Inwieweit stellen die Villenbriefe des Plinius vornehmlich eine sensualistische Raumwahrnehmung in den Vordergrund? Dieser Frage geht der Beitrag aus sprachwissenschaftlicher Sicht nach. Auf der Basis einer Untersuchung der grammatischen und textuellen Perspektivenkonstellationen – und damit des Verhältnisses zwischen Betrachtendem und Betrachtetem – wird argumentiert, dass die Villenbriefe nicht dem zentralperspektivischen Blick eines Individuums folgen, sondern einem multiperspektivischen Prinzip: Die Betrachtungen werden nicht einem einheitlichen Sehepunkt untergeordnet, sondern sind durch ein Nebeneinander von unterschiedlichen Perspektiven geprägt, die sich nicht notwendigerweise einem kohärenten Ganzen unterordnen müssen. Im Fokus der Villenbriefe steht damit nicht eine individualistische Raumwahrnehmung, sondern die Villa selbst.
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Dürer führt insgesamt fünf konstitutive Elemente der prospectiva an, wobei die beiden weiteren Merkmale („Daz firt: alding sicht man durch gerad linj, daz sind dy kürtzesten linj. Item daz fünft ist dy teillung von ein ander der ding, dy dw sichst.“; Rupprich [Dürer] 1969, S. 373. „Das Vierte: Jedes Ding sieht man auf gerader Linie, d. h. auf der kürzesten Linie. Das Fünfte schließlich ist die Unterscheidung der Dinge, die du siehst, von einander.“) durch die spezifische Charakteristik der Zentralperspektive bedingt sind, die für Dürer als ‚die‘ Perspektive gilt (vgl. auch Zeman 2013).
Dabei verwenden nicht alle Sprachen die gleichen Referenzsysteme in der gleichen Weise. In westlichen Kulturkreisen stellt etwa die absolute Verortung im alltäglichen Sprachgebrauch eine selten gewählte Option dar, während sie in anderen Sprachsystemen durchaus dominanter vorkommt (vgl. Levinson 2003, S. 4). Auch das zeigt auf, dass die Konzeptualisierung der räumlichen Lokalisierung nicht allein durch die außersprachliche Situation bestimmt wird, sondern die Sprache entscheidend auf die Konzeptualisierung einwirkt (vgl. Levinson 2003, S. 53).
Zugrunde gelegte Text-Ausgabe: C. Plini Caecili Secundi, Epistularum libri decem, rec. R. A. B. Mynors, Oxford 1963, in der von Sabine Vogt revidierten Fassung in diesem Band S. 8–40. Soweit nicht anders angegeben, stammt die Übersetzung der Beispiele von Sabine Vogt.
In Epist. 9,7,4 wird die zweite Person verwendet (‚du kannst‘): ex illa possis despicere piscantes, ex hac ipse piscari, („aus ersterer kannst du auf Fischer herabblicken, aus letzterer selbst fischen,“ [SV]). Durch das Modalverb wird aber wiederum die Potentialität betont, und es bleibt fraglich, ob nicht eher zu übersetzen wäre: ‚man kann‘.