Die Schlussbetrachtung eröffnet mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse, welche nach den drei Forschungsinteressen strukturiert ist.1 Aus den Ergebnissen zu den Forschungsinteressen soll dann final eine Schlussfolgerung zur Leitfrage der Arbeit gegeben werden (Kapitelabschnitt 6.1). Darauf folgen dann theoretische und praktische Implikationen verknüpft mit der eigenen Beurteilung der Untersuchung anhand der vordefinierten Leitprinzipien wissenschaftlicher Arbeiten2 (Kapitelabschnitt 6.2). Das Kapitel schließt mit weiteren Forschungsbedarfen, die sich unter anderem an den zuvor ebenfalls adressierten Limitationen der Arbeit orientieren (Kapitelabschnitt 6.3).
6.1 Die Rolle der Marke bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern – Zusammenfassung
Die Leitfrage der Arbeit bestand darin, die Rolle der Marke bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern zu untersuchen. Um sich der Leitfrage der Arbeit zu nähern, wurden zu Beginn drei Forschungsinteressen formuliert, die nach der Analyse der relevanten Forschungsfelder und durch Identifikation von Forschungslücken in insgesamt fünf Forschungsbedarfe präzisiert wurden.3 Nachfolgend werden die Ergebnisse nach den drei Forschungsinteressen strukturiert präsentiert. Grundlage der Ergebnisse bildet eine web-basierte Umfrage unter 335 Respondenten, überwiegend aus den Funktionsbereichen Beschaffungs- Logistik-, und Supply-Chain-Management.4
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Forschungsinteresse 1
FI 1:
Inwiefern wird die Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern als Selektionskriterium beachtet?
FB 1:
Bestimmung der relativen Wichtigkeit der Marke als Selektionskriterium bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern – Messung der Markenwichtigkeit (Konstantsummenskala)
Mit Hilfe einer Konstantsummenskala konnte die Markenwichtigkeit in Relation zu fünf weiteren Selektionskriterien (Kosten, Qualität, Beziehung, Technologie, Services) deskriptiv bestimmt werden. Unter den sechs vorausgewählten Selektionskriterien weist die Marke die geringste Wichtigkeit auf. Kosten, Qualität und die Beziehung zum Logistikdienstleister dominieren als klassische Selektionskriterien die strategische Auswahl von Logistikdienstleistern. Demnach kann der Marke als Selektionskriterium eine sekundäre Rolle attestiert werden.5
Forschungsinteresse 2
FI 2:
Inwiefern kann die Berücksichtigung der Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern konzeptionell gefasst werden?
Als Ergebnis der Literaturanalyse wurde die Markensensibilität als Konzept identifiziert, um die Berücksichtigung von Marken bei der Auswahl von Logistikdienstleistern zu erfassen und zu messen. Bestehende Forschungsbeiträge konzeptualisieren und operationalisieren die Markensensibilität allerdings auf Buying-Center-Ebene, wohingegen die vorliegende Arbeit eine Untersuchung auf individueller Ebene anstrebt.6 Aufgrund dessen wurden Anpassungen hinsichtlich der Definition als auch der Messung über zwei verschiedene Ansätze umgesetzt.
FB 2a:
Direkte Messung der Markensensibilität auf Individualebene.
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Der erste Ansatz bestand darin, die Markensensibilität direkt und damit reflektiv auf individueller Ebene zu operationalisieren. Von anfänglich sechs Indikatoren stellt lediglich die Wahrnehmung von Marken während der Auswahlentscheidung keinen Sachverhalt der direkten (reflektiven) Messung der Markensensibilität dar. Insgesamt zeigt sich eine zufriedenstellende, reliable und valide Messung.7
FB 2b:
Indirekte Messung der Markensensibilität auf Individualebene anhand von Markenattributen.
Im Rahmen des zweiten Ansatzes wurde die Markensensibilität indirekt und damit formativ über 13 vorausgewählte Markenattribute (e.g. Unternehmenshistorie, Reputation etc.) gemessen. Zu diesem Zweck wurde ein Zwei-Komponenten-Modell, bei der die Assoziation mit der Marke und die Berücksichtigung in der Auswahlentscheidung je Markenattribut abgefragt werden, umgesetzt. Die Attribute „Marktführerschaft“ und „Reputation“ liefern den höchsten Erklärungsbeitrag zur Markensensibilität. Insgesamt muss die Messung weiterentwickelt werden. So werden Anpassungen zur Steigerung der Reliabilität und Validität empfohlen.8
Forschungsinteresse 3
FI 3:
Wann wird die Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern berücksichtigt? d. h. inwiefern wird die Berücksichtigung der Marke bei der Auswahl von Logistikdienstleistern durch verschiedene Faktoren beeinflusst?
