Pflanzenblätter regulieren ihren Nährstoff- und Wasserhaushalt über sogenannte Spaltöffnungen. Diese winzigen Poren dienen einerseits zur Aufnahme von lebenswichtigem Kohlendioxid aus der Luft, das per Fotosynthese zur Energiequelle Zucker verarbeitet wird. Andererseits sind die Spaltöffnungen das wichtigste Instrument von Pflanzen zur Flüssigkeitsregulierung durch die Abgabe von Wasserdampf. Entscheidend ist dabei, dass das Gleichgewicht stimmt: Sind die Spaltöffnungen komplett geschlossen, verlieren sie durch Verdunstung zwar kaum noch Wasser, können aber auch kein Kohlendioxid mehr aufnehmen. Umgekehrt ermöglichen weit geöffnete Poren das verstärkte Einströmen von Kohlendioxid, der Preis dafür ist aber ein großer Wasserverlust.
Wie die internationale Studie "Camouflaged as degraded wax: hygroscopic aerosols contribute to leaf desiccation, tree mortality, and forest decline" zeigt, kann dieses Gleichgewicht durch die Einwirkung von Feinstaub stark beeinträchtigt werden.
In sauberer Luft verlieren Bäume weniger Wasser
Die Forschungsgruppe aus Wissenschaftlern der Universität Bonn, des Centre of Ecology and Hydrology in Edinburgh, des Meteorological and Hydrological Service in Zagreb und der University of California at Riverside beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit der Erklärung von Waldschäden nach Trockenperioden. Das Augenmerk der Untersuchungen richtet sich auf einen dabei bislang wenig beachteten Faktor: die Anreicherung von Aerosolen auf Blättern und die damit verbundenen Auswirkungen. Als Aerosole werden flüssige oder feste Partikel von 0,01 bis 100 Mikrometer Durchmesser in der Luft bezeichnet, unter 10 Mikrometer Durchmesser auch Feinstaub genannt. Eine von 2015 bis 2017 laufende Studie zeigt nun folgendes Ergebnis: Kiefern, Weißtannen und Stieleichen, die in Gewächshäusern mit gefilterter und daher fast feinstaubfreier Luft gediehen, verdunsteten weniger Wasser als solche, die in der mäßig verschmutzten Bonner Umgebungsluft aufwuchsen.
Die Erklärung: 30 bis 50 Prozent der europäischen Aerosole sind Salze und erleichtern die Kondensation von Wasserdampf. Atmosphärischer Feinstaub ist also keineswegs immer "staubtrocken", sondern kann auch Feuchtigkeit aus der Umgebung an sich binden. Wenn sich solch ein hygroskopischer Feinstaub auf Blättern oder Nadeln ablagert, entsteht in Verbindung mit dem aus den Poren entweichenden Wasserdampf eine flüssige, salzhaltige Lösung. Diese dringt als dünner Film in die Spaltöffnungen ein. So bildet sich eine durchgängige, sehr dünne Flüssigwasserverbindung zwischen Blattinnerem und Blattoberfläche, die wie ein Docht wirken kann. Die Spaltöffnungen verlieren damit einen Teil der Kontrolle über die Verdunstung, und die Pflanzen sind stärker von Austrocknung bedroht. Unter dem Elektronenmikroskop erscheinen diese Salzlösungen als Krusten, die von geschädigten Bäumen bekannt sind. Bislang waren diese Erscheinungen als "Wachsverschmelzungen" bezeichnet worden, ohne eine schlüssige Erklärung dafür zu finden.
Feinstaub als ungewisser Risikofaktor
Die globale Tragweite der Entdeckung lässt sich noch nicht genau einschätzen. Fest steht jedoch: Die in der aktuellen und in vorangehenden Gewächshausstudien verwendeten Aerosol-Konzentrationen lagen unter den in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern gemessenen Werten. Die Feststellung von substanziellen biologischen Auswirkungen bei bereits moderaten Belastungsgraden lässt für Regionen mit höheren Konzentrationen und Ablagerungsraten von hygroskopischem Aerosol eher auf größere Auswirkungen und biologische Risiken schließen. Wie die Springer-Autoren Martin G. Schultz, Dieter Klemp und Andreas Wahner im Buchkapitel Luftqualität aufzeigen, könnte sich die Feinstaubbelastung durch den Klimawandel künftig verschärfen. Zumindest erwarten die Autoren bei einer voraussichtlichen Zunahme von Dürreperioden und blockierenden Wetterlagen einen weiteren Anstieg der Feinstaubkonzentrationen.