Skip to main content

12.08.2022 | Risikoanalyse | Schwerpunkt | Online-Artikel

Klimarisiken bergen Schockwellen für das Finanzsystem

verfasst von: Angelika Breinich-Schilly

4:30 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
loading …

Waldbrände, Hochwasser oder Dürren häufen sich und führen zu massiven wirtschaftlichen Schäden. Kommen zu diesen klimabedingten Risiken noch negative Marktdynamiken hinzu, kann das europäische Finanzsystem schnell in einen Klimaschock geraten, zeigt eine aktuelle Analyse von EZB und ESRB.

Spätestens seit Mark Carney, der damalige Governor der Bank of England, in einem Interview mit der Financial Times im Dezember 2018 die Einführung von Stresstests für Carbon-Risiken ankündigte, ist deren Bedeutung für das Risikomanagement von Bankportfolios und darüber hinaus für die Stabilität des Finanzsystems in den Blickpunkt von Akademikern, Regulatoren und Marktteilnehmern gekommen", schreiben Martin Hellmich, Rüdiger Kiesel und Sikandar Siddiqui im Buchkapitel "Stresstests und Carbon Risiken" (Seite 3).

Empfehlung der Redaktion

2021 | Buch

Nachhaltigkeit in der Gesamtbanksteuerung

Mit dem europäischen Green Deal stellt die EU-Kommission eine Antwort auf die vom Klimawandel ausgehende Gefahr für die Menschheit und die Ökosysteme der Erde vor. Es handelt sich um eine neue Wachstumsstrategie, die zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen sowie des Pariser Klimaschutzabkommens beiträgt. Vor diesem Hintergrund ist es für Kreditinstitute erforderlich, Klimarisiken auf geeignete Art und Weise in der Gesamtbanksteuerung zu berücksichtigen.

Wie tiefgreifend sich die Verwirklichung von Klimarisiken auf Unternhemen, Banken und das gesamte europäische Finanzsystem auswirken können, hat nun eine gemeinsame Analyse der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB) untersucht. Der Ende Juli 2022 veröffentlichte Bericht "The macroprudential challenge of climate change" legt offen, wie sich Klimarisiken gegenseitig verstärken und welche Faktoren dieses Gefahrenpotenzial zusätzlich antreiben. Dabei stützt sich der Report auf frühere Analysen von EZB und ESRB zur Überwachung von Klimarisiken. 

Er ist außerdem Teil der Klimaagenda der EZB. Diese hat zum Ziel, die Risikobewertung zu verbessern, die gesamtwirtschaftlichen Klimastresstests aus dem Jahr 2021 zu aktualisieren sowie das Risikopotenzial für das Finanzsystem zu überwachen.

Plötzlichem CO2-Preis-Anstieg folgen Insolvenzen

Der Analyse zufolge erhöhe ein plötzlicher Anstieg der CO2-Preise bei entsprechenden wirtschaftlichen und finanziellen Verflechtungen die Wahrscheinlichkeit, dass die Insolvenz eines Unternehmens zur Zahlungsunfähigkeit eines anderen führt. Das treffe nicht nur für Betriebe mit einem hohen CO2-Ausstoß zu, sondern unter Umständen auch auf emissionsärmere Geschäftspartner.

Treten Naturgefahren wie Wasserknappheit, Hitzewellen oder Waldbrände, die miteinander gemeinsam auf, verschärfen sie die physischen Klimarisiken. Ihnen folgen im Ernstfall wirtschaftliche Schockwellen, die der Analyse zufolge eine abrupte Neubepreisung von Klimarisiken nach sich ziehen können und schließlich Notverkäufe auslösen. Das treffe vor allem Finanzinstitute mit Portfolioüberschneidungen hart, weil diese Unternehmen "gleichzeitig, schnell und in großer Zahl betroffene Vermögenswerte zu stark gefallenen Preisen verkaufen". 