Die Literaturanalyse zur Markensensibilität als auch zum organisationalen Beschaffungsverhalten offenbarte mehrere potenzielle Einflussfaktoren, die sich in die Kategorien „Umweltfaktoren, organisationale Charakteristiken, Buying-Center Charakteristiken, individuelle Charakteristiken klassifizieren lassen.9 Aus der kognitiven Dissonanztheorie bzw. aus deren Analogie zum wahrgenommenen Risiko sowie aus der Informationsverarbeitungstheorie wurden schließlich die organisationalen Charakteristiken „wahrgenommene Logistikdienstleistungskomplexität“ und „wahrgenommenes Risiko“ sowie die individuellen Charakteristiken „individuelle Risikoneigung“, „Faith in Intuition“ und „Need for Cognition“ bestimmt.10 Die Überprüfung der Kausalzusammenhänge erfolgte über eine Strukturgleichungsmodellierung, wobei die Berechnung auf dem PLS-Ansatz beruht.11
FB 3a:
Untersuchung des Einflusses der Logistikdienstleistungskomplexität als organisationales Charakteristikum auf die Markensensibilität bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern.
Die Komplexität einer zu beschaffenden Logistikdienstleistung führt bei den Beschaffungsmanagern indirekt über das wahrgenommene Risko zur einer gesteigerten Markensensibilität. Demnach wird die Marke – im Sinne dissonanztheoretischer Überlegungen – als Maßnahme zur Reduktion des in der strategischen Auswahl wahrgenommene Risikos gewählt. Andererseits sorgt die Logistikdienstleistungskomplexität basierend auf informationsverarbeitungstheoretischen Annahmen nicht für eine direkte Veränderung der Markensensibilität. Insgesamt kann aber festgehalten werden, dass organisationale Charakteristiken das Ausmaß der Markensensibilität von Beschaffungsmanager bestimmen.12
FB 3b:
Untersuchung des Einflusses von individuellen Charakteristiken auf die Markensensibilität bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern.
Die individuellen Charakteristiken (individuelle Risikoneigung, Faith in Intuition, Need for Cognition) hingegen haben allesamt keinen direkten Einfluss auf die Markensensibilität bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern. Demnach scheint das Ausmaß, in dem die Marken von Logistikdienstleistern in der Auswahlentscheidung berücksichtigt werden, nicht von der Persönlichkeit der Beschaffungsmanager abhängig zu sein.13
Leitfrage
LF:
Welche Rolle spielt die Marke bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern?
Basierend auf den Ergebnissen zu den drei Forschungsinteressen kann konkludierend für die Leitfrage der Arbeit festgehalten werden, dass Logistikdienstleister-Marken bei der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern, sowohl als ausgewiesenes Selektionskriterium als auch als Information, die es in der Auswahlentscheidung zu berücksichtigen gilt, eine Rolle spielen. Andererseits haben die Ergebnisse auch offenbart, dass Marken keine überragende Rolle einnehmen, sondern eher sekundär auf das Verhalten der Beschaffungsmanager einwirken. Allen voran dann, wenn ein hohes Maß an Risiko in der Auswahlentscheidung wahrgenommen wird, welches wiederum stark von der Logistikdienstleistungskomplexität abhängt. In anderen Worten spielen Marken überwiegend bei der Beschaffung risikobehafteter, komplexer Logistikdienstleistungen, wie Kontraktlogistikdienstleistungen, eine entscheidende Rolle. Bei einfachen, wenig risikobehafteten Logistikdienstleistungen, wie reinen Transportleistungen, dagegen spielen Marken eine kaum wahrnehmbare Rolle.
6.2 Implikationen, Limitationen und abschließende Beurteilung der Leitprinzipien wissenschaftlicher Arbeiten
Gemeinsam mit den theoretischen Implikationen der Arbeit wird auch die theoretische Relevanz final beurteilt (Kapitelabschnitt 6.2.1). Auf die theoretischen Implikationen folgen dann die praktischen Implikationen mit der abschließenden Beurteilung der praktischen Relevanz (Kapitelabschnitt 6.2.2). Das Kapitel schließt mit den Limitationen und der finalen Beurteilung der konzeptionellen und methodischen Strenge (Kapitelabschnitt 6.2.3).
