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22.03.2019 | Rennfahrzeuge | Schwerpunkt | Online-Artikel

Mit Bio und Nachhaltigkeit über die Nordschleife

verfasst von: Sven Eisenkrämer

6:30 Min. Lesedauer

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Der Rennstall Four Motors setzt bei seinen Rennwagen im Einsatz auf der Nürburgring-Nordschleife auf Biofasern, E20-Super-Plus mit Bioethanol und reraffiniertes Altöl. OEM Porsche und andere Partner sind auch in der neuen VLN-Langstreckensaison beteiligt.

Der Nürburgring an einem Freitag im Herbst 2018: Mit der Kraft aus dem 4.0-l-Sechszylinder-Boxer beschleunigt Thomas von Löwis of Menar (oder kurz "Tom") seinen Porsche 911 GT3 Cup von der Ausfahrt der Boxengasse auf die Strecke. Eine Einstellrunde steht an – Freies Training vor dem Lauf der VLN Langstreckenmeisterschaft am nächsten Tag. Brachial geht es nach vorne, vielmehr für den Körper nach hinten. Die g-Kräfte pressen einen in den Schalensitz. Bei der ersten scharfen Kehre in die Mercedes-Arena des Grand-Prix-Kurses haut Tom im allerletzten Moment mit Wucht auf die Bremse, der Fünfpunkt-Sicherheitsgurt hält einen im Sitz. Die Zentrifugalkraft reißt nach links, dann im nächsten kniffeligen Abschnitt der Grand-Prix-Strecke nach rechts. Wir sitzen zweifelsohne in einem reinrassigen Rennfahrzeug.

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2018 | OriginalPaper | Buchkapitel

Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Motorsport

Umweltschutz und Motorsport haben eine unnütze Episode der Konfrontationen durchlaufen und sich nicht sehr bereitwillig aufeinander zu bewegt. Anfänge zur Integration des Umweltschutzes in den Motorsport reichen bis in die siebziger Jahre zurück; dabei wurden zahlreiche Einzelmaßnahmen unspektakulär oder gleichsam hinter den Kulissen eingeführt. . Im Motorsport hat es schon immer Verantwortliche gegeben, die den Umweltschutz als selbstverständlich angesehen haben und viele Maßnahmen mit dem „gesunden Menschenverstand“ in die Wege geleitet haben. 


Auch als der mittlerweile schon 71 Jahre alte Tom dann Sekunden später nach der Veedol-Schikane am Hatzenbach auf die Nordschleife einbiegt und während der Hatz über die restlichen rund 20 Kilometer in der Grünen Hölle, merkt man nicht, dass an und in diesem Porsche 991 irgendetwas nicht typisch rennsportlich sein könnte.

Nachhaltigkeit im Tank und im Motor

Doch dieser "Elfer" muss oder darf in einer eigenen Klasse der Langstrecken-Rennserie hier am Nürburgring antreten. In der Klasse der "Alternativen Treibstoffe" (AT). Im Tank befindet sich nämlich ein Ottokraftstoff mit 20 Prozent Bio-Ethanol-Anteil. Das "AdvancE20" kommt von Crop Energies, einer Tochtergesellschaft des Südzucker-Konzerns, die in Zeitz, Sachsen-Anhalt, ihre große Bio-Ethanol-Anlage betreibt. Der Alkohol wird aus Abfall- und Reststoffen nachwachsender Rohstoffe gewonnen, im Vergleich zu fossilem Kraftstoff ist der CO2-Ausstoß bei der Produktion um mehr als 70 Prozent niedriger, erklärt Joachim Lutz, CEO von Crop Energies. Zudem werden bei der Verbrennung 20 Prozent weniger CO2 und 60 Prozent weniger Rußpartikel ausgestoßen als ohne Bio-Ethanol, sagt Rennstallchef von Löwis.

Dass sich Motorsport und Nachhaltigkeit ganz und gar nicht ausschließen, darüber schreibt Springer-Autor Karl-Friedrich Ziegahn im Herausgeberwerk "Motorsport-Management" (2018). Im Buchkapitel "Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Motorsport" geht Ziegahn auf die gesellschaftliche Bedeutung der Umweltaspekte im Motorsport, auf die Entwicklung und den Sachstand der Umweltarbeit und das Umweltmanagement im Motorsport ein. "Motorsport als Synonym für Spitzentechnik und professionelles Management kann ein hervorragender Imageträger für die deutsche Umweltschutztechnik dienen", schreibt Ziegahn. "Beiden gemeinsam werden Attribute wie modern, effizient und leistungsstark zuerkannt; es wäre daher klug, wenn man diese Synergieeffekte auch tatsächlich nutzt." 

Mit den drei Fahrzeugen von Four Motors aus Reutlingen scheinen solche Imageträger gefunden zu sein. In dem 911 GT3 Cup, dem "Bioconcept-Car" Cayman GT4 Clubsport und im Cayman 981, die unter dem Teamnamen "Care For Climate" ab diesem Samstag, 23. März, auch in die 2019er Saison der VLN Langstreckenmeisterschaft am Nürburgring starten, steckt nämlich noch mehr Nachhaltigkeit. Die Puraglobe GmbH, die wie Crop Energies am Standort Zeitz ihre Raffinerie betreibt, liefert beispielsweise aus Altöl aufbereitete Basisöle für Hochleistungs-Schmierstoffe für Motor und Doppelkupplungsgetriebe. Das Öl-Recycling spart schon in der Produktion Treibhausgase ein und verwertet Altöl, statt es beispielsweise in Schiffsmotoren verbrennen zu lassen. 

