Ob Seltene Erden, Platin oder Palladium: Die Autoindustrie ist auf diese Rohstoffe angewiesen. Wie die EU-Rohstoffpolitik und Chinas Rohstoffdominanz die Versorgung der Industrie beeinflussen, erklärt Matthias Rüth von Tradium im Interview.
springerprofessional.de: China treibt den globalen Wettbewerb für Elektromobilität an. Das Land dominiert die Batterieindustrie und auch die Rohstoffvorkommen für das E-Auto. Wie hat China diesen Aufstieg im Bereich der E-Mobilität geschafft?
Rüth: Chinas Aufstieg im Bereich der Elektromobilität ist das Ergebnis langfristiger Planung und staatlicher Förderung. Bereits Anfang der 2000er Jahre wurden Pläne geschmiedet, um in die heimische E-Autobranche zu investieren und einen Vorsprung in diesem Zukunftsmarkt zu erzielen. 2009 startete die Regierung umfangreiche Fördermaßnahmen, die Angebot und Nachfrage nach E-Autos ankurbelten. Diese umfassten Kaufprämien in Milliardenhöhe, schnellere Kfz-Zulassungen, Steuererleichterungen und vergünstigte Kredite für heimische Hersteller wie BYD sowie Subventionen für ausländische Unternehmen wie Tesla. Dadurch sicherte sich China eine führende Rolle in der globalen Batterieindustrie und ging zugleich Probleme wie die starke Luftverschmutzung in den Ballungsräumen und die Abhängigkeit von Ölimporten an.
Seltenerdmetalle, die etwa für die Herstellung von Magneten für Elektromotoren benötigt werden, werden vor allem in China abgebaut und weiterverarbeitet. Wie konnte China diese Rohstoffdominanz erreichen?
Die Gründe für Chinas Dominanz in der E-Mobilität gelten auch für das Quasimonopol bei Seltenen Erden: Durch strategische Investitionen im Bergbau und in den nachgelagerten Wertschöpfungsketten sicherte sich das Land eine Vorreiterrolle – weltweit führendes Know-how und modernste Technologien miteingeschlossen. Bereits vor 30 Jahren erkannte die Regierung das Potenzial der Rohstoffe. Staatliche Unterstützung und eine konsolidierte Industriepolitik ermöglichten den Ausbau der Produktionskapazitäten. Zudem profitiert das Land von seinen umfangreichen Bodenschätzen. Die chinesische Rohstoffstrategie reicht jedoch weit über das Land hinaus, indem man sich außerhalb der eigenen Grenzen Zugang zu kritischen Mineralien sichert und die Bezugsquellen im Ausland breit diversifiziert.
Die Europäische Union (EU) stuft die Versorgung mit Seltenen Erden als kritisch ein. Wie groß ist der Bedarf an Seltenerdmetallen?
Alle Seltenen Erden sind durch die EU als kritisch eingestuft. Für einige Erden ist das Versorgungsrisiko jedoch besonders hoch und sie gelten damit als strategisch. Dies sind Neodym, Praseodym, Terbium, Dysprosium, Samarium und Cer und Gadolinium, die in Oxidform für die Herstellung von Permanentmagneten dringend benötigt werden. Laut Schätzungen der EU könnte der weltweite Bedarf an Seltenen Erden bis 2030 um bis zu 50 % oder mehr ansteigen. Um den exakten Bedarf zu quantifizieren, ist es entscheidend, die spezifischen Anwendungen zu betrachten, insbesondere die schon erwähnte Produktion von Permanentmagneten. Zu deren wesentlichen Anwendungsfeldern zählen neben der Unterhaltungselektronik auch klimafreundliche Technologien wie E-Mobilität und Windkraft. Für den europäischen Markt wird bis 2030 ein Bedarf von 5.500 t pro Jahr prognostiziert.
Chinas Regierung hat kürzlich schärfere Regelungen zum Abbau und zur Verwendung von Seltenen Erden erlassen. Die Regeln sollen am 1. Oktober dieses Jahres in Kraft treten. Welche Auswirkungen hat das auf den Rohstoffmarkt?
Die neuen Verordnungen stellen klar, wem die Ressourcen gehören: dem Staat. Sie zielen darauf ab, den Abbau und die Verarbeitung aufzuwerten und Peking gleichzeitig eine maximale Kontrolle über die Rohstoffe gewährleisten. Die aktuelle Maßnahme ist nur eine von vielen Verordnungen rund um wichtige Industriemetalle. Bereits im Dezember 2023 trat ein Exportverbot für Seltenerdtechnologien in Kraft. Auch zu strategischen Rohstoffen wie Gallium und Germanium sowie Graphit gibt es seit dem vergangenen Jahr staatliche Vorgaben. Ab Mitte September wird die Ausfuhr von Antimon genehmigungspflichtig. Die Geschwindigkeit, mit der politische Maßnahmen verkündet und umgesetzt werden, hat in den vergangenen Monaten stark zugenommen. Dies setzt westliche Industrien unter Druck, während China seine Dominanz im globalen Markt festigt.