6.2.1 Theoretische Implikationen und abschließende Beurteilung der theoretischen Relevanz
Gemäß der einleitenden Strukturierung des Themengebiets in drei Forschungsfelder, sollen nun auch die theoretischen Implikationen anhand dieser veranschaulicht werden.
Hinsichtlich des Beitrags zur (I) B2B-Markenforschung können die beiden Messungen der Markensensibilität auf individueller Ebene hervorgehoben werden. Allen voran die neu-entwickelte indirekte, formative Messung nach dem Vorbild früherer Risikomessungen liefert einen Ansatz, um mögliche Verzerrungen aufgrund der negativen Konnotation von Marken in organisationalen Beschaffungsentscheidungen entgegenzuwirken. Darüber hinaus entpuppt sich die Informationsverarbeitungstheorie mit ihrem Aussagensystem als ungeeignet die Markensensibilität angemessen erklären zu können – hingegen erfüllt das wahrgenommene Risiko in Analogie zur kognitiven Dissonanztheorie diese Aufgabe. Ferner wurde erstmals in der Markensensibilitätsforschung der Versuch unternommen, den Einfluss individueller Charakteristiken ausführlich zu untersuchen, wobei ein direkter Einfluss nicht nachgewiesen werden konnte.
Dahingehend ergänzt die vorliegende Arbeit auch die (II) organisationale Beschaffungsforschung. Sie ordnet sich innerhalb des Trends des „behavioral supply management“ mit der Untersuchung verhaltensbezogener Größen, wie der Markensensibilität, ein. Gleichzeitig werden die Frameworks des organisationalen Beschaffungsverhaltens durch deren Anwendung auf einen konkreten Sachverhalt, partiell geprüft. So werden neben individuellen Charakteristiken auch organisationale Charakteristiken und deren Einfluss auf die Verhaltensgröße – Markensensibilität – analysiert und basierend auf den Studienergebnissen von einer direkten Einflussnahme der individuellen Charakteristiken abgesehen.
Innerhalb der (III) Logistikdienstleistungsforschung setzt die Arbeit am bestehenden Interesse zur Beschaffung von Logistikdienstleistungen an. Sie verdeutlicht mit der Bestimmung der Markenwichtigkeit und der Analyse des Kausalmodells, dass die Rolle der Marke in Auswahlentscheidungen nicht mehr vernachlässigt werden darf. Damit knüpft die Arbeit auch an den Forschungslücken zum Marketing bei Logistikdienstleistern an. Ferner wurde mit der wahrgenommenen Logistikdienstleistungskomplexität zur Beschreibung des Beschaffungsobjektes ein entscheidender Faktor bei der Beschaffung von Logistikdienstleistungen konzeptualisiert und gemessen. Dieser kann zukünftig bei quantitativ-empirischen Untersuchungen im Kontext der Beschaffung von Logistikdienstleistungen zur Approximation des Beschaffungsobjekts beispielsweise auch als Kontrollvariable eingesetzt werden.
Mit der nun erfolgten Erörterung des Beitrags zur bestehenden Literatur (TR 1) und des Einflusses der Untersuchung (TR 2) sind die Gütekriterien der theoretischen Relevanz abgeschlossen. Die Kriterien der Positionierung der Arbeit (TR 2) sowie die Identifikation von Lücken in der bestehenden Literatur (TR 3) wurden bereits im Rahmen der ersten Synthese, bei der Bestimmung der konkreten Forschungsbedarfe, adressiert.14 Kritisch für die theoretische Relevanz kann allerdings gesehen werden, dass bereits Studien zur Markensensibilität im Kontext der Beschaffung von Sachgütern existieren und man mit der Fokussierung auf Logistikdienstleistungen den Forschungsstand lediglich inkrementell fortführt. Allerdings wurde in der Literaturanalyse hinsichtlich der Eigenständigkeit des Forschungsfelds zur Auswahl von Logistikdienstleistern argumentiert und damit die Legitimation der Arbeit verdeutlicht.15 Darauf aufbauend kann an dieser Stelle für die theoretische Relevanz der Arbeit wie folgt final geurteilt werden:
Theoretische Relevanz:
Die theoretische Relevanz und damit einhergehend die Legitimation der Arbeit scheinen gegeben zu sein.
