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2013 | Buch

Religiöse Akteure in Demokratisierungsprozessen

Konstruktiv, destruktiv und obstruktiv

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Über dieses Buch

„Religion und Politik“ wurde spätestens mit den jüngsten Revolutionen im arabischen Raum ein zentrales Thema für die Demokratisierungsforschung. Wie beeinflussen religiöse Akteure Demokratisierung? Welche Faktoren bedingen ihre Einflussnahme? Der vorliegende Band bietet erste Antworten auf diese Fragen. Hierfür wird ein theoretisch-konzeptionelles Analyseraster zur Untersuchung der Rolle religiöser Akteure im Regimewandel entwickelt. In keiner der behandelten jungen mehrheitlich christlichen, christlich-orthodoxen oder muslimischen Demokratien haben religiöse Akteure das Ergebnis des jeweiligen Transformationsprozesses bestimmt. Sie haben durch ihre politische und gesellschaftliche Einflussnahme aber zu Prozessen der Erosion autoritärer Herrschaft und zur Demokratisierung beigetragen. Die Möglichkeiten religiöser Akteure auf Demokratisierung einzuwirken, hängen vor allem von ihrer Organisationsform und der formalrechtlichen sowie de facto Stellung gegenüber dem politischen Regime ab. Ihre Ziele, Mittel und die politische Tragweite ihrer vertretenen Theologien sind vornehmlich davon bedingt, wie viel Unabhängigkeit sie vom Staat genießen.​

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Einleitung
Zur Rolle von Religion in Demokratisierungsprozessen
Zusammenfassung
Die Rolle von Religion in Demokratisierungsprozessen ist in der Politikwissenschaft noch relativ unbeachtet: Während Religion mit der Literatur zu religiösen Akteuren in Konfliktsituationen, konkret, ihrem Konflikt- und Schlichtungspotenzial, als unabhängige Variable in die Konfliktforschung Einzug gefunden hat, kann dergleichen nicht über die Demokratisierungsforschung gesagt werden. Dies hat sich auch mit der sogenannten Arabellion in Tunesien, Ägypten und Libyen bislang nicht verändert. In keinem der englisch- und deutschsprachigen Standardwerke zu demokratischer Transition und Konsolidierung lässt sich eine ausführliche Analyse von Religion als abhängiger oder unabhängiger Variable in Demokratisierungsprozessen finden: Robert Dahl (1971), Guillermo O’Donnell, Laurence Whitehead und Phillippe Schmitter (1986), Juan Linz und Alfred Ste pan (1996), David und Ruth Collier (1999), Robert Kaufman und Stephan Haggard (1995); im deutschsprachigen Raum: Dirk Berg-Schlosser (1999 und 2007), Wolfgang Merkel (1999), Eberhard Sandschneider (1995), Werner Weidenfeld (1996) unternehmen keine komparative Systematisierung zur Rolle von Religion, religiösen Akteuren, Eliten und Bewegungen in politischen Transformationsprozessen.
Mirjam Künkler, Julia Leininger

Katholische und Evangelische Kirche und erfolgreiche demokratische Konsolidierung

Frontmatter
Der deutsche Katholizismus und seine konstitutive Rolle im Demokratisierungsprozess Westdeutschlands nach 1945
Zusammenfassung
Demokratisierung in Deutschland nach 1945 – das betraf, obschon zunächst Bestandteil der gemeinsamen Grundsätze und Ziele der alliierten Siegermächte auf der Potsdamer Konferenz, de facto recht bald nur die drei Westzonen. Während der östliche Teil Deutschlands seit der Vereinigung der KPD und SPD zur SED 1946 zunächst zunehmend autoritär und spätestens mit dem Übergang zum „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“ im Juli 1952 wieder totalitär regiert wurde, begann im Westen mit dem Aufbau neuer politischer Strukturen in den Kommunen und den nach dem Willen der Besatzungsmächte erst neu zu errichtenden Ländern nach 1945 die Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie. Im Zeichen der Blockkonfrontation entstanden so unter der Kontrolle der Westalliierten und der UdSSR zwei politisch, wirtschaftlich und seit den 1950er Jahren auch militärisch konkurrierende deutsche Teilstaaten. Offenkundig erfüllte nur die Bundesrepublik Deutschland mittels freier und fairer Wahlen, die Regierungsbildung durch demokratisch legitimierte Volksvertreter und eine auf Glaubens-, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit gegründete Öffentlichkeit weitestgehend jene notwendigen Kriterien, die ein demokratisches Regierungssystem kennzeichnen.
Antonius Liedhegener
Die Rolle der Evangelischen Kirche Deutschlands im Demokratisierungsprozess nach 1945
Zusammenfassung
1985 hat die Evangelische Kirche in Deutschland in ihrer Denkschrift „Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie: Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe“ erstmals auf repräsentativer Ebene eine theologisch-ethische Begründung der parlamentarischen Demokratie Westdeutschlands entwickelt. Dass dies erst vierzig Jahre nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Diktatur geschah, bedeutet nicht, dass der Protestantismus vier Jahrzehnte gebraucht hat, um sich an die demokratischen Verhältnisse zu gewöhnen und sie zu akzeptieren, es ist aber hinsichtlich des Charakters der Bundesrepublik Deutschland als eines Parteienstaates ein Indiz dafür, wie stark die traditionelle Distanz des deutschen Protestantismus zu den politischen Parteien als den zentralen Akteuren des Parlamentarismus nachgewirkt hat.
Michael Klein

