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22.11.2024 | Risikosteuerung | Im Fokus | Online-Artikel

Biodiversitätsrisiken sind für Banken kaum fassbar

verfasst von: Angelika Breinich-Schilly

4 Min. Lesedauer

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Biodiversitätsrisiken sind für Finanzdienstleister in ihrem Risikomanagement deutlich schwerer zu fassen als etwa Gefahren durch den Klimawandel. Dabei kann sich der Verlust der Artenvielfalt direkt auf die Institute auswirken. Doch es fehlen passende Metriken, Bewertungsverfahren und vor allem Daten. Diese Lücken gilt es zu schließen.

"Die Berichterstattung über biologische Vielfalt, Ökosysteme und deren Leistungen spielt innerhalb der EU CSRD und ihrer ESRS eine zentrale Rolle", stellt Tobias M. Wildner im Open-Access-Buch "Die Zukunft der Wirtschaftsberichterstattung" fest. Andere Berichterstattungsstandards und Regularien konzentrieren sich hingegen meist nur auf spezifische Teilaspekte. Dabei üben Wirtschaft und Gesellschaft sowohl Einfluss auf Ökosysteme und Arten aus und sind im Gegenzug von entsprechenden Ökosystemleistungen abhängig. 

Funktionierende Wirtschaft braucht Biodiversität

"Die Biodiversitätskrise ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit", postuliert Heiko Bailer, Leiter Quantitative Investments bei der LBBW Asset Management, in einem aktuellen Kommentar zur 29. UN-Klimakonferenz (COP29). Denn ohne eine ausgewogene Biodiversität sei eine funktionierende Weltwirtschaft "langfristig nicht denkbar". Allein für Deutschland habe der Faktencheck Artenvielfalt in diesem Jahr gezeigt, dass ein Drittel der Tier- und Pflanzenarten bestandsgefährdet ist. Die Lösung der Biodiversitätskrise dränge nicht zuletzt auch deshalb, weil sie eine große wirtschaftliche Komponente hat. "50 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes hängen direkt oder indirekt vom Naturkapital ab", so Bailer. Werde diese Krise nicht gelöst, "könnte sich alleine dadurch das globale Wachstum bis 2030 um 2,3 Prozent pro Jahr oder umgerechnet 2,7 Billionen US-Dollar verringern".

Hauptursachen sind Veränderungen der Erdoberfläche, Ausbeutung von Tieren und Pflanzen, Klimawandel, Verschmutzung und invasive Arten. Doch die Natur hat wesentliche Funktionen, auf die wir nicht verzichten können: Sie speichert Wasser, reguliert das Klima und bindet CO2. Da diesen Leistungen keine realen Kosten gegenüberstehen, wird ihr wirtschaftlicher Wert oft unterschätzt. Geschätzt 50 Prozent des weltweiten BIP (40 Billionen Euro jährlich) sind moderat bis stark von der Natur abhängig. Um die Artenvielfalt zu erhalten, wären hingegen 700 bis 1.000 Milliarden US-Dollar jährlich nötig. Eine vergleichsweise geringe Summe im Hinblick auf den hohen Nutzen", schreiben auch die Ökonomen der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) in einem Themen-Special zur diesjährigen Klimakonferenz in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku.

Verlust der Artenvielfalt schreitet voran

Wie real die Risiken sind, zeigen Daten der Weltnaturschutzunion IUCN. Diesen zufolge befinden sich von den insgesamt 147.500 erfassten Tier- und Pflanzenarten fast 41.500 in Bedrohungskategorien. Und diese Zahlen vom Sommer 2022 dürften sich mittlerweile noch erhöht haben. Das Artensterben gilt laut dem WWF neben der Klimakrise als die größte Bedrohung für den Planeten. Wie das Weltwirtschaftsforum in seinem "Global Risk Report 2024" berichtet, steht der Verlust der biologischen Vielfalt und der Zusammenbruch von Ökosystemen in den kommenden zehn Jahren an dritter Stelle der größten wirtschaftlichen Risiken, hinter extremen Wetterereignissen und kritischen Veränderungen der Erdsysteme.