6.2.2 Praktische Implikationen und abschließende Beurteilung der praktischen Relevanz
Die Studienergebnisse haben mehrere relevante praktische Implikationen für Manager auf beiden Seiten des Auswahlprozesses – für Beschaffungsmanager wie auch für Marketingmanager. Aufgrund des signifikanten indirekten Effekts zwischen der Komplexität von Logistikdienstleistungen und der Markensensibilität sollten Marketingmanager von Logistikdienstleistern den Aufbau einer Unternehmensmarke in Betracht ziehen, wenn sie komplexe und gebündelte Dienstleistungen anbieten. Eine Intensivierung der Marketingaktivitäten wäre daher für Kontraktlogistikdienstleister besonders zu empfehlen. Beim Aufbau der Marke ist es für die Marketingmanager von Logistikdienstleistern auch wichtig zu verstehen, dass die Marke Sicherheit und Zuverlässigkeit ausdrücken sollte, d. h. sie sollte mit Attributen assoziiert werden, die helfen, das wahrgenommene Risiko bei der Entscheidungsfindung zu verringern.
Trotz der eindeutigen Empfehlung zum Aufbau von Marken, insbesondere für Kontraktlogistikdienstleister, darf nicht ignoriert werden, dass eine strategische Auswahl immer noch maßgeblich über die Kriterien Kosten und Qualität entschieden wird. Dementsprechend gilt es ein gesundes Maß für die Marketingaufwendungen zu finden, ohne dass dadurch die Logistikdienstleistungen allzu kostspielig angeboten werden müssen oder die Qualität darunter leidet.
Ebenso sollten die Vertriebsleiter von Logistikdienstleistern bewusst sein, mit welchen Kundenabteilungen sie in Verhandlungen treten und dahingehend ihre Kommunikation bzw. Informationen steuern. Die Ergebnisse haben nämlich verdeutlicht, dass Manager aus dem Funktionsbereich „Beschaffung“ nicht aufgrund der erhöhten Komplexität und des damit verbundenen Risikos auf Marken zurückgreifen werden. Stattdessen scheint der Funktionsbereich „Logistik“, d. h. die entsprechende Fachabteilung, eher geneigt zu sein, Markeninformationen aufgrund eines erhöhten Risikos in der Auswahlentscheidung zu berücksichtigen. Wie sich zeigt greifen die verschiedenen Rollen des Buying-Centers also auf unterschiedliche Informationen zurück und offenbaren unterschiedliche Verhaltensweisen.
Andererseits sollten die Führungskräfte der Beschaffungsabteilungen verstehen, dass die Berücksichtigung von Markeninformationen nicht unbedingt aus Faulheit oder Trägheit resultiert, sondern aus dem Risiko, das mit der Entscheidungssituation verbunden ist. Möglicherweise auch, weil die Entscheidung vor ihren Führungskräften leichter zu rechtfertigen ist.
Die praktische Relevanz der vorliegenden Untersuchung manifestiert sich zunächst in den eingangs präsentierten Manageraussagen zu den Problemen und Unsicherheiten beim Aufbau von Marken und bei der Umsetzung von Marketingmaßnahmen (PR 1). Ebenfalls kann aufgrund der jährlichen Umfragen und Auszeichnungen der BVL zu Logistik-Marken eine Aktualität und Wichtigkeit des Themas (PR 2, PR 3) konkludiert werden. Ferner zeigt sich diese in den sich intensivierenden Marketingbestrebung von Logistikdienstleistern im Konsumentenbereich (e.g. DHL) – insbesondere zur Implementierung grüner Images.16 Die Ergebnisse sind insofern umsetzbar (PR 4), da klare Empfehlungen ausgesprochen werden konnten, wann Beschaffungsmanager markensensibel agieren und damit die Marken von Logistikdienstleister als Information berücksichtigen17 – dies ist bei komplexen Logistikdienstleistungen, die ein hohes Risiko implizieren gegeben. Die Ergebnisse waren nicht offensichtlich (PR 5), da durchaus auch argumentiert hätte werden können, dass bei einfachen Logistikdienstleistungen aufgrund von Faulheit auf Marken zurückgegriffen wird. Dies hat sich jedoch nicht bewahrheitet. Inwiefern die Erkenntnisse für Praktiker neuartig (PR 6) sind, lässt sich indessen nicht final beurteilen. Dies müsste durch erneute Interviews unter Präsentation der Ergebnisse festgestellt werden. Da die Umfrage in ihrer Umsetzung nicht zu kostspielig (PR 7) war und die meisten Beurteilungskriterien der praktischen Relevanz erfüllt werden, lässt sich folgende Schlussfolgerung treffen:
Praktische Relevanz:
Die praktische Relevanz und damit einhergehend die Legitimation der Arbeit scheinen gegeben zu sein.