Mit dem Critical Raw Materials Act (CRMA) will die EU für die aufstrebende europäische Batterieindustrie eine sichere Versorgung mit Rohstoffen gewährleisten. Was bringt der CRMA?
Der CRMA zielt darauf ab, die Versorgung der europäischen Batterieindustrie mit kritischen Rohstoffen wie Lithium zu sichern. Aktuell ist Europa bei aufbereitetem Lithium zu 79 % von Importen aus Chile abhängig. Um dieser Abhängigkeit entgegenzuwirken, sollen bis 2030 mindestens 10 % der benötigten Rohstoffmengen in Europa abgebaut werden. Dazu kommt, dass durch heimische Verarbeitung 40 % abgedeckt werden sollen. Die dritte Säule im Rohstoffgesetz ist das Recycling der Rohstoffe, bei der eine Quote von 25 % angestrebt wird. Bereits jetzt werden in der EU rund 50 % der Batterien am Ende ihrer Lebensdauer wiederverwertet. Insgesamt ist der CRMA ein wichtiger Schritt zur Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit der europäischen Batterieindustrie.
Wie groß ist das Potenzial des Recyclings von Seltenen Erden und wie könnte eine Kreislaufwirtschaft für diese Rohstoffe entstehen?
Das Potenzial bei der Wiederaufbereitung ist enorm, besonders bei Permanentmagneten. 2023 wurden in Europa fast 21.000 t dieser Magnete aus End-of-Life-Geräten entsorgt, wobei aktuell weniger als 1 % zurückgewonnen wird. Die aktuell immer noch vergleichsweise niedrigen Preise für Primärrohstoffe, die von China diktiert werden, machen Recycling noch nicht rentabel. Erst bei deutlich steigenden Rohstoffpreisen wird die Wiederaufarbeitung wirtschaftlich attraktiv. Dazu könnten auch effizientere Recyclingtechnologien und Design for Recycling beitragen. Momentan werden im Schnitt nur 29 g Seltene Erden je Gerät zurückgewonnen. Industrieabnehmer müssen außerdem überlegen, ob sie bereit sind, höhere Preise für recycelte Rohstoffe zu zahlen. Dies erfordert möglicherweise eine Neuausrichtung der Einkaufspolitik.
Lassen Sie uns einen Blick auf die Platingruppenmetalle werfen. Platin wird zur Herstellung von Katalysatoren für Dieselfahrzeuge verwendet, Palladium für Katalysatoren bei Benzinern. Doch die Zahl der batterie-elektrischen Fahrzeuge nimmt zu. Welche Marktentwicklung erwarten Sie hinsichtlich dieser Edelmetalle?
Die Nachfrage hängt stark von globalen politischen Entscheidungen ab, insbesondere in der EU, den USA und China. Eine zentrale Frage ist, ob die Förderung von E-Fahrzeugen anhält oder der Verbrenner ein Comeback erlebt. In Europa wird diese Debatte seit der Europawahl im Mai intensiv geführt. Sollte das geplante Verbrenner-Aus für 2035 aufgehoben oder relativiert werden, dürfte die Nachfrage stabil bleiben. Setzt sich der Trend zu E-Fahrzeugen fort, könnte der Bedarf sinken.
Finanzielle Aspekte spielen ebenfalls eine Rolle: In den vergangenen Monaten sind die Preise für Palladium und Rhodium gefallen, was einige Bergbauunternehmen angesichts steigender Betriebskosten zur Reduzierung ihrer Produktion veranlasst hat. Diese Angebotsverknappung könnte die Preise stützen, wenn die Nachfrage stabil bleibt.
Platin kommt auch in Brennstoffzellen zum Einsatz. Inwiefern lässt sich der Rückgang der Nachfrage nach Platin im Bereich Verbrennungsmotortechnologie durch die Wasserstofftechnologie kompensieren?
Platin spielt eine zentrale Rolle in der Automobilindustrie, es wird zur Abgasreinigung in Katalysatoren benötigt. Der Verbrauch liegt aktuell bei ungefähr 102 t im Jahr, die Primärproduktion beläuft sich derzeit auf circa 180 t. Durch die Energiewende wird Platin wichtig in der Wasserstofftechnologie, sowohl in Brennstoffzellenfahrzeugen als auch der Wasserstoffproduktion mittels Elektrolyse. Laut dem World Platinum Investment Council könnte die breite Einführung von Autos mit einem Antrieb auf Wasserstoffbasis die jährliche Platinnachfrage treiben. 2034 dürfte der Bedarf in diesem Segment bei 93 t jährlich liegen. Das zeigt einmal mehr, dass die Anwendungsbereiche von Rohstoffen einem Wandel unterliegen: Fällt ein Verwendungszweck weg, wird oftmals ein neuer, innovativer Einsatzbereich erschlossen.