Auch Finanzunternehmen sind mit dem Verlust der Artenvielfalt konfrontiert. Regulierungsbehörden verlangen von Banken, Biodiversitätsrisiken ähnlich wie Klimarisiken zu integrieren. Eine Umfrage des Beratungshauses KPMG zeigt, dass fast 70 Prozent der globalen Finanzinstitute diesen Gefahrenkomplex als ebenso bedeutend oder sogar bedeutsamer einstufen als die Folgen des Klimawandels.

Ein Beispiel liefern Finanzierungen in der Baubranche: "Die EU-Taxonomie definiert Nachhaltigkeitsstandards für Investitionen, welche im Einklang zu den gesetzten Klimazielen stehen", schreibt Christian Grabmair im Buch "Kreditprozessmanagement". Neben der Energieeffizienz gehören bei Neubauten auch Kriterien zur nachhaltigen Wassernutzung, der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung von Umweltverschmutzung und der Schutz der Biodiversität dazu.

Es fehlen verlässliche Daten und Bewertungsprozesse

"Die Vielzahl an Variablen, der Mangel an aussagekräftigen Daten und die Neuheit der Thematik stellen dabei besondere Herausforderungen für Banken dar", heißt es in einem Marktkommentar von KPMG von September zum Thema. Denn die Erfassung und Steuerung von Biodiversitätsrisiken - etwa im Rahmen von Investments oder Finanzierungen - ist komplex.

Es fehlt an nachvollziehbaren und einfachen Metriken, wie sie etwa der Ausstoß von CO2-Emissionen zur Ermittlung möglicher klimatischer Veränderungen liefert. Das erschwert eine klare und einheitliche Bewertung. Es fehle an einer durchgehenden Datenerhebung und präzisen Szenarien, um die vielschichtigen Wechselwirkungen von Biodiversitätsrisiken zu verstehen und strukturiert ins Risikomanagement zu integrieren.

Lücken in den Risikostrategien schließen

Um die Lücken in den Risikostrategien zu schließen, sollten Finanzdienstleister in fünf zentralen Handlungsbereichen aktiv werden:

  1. Definition und Strukturierung: Banken sollten zunächst klare Definitionen und Kategorien für Biodiversitätsrisiken entwickeln. Die Identifikation und Sortierung relevanter Risikotreiber ist entscheidend, um die komplexe Thematik handhabbar zu machen und den Verlust an Biodiversität gezielt in das Risikomanagement zu integrieren.
  2. Entwicklung und Anwendung spezifischer Bewertungsmetriken: Da Biodiversitätsrisiken nicht durch eine klare Kennzahl gemessen werden können, sollten die Institute mit branchenspezifischen Organisationen zusammenarbeiten, um geeignete, standortbezogene Messmethoden und Datenquellen zu entwickeln. Dies könnte auch bedeuten, synergetische Ansätze zu nutzen, die bestehende Klimadaten mit biodiversitätsrelevanten Informationen kombinieren.
  3. Erweiterung der Risikobewertung auf das Kreditportfolio: Analog zur Klimastrategie sollte das direkte Kreditportfolio auf Biodiversitätsrisiken untersucht werden. Dabei sind physische und transitorische Risiken sowie Reputationsrisiken zu berücksichtigen. Banken sollten hierzu sachbezogene Informationen bei Kunden einholen und in ihre Bewertung einbeziehen.
  4. Aufbau einer datenbasierten Infrastruktur: Da die Datenlage oft noch lückenhaft ist, sollten Banken in entsprechende Infrastrukturen investieren. Auch Kooperationen mit Umweltorganisationen und wissenschaftlichen Instituten sind eine sinnvolle Maßnahme, um belastbare Informationen zu gewinnen. Ziel ist es, Daten zu Ökosystemen und Biodiversität kontinuierlich zu verbessern und damit eine verlässliche Basis für Risikobewertungen zu schaffen. Standards können dabei helfen, diese in bestehende Risikomanagementsysteme zu integrieren.
  5. Berücksichtigung regulatorischer Anforderungen und Vorbereitung auf künftige Vorgaben: Die Finanzhäuser sollten mit Blick auf steigende regulatorische Anforderungen im Hinblick auf die Artenvielfalt proaktiv in ihre Strategien einbinden und sich auf künftige Auflagen vorbereiten. Durch den Aufbau einer entsprechenden Governance-Struktur, die Biodiversitätsrisiken genauso ernst nimmt wie Klimarisiken, verbessern die Unternehmen langfristig ihr Risiko- und Reputationsprofil.

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