Im Rahmen des ersten Österreichisch-Chinesischen Workshops zum Thema „sozialer Wandel“ am 5. Juni 2016 in Innsbruck stand nicht nur die Frage im Mittelpunkt, inwiefern die österreichischen Ansätze „auch von einem Chinesen als richtig anerkannt werden“ (Weber), sondern es ging auch darum, ein gegenseitiges Kennenlernen der jeweils thematisierten Forschungsgegenstände zu ermöglichen. Gerade dies erwies sich dann auch aufgrund der partikularen Stellung der Soziologie in China als überaus spannend. So weist etwa der Hongkonger Soziologe Xiaogang Wu (
2015) darauf hin, wie eng die wissenschaftliche Existenz der chinesischen Soziologie an die Agenda der chinesischen Zentralregierung geknüpft ist. In diesem Sinne nimmt die Soziologie in China, seit der Aufhebung ihres Verbots durch Deng Xiaoping im Jahre 1979, vor allem eine informierende und beratende Funktion im Rahmen staatlich gelenkter Modernisierungsprogramme ein (Qi
2016). Gegenwärtig orientiert sich das chinesische Erkenntnisinteresse hinsichtlich der Ursachen und Folgen sozialen Wandels dabei vor allem am Konzept der „harmonischen Gesellschaft“
(hexie shehui), welches – aufgrund des befürchteten Konfliktpotentials sozialer Transformationsprozesse (Joshi
2012) – von Seiten der chinesischen Zentralregierung zum Kriterium künftiger sozioökonomischer Reformen erklärt worden ist. Das bedeutet, dass sich sozialer Wandel für die chinesische Soziologie vor allem entlang jener Spannungen artikuliert, die aufgrund der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte in der chinesischen Gesellschaft hervorgerufen wurden. Zu nennen sind hier beispielsweise die stetig wachsenden Einkommensunterschiede oder die Entstehung einer neuen, durchaus kritischen Mittelklasse, deren Werte, Identitäten und politische Orientierungen zunehmend in den Mittelpunkt des soziologischen Interesses rücken; vor dem Hintergrund der ebenso geplanten wie „spekulativen“ (Harvey
2012, S. 60) Urbanisierung sind aber auch die sich zuspitzenden sozialen Spannungen zwischen Stadt und Land oder Küstenregionen und Hinterland zu nennen sowie die strukturelle Benachteiligung von Wanderarbeitern, deren rechtlicher Status nun anhand der Reform des
Hukou-Systems (offizielle Wohnsitzkontrolle) endlich geklärt werden soll; aufgrund der im Zuge der Liberalisierungen erfolgten Marginalisierung des
danwei (Arbeitseinheit), das in China bislang maßgeblich für die Formung sozialer Identitäten verantwortlich war, wird schließlich auch der steigenden Bedeutung von Nachbarschaftsgemeinschaften größte Aufmerksamkeit geschenkt. …