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28.09.2021 | Recycling | Kompakt erklärt | Online-Artikel

Chemisches Recycling von Kunststoffen – wie und warum?

verfasst von: Thomas Siebel

5:30 Min. Lesedauer

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Mittels chemischem Recycling sollen künftig auch heterogene Kunststoffabfälle in den Stoffkreislauf zurück geführt werden. Die Verfahren sind bekannt, doch der Weg hin zum industriellen Maßstab ist weit.

Im Jahr 2018 wurde in der EU doppelt so viel Kunststoff recycelt wie 2006. Dennoch besteht für die Kunststoff- und die Entsorgungsbranche kein Anlass zur Entspannung, denn von den knapp 30 Mt an Altplastik, die im Jahr 2018 angefallen sind, wurden laut Branchenverband PlasticsEurope noch immer zwei Drittel energetisch verwertet (42,6 %) oder gar deponiert (24,9 %). Zwar unterscheiden sich die Quoten je nach Land – Griechenland deponiert über 70 % seiner Kunstststoffabfälle –,doch selbst Deutschland kam 2018 nicht über eine Recyclinganteil von 38,6 % hinaus. Große Sprünge sind angesichts einer jährlichen Zunahme der Recyclingmenge von zuletzt 2,4 % nicht zu erwarten.

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Chemisches Recycling von gemischten Kunststoffabfällen als ergänzender Recyclingpfad zur Erhöhung der Recyclingquote

Kunststoffabfälle, speziell Verpackungsabfälle, liegen oft als Gemische mit hohem Verschmutzungsgrad vor. Die werkstoffliche Verwertung wird dadurch enorm erschwert, da die Sortierung und Reinigung dieser Fraktionen in vielen Fällen nicht ökonomisch sinnvoll oder technisch umsetzbar sind. 

Problematisch ist dabei vor allem die Heterogenität der Kunststoffabfälle. Oft liegen sie als Gemische vor und sind stark verschmutzt. Zugleich müssen Recyclingkunststoffe zu über 99 % rein sein, um mit Kunststoffen aus Primärressourcen konkurrieren zu können. In den meisten Fällen ist der nötige Aufwand für das Sortieren und das Reinigen der Abfälle wirtschaftlich unrentabel. Sie enden in der Müllverbrennung.

Recycling auch bei heterogenem Kunststoffmix

Einen Ausweg aus dieser Routine könnte das chemischen Recycling liefern – ein Verfahren, dem heute gerade einmal 0,2 % der Kunststoffabfälle in Deutschland zugeführt werden. Beim chemischen Recycling werden mithilfe von Wärme, Katalysatoren und Lösungsmitteln die chemischen Grundbausteine der Kunststoffe wiedergewonnen. Die Polymerketten werden dabei in kürzere Kohlenwasserstoffe aufgespalten, die dann wiederum in der Produktion von neuen Kunststoffen, Kraftstoffen oder in der petrochemischen Industrie eingesetzt werden können. Dabei weisen chemische Recyclingtechnologien im Vergleich zu den etablierten Recyclingverfahren eine hohe Toleranz gegenüber Störstoffen oder Sortenunreinheiten auf.

Im Artikel Chemisches Recycling von gemischten Kunststoffabfällen als ergänzender Recyclingpfad zur Erhöhung der Recyclingquote für die Zeitschrift Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaft unterscheiden Andreas Lechleitner, Daniel Schwabl und Teresa Schubert fünf Ansätze für das chemische Recycling: Solvolyse, Pyrolyse, thermokatalytisches Recycling, Hydrocracking und Gasifizierung.

Solvolyse

Mithilfe von chemischen Lösungsmitteln wie Glykose oder Methanolyse werden die Polymere des Kunststoffabfalls in Monomerbestandteile zerteilt. Die Solvolyse, auch Depolymerisation genannt, eignet sich jedoch ausschließlich für Polykondensationskunststoffe wie Polyester und Polyamide. Polyefine, die den Hauptteil der Kuntstoffabfälle ausmachen, lassen sich damit nicht recyceln.

Pyrolyse

Bei der Pyrolyse, auch thermomechanisches Recycling genannt, verweilen Kunststoffabfälle in inerter Atmosphäre bei Temperaturen über 300 °C, wodurch die Polymerketten in kürzere Kohlenwasserstoffbestandteile zerfallen. Die Produkte unterscheiden sich je nach eingesetztem Kunststoff, Prozessbedingungen und Reaktortyp. Die gewonnenen synthetischen Rohöle und Pyrolyseöle müssen nach der Pyrolyse zu marktfähigen Produkten weiterverarbeitet werden. Diese werden in konventionellen Raffinerien, für die Polymerisation oder als Grundchemikalien für die Petrochemie und für Treibstoffe eingesetzt.

