Der Quantenphysiker und Finanzexperte Markus Pflitsch gibt im Interview Einblicke in die Zukunft quantenbasierter Sicherheitsinfrastrukturen und erklärt, was nötig ist, damit Europa im internationalen Quantenwettlauf aufholt und seine Souveränität langfristig sichern kann.
springerprofessional.de: Herr Pflitsch, Quantentechnologien werden bald in der Lage sein, jede Standardverschlüsselungsmethode zu knacken. Wie sollten wir uns darauf vorbereiten?
Markus Pflitsch: Die Medaille hat zwei Seiten: Quantentechnologien haben nicht nur das Potenzial, viele Branchen grundlegend zu revolutionieren, sondern bringen auch ein drohendes Risikopotenzial mit sich. Je näher wir dem Zeitalter der leistungsstarken Quantencomputer kommen – auch als "Q-Day" bezeichnet –, desto mehr stehen wir vor einer fortschreitenden Herausforderung für traditionelle Verschlüsselungen. Es handelt sich dabei nicht um ein einmaliges Ereignis, bei dem die gesamte Verschlüsselung plötzlich obsolet wird, sondern vielmehr um eine allmähliche Verbesserung der Fähigkeit von Quantencomputern, weit verbreitete Verschlüsselungsalgorithmen zu knacken. Sich auf diesen Wandel vorzubereiten bedeutet, frühzeitig quantenresistente kryptografische Methoden einzuführen, um einen reibungslosen und sicheren Übergang zu gewährleisten, während sich die Fähigkeiten der Quantencomputer weiterentwickeln. Die allgemeine Anerkennung dieses Problems als etwas dringliches und nicht nur als theoretisches Zukunftsrisiko ist der notwendige erste Schritt, um über Risikovermeidung und Vorsorge sprechen zu können.
Um dieses Risiko zu minimieren, müssen wir bereits heute quantenresistente Verschlüsselungsmethoden einführen, beginnend mit Lösungen wie Post-Quanten-Kryptographie (PQC) und Quantum Key Distribution (QKD). Damit können wir sicherstellen, dass jeder Versuch, Kommunikation abzufangen, unverzüglich entdeckt wird. An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass die Post-Quantum-Sicherheit nicht nur eine technische Herausforderung darstellt. Es ist auch eine Frage der nationalen Sicherheit, die nicht zu einer grundlegenden Schwachstelle werden darf. Deshalb kommt insbesondere den Regierungen auf der ganzen Welt eine Schlüsselrolle zu. Sie sollten die Führung bei der Sicherstellung der Zusammenarbeit und Koordination auf globaler Ebene übernehmen, um Quantenrisiken erfolgreich zu minimieren. In einer zunehmend vernetzten Wirtschaftwelt stellt die Schwäche eines Akteurs ein Risiko für alle anderen dar. Deshalb müssen auch globale Unternehmen dringend handeln. Die Bewertung von Bedrohungen und die Implementierung von Post-Quanten-Sicherheitsmaßnahmen sind für die langfristige Resilienz und Datensicherheit von entscheidender Bedeutung. Nur wenn wir uns frühzeitig damit befassen, können wir sensible Informationen vor zukünftigen quantenbasierten Bedrohungen schützen und sicherstellen, dass Unternehmen gut auf eine Quantenzukunft vorbereitet sind.
Was müssen wir im Hinblick auf einen angemessenen Schutz in einer solchen digitalen Welt beachten?