Christlich-Orthodoxe Akteure und demokratische Transformation

Frontmatter
Orthodoxie und demokratische Transformation in der Ukraine
Zusammenfassung
Die Ukraine, das Land mit der größten Fläche in Europa nach der Russischen Föderation, ist ein multiethnischer Staat. Ihre Bevölkerung – 48,5 Millionen Menschen – setzt sich der Volkszählung von 2001 zufolge aus etwa 78 % Ukrainern zusammen, 17 % Russen, 0,6 % Weißrussen, und jeweils 0,5 % Moldauern und Krim-Tataren. Entsprechend der nationalen Zusammensetzung ist die Ukraine zwar konfessionell gemischt, Zweidrittel der Ukrainer sind jedoch orthodoxer Glaubenszugehörigkeit. Bei einer 2007 in der Ukraine vom angesehenen Razumkov- Zentrum durchgeführten Umfrage erklärten 40 % der Befragten, sie seien religiös, ohne einer Denomination anzugehören, während sich 36,5 % einer bestimmten religiösen Gemeinschaft zugehörig fühlten. Von Letzteren bekannten sich 33 % zur Ukrainischen Orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats (UOK-KP), 31 % zur Ukrainischen Orthodoxen Kirche unter Moskauer Jurisdiktion (UOKMP), 18 % zur unierten (griechisch-katholischen) Kirche und 2,5 % zur Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche (UAOK). Weniger als 5 % der Befragten bezeichnen sich als römisch-katholisch, protestantisch, als muslimisch und jüdisch; dazu kommen weitere kleinere Denominationen.
Katrin Boeckh
Die Nationalisierung der Religion in der Orthodoxen Apostolischen Kirche Georgiens – Begünstigung oder Hindernis im Demokratisierungsprozess?
Zusammenfassung
Die Orthodoxe Apostolische Kirche Georgiens gehört zu den ältesten Kirchen der Welt. Während der Sowjetzeit erlebte sie jedoch einen beträchtlichen Bedeutungsverlust in der georgischen Gesellschaft, was zum Teil auf Repressionen durch den Sowjetstaat, zum Teil aber auch auf ihre Kooptation durch ihn zurückzuführen war. Parallel zum Bedeutungsverlust der Kirche als gesellschaftliche Institution spielte die christlich-orthodoxe Religion in der georgischen Bevölkerung eine zunehmend wichtige Rolle – allerdings weniger als Ausdruck tiefer Gläubigkeit als vielmehr als Mittel zur Bewahrung der nationalen Identität innerhalb des Sowjetsystems. Trotz oder gerade wegen dieser wechselvollen Vergangenheit gewann die Orthodoxe Kirche Georgiens seit der Unabhängigkeit 1991 und insbesondere in den letzten Jahren wieder an wachsender gesellschaftlicher und politischer Relevanz. Dabei wird besonders deutlich, dass die Bedeutung der Kirche in Georgien von der Verschmelzung zwischen Nationalismus und Religion geprägt ist.
Pamela Jawad, Oliver Reisner

Muslimische Akteure und demokratische Transformation

Frontmatter
Die ambivalente Rolle islamischer Akteure im demokratischen Konsolidierungsprozess Malis
Zusammenfassung
Demokratie in Mali? – Fast unmöglich ! Theoretisch lässt die politikwissenschaftliche Transformationsforschung keinen anderen Schluss zu. Die westafrikanische Republik war in der einschlägigen Literatur einer der meist zitierten abweichenden Fälle (deviant cases), um zum einen zu illustrieren, dass ein demokratisches Regime auch ohne wirtschaftlichen Wohlstand von Bestand sein kann. Während Indien als die „größte Demokratie“ in den öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs Eingang gefunden hat, wird auf Mali meistens als die „ärmste Demokratie“ Bezug genommen. Zum anderen führten Politikwissenschaftler das Land Mali gegen jene Kulturessentialisten ins Feld, die den Islam als unvereinbar mit demokratischen Werten und Ordnungsformen betrachten. Diese Häufigkeit mit der auf den Länderfall Mali beispielhaft in Studien rekurriert wurde, steht in eklatantem Gegensatz zu der geringen Zahl an fundierten, politikwissenschaftlichen Arbeiten über das Land. Dies trifft auch für die Analyse der Bedeutung islamischer Akteure im malischen Demokratisierungsprozess zu.
Julia Leininger
Schlussbetrachtung: Demokratie und Religion – Befunde aus vier jungen Demokratien
Zusammenfassung
Die Frage nach dem Einfluss religiöser Akteure auf Demokratisierungsprozesse ist in der Politikwissenschaft bisher wenig systematisch erforscht worden. Aktuelle Debatten um Religion in der Demokratisierungsforschung kreisen meist noch immer um Varianten der Kompatibilitätsfrage (können mehrheitlich-buddhistische, mehrheitlich-muslimische Länder u. a. demokratisch werden?). Nur wenige Studien widmen sich der empirischen Erforschung des Einflusses religiöser Akteure auf die Erosion autoritärer Herrschaft oder die erfolgreiche Konsolidierung formaldemokratischer Systeme – mag dieser Einfluss konstruktiv, oder obstruktiv, oder gar destruktiv sein.
Mirjam Künkler, Julia Leininger
Backmatter
Metadaten
Titel
Religiöse Akteure in Demokratisierungsprozessen
herausgegeben von
Julia Leininger
Copyright-Jahr
2013
Electronic ISBN
978-3-531-19755-5
Print ISBN
978-3-531-19754-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-531-19755-5