Grüner Wasserstoff, Elektroautos und digitale Technologien führen zu neuen Rohstoffbedarfen. 2040 dürfte die Nachfrage nach einigen Metallen die heutige Produktionskapazität um ein Vielfaches übersteigen.
Ohne Scandium keine Elektrolyse, ohne Seltene Erden keine elektrischen Traktionsmotoren, ohne Platin kein Rechenzentrum. Jede Technologie beginnt mit dem passenden Rohstoff, und die sichere Rohstoffversorgung ist für die Industrie in Deutschland und Europa elementar, um auch mit Zukunftstechnologien im Wettbewerb bestehen zu können. In Deutschland entfiel im Jahr 2018 16 % des Werts aller Einfuhren auf Rohstoffe, knapp die Hälfte davon waren Metalle sowie Metallzwischen- und -halbzeuge. Bei vielen Rohstoffen ist Deutschland vollständig auf Importe angewiesen.
Bereits heute führt die weltweite Konkurrenz zu teilweise hohen Rohstoffpreisen, und die Beschaffungsrisiken dürften künftig noch weiter zunehmen. So beklagt etwa die Bundesregierung die große Marktmacht einzelner Länder und Unternehmen bei der Gewinnung kritischer Erze und Metalle, und dass staatlich gesteuerte Rohstoffpolitiken internationale Wettbewerbsstandards teilweise ausgehebeln. Adressat für die Kritik dürfte insbesondere China sein. Das Land dominiert nicht nur die Produktion einzelner Rohstoffe wie Seltene Erden oder Wolfram, sondern es gilt zugleich als besonders restriktiv hinsichtlich Rohstoffexporten und ausländischen Direktinvestitionen in Rohstoffunternehmungen, wie Marc Schmid in der Einführung zum Buch Unternehmerische Rohstoffstrategien erläutern.
Maßnahmen für sichere Rohstoffversorgung
Damit die Entwicklung neuer Technologien nicht schon an fehlenden Grundmaterialien scheitert, hat die Bundesregierung im Jahr 2020 die zweite Auflage ihrer Rohstoffstrategie veröffentlicht. Unter anderem erwägt sie darin, die Gewinnung von Metallen wie Kupfer, Lithium oder Nickel in Europa wiederzubeleben. Rohstoffe könnten durch staatlichen Eingriff in jenen Bereichen gesichert werden, wo marktwirtschaftliche Mechanismen nicht mehr funktionieren. Zudem will sich die Bundesregierung mit der Absicherung von Krediten für Rohstoffvorhaben im Ausland beschäftigen, sofern deutsche Unternehmen über langfristige Abnahmeverträge verfügen und Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards eingehalten werden. Auch die Kreislaufwirtschaft soll gestärkt werden, wobei insbesondere wirtschaftliche Prozesse zum Recycling von Seltenen Erden, Indium oder Lithium entwickelt werden sollen.
Vier Ansätze für eine sicherere Rohstoffversorgung fasst die Deutsche Rohstoffagentur (Dera) zusammen:
- Ausbau und höhere Effizienz von Erzabbau und Metallgewinnung
- Substitution schwer verfügbarer Materialien
- Effizienter Umgang mit Ressourcen in Produktion und Anwendung
- Recyclinggerechtes Design, Strategien zur Kreislaufführung von Werkstoffen, effiziente Recyclingtechnologien.
Rohstoffe für Mobilität, Industrie 4.0 und Energie
Doch selbst bei perfekter Umsetzung könnten die genannten Maßnahmen nicht genügen, wenn neue Technologien den Rohstoffbedarf grundlegend verändern. Dass sich die Nachfrage nach einigen Metallen und Mineralien in einer von Digitalisierung, Mobilitätswandel und Defossilisierung geprägten Wirtschaft deutlich wandeln könnte, legt nun eine durch die Dera beauftragte Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI und des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM dar. Für die Studie haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 33 Technologien wie Batterien, Elektrolyse, 5G-Mobilfunk, Rechenzentren oder Leichtbau den fünf Clustern "Mobilität, Luft- und Raumfahrt", "Digitalisierung und Industrie 4.0", "Energietechnologien und Dekarbonisierung", "Kreislauf- und Wasserwirtschaft" sowie "Strom- und Datennetzwerke" zugeteilt. Neben den Hochtechnologien beinhalten die Cluster auch etablierte Technologien, etwa für den nötigen Ausbau der Stromnetze.
