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19.10.2012 | Public Relations | Interview | Online-Artikel

Teilhabe-Erlebnisse statt Einbahnstraßen-Kommunikation

verfasst von: Andrea Amerland

4:30 Min. Lesedauer

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1:0 für Steinbrück, heißt es nach dem ersten Kräftemessen zwischen Merkel und dem SPD-Kanzlerkandidaten. Doch wie nehmen eigentlich die Bürger die Regierungskommunikation wahr? Jana Heinze ist dem in Ihrer Doktorarbeit nachgegangen und erklärt die Ergebnisse im Interview.

Springer für Professionals: Frau Heinze, Sie haben in Ihrer Doktorarbeit die Regierungskommunikation in Deutschland untersucht. Wie nehmen Bürger demnach Regierungskommunikation wahr?

Dr. Jana Heinze: Bürger verspüren eine große Distanz zur Bundes- und Landesregierung. Die Probanden werfen der Regierung u.a. Bürgerferne und den Verkauf politischer Botschaften vor. "Das machen die nur, um wiedergewählt zu werden“ ist ein häufig geäußerter Satz, der Bürger davon abhält, sich aktiv an die Regierung zu wenden. Hinzu kommt auch noch die mangelnde Einflussüberzeugung. Man glaubt sowieso nicht daran, eine Antwort zu bekommen oder etwas bewirken zu können. Zentrale Kritikpunkte an der Regierung sind die mangelnde Kontinuität in der Kommunikation mit dem Bürger, insbesondere im Vergleich zum Wahlkampf. Das andere sind mangelnde Transparenz und mangelnde Responsemöglichkeiten. Generell wird von der Regierung lancierten Kommunikationsmitteln eher misstraut. Die Untersuchung hat gezeigt, dass Journalisten bei der Vermittlung von Regierungshandeln eine sehr viel höhere Glaubwürdigkeit besitzen. Bevor man sich eine Broschüre von der Bundesregierung anfordert, googelt man lieber. Darüber hinaus wird die Regierungskommunikation als sprachlich komplex wahrgenommen. Dies steht dem Bedürfnis nach schneller Konsumierbarkeit entgegen.

E 10 kam beim Bürger nicht an, die Herdprämie von Frau Schröder findet unter Frauen kaum Befürworter. Die EU-Politik wird nicht verstanden. Was läuft Ihrer Ansicht nach schief in der Kommunikation der Bundesregierung?

Reformen setzen sich nur dann durch und werden mit Mehrheiten versehen, wenn es gelingt, sie verständlich zu erklären und zu legitimieren. Und das gilt mit besonderem Augenmerk auf die betroffenen Zielgruppen der Reformen. Die Informationsüberflutung und das Web 2.0 mit seinem erhöhten Kommunikationswettbewerb erfordern eine Abkehr von traditionellen Kommunikations-Maximen. Meine Untersuchung und andere Studien zeigen, dass die Regierungskommunikation derzeit das Potenzial dialogorientierter Kommunikationsinstrumente, die Reformvorhaben zielgruppengerecht vermitteln und insgesamt zur Stärkung von Diskursen in der Öffentlichkeit beitragen, noch nicht ausgeschöpft hat. Wir haben in unserem politischen System die Idee der ministeriellen politischen Informationsvermittlung bzw. –pflicht. Aber das ist bislang häufig eine Einbahnstraßen-Kommunikation. Gleichzeitig haben wir eine Ressortautonomie bzw. Ressortegoismen. Es gibt kaum Abstimmung zwischen den unterschiedlichen Ressorts. Regierungskommunikation muss laut der interviewten Sprecher für alle Bürger da sein. Es wird keine richtige Zielgruppendefinition betrieben. Die Bundesregierung hat jedoch auch mit der personellen und finanziellen Ressourcenbegrenzung zu kämpfen. Der Kommunikationsfokus liegt daher auf der Presse- und Medienarbeit. Das ist aus Sicht der Bürger jedoch nur eine bedingt gelingende Regierungskommunikation.

Was ist das Charakteristische an der Regierungs-Kommunikation unter Merkel?

Angela Merkel ist ein sehr spezieller Führungscharakter. Sie hat insbesondere in diesem Jahr schwerwiegende Entscheidungen getroffen, wie eine restriktivere Euro-Politik, die Energiewende oder das Betreuungsgeld. Zu diesen Entscheidungen wären größere Reden fällig gewesen und vor allem eine strategische Einbindung betroffener Zielgruppen. Ein Spiegel-Journalist hat die Kommunikationsstrategie unter Merkel einmal als "Unterzuckerung" beschrieben. Demnach hat sich Merkel nicht die geringste Mühe gegeben, den demokratischen Diskurs neu zu beleben. Das würde ich nicht so harsch formulieren. Das kritische Erfolgsmoment einer Regierung ist der öffentliche Zugang zu Informationen und der Dialog in den Phasen der Politikinitiierung, Politikdurchführung und Politikbeendigung. Meine Probanden fühlten sich bei Reformen viel zu spät eingebunden. Da müssen alle Politiker noch dazu lernen.

Wenn Sie Berater in einer Agentur für poltische Kommunikation wären, was würden Sie der Bundesregierung raten?

Bezogen auf die einzelnen Instrumente ist gegen die weitestgehend kostenneutrale Presse- und Medienarbeit nichts einzuwenden. Beim Einsatz massenmedial-werblicher Angebote wie Anzeigen und Plakate, die insbesondere im Berliner Stadtbild sehr prägnant sind, würde ich als Berater zu einem sehr selektiven Einsatz in der Regierungskommunikation raten. Ähnliches gilt für die latenten Informationsangebote, das sind Broschüren, die die Regierung massenhaft vorhält, und Internetseiten. Beide Kommunikationsangebote sind bei unserer Untersuchung nicht ganz schlecht weggekommen, allerdings wäre eine Reduktion auf sachliche Kernthemen im Gegensatz zu Imagebroschüren zu empfehlen wie Informationen zu klar umrissenen Themen wie etwa die Beantragung von Elterngeld. Zudem sind neue Distributionswege nötig. Derzeit sind Broschüren vor allem on demand im Internet abrufbar, aber nicht unbedingt im Alltag zu finden. Der Bekanntheitsgrad der Internetangebote sollte erhöht werden, die Inhalte zielgruppengerecht aufbereitet und stärker vorselektiert werden, um Informationen komprimierter und bürgersensitiver zu transportieren. Man muss schauen, welche Zielgruppen bspw. mit Facebook und Twitter angesprochen werden können und ob Social Media überhaupt zu einer Regierung passt. In den Fokusgruppen meiner Untersuchung kamen Facebook und Twitter überhaupt nicht gut an, weil die Kanäle bei Politikern als unglaubwürdig wahrgenommen werden, etwa der Kanal von Kristina Schröder. Es ist glaubwürdiger, wenn das der Pressesprecher macht oder Ministeriumsbeamte, die sich fachlich damit auskennen. Mehr Dialogangebote, die in der aktuellen Diskussion besonders häufig auftauchen, sind nötig, um die habitualisierten Muster von politischer Mediennutzung langsam aufzubrechen. Die Bürger brauchen echte Mitwirkungs- und Teilhabe-Erlebnisse, keine Einbahnstraßen-Kommunikation. Wenn wir keine politikverdrossenen Menschen haben wollen, müssen wir ihnen zeigen, dass sie mitwirken können.

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