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Open Access 2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

6. Schlussfolgerungen für Theorie und Forschungspraxis: vom veränderten Diskurs zur „Großen Transformation“

verfasst von : Katharina Schleicher

Erschienen in: Von alternativen Paradigmen zur umfassenden Transformation

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

In diesem Kapitel werden einige der zentralen Thesen des diskursiven Institutionalismus weiterentwickelt. Dabei werden die Voraussetzungen für Transformation und die Definition von Gelegenheitsfenstern für Politikwandel verfeinert sowie neue Erkenntnisse bezüglich des Zusammenhangs zwischen graduellem und transformativem Wandel formuliert. Außerdem werden praktische Handlungsempfehlungen formuliert, wann es mithilfe der transformativen Forschung zu einer erfolgreichen Transformation kommen könnte. Im Hinblick auf die Praxisempfehlungen zeigt sich, dass der Ansatz transformativer Forschung durchaus erfolgversprechend ist, wenn einige Aspekte beachtet werden, so insbesondere die Kooperation mit lokalen Akteur*innen sowie die explizite Kommunikation der alternativen Paradigmen.
Ein Ziel der Arbeit war es, den diskursiven Institutionalismus auf der lokalen Ebene zur Untersuchung von zwