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2023 | Buch

Qualitätsserien aus Deutschland

Produktionspraktiken, Erzählweisen und Transformationen des Fernsehens

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Über dieses Buch

Das Buch untersucht, wie die Fernsehschaffenden in Deutschland sogenannten Qualitätsfernsehserien von 2015 bis heute entwickeln. Dabei ist die zentrale Hypothese, dass diese Praktiker das Qualitätsfernsehen, das am stärksten mit dem Serien-Drama aus den USA assoziiert wird, in einen nationalen Kontext übertragen und gleichzeitig dieses Konzept mit breiteren, jüngeren Transformationen des Fernsehens und der lokalen Fernsehindustrie verbinden.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
1. Qualitätsserie und Quality TV: Forschungsstand und -felder
Zusammenfassung
Die Bezeichnungen Qualitätsserie und Quality TV sind umstritten – in Teilen der deutschen Fernsehbranche, wie sich in meinen Erhebungen zeigte, und in der Medienwissenschaft. Zentrale von Wissenschaftler*innen vorgebrachte Kritikpunkte an dem Terminus und an der damit verknüpften Quality-TV-Forschung – zum Beispiel hinsichtlich der elitären und zwangsläufig wertenden Tendenz oder des kleinen, oft willkürlich anmutenden Korpus (vgl. z. B. Dasgupta 2012; Borsos 2017) – sind schon deshalb produktiv, weil sie davor bewahren können, immanente Konzepte unhinterfragt zu übernehmen. Dass die vorliegende Arbeit dennoch auf den umstrittenen, mittlerweile etwas in die Jahre geratenen Begriff Qualitätsserie rekurriert und diesen als potenziell nützlich erachtet, liegt zunächst in seiner ‚realpolitischen‘ Relevanz begründet: Der Diskurs über die Qualitätsserie hatte und hat teilweise noch immer in dem hier erforschten Segment der deutschen Fernsehbranche eine durchaus starke Präsenz. Dies belegen beispielsweise die Überschriften zu einzelnen Programmpunkten bei den von mir besuchten Branchenworkshops: Von „Quality TV als europäische Co-Produktion“ (Blumenberg 2018), „Überall Quality TV?“ (Eschke 2018; vgl. auch Eschke 2016) oder „Deutsche[n] Quality[-]Serien im Pay[-]TV“ (Jastfelder 2018b) war im Programm der besuchten und beobachteten Winterclass Serial Writing and Producing des Erich Pommer Instituts die Rede. Die Aushandlungen zu Qualitätsserien haben sich auch auf Produktionsweisen ausgewirkt, wenn gezielt nach Wegen der Qualitätssteigerung gesucht wurde. Gleichermaßen in der Medienwissenschaft diskutiert, zeigen sich bei dem Terminus der Qualitätsserie seltene Schnittstellen zwischen Fernsehindustrie und -forschung, wie sie ansonsten – zumal in solcher Produktivität – selten zu beobachten sind. Die Schnittstellen weiterhin fruchtbar zu machen, um einen Austausch zwischen beiden Seiten zu fördern und jeweils neue Erkenntnisse zu gewinnen, ist eines der Ziele meiner Untersuchung.
Florian Krauß
2. Serienproduktion in Netzwerken: Anknüpfungspunkte und Methoden
Zusammenfassung
Medien werden grundsätzlich kooperativ geschaffen, weit über den hier fokussierten Produktions- einschließlich Entwicklungsprozess hinaus. Die Transformation eines Mediums, wie sie die Fernsehschaffenden über die Qualitätsserie aushandeln, hängt entsprechend von einer Vielzahl von Menschen ab, „die Medienangebote machen und diese wahrnehmen“ (Garncarz 2016: 35), sowie von institutionellen, organisatorischen und technologischen Kontexten (vgl. Newcomb und Lotz 2002: 76). Nick Couldry (2006: 112) schlägt in Anknüpfung an die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT, vgl. u. a. Latour 2007) vor, Fernsehen „als einen weit vernetzten Raum“ zu begreifen, der sich durch eine fundamentale Trennung zwischen Produzierenden und Konsumierenden auszeichne. Er räumt ein, dass die Produzierenden selbst Rezipierende sind, hält aber fest, dass die Bedeutungszuweisungen der Publika nur unter bestimmten, kontrollierten Bedingungen in die Medieninstitutionen zurückgeleitet würden (2006: 112). „[S]elbst dann bleiben sie den Produktionen der Medieninstitutionen untergeordnet“ (Couldry 2006: 112). In der vorliegenden Studie spielen Zuschauer*innen in erster Linie nur als Objekt im Diskurs der Fernsehschaffenden eine Rolle. Mit der Eingrenzung auf Produzierende – nach Couldry „Bedeutungs-Produzenten (d. h. denjenigen, die als solche anerkannt sind: Medieninstitutionen und einzelne Akteure in ihnen)“ (2006: 112) – geht es nur um einen spezifischen Teil des potenziellen Akteur-Netzwerks Fernsehen. Stärker als die Akteur-Netzwerk-Theorie, die für die Fernsehwissenschaft (vgl. u. a. Teurlings 2013) und für die Media Industry und Production Studies (vgl. u. a. Caldwell 2013: 43) diskutiert worden ist, werden konkretere, auf menschliche Akteur*innen und die Medienindustrie zentrierte Netzwerkkonzepte herangezogen: das Projektnetzwerk (Windeler et al. 2001) und die Screen Idea Work Group (z. B. Macdonald 2010, 2004).
Florian Krauß
3. Die Fernsehserienlandschaft in Deutschland: Akteur*innen und Produktionsbereiche
Zusammenfassung
Die Fernsehserienentwicklung und -produktion in Deutschland ist heterogen, sodass sich nicht die eine Herangehensweise an die Qualitätsserie feststellen lässt. Dieses Kapitel zielt darauf ab, die Vielfalt an Institutionen, Akteur*innen und zentrale Serientypen herauszuarbeiten, wenn es die deutsche Fernsehbranche, als wichtigen Teil der ‚Kreativitätsindustrie‘ mit ihrem gestiegenen gesellschaftlichen Stellenwert (vgl. Reckwitz 2013a), beschreibt. Das Kapitel schildert so den zentralen Kontext und Bezugspunkt der untersuchten Aushandlung und führt in grundlegende Strukturen des deutschen Fernsehmarkts ein. In dem Überblick kristallisiert sich deutlich heraus, dass sich die hiesige Fernsehbranche in einem elementaren Wandel befindet, der längst nicht nur die fokussierte Drehbuchentwicklung betrifft und vor dessen Hintergrund der Qualitätsseriendiskurs geführt wird.
Florian Krauß
4. Qualitätsserienfinanzierung und -distribution: Ökonomische Netzwerkbildungen
Zusammenfassung
Die Produzierenden setzten sich in ihrem Diskurs zur Qualitätsserie immer wieder mit ökonomischen Fragen und, damit verknüpft, Netzwerkbildungen auseinander. Sie ergründeten Kooperationen, um diese potenziell sehr kostenintensiven Produktionen zu finanzieren und kamen dabei auch auf die wechselseitige Distribution zu sprechen. Diese Aushandlungen sind deutlich mit der beschriebenen Expansion der Programmanbieter und der Transformation des deutschen Fernsehens verbunden, denn mittlerweile haben sich etliche Optionen für Vertriebswege auf unterschiedlichen Sendern und Plattformen eröffnet.
Florian Krauß
5. Qualitätsserien als transnationale Expansion: Exporte und lokale Spezifika
Zusammenfassung
In der deutschen Fernsehserienlandschaft findet derzeit eine umfassende Transnationalisierung statt: Das ehemals stark national ausgerichtete Fernsehen transformiert sich zu einem „transnational multiplatform market“ (Turner 2018: 137). Verbunden mit dem „rapid growth of internet-distributed television services worldwide“ (Lotz et al. 2018: 35) sowie länder- und kontinentübergreifenden Plattformisierungsprozessen (vgl. Poell et al. 2019) wirken zudem die Expansion und Transnationalisierung der Hollywood-Film- und Fernsehindustrie auf die deutsche Fernsehbranche ein. An Serienproduktionen von Netflix oder Amazon Prime Video wird sichtbar, was Christopher Meir (2019: 214–215) im europäischen Kontext diagnostiziert: „The economic basis of the global screen industry is shifting from only being centered in Los Angeles and this is creating more opportunities to make and sell content by others outside of the traditional Hollywood elite“ (vgl. auch Lotz et al. 2018: 38). Angesichts der transnationalen Entwicklungen erhofften sich mehrere Fernsehschaffende in Deutschland speziell im Segment der Qualitätsserie neue Auftraggeber und Absatzmärkte.
