Public Affairs für sich zu nutzen?

Als eine große Herausforderung sehe ich die Open Data-Bewegung: In den USA und Großbritanien macht der Zugang zu offenen Daten für alle interessierten Bürgerinnen und Bürger die Politik bereits transparenter und partizipativer. Hierzulande ist diese Idee jedoch noch ausbaufähig. Für Politik und Gesellschaft stellt Open Data auch eine Idee dar, die auch in noch größerem Rahmen gedacht werden könnte und sollte. Zugespitzt gefragt: Wo ist denn eigentlich die deutsche, europäische oder weltweite nicht kommerzielle, freie cloud (Datenwolke) der Politik, Bildung und Kultur? Wer baut daran? Und wer warum nicht?

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