Skandale treffen Unternehmen meist unvorbereitet und lassen sich nur schwer stoppen. Mathias Kepplinger, Springer-Autor des Buchs "Medien und Skandale", deckt im Interview Ursachen und Hintergründe auf, die öffentlich verschwiegen werden.
Springer Professional: Skandale brandmarken Skandalisierte oft unwiderruflich. Warum gibt es selten einen Weg zurück?
Mathias Kepplinger: Das hat vor allem zwei Ursachen. Zum einen berichten die Medien sehr intensiv und weitgehend übereinstimmend. Zudem erreichen sie die gleichen Menschen mehrfach auf verschiedenen Kanälen – Zeitung, Radio, TV und so weiter. Zum anderen gibt es bei fast allen Skandalen Kommunikationsblockaden, die auch Skandalisierte mit effektiven Kommunikationsabteilungen nicht zielführend überwinden können. Entweder werden ihre Sachdarstellungen totgeschwiegen oder sie werden selektiv zitiert, in einen negativen Kontext eingebunden, mit abwertenden Bemerkungen versehen.
Welche Rolle spielen also Medien und Journalisten im Skandalisierungsprozess?
Es gibt keine bedeutenden Skandale ohne Medien. Man muss aber mehrere Akteure unterscheiden. Wortführer sind nur wenige Journalisten und Medien, die über gute Beziehungen zu Informanten verfügen und eine Skandalisierung oft strategisch planen. Dazu gehört die gezielte Moralisierung von Fehlern. Ihr Erfolg hängt davon ab, ob sie hinreichend viele Mitläufer finden, die ihre Vorwürfe aufgreifen und mit passenden Informationen und Spekulationen anreichern. Notwendig sind wesentlich mehr Mitläufer als Wortführer. Einen Erfolg garantiert aber erst die Mobilisierung einer noch größeren Zahl von Chronisten, die ohne eigene Wertung berichten, was die Wortführer und Mitläufer berichtet haben. Erst die Masse ihrer scheinbar neutralen Berichte verleiht den Vorwürfen der Wortführer Glaubwürdigkeit und Gewicht.
Ist schlechte Presse wirklich besser als keine? Inwieweit können Skandale zum Beispiel nützlich für ein Unternehmen sein?
Im Markt können neue Unternehmen durch Skandale Aufmerksamkeit finden, und einige zielen mit ihren Werbebotschaften darauf ab. Ein Beispiel ist das Modeunternehmen Benetton mit den früheren, gesellschaftskritischen Werbeaktionen, die für Kontroversen sorgten. In einigen Fällen profitieren Wettbewerber von der Skandalisierung eines Konkurrenten. Es gibt Belege für Fälle, in denen sie die dafür notwendigen Informationen geliefert haben. Selten kommt es vor, dass skandalisierte Unternehmen durch geschickte Kommunikationsstrategien den entstandenen Schaden kompensieren können. Ein Beispiel ist der Pharmazie- und Konsumgüterhersteller Johnson & Johnson nach der Verurteilung zu korrigierenden Anzeigen wegen irreführender Werbung für das Mundwasser Listerine. Das Unternehmen hat die korrigierenden Anzeigen so geschickt genutzt, dass das Vertrauen in Listerine gestiegen ist. Aber das sind Ausnahmen. Mindestens 90 Prozent der skandalisierten Unternehmen erleiden durch Skandale Image-Verluste und müssen materielle Einbußen verkraften. In vielen Fällen sind solche Image-Verluste aus den eingangs genannten Gründen zäh und langlebig.
In Ihrem Buch nehmen Sie sich auch der ungeklärten Fragen an, die sich im Forschungsfeld Medien und Skandale auftun. Welchen gesellschaftlichen, aber auch wirtschaftlichen Beitrag könnte mehr Aufklärung leisten?
In fast allen gesellschaftlichen Bereichen gibt es mehr oder weniger fragwürdige Regelverstöße und Missstände. Das trifft auf Unternehmen, Parteien, Verbände und so weiter zu. Skandale entstehen oft, weil Insider Regelverstöße und Missstände – sachlich oft durchaus zu Recht – als unerheblich ansehen, die Gefahr ihrer Moralisierung aber nicht erkennen. Dann trifft sie ein Skandal völlig unvorbereitet und entsprechend chaotisch reagieren sie. Ein Beispiel ist die Reaktion des Betreibers Vattenfall auf die Skandalisierung eines kerntechnisch unbedeutenden Brandes im AKW Krümmel. Ein weiteres, aktuelles Beispiel ist die laienhafte Reaktion von Volkswagen auf die Skandalisierung der illegalen Abschaltvorrichtung, obwohl es um einen bedeutenden Regelverstoß ging und der Skandal absehbar war.
Notwendig sind Vorsorgemaßnahmen. Dazu gehören regelmäßige Diskussionen im kleinen Kreis über Fehler und Missstände, die Skandale auslösen könnten. Hier ist die Frage wichtig, ob man den Anlass beseitigen kann – was nicht immer möglich ist – und wer ein Interesse an einem Skandal haben könnte. Außerdem braucht man eine Strategie für den Fall, dass ein Fehler oder Missstand Anlass für eine Skandalisierung wird. Dazu gehört eine plausible Erklärung für das Entstehen und den Fortbestand des Anlasses, zum Beispiel mit Verweis auf höhere Ziele oder den relativen Nutzen eines Produktes. Ein Beispiel ist der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim nach der Skandalisierung tödlicher Nebenwirkungen des Gerinnungshemmers Pradaxa. Das Unternehmen hat das nicht geleugnet, sondern unter anderem im Internet die Risiken von allen Konkurrenzpräparaten offengelegt. Dabei schneidet Pradaxa sehr gut ab – und der Skandalisierungsversuch ist gescheitert.