6.2.3 Limitationen und abschließende Beurteilung der konzeptionellen und methodischen Strenge
Im Hinblick auf die Konzeption und Methodik der Arbeit lassen sich mehrere Limitationen, die sich unter anderem an den festgelegten Spezifikationen der Untersuchung orientieren,18 anführen, bevor darauf aufbauend die konzeptionelle und methodische Strenge für die vorliegende Arbeit kritisch beurteilt werden können.
Konzeption
Eine erste Einschränkung resultiert aus den ausgewählten theoretischen Ansätzen und der hierin abgeleiteten hypothetischen Größen für das Kausalmodell. Obwohl die theoretischen Ansätze begründet aus der Literaturanalyse herausgearbeitet wurden, wäre es denkbar, dass weitere Theorien die Markensensibilität innerhalb der strategischen Auswahl von Logistikdienstleistern erklären können. Gleichermaßen kann die Auswahl der Einflussfaktoren aus den Theorien als limitierend wahrgenommen werden. Die Literatur zum organisationalen Beschaffungsverhalten suggeriert mehrere Kategorien von Einflussfaktoren, von welchen in der vorliegenden Arbeit lediglich die individuellen und organisationalen Charakteristiken berücksichtigt wurden. Umweltfaktoren oder Buying-Center relevante Charakteristiken wurden vernachlässigt. Dies spiegelt sich auch in den Ergebnissen der Strukturgleichungsmodellierung wider, wonach ein großer Anteil der Varianz der Markensensibilität unerklärt verbleibt. Insofern kann die Arbeit auch als eine partielle Prüfung der Ansätze des organisationalen Beschaffungsverhaltens verstanden werden.19
Zweitens kann als Limitation angeführt werden, dass die vorliegende Arbeit, obwohl im organisationalen Kontext angesiedelt, auf Konzepte aus der Konsumentenforschung, wie beispielsweise die Markensensibilität, zurückgreift. Wenngleich im Rahmen der Literaturrecherche für eine Übertragbarkeit argumentiert und damit legitimiert wurde,20 kann dies dennoch kritisch gesehen werden. Sofern vorhanden, sollten Konzepte aus dem jeweiligen Forschungsfeld angewendet werden.
Rückblickend kann als dritter Punkt die Exklusion der wahrgenommenen Informationsüberflutung angeführt werden. Wie sich gezeigt hat ist der direkte Einfluss der wahrgenommenen Logistikdienstleistungskomplexität auf die Markensensibilität nicht signifikant, was schließlich die Entscheidung zur Exklusion der wahrgenommenen Informationsüberflutung hinterfragen lässt. Obwohl ausreichend Argumente für die Exklusion nach Abschluss der Voruntersuchungen vorlagen,21 kann dennoch angesichts der Resultate eine für die vorliegende Untersuchung limitierende Wirkung unterstellt werden.
Viertens kann die Festlegung auf die Individualebene kritisiert werden. So wurde die Markensensibilität, gemäß seiner ursprünglichen Konzeptualisierung im Konsumgüterbereich, als auch die Wahrnehmungen von Beschaffungsmanagern – explizit nicht des Buying-Centers oder der Organisation – untersucht. Dies wiederum erlaubt jedoch keine Schlussfolgerung dahingehend, inwiefern der organisationale Entschluss auf Basis der individuellen Markensensibilität mehrere an der Entscheidung Beteiligter getroffen wurde. Im Detail bleibt unklar, inwiefern exemplarisch die Nicht-Entscheider mit ihrer Markensensibilität auf den Entscheider einwirken, und inwiefern der organisationale Entschluss die Markensensibilität des Entscheidungsträgers widerspiegelt.22 Nur durch die Verknüpfung der individuellen Markensensibilitäten mit dem organisationalen Entschluss lässt sich am Ende der Einfluss auf Performance-Größen für das Abnehmerunternehmen analysieren.
Nachdem nun verschiedene konzeptionelle Limitationen erörtert wurden, kann ein finales Urteil für die konzeptionelle Strenge gefällt werden. Mit Hilfe der Vorstrukturierung des Themengebiets in die drei Forschungsfelder konnten relevante Forschungsbeiträge und Konzepte identifiziert werden.23 Des Weiteren fand eine begründete Auswahl theoretischer Ansätze zur Erklärung der Markensensibilität statt.24 Insgesamt kann der Arbeit insofern eine angemessene Berücksichtigung und Behandlung relevanter Literatur (KS 1) unterstellt werden. Die Genauigkeit und Klarheit konzeptioneller Definitionen (KS 2) wurden vornehmlich im Rahmen der Messmodellentwicklung bedacht, in dem eine detaillierte Konzeptualisierung unter Ableitung konstitutiver Attribute aus verschiedenen Definitionen umgesetzt wurde.25 Ferner fand die Entwicklung des Hypothesensystems unter Berücksichtigung von Evidenzen (KS 3) statt. Entsprechend wurden die Hypothesen aus theoretischen als auch empirischen Arbeiten abgeleitet.26 Schließlich wurden komplementäre Perspektiven in der Literaturanalyse, zur Bestimmung der Marken-Definition,27 und bei der Entwicklung des Hypothesensystems (KS 4) offengelegt. Dadurch angeregt konnte beispielsweise das Kausalmodell auf nicht-linearer Effekte überprüft werden.28 Ebenfalls wurden verschiedene Ansichten hinsichtlich der Untersuchungsebene, sowie der Übertragbarkeit und Abgrenzung von Teilforschungsgebiete dargelegt, woraufhin begründete Entscheidungen für die vorliegende Arbeit getroffen wurden.29 Obwohl Limitationen (1–4) zur Konzeption der Untersuchung vorherrschen, kann dennoch folgende Schlussfolgerung für die konzeptionelle Strenge formuliert werden:
Konzeptionelle Strenge:
Die konzeptionelle Strenge und damit die Gültigkeit der Untersuchungsergebnisse scheinen gegeben zu sein.
Methodik
An der Individualebene ansetzend können aus methodischer Sicht die Messungen der verschiedenen hypothetischen Größen als subjektive Wahrnehmungen kritisch beurteilt werden. Mit der fünften Limitation wird also insbesondere der potenzielle Einfluss von Messfehlern adressiert, der bei latenten Variablen zur Erfassung der subjektiven Wahrnehmung nicht zu vernachlässigen ist. Wenngleich auch durch verschiedene Maßnahmen und ex-post Kontrollmechanismen versucht wurde, den potenziellen Verzerrungen entgegenzuwirken, sowie deren geringen Einfluss aufzuzeigen, so kann dennoch nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass die subjektiven Wahrnehmungen Verzerrungen, beispielsweise der sozialen Erwünschtheit oder Retrospektion, nicht doch unterliegen. Beispielsweise wäre zur Verifikation der Kausalitäten denkbar gewesen, die Logistikdienstleistungskomplexität zusätzlich über eine objektive, nominale Abfrage der zu beschaffenden Logistikdienstleistungen zu erfassen und anschließend mittels vordefinierter Komplexitätsgrade – nach dem Vorbild von Wallenburg (2009)30 – einzustufen.
Neben den Messfehlern müssen auch potenzielle Fehler der Repräsentativität als sechste Limitation der vorliegenden Arbeit aufgeführt werden. Zwar wurde argumentativ versucht, die Merkmale der effektiven Stichprobe mit der Grundgesamtheit abzugleichen, jedoch stellt dies kein verlässliches Verfahren dar und ein Non-Sampling und Non-Response Bias sind nicht kategorisch auszuschließen. Beispielsweise deutet die Datenbeschreibung der effektiven Stichprobe auf eine überproportionale Repräsentation von Managern aus Großunternehmen hin. Ferner kann eine Überrepräsentation bestimmter Persönlichkeitsmerkmale bei den Beschaffungsmanagern durch die Wahl der Datenerhebung, beispielsweise über LinkedIn, nicht ausgeschlossen werden. So kann den Respondenten aus LinkedIn eine erhöhte Extraversion unterstellt werden. Möglicherweise muss die Definition der Grundgesamtheit aufgrund der Überrepräsentationen rückwirkend überdacht werden – die Gültigkeit der Ergebnisse für sämtliche Manager mit Erfahrungen in der strategischen Logistikdienstleisterauswahl scheint gefährdet.
Eine siebte Limitation ergibt sich aus der Kultur der befragten Beschaffungsmanager. So wurden ausschließlich deutschsprachige Respondenten via LinkedIn, als auch via E-Mail kontaktiert. Daher liegt der effektiven Stichprobe eine kulturelle Beschränkung hinsichtlich des DACH-Raums zugrunde. Es kann angezweifelt werden, dass Beschaffungsmanager in anderen Kulturen ein vergleichbares Markenverhalten aufzeigen. Insofern erwächst zum einen der Bedarf nach weiteren Überprüfungen des Hypothesensystem in anderen Kulturkreisen und zum anderen muss die Gültigkeit der vorliegenden Ergebnisse auf den DACH-Raum eingeschränkt werden.
Achtens kann die Datenerhebung in Form einer web-basierten Umfrage als limitierend für die Untersuchung beurteilt werden. Dahingehend kann der Forscher weder kontrollieren, inwiefern der als geeignet befundene Respondent tatsächlich die Umfrage ausfüllt, noch ob er dies aufmerksam und mit bestem Wissen vollbringt. Dies kann schließlich die Qualität der Daten gefährden.31 Zusätzlich wird durch die angebotenen Incentives ein Anreiz geliefert die Umfrage, auch unter nicht optimalen Bedingungen, durchzuführen.
Als neunte Einschränkung der vorliegenden Arbeit muss das Datenanalyseverfahren angeführt werden. Angesichts der Stichprobengröße wäre ebenso eine kovarianzanalytische Auswertung, beispielsweise mit Hilfe des Softwareprogramms AMOS, denkbar gewesen. Dieser erlaubt, im Gegensatz zum PLS-SEM-Ansatz, die Berechnung globaler Gütemaße, welche die Stabilität und Qualität des Gesamtmodells noch einmal kritisch beurteilen können. Aufgrund dessen gelten die Ergebnisse kovarianzanalytischer Verfahren auch als zuverlässiger. Nichtsdestotrotz wurde der PLS-SEM-Ansatz aufgrund der Komplexität des Hypothesensystems und der Nicht-Normalverteilung der Variablen als geeignet für die vorliegende Untersuchung befunden.32
Nachdem nun verschiedene methodische Limitationen erörtert wurden, kann ein finales Urteil für die methodische Strenge abgegeben werden. Auf messbezogene Probleme bei den Konstrukten wurde während der Entwicklung, Überprüfung und Diskussion der Messmodelle aufmerksam gemacht (MS 2).33 Des Weiteren wurde versucht argumentatorisch über vergleichende Merkmale zwischen Grundgesamtheit und effektiver Stichprobe die Angemessenheit Letzterer zu demonstrieren (MS 3).34 Als ähnlich bedeutend wurden die Angemessenheit des Forschungsdesigns (MS 1) sowie des Datenanalyseverfahrens (MS 4) eingestuft. Davon inspiriert wurde ein Ansatz umgesetzt, bei dem die methodenbezogenen Entscheidungen, beispielsweise hinsichtlich des statistischen Analyseverfahrens PLS-SEM,35 schrittweise, d. h. mit dem Fortschreiten der dafür notwendigen Erkenntnisse präsentiert werden. Dadurch konnte die Angemessenheit der jeweiligen methodischen Spezifikation nachvollziehbar dargelegt werden. Die Genauigkeit und Vollständigkeit bei der Berichterstattung über Ergebnisse und Verfahren (MS 5) wurde nicht nur im Rahmen des Ergebniskapitels,36 sondern bereits mit der Vorstellung der Gütekriterien37 adressiert. So sollte frühzeitig offengelegt werden, nach welchen Kriterien die Ergebnisse beurteilt und welche Ansätze hierbei verfolgt werden. Gleichermaßen wurde auf eine Transparenz bei der Datenbereinigung geachtet.38 Schließlich stellt die Reliabilität und Validität der empirischen Befunde (MS 6) ein weiteres Beurteilungskriterium der methodischen Strenge dar (MS 6). Um dieses angemessen zu erfüllen, wurden ergänzend zur eigentlichen Strukturmodellprüfung, eine Stabilitätsprüfung des Strukturmodells,39 sowie mehrere Prüfungen auf potenzielle Messfehler40 unternommen. Wenngleich auch Limitationen (5–9) zur Methodik der Untersuchung vorherrschen, kann dennoch folgende Beurteilung der methodischen Strenge festgehalten werden:
Methodische Strenge:
Die methodische Strenge und damit die Gültigkeit der Untersuchungsergebnisse scheinen gegeben zu sein.