Man unterscheidet die langsame Pyrolyse bei unter 400 °C, die moderate Pyrolyse zwischen 400 und 600 °C und die Schnellpyrolyse bei über 600 °C. Die Verweilzeit kann dabei im Bereich von Sekunden bis hin zu mehreren Stunden variieren. Eine verfahrenstechnische Herausforderung ist der thermische Energieeintrag in den Kunststoff, der einen sehr niedrigen Wärmeleitungskoeffizienten aufweist. Die Oberfläche des Kunststoffs sollte deswegen möglichst groß sein.

Thermokatalytisches Recycling

Im Unterschied zur Pyrolyse kommen beim thermokatalytischen Recycling zusätzlich katalytisch wirkende Stoffe zum Einsatz, beispielsweise Zeolithe, Metalloxide oder ionische Flüssigkeiten. Dank des Katalysators kommt das Verfahren mit weniger Energie und kleineren Reaktoren als die Pyrolyse aus. Die Verweilzeit reicht von Millisekunden bis Stunden. Mit der Thermokatalyse entstehen höherwertigere Produkte, allerdings können Abfallbestandteile wie Stickstoffe, Schwefel oder mineralische Füllstoffe den Katalysator schädigen oder deaktivieren.

Hydrocracking

Zusätzlich zur erhöhten Temperatur und der Anwesenheit eines biofunktionalen Katalysators werden die Altkunststoffe mit Wasserstoff bei einem Partialdruck von 2 bis 15 MPa beaufschlagt. Damit lassen sich im Vergleich zu den vorgenannten Verfahren noch höhere Produktqualitäten und stabilere Verbindungen erreichen. Zudem erfordert das Verfahren weniger Energie. Allerdings sind die gesättigten Kohlenwasserstoffe bei der erneuten Kunststoffsynthese weniger polymerisationsfreudig und die Kosten für Katalysator und Wasserstoff sind vergleichsweise hoch.

Gasifizierung

Bei der Gasifizierung werden kohlenstoffhaltige Materialien mittels Luft, Sauerstoff oder Dampf bei Temperaturen zwischen 700 und 1600 °C und Drücken zwischen 10 und 90 bar oxidiert. Im Prozess werden die Altkunststoffe dabei zunächst thermisch zersetzt und anschließend teiloxidiert. Je nach Kunststoff oder Gasifizierungsmittel setzt sich das Produktgas aus veränderlichen Anteilen von – unter anderem – CO, H2 und CH4 zusammen. CO und CO2 können anschließend beispielsweise katalytisch hydrogeniert werden, um Methanol zu gewinnen.

Die Gasifizierung stellt die geringsten Anforderungen an die Reinheit der Abfälle. Selbst die gleichzeitige Verarbeitung mit anderen festen Abfallstoffen ist möglich. Allerdings resultieren aus dem Verfahren nur niedermolakulare, im Vergleich zu den vorgenannten Verfahren weniger werthaltige Produkte, aus denen sich nicht ohne Weiteres wieder gleichwertige Produkte wie Kunststoffe erzeugen lassen.

Empfehlungen für Forschung und Industrialisierung

Dem industriellen Einsatz chemischer Recyclingverfahren stehen bislang noch zahlreiche Hürden organisatorischer und prozesstechnischer Natur gegenüber. In einem gemeinsamen Papier stellen die Kunststoffverbände BKV, Dechema, Plastics Europe und der Verband der Chemischen Industrie Empfehlungen für die Erforschung und den Markthochlauf des chemischen Recyclings vor. Chemische Verfahren sollten demnach als Ergänzung zu mechanischen Verfahren entwickelt werden, wobei die vorausgehende mechanische Sortierung und Aufbereitung der Altkunststoffe den Spezifikationen des nachfolgenden chemischen Verfahrens angepasst werden sollten. Unter anderem müsse stets bekannt sein, welche Störkomponenten ein Abfallstrom enthalte und wie stark die Zusammensetzung schwanke.

Um einen Markthochlauf vorzubereiten, sollten Demonstrations- und Pilotanlagen angelegt werden, in denen die Nahtstellen zwischen den verschiedenen Stufen der Abfallkette abgestimmt werden. Mithilfe von Reallaboren sollten die regulativen Rahmenbedingungen für das chemische Recycling optimiert werden. Im Bereich der thermomechanischen Prozesse sollten digitale Modelle abgeleitet werden. Ein starker Fokus sei zudem auf die Nachbehandlung der Pyrolyseprodukte und die anschließende Weiterverarbeitung in chemischen Produktionsprozessen zu legen. Für die Nutzbarmachung von recyceltem Kohlenstoff ist Wasserstoff erforderlich; der Bedarf müsse in der Technologieentwicklung adäquat berücksichtigt werden.

Was die regulatorische Rahmenbedingungen angeht, fordern die Verbände, dass das chemische Recycling  auch in gesetzlichen Regelungen als Recycling im abfallrechtlichen Sinne angerechnet wird, was auf EU-Ebene bereits der Fall sei, im deutschen Gesetzgebung allerdings noch nicht. Künftig sollen chemische Recyclingverfahren das mechanische Recycling insbesondere für Wertstoffströme ergänzen, die bislang nicht ökologisch oder ökonomisch sinnvoll verarbeitet werden können.

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