Eine lückenhafte Datenlage erschwert bislang die Einschätzung der Banken zu Risiken und Auswirkungen des Klimawandels auf ihr Geschäft und die gesamte Finanzbranche. Nun will die EZB mit statistischen Indikatoren für mehr Durchblick sorgen.
"Wir müssen besser verstehen, wie sich der Klimawandel auf den Finanzsektor und umgekehrt auswirken wird. Hierzu ist die Entwicklung qualitativ hochwertiger Daten unabdingbar", so Isabel Schnabel, Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB), zur Veröffentlichung der ersten klimabezogenen statistischen Indikatoren der Notenbank. Mit diesen soll die die Finanzbranche die Auswirkungen entsprechender Risiken nicht nur besser einschätzen, sondern auch die Entwicklung nachhaltiger Finanzierungsformen beobachten können. Die Indikatoren sind laut Schnabel ein erster Schritt "zur Verringerung der Klimadatenlücke, was von entscheidender Bedeutung ist, um Fortschritte auf dem Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu erzielen".
Dabei galt vor rund 15 Jahren die Europäische Investitionsbank (EIB) mit ihrem Climate Awareness Bond (CAB) mit weltweit als Vorreiterin in einem sehr kleinen Nischensegment. Mittlerweile sind grüne Anleihen zur Finanzierung der nachhaltigen Transformation zum Mainstream avanciert und aus dem Portfolio den Banken nicht mehr wegzudenken.
Doch die Ende 2022 veröffentlichten Ergebnisse einer Untersuchung der Aufsichtsbehörde Bafin und der Deutschen Bundesbank belegen, dass es bei kleinen und mittelgroßen deutschen Instituten trotz der Fortschritte im Umgang mit Klima- und Umweltrisiken noch genügend Luft nach oben gibt. Diese "bewegen sich zum Teil noch auf einem relativ bescheidenen Niveau", teilte die Aufsicht Mitte Dezember mit.
Umgang mit Klima- und Umweltrisiken ausbaufähig
Die Stichprobe umfasste eine Auswahl von 17 Geldhäusern unter direkter deutscher Aufsicht. Von diesen habe keines in der Gesamtbewertung fortgeschrittene Praktiken, sogenannte Emerging Practices, beim Umgang mit Klima- und Umweltrisiken nachweisen können. Die Mehrheit habe aber immerhin grundlegende Praktiken (Basic Practices) implementiert. Verbesserungspotenzial gibt es der Bafin zufolge in den Bereichen Unternehmensführung und Risikoappetit, Risikomanagementrahmen sowie Kreditrisiko. Genau hier könnten die neuen klimabezogenen Indikatoren der EZB mehr Licht ins Dunkel bringen.
Experimentelle Daten erfüllen dabei viele, allerdings nicht alle Qualitätsanforderungen, teilt die EZB mit. Dagegen haben analytische Daten eine geringere Qualität und unterliegen gewissen Einschränkungen, "die mitunter erheblich sind". Die Indikatoren seien daher nicht final, sondern sollen "eine breitere Diskussion in den Bereichen Statistik und Forschung sowie mit anderen wichtigen Akteuren zu der Frage anzustoßen, wie sich Daten zu klimabezogenen Risiken und zur Transition zu einer klimafreundlichen Wirtschaft besser erfassen lassen".
Indikatoren decken drei Kernbereiche ab
Gemeinsam mit den nationalen Notenbanken will die EZB daher die Methodik sowie die verwendeten Daten zu verbessern. Als zentrale neue Datenquellen sieht die Zentralbank die klimabezogene Offenlegung und Berichterstattung. Um sicherzustellen, dass die Indikatoren zugänglich und replizierbar sind, werden vorhandene Daten des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) oder sonstige öffentlich zugängliche Daten verwendet. Konkret decken die Indikatoren drei Bereiche ab:
- Experimentelle Indikatoren zur nachhaltigen Finanzierung sollen einen Überblick über im Euroraum begebene oder gehaltene Schuldtitel, die von den Emittenten als grüne Anleihen, soziale Anleihen, Nachhaltigkeitsanleihen oder an Nachhaltigkeitsziele gebundene Anleihen klassifiziert werden. Denn in den vergangenen beiden Jahren habe das Volumen dieser nachhaltigen Bonds mehr als verdoppelt hat und sei deutlich schneller gewachsen ist als der Anleihemarkt im Euroraum insgesamt. Die Indikatoren sollen hier nicht nur für mehr Transparenz sorgen, sondern auch den Fortschritt der Transition zu einer treibhausgasneutralen Wirtschaft aufzeigen. „Allerdings sind die Daten aufgrund mangelnder international anerkannter und harmonisierter Standards, wie grüne oder nachhaltige Anleihen zu definieren sind, insgesamt weniger verlässlich“, betont die EZB.
- Analytische Indikatoren zu den von Finanzinstituten finanzierten CO2-Emissionen liefern sowohl Informationen zur CO2-Intensität der Wertpapier- und Kreditportfolios der Finanzinstitute als auch Informationen zum Finanzierungsumfang des Finanzsektors gegenüber Geschäftspartnern, deren Geschäftsmodelle kohlenstoffintensiv sind. Im Euroraum werden die meisten der über Anteilsrechte oder Anleihen finanzierten CO2-Emissionen von Investmentfonds gehalten, zeigen vorläufige Ergebnisse. "Die Daten deuten allerdings darauf hin, dass im relativen Vergleich die kohlenstoffintensivsten Geschäftstätigkeiten über den Bankensektor finanziert werden, da die von ihm finanzierten Unternehmen durch ihre Geschäftsaktivitäten mehr CO2ausstoßen, um ein bestimmtes Einnahmenniveau zu erreichen."
- Analytische Indikatoren zu klimabedingten physischen Risiken seien darauf fokussiert, wie sich Naturkatastrophen wie beispielsweise Überschwemmungen, Waldbrände oder Stürme auf die Wertentwicklung von Kredit-, Anleihe- und Aktienportfolios auswirken. Während bei Stürmen das bestehende Risiko Finanzportfolios im Eurogebiet allgemein betrifft, sei das Risiko schwerer Schäden eher gering. Im Gegensatz dazu treten Überschwemmungen zwar nur in Küstennähe und Flussgebieten auf, doch die Schäden und Verluste seien höher einzuschätzen.
Im Juli 2022 veröffentlichte die EZB einen detaillierten Maßnahmenplan zur Berücksichtigung von Klimaschutzaspekten in ihrem geldpolitischen Handlungsrahmen. Im Oktober 2022 begann sie, ihre Bestände an Unternehmensanleihen zugunsten von Emittenten mit einer besseren Klimabilanz auszurichten. Das Institut sieht in der Veröffentlichung der klimabezogenen Indikatoren einen Schritt zur Erfüllung seiner Klimaschutzverpflichtungen.