Biofasern in Karosserieteilen

Bei den vier bis sechs Stunden dauernden Rennen der VLN-Serie und auch beim jährlichen 24-Stunden-Rennen über die Nordschleife beweisen E20 (im GT3 und GT4 im Einsatz) und die Öle, dass Sie auch unter harten Bedingungen rennsporttauglich sind. Ein flächendeckender Einsatz der Technologien ist hingegen noch nicht in Sicht. Bei der dritten Komponente der Nachhaltigkeit ist jedoch man schon weiter: Biofaser-Werkstoffe.

Four Motors hat gemeinsam mit dem Anwendungszentrum für Holzfaserforschung ("Hofzet") des Fraunhofer-Institut für Holzforschung Wilhelm-Klauditz-Institut (Fraunhofer WKI) und mit OEM Porsche Karosserieteile aus Naturfasern für einen der drei Renn-Porsche entwickelt und bereits länger im Einsatz. Im Cayman GT4 Clubsport sind Türen, Heckflügel und auch die Fronthaube aus Biofaser-Verbundwerkstoffen. Die erfolgreiche Zusammenarbeit aus dem vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unter der Trägerschaft der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) öffentlich geförderten Projekt trägt Früchte: Im Nachfolger des Kundenrennsport-Wagens, dem neuen Porsche 718 GT4 Clubsport, verbaut Porsche nämlich die beiden Türen und den Heckflügel nun werkseitig aus dem Naturfasermix. Dabei sind die Eigenschaften der Karosserieteile ähnlich zu denen, die aus Kohlefaser-Verbundwerkstoffen hergestellt sind, sagen Ole Hansen und René Schaldach vom Hofzet in Hannover. "Four Motors testet die Teile auf dem Nürburgring, wir entwickeln die Teile und Porsche stellt das ganze Equipment drumherum und die Anforderungen", sagt Schaldach, Geschäftsführer des Hofzet im Gespräch mit Springer Professional. Die Bauteile aus Pflanzenfasern sind laut Four Motors nicht nur ähnlich leicht wie ihr Äquivalent aus Carbon, sie überzeugen auch durch positivere Produkteigenschaften: Ein vorteilhaftes Splitterverhalten bei Crashbelastung, eine gute akustische Dämpfung und eine nahezu rückstandsfreie thermische Verwertung. Außerdem wird bei der Herstellung von Pflanzenfasern erheblich weniger Energie verbraucht als bei Carbonfasern, was für eine um etwa 75 Prozent bessere CO2-Bilanz sorgt.

Porsche setzt auf Rennsport-Erfahrung

Die Kooperation mit OEM Porsche ist für das Team auch eine deutliche Anerkennung. Für Porsche ist es vor allem konsequent. Dr. Michael Steiner, Porsche-Vorstand für Forschung und Entwicklung, erklärt dazu die Strategie des Stuttgarter Sportwagenbauers. In seinem Beitrag "Serienmodelle profitieren vom Rennsport-Know-how" im 120-Jahre-Jubiläumsheft des Springer-Magazins ATZ schreibt Steiner: "Das härteste Entwicklungslabor für Porsche ist die Rennstrecke." Der Technologietransfer kenne zuhauf Beispiele in der Unternehmensgeschichte. Auch der Kundensport sei wichtig. So kämpften aktuell rund 500 Rennwagen des 911 GT3 Cup in verschiedenen nationalen und internationalen Rennserien und Pokalen um Punkte und Pokale, schreibt Steiner. "Relevante Innovationen, die Porsche für diese Rennwagen entwickelt, kommen oft schon nach kurzer Zeit dem straßenzugelassenen 911 GT3 zugute", nennt Steiner als Beispiel.

Smudo ist der prominente Rennfahrer des Teams

Bei Porsche, Four Motors und den anderen Partnern arbeiten die Beteiligten selbstverständlich auch daran, die Idee der Nachhaltigkeit auch nach außen zu tragen und nicht nur mit besserem Gewissen der Leidenschaft Motorsport nachzugehen. Und sie haben prominente Unterstützung, denn einer der Rennfahrer im 911 GT3 Cup von Four Motors ist "Smudo", Hip-Hop-Künstler in der erfolgreichen deutschen Musikgruppe "Die Fantastischen Vier". Seit 13 Jahren fährt er "grün" Rennen. Dadurch hat der Rennstall automatisch eine höhere Aufmerksamkeit und selbst Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner steigt dann zu Smudo in den Renn-Porsche.

"Im Moment dreht sich diese Welt noch. Deswegen geht es täglich weiter. Auch bei uns", sagt Thomas von Löwis of Menar. "Weil wir den Klimawandel nicht mehr einfach auf Knopfdruck umkehren können, müssen alle versuchen, das Kohlezeitalter allmählich zu beenden, ohne dass die Mobilität darunter leidet." Da müsse man seinen Kopf anstrengen, sagt der frühere DTM-Fahrer. Four Motors will die Entwicklungen vorantreiben und in den kommenden Jahren noch vieles auf der Rennstrecke erproben. Von Löwis möchte damit auch dazu beitragen, den Verbrennungsmotor zu verbessern und "so lange am Leben zu erhalten, bis wir andere sinnvolle und funktionierende Mobilitätsmöglichkeiten zur Verfügung haben."

Das erste Rennen der VLN Langstreckenmeisterschaft Nürburgring 2019 ist die 65. ADAC Westfalenfahrt am Samstag, 23. März 2019. Acht weitere Rennen werden bis Oktober auf der Nordschleife ausgetragen. Four Motors plant, an allen Rennen teilzunehmen, ebenso am 24-Stunden-Rennen in der Eifel am 22./23. Juni.

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