6.3 Weiterer Forschungsbedarf
Es ergibt sich weiterer Forschungsbedarf zum einen aus den Ergebnissen und zum anderen aus den Limitationen der vorliegenden Untersuchung. In Anbetracht der Ergebnisse wäre vor allem bei den reflektiven Messungen der individuellen Risikoneigung und Faith in Intuition sowie bei der formativen, indirekten Messung der Markensensibilität eine Überarbeitung zur Steigerung der Inhaltsvalidität und anschließende Prüfung empfehlenswert. Am Strukturmodell ansetzend könnte eine zukünftige Berücksichtigung der wahrgenommenen Informationsüberflutung die informationsverarbeitungstheoretische Argumentation zum Einfluss der wahrgenommenen Logistikdienstleistungskomplexität auf die Markensensibilität möglicherweise doch bestätigen. Verfolgt man diesen Ansatz weiter könnten auch potenzielle Wirkungsbeziehungen zwischen dem wahrgenommenen Risiko und der wahrgenommenen Informationsüberflutung nachgegangen werden. Interessanterweise ließe sich für einen Einfluss des wahrgenommenen Risikos auf die wahrgenommene Informationsüberflutung als auch vice versa argumentieren.41 So wäre die Berechnung eines nicht-rekursiven Modells mit reziproken Kausalitäten, wenn auch herausfordernd, vorstellbar.42 Zudem geben die Klassifikationen der Einflussfaktoren aus den Frameworks des organisationalen Beschaffungsverhalten Anlass für weitere Forschung. So wurden in der vorliegenden Arbeit lediglich Einflussfaktoren aus den Kategorien individuelle Charakteristiken und organisationale Charakteristiken untersucht. Umweltfaktoren und deren Einfluss auf die Markensensibilität wurden bisher weitestgehend vernachlässigt.43 Aber nicht nur die Literatur zum organisationalen Beschaffungsverhalten liefert Ansatzpunkte für weitere Einflussfaktoren, auch alternative Theorien, wie die mit der kognitiven Dissonanztheorie verknüpfte Regret-Theorie.44 Beispielsweise könnten die Konstrukte „anticipated regret“ oder „anticipated disapointment“ als Determinanten der Markensensibilität bedacht werden.
Aus den Ergebnissen lässt sich indessen noch nicht ableiten, ob die Berücksichtigung von Marken durch die Beschaffungsmanager ein positives oder negatives Ergebnis für das Abnehmerunternehmen hat. Obwohl Boffelli et al. (2020) anmerken, dass auch nicht-rationales Verhalten bei Entscheidungen unter hoher Komplexität und Unsicherheit sowohl erforderlich als auch vorzuziehen ist,45 ist eine Verallgemeinerung für die Berücksichtigung für Marken schwierig zu sehen. So könnte diese Forschungslücke durch die Integration von Erfolgsvariablen, wie z. B. Kosten, Qualität, Innovationsleistung46 oder finanzielle/nicht-finanzielle Performance als Konsequenzen der Markensensibilität in das Kausalmodell geschlossen werden. Alles in allem hat die Literaturanalyse verdeutlicht, dass zukünftige Forschung auch auf die Konsequenzen der Markensensibilität ausgerichtet sein sollte.47
Ausgehend von Limitation 8 wären anstatt einer web-basierten Umfrage auch Verhaltensexperimente zukünftig denkbar. Mit ihrer Hilfe ließe sich beispielsweise die unbewusste Berücksichtigung von Marken bei der Auswahlentscheidung untersuchen. Die derzeitige retrospektive Untersuchung der Markensensibilität ist dadurch beschränkt, dass die Manager Markeninformationen in der Vergangenheit bewusst berücksichtigt haben und sich an deren Umfang erinnern müssen. Insofern wird ein wichtiger Aspekt von Marken bisher vernachlässigt.48 Außerdem könnte ein Perspektivwechsel, hin zum Marketingmanagement bei Logistikdienstleistern, wissenswerte Einblicke zur Rolle der Marke bei strategischen Auswahlentscheidungen liefern.49 Interessant wäre beispielsweise zu untersuchen, inwiefern bewusst Markenassoziationen bei den Beschaffungsmanagern geschaffen werden, d. h. inwiefern der Aufbau von Markenimages vorangetrieben wird.
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