Der Ukraine-Krieg hat die bekannte Ordnung ins Wanken gebracht. Nicht nur die Politik, auch Wirtschaftsbeziehungen werden neu geordnet. Und Unternehmen kommen nicht umhin, ihr Risikomanagement grundlegend zu prüfen.
Deutsche Regierungsmitglieder sind in den vergangenen Monaten eifrig auf Reisen gewesen. Das Ziel: Die Versorgung mit Energie hierzulande sicherzustellen und Handelsbeziehungen auszubauen, um den Wohlstand zu sichern. Denn mit dem Ukraine-Krieg ist eine Zeitenwende eingetreten und die geopolitischen Risiken haben sich verschärft.
Wirtschaftsmodell von Deutschland ist gefährdet
Deutschland müsse sich dringend umstellen, mahnt etwa der Präsident des ifo-Instituts Clemens Fuest. Dabei beruft er sich in seinem Gastbeitrag in der Zeitschrift "Wirtschaftsdienst" auf die Politikwissenschaftlerin Constanze Stelzenmüller. Diese sieht das Wirtschaftsmodell Deutschland äußerst kritisch, denn das Land habe sein Wachstum nach China ausgelagert, seine Energieversorgung nach Russland und seine Sicherheitspolitik in die USA. (Seit 242)
Fuest rät Deutschland, sich auf europäischer Ebene stärker dafür einzusetzen, die Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Ländern zu vertiefen. Zudem müssten dringend Freihandels- und Investitionsabkommen mit den USA, lateinamerikanischen Staaten und anderen Regionen der Welt ausgebaut werden. Gleichzeitig sei es notwendig, "wirtschaftliche Abhängigkeiten mit größerem Tiefgang zu analysieren und bei größeren und einseitigen Abhängigkeiten Maßnahmen zu ergreifen". (Seite 243)
Geopolitisches Risikobewusstsein allein reicht nicht
Der Ukraine-Krieg hat hierzulande zweifellos den Blick auf geopolitische Machtachsen, die Globalisierung und risikobehaftete Lieferketten geschärft. Kein Wunder also, dass geopolitische Risiken laut dem 26. Pwc Global CEO Survey auf der Risikoagenda deutscher CEOs ganz nach oben gerückt sind, auf Platz zwei hinter das Inflationsrisiko. Doch ein erhöhtes Risikobewusstsein allein reicht nicht. "Notwendig ist ein fundiertes Verständnis geopolitischer Entwicklungen und die Ableitung konkreter unternehmerischer Maßnahmen", sagt Jens Paulus, Partner und Leiter Geopolitical Risk Advisory bei PwC Deutschland. Gemeinsam mit Peter Ebel hat er für das Beratungsunternehmen jüngst das Whitepaper "Renaissance der Geopolitik" verfasst.
Darin nennen die Autoren sechs Faktoren (Impact-Dimensionen), die den Einfluss geopolitischer Risiken auf unternehmerisches Handeln verdeutlichen. Außerdem beleuchten sie mögliche Folgewirkungen.
Impact-Dimensionen | Situationsbeschreibung | Folgen & Maßnahmen |
Sanktionen & Regulatorik | Der Konflikt zwischen den USA und dem Iran hat gezeigt, wie deutsche Unternehmen negativ von Sanktionen beeinflusst werden können, ohne selbst das primäre Ziel der Strafmaßnahmen zu sein. |
|
Investitionen & Finanzen | Die Eckpunkte der Globalisierung der vergangenen drei Jahrzehnte - Freiheit des Handels, Marktöffnung und Herrschaft des Rechts - werden zunehmend politisiert. |
|
Wertschöpfungsketten | Wertschöpfungsketten sind in besonderer Weise von geopolitischen Veränderungen betroffen. Die wirtschaftlichen Verflechtungen werden auch als politisches Druckmittel zweckentfremdet. |
|
Reputation | Wertegeleitetes Wirtschaften im globalen Spannungsfeld erhält immer stärkere Beachtung: Wirtschaft und Politik werden nicht mehr getrennt betrachtet. |
|
Cyber-Ssicherheit | Kritische Infrastruktur und strategisch wichtige Unternehmen sind beliebtes Ziel von Hackergruppen. Laut Bitkom Research wurden im vergangenen Jahr neun von zehn deutschen Unternehmen Opfer einer Cyber-Attacke. |
|
Corporate Security | Die von geopolitischen Entwicklungen hervorgerufene erhöhte Unsicherheit betrifft auch auf die physische Sicherheit von Mitarbeitenden und die unternehmerische Infrastruktur. Staatliche Akteure nutzen mitunter Sabotage und Wirtschaftsspionage, um Wettbewerber gezielt zu schwächen. |
|
Quelle: “Renaissance der Geopolitik“, PricewaterhouseCoopers, 2023 |
Geopolitische Risiken strategisch berücksichtigen
Zwar seien die einzelnen Impact-Dimensionen nicht neu, betonen die Pwc-Experten, interessant sei jedoch die Abhängigkeit der Risiken voneinander und ihre gegenseitige Beeinflussung. Vor allem müssten die wachsenden geopolitischen Risiken in die Managementprozesse und auch in die Strategie global tätiger Unternehmen einfließen.
Ralf Leitermann, Projektverantwortlicher für die Weiterentwicklung des Risikomanagements bei Thyssenkrupp Steel Europe, sieht ein Manko vor allem darin, dass Industrien oftmals Risikoursachen und -wirkungsketten nicht richtig bedenken. Es fehle am nötigen Mindset und der erforderlichen Agilität, um Ursache- und Wirkungsnetzwerke entlang ihrer wertorientierten Unternehmenssteuerung mit Blick auf die Zielerreichung zu analysieren, schreibt er in dem Beitrag "Agiles Risikomanagement sichert Unternehmensziele" in der Zeitschrift "Controlling & Management Review". (Seite 48)
Risikopolitik ist auch eine Frage der Unternehmenskultur
Zudem sollte für Unternehmen keinesfalls nur der gesetzliche Rahmen die Triebfeder für ihr Chancen- und Risikomanagement sein, mahnt Leitermann auf Seite 51. Vielmehr müssten Firmen die Vorteile des offenen Umgangs mit Chancen und Risiken sowie die rege Kommunikation darüber verstehen.
Die enge Verknüpfung von Unternehmenskultur und Risikopolitik betont auch Stefan Hunziker. "Dies zeigt sich daran, dass eine Risikopolitik festlegt, wie und in welchem Umfang das Risikobewusstsein im Unternehmen gesteigert werden soll. Insofern ist die Risikopolitik ein integraler Bestandteil der internen Schulung und Kommunikation im Bereich der Risikokultur. Sie macht deutlich, wie ein Unternehmen mit Unsicherheiten umgeht und wie das Risikobewusstsein der Mitarbeitenden gefördert werden muss", erklärt der Springer-Autor in dem Buchkapitel "Aufbau einer Enterprise Risk Governance". (Seite 202)