Für die Abschätzung des Rohstoffbedarfs im Jahr 2040 legen die Wissenschaftler unterschiedliche Szenarien zugrunde, die berücksichtigen, wie stark sich Wirtschaft und Gesellschaft zukünftig an Nachhaltigkeitszielen orientieren. Für einzelne Metalle führen die Szenarien zu stark unterschiedlichen Bedarfen.
Großer Bedarf an Scandium, Lithium und Seltene Erden
In einer nachhaltigkeitsorientieren Industrie dürfte die Nachfrage nach Scandium und Lithium die Produktionsmenge aus dem Jahr 2018 um das acht- beziehungsweise sechsfache übersteigen, wobei der hohe Bedarf vor allem von den umfassend eingesetzten Wasserstofftechnologien und der Elektromobilität getrieben wird. In einer weiterhin stark fossil geprägten Welt dürfte Nachfrage nach den beiden Rohstoffe hingegen sogar sinken. Umgekehrt verhält es sich bei Ruthenium: Große Datenmengen und Speicherkapazitäten in Rechenzentren würden die Nachfrage in einem fossilen Szenario verneunzehnfachen, während sich der Bedarf im Nachhaltigkeitsszenario nur um das 2,4-fache erhöhen würde.
In ihrer Schlussfolgerung heben die Autorinnen und Autoren insbesondere die Lithium-Ionen-Hochleistungsspeicher, Feststoffbatterien und elektrische Traktionsmotoren hervor, die den Bedarf an Lithium, Kobalt und Seltenerdenmetallen maßgeblich beeinflussen dürften. Im Cluster Digitalisierung und Industrie 4.0 treiben Rechenzentren durch den großen Bedarf an HDD-Festplatten die Nachfrage nach Ruthenium und Platin. Die größte Rolle im Cluster Energietechnologien und Dekarbonisierung spielt die Elektrolyse für die CO2-freie Herstellung von Wasserstoff. Je nach eingesetzter Technologie steigt dabei der Bedarf an unedlen Metallen (Alkalische Elektrolyse), Iridium und Platin (Polymerelektrolytmembran-Elektrolyse) oder an Scandium und Iridium (Festkörperoxid-Elektrolyse).
Was Unternehmen tun können
Wie Unternehmen kritische Versorgungslagen überbrücken oder überwinden können, erläutert Marc Schmid im Kapitel Einordnung und Theorie des Buchs Unternehmerische Rohstoffstrategien. Für die Ausrichtung ihrer Rohstoffstrategie sollten Unternehmen Schmid zufolge ein Bündel von Maßnahmen berücksichtigen:
- Substitution von kritischen Rohstoffen
- Verwendung von Rezyklat
- Lagerhaltung von Rohstoffen und Vorprodukten
- Hedging zur Absicherung von Risiken an Finanzmärkten
- Weitergabe von Preisausschlägen an Kunden
- Direkter Zugang zu Rohstoffen, beispielsweise mittels Beteiligung an Unternehmen der Rohstoffgewinnung.
Ergänzend empfehlen die Autorinnen und Autoren der Dera-Studie, dass die Verfügbarkeit von Rohstoffen bereits in der frühesten Phase einer Technologieentwicklung berücksichtigt werden sollte. Dabei sollten sich die Unternehmen jedoch nicht allein von aktuellen Rohstoffpreisen lenken lassen, da sie kein Maß für die langfristige Verfügbarkeit eines Rohstoffs seien.
Von der Preisspitze zum Preissturz in 10 Jahren
Mit der Problematik rund um die Preisentwicklung kritischer Rohstoffe befassen sich auch Florian Neukirchen und Gunnar Ries in der Einführung zum Buch Die Welt der Rohstoffe. Zwar passt sich die geförderte Metallmenge so weit wie möglich dem Bedarf an, allerdings reagiert die Produktion auch nur sehr träge auf eine veränderte Marktlage. Eine neue Mine zu erschließen dauert zehn Jahre oder länger. Zugleich ist auch die Kapazitätsausweitung bestehender Anlagen sehr kostspielig. Problematisch wird es, wenn der Bedarf, und damit der Preis für einen Rohstoff plötzlich steigt. Dann gehen möglicherweise so viele Minen gleichzeitig in Betrieb, dass der Preis anschließend wieder abstürzt.