Das Quantenzeitalter bringt neue, komplexe Bedrohungen mit sich, die kein einzelner Akteur allein bewältigen kann. Zusammenarbeit ist der Schlüssel zur Identifikation, Bewertung und Abschwächung künftiger Quantensicherheitsrisiken. Eine der akutesten Gefahren sind die "Hack-now,-decrypt-later"-Angriffe. Schon heute können Angreifer verschlüsselte Daten abfangen und speichern, wohl wissend, dass Quantencomputer in einigen Jahren in der Lage sein werden, diese Verschlüsselung zu knacken. Daher ist es wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass sensible Informationen, die heute noch sicher erscheinen, schon morgen gefährdet sein können. Dies bedeutet auch, dass die Verwundbarkeit einer einzelnen Organisation den Weg für noch größere Risiken ebenen kann, die uns alle betreffen. Wie das amerikanische National Institute of Standards and Technology (NIST) mit der Bekanntgabe neuer Standards deutlich gemacht hat, bedeutet Sicherheit in einer Post-Quantum-Welt, dass bereits heute mit der Planung des Übergangs zu einem quantenresistenten kryptografischen System auf der Basis von PQC-Algorithmen begonnen werden muss. Eine umfassende Sicherheitsstrategie wird dabei auch die Rolle von QKD berücksichtigen, das zusätzliche Sicherheitsebenen bietet. Trotz dieser Bedrohung gehen die Länder das Thema "Cybersicherheit" immer noch weitestgehend isoliert an. Grenzüberschreitende Allianzen sind nach wie vor selten und in vielen Regionen, wie auch in Deutschland, wird über Angriffe und Bedrohungen lieber geschwiegen, anstatt sich zu vernetzen, sich auszutauschen und aus Vorfällen zu lernen. Ohne diese Zusammenarbeit verpassen wir entscheidende Chancen, unsere kollektive Widerstandsfähigkeit zu stärken. Um uns ausreichend auf die Zukunft der Quantentechnologien vorzubereiten und Risiken gezielt zu bekämpfen, müssen wir eine stärkere Zusammenarbeit fördern, vorhandene Barrieren abbauen und grenzüberschreitend zusammenarbeiten.
Was muss geschehen, damit Europa im internationalen Quantenwettlauf aufholen und seine Souveränität langfristig sichern kann?
Erst kürzlich hat Olaf Scholz die Quantentechnologie öffentlich zu einer Schlüsseltechnologie für Deutschland erklärt. Diese Anerkennung durch einen europäischen Staatschef ist zweifellos ein notwendiger und willkommener Schritt in die richtige Richtung. Aber welche Schritte müssen nun folgen? Einerseits muss Europa die privaten Investitionen in Quanten-Start-ups erhöhen. Eine unzureichende Finanzierung beeinträchtigt das Wachstum und die globale Wettbewerbsfähigkeit von Quanten-Start-ups. Gezielte finanzielle Anreize oder das Aufsetzen spezieller Quantenfonds, nach dem Vorbild von Initiativen wie dem European Chips Act, könnten Innovationen fördern und die Integration von Quantentechnologien in den Privatsektor vorantreiben. Europa bietet enormes Talent und ein unglaubliches Potenzial im Bereich der Quantentechnologien, europäische Quantenunternehmen jedoch brauchen Förderung, um sich weiterzuentwickeln, zu wachsen und global wettbewerbsfähig zu werden. Andererseits ist es auch hier die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die unsere Souveränität im internationalen Quantenwettlauf bestimmen wird. Trotz umfangreicher staatlicher Finanzierung der Quantenforschung in Europa, bleiben nationale Initiativen oft isoliert. Länder wie Frankreich, Deutschland und die Niederlande investieren unabhängig voneinander. Ohne koordinierte Zusammenarbeit läuft Europa jedoch Gefahr, hinter die weltweit führenden Länder wie die USA und China zurückzufallen. Und das erhöht das Risiko für alle.
Ihr Unternehmen hat kürzlich vom US-Verteidigungsministerium den Auftrag erhalten, ein quantensicheres Netzwerk für die US-Luftwaffe zu erforschen. Was können Sie noch über dieses Projekt berichten?
Die kürzlich angekündigte Machbarkeitsstudie für die US-Luftwaffe ist ein herausragendes Beispiel für unsere Partnerschaften mit hochrangigen Organisationen, die sich bereits heute auf die Auswirkungen von Quantentechnologien vorbereiten. Sie zeigt auch die Dringlichkeit von Cybersicherheit im Hinblick auf den bevorstehenden Q-Day. Im Rahmen dieses Projekts wird die Machbarkeit der Entwicklung eines quantenresistenten Netzwerks für ultrasichere Langstrecken-Kommunikation untersucht. Die treibende Kraft hinter dieser Initiative ist die bereits erwähnte Bedrohung durch sogenannte "Hack-now,-decrypt-later"-Angriffe. Mit der Entwicklung von quantensicheren Verschlüsselungsmethoden, können wir dieses zukünftige Risiko bereits heute entschärfen. Für Regierungs- und Militäreinrichtungen, insbesondere für diejenigen, die mit sensiblen nationalen Sicherheitsdaten arbeiten, ist der Schutz ihrer Kommunikationskanäle unabdingbar. Unsere Arbeit mit der US-Luftwaffe macht deshalb deutlich, wie wichtig Quantensicherheit für Datenschutz ist und stellt sicher, dass eine sichere Kommunikation sensibler Daten auch bei fortschreitenden Fähigkeiten von Quantencomputern gewährleistet werden kann.