Große Prognoseunsicherheit bei Klimarisiken

Einen Überblick über mögliche emissionsbedingte Risiken geben Hellmich, Kiesel und Siddiqui. So zeigen die Daten von United in Science (UiC), einer internationalen Organisation im Bereich Klimaforschung, "dass die globale Durchschnittstemperatur der Jahre 2015 bis 2019 die wärmste Fünfjahresperiode seit Beginn der Datenerhebung war", schreiben die Springe-Autoren auf Seite 4. "Daneben wachsen die CO2-Emissionen aus fossilen Energiequellen nach wie vor mit einer jährlichen Rate von über einem Prozent an und die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre beschleunigt sich." Falls die nach dem Pariser Klimaabkommen vereinbarten nationalen Bemühungen nicht intensiviert werden, wird der Höhepunkt der globalen Emissionen 2030 laut der Autoren nicht erreicht.

Die Unsicherheit hinsichtlich der projizierten Klimarisiken und ihrer möglichen Folgen muss mit der Unsicherheit hinsichtlich der Minderungs- und Anpassungsanstrengungen auf verschiedenen regionalen, wirtschaftlichen und politischen Sektoren kombiniert werden. Dies führt zu einem komplexen Analyseproblem, das gegenwärtig am besten im Rahmen von Szenarien und Stresstests analysiert werden kann", empfehlen die Springer-Autoren auf Seite 6.

Stresstest-Szenarien zeigen mögliche Verluste

Treten die in solchen Szenarien die in Carbon-Risiken begründeten Gefahren in einer bestimmten Abfolge auf, können sie sich im Finanzsystem manifestieren, lautet ein weiteres zentrales Studienergebnis. Die abrupte Veränderung der Marktpreise treffe in diesem Fall zunächst die Portfolios von Investmentfonds, Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften. "Anschließend könnte es durch diese plötzlichen Neubewertungen zu Unternehmensinsolvenzen und in der Folge zu Verlusten bei Banken mit entsprechenden Kreditforderungen kommen", prognostizieren EZB und ESRB. 

Im Falle eines sofortigen und beträchtlichen Anstiegs des Preises für CO2-Emissionen (ungeordneter Übergang) müssen Versicherer und Investmentfonds auf kurze Sicht mit Marktverlusten in Höhe von drei beziehungsweise 25 Prozent in ihren stressgetesteten Aktiva rechnen. 

"Geordneter Übergang" begrenzt Ausfälle

Ein geordneter Übergang zu Netto-Null-Emissionen bis 2050 könnte solche Schocks indes abmildern und die negativen Folgen für Unternehmen und Banken begrenzen. Die Wahrscheinlichkeit von Unternehmensausfällen wäre dann im Jahr 2050 zwischen 13 und 20 Prozent niedriger als bei den aktuell geltenden Maßnahmen. Auch die Kreditverluste der Banken würden in diesem Szenario geringer ausfallen", heißt es in dem Bericht. 

Um die treibenden physischen und Transitionsrisiken zu verstehen und zu quantifizieren, leisten Stresstests also "einen erheblichen Beitrag", meinen Hellmich, Kiesel und Siddiqui. Allerdings gebe es bei Design und Anwendung von klimabezogenen Stresstests "noch einen erheblichen Wissens- und Forschungsbedarf", mahnen die Springer-Autoren auf Seite 15. 

Makroprudenzielle Instrumente zügig anpassen

Wie also mit den Unsicherheiten in Bezug auf Klimarisiken und deren Folgen für Finanzmarkt und Gesamtwirtschaft umgehen? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, hat der Bericht mögliche Optionen für koordinierte europäische Maßnahmen beleuchtet. Das Ergebnis: "Derzeit scheint kein Instrument ohne Anpassungen sofort verfügbar und zweckmäßig zu sein", lautet die nüchterne Feststellung der Studienautoren.

Die Bestandsaufnahme der makroprudenziellen Maßnahmen, die im Gegensatz zur Bankenaufsicht die Stabilität des Finanzmarktes als Ganzes zum Ziel haben, zeige, dass nur angepasste oder weiterentwickelte Instrumente systemische Risiken in allen Bereichen begrenzen können. In einigen Fällen genügten hierbei aber schon geringfügigen Veränderungen. 

Insgesamt stelle allerdings die zeitliche Dimension des Systemrisikos eine große Herausforderung dar. Um damit umzugehen, bedürfe es einer Verbesserung der Quantität und der Qualität der zukunftsorientieren Berichterstattung. Denn entsprechende Offenlegungspflichten sorgten nicht nur für mehr Dekarbonisierungsanstrengungen in der Wirtschaft, sondern förderten auch die Transparenz und Preisbildung am Markt. 

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt

Das könnte Sie auch interessieren