Florian Krauß
6. Inhalte und Formen der Qualitätsserie: Textuelle Zuschreibungen und Kritiken
Zusammenfassung
Der Qualitätsseriendiskurs der Fernsehschaffenden drehte sich in großem Maße um die seriellen Medientexte selbst, die in der Gegenwartsgesellschaft der Digitalisierung und Singularisierung als wichtige „Kulturformat[e] mit einer narrativen, ästhetischen, gestalterischen, ludischen, moralisch-ethischen Qualität“ (Reckwitz 2018: 22) gelten können. Der Fokus auf textuelle Aspekte wie Inhalte, Erzählweisen und Ästhetiken entspricht dem Screen Idea System-Modell von Eva Novrup Redvall, das auf den dargelegten Ansatz der Screen Idea Work Group (Macdonald 2010) aufbaut: Redvalls Modell nennt neben den kreativen Serienschaffenden und den institutionell eingebundenen Gatekeeper*innen die bereits existenten Fernseh- und Filmtexte als zentrale Kraft (2013b, 31; vgl. auch Waade et al. 2020, 7–8; Macdonald 2010: 54). Die erforschten Praktiker*innen erörterten auf Grundlage der textuellen „trends, tastes and traditions“ (Redvall 2013c: 31) den Zustand deutscher Fernsehfiktion und zogen zum Vergleich ausländische Produktionen heran. Ihre Auseinandersetzung mit Qualitätsserien und deren textuellen Charakteristika – so lässt sich zunächst festhalten – trug einmal mehr glokale Züge, ging es doch sowohl um lokale und nationale als auch transnationale oder globale Aspekte.
Florian Krauß
7. Qualitätsserien und Produktionskulturen: Aushandlungen zur Drehbuchentwicklung
Zusammenfassung
Der Branchendiskurs zur Qualitätsserie wird in Produktionszusammenhängen geführt und hat Produktionskulturen zum Gegenstand. Immer wieder verhandelten die Praktiker*innen, welche Herstellungsweisen Qualitätsserien und deren besonderen Wert der „Einzigartigkeit“ (Reckwitz 2018: 17) befördern oder verhindern. Das Augenmerk der Branchenvertreter*innen lag speziell auf der Drehbucharbeit. Dieser Fokus ist zunächst auf das Sample der Interviewstudie zurückzuführen, das auf Akteur*innen der Drehbuchentwicklung in einzelnen Serienprojekten beruht und auf eine ähnliche Schwerpunktsetzung der besuchten Branchenworkshops. Des Weiteren war das Argumentationsmuster der Praktiker*innen ausschlaggebend, dass gerade diese Phase der Fernsehserienproduktion für Qualität entscheidend sei. Eine ähnliche Einschätzung und ein besonderes Augenmerk auf die Drehbucharbeit sind aus Qualitätsserienabhandlungen in Feuilleton, Fernsehkritik (z. B. Förster 2014; Staun und Caro 2017) und Wissenschaft (z. B. Jensen 2017; Blanchet 2011; Thompson 1996) bekannt. Nach Andreas Reckwitz (2018: 432) lassen sich die verstärkt ins Zentrum gerückten Drehbuchautor*innen vielleicht als diejenigen „strahlenden Gewinner“ in der Gesellschaft der Singularitäten einordnen, „die unmittelbar an der Gestaltung von komplexen Einzigartigkeitsgütern beteiligt sind [und] deren Arbeit selbst als eine kostbare singuläre Leistung erscheint“. Dieses Kapitel legt ausführlicher dar, wie sich die untersuchten Praktiker*innen mit Produktionskulturen in der Drehbuchentwicklung und dabei mit der Arbeit von Drehbuchautor*innen befassten.
Florian Krauß
Backmatter
Metadaten
Titel
Qualitätsserien aus Deutschland
verfasst von
Florian Krauß
Copyright-Jahr
2023
Electronic ISBN
978-3-658-41512-9
Print ISBN
978-3-658-41511-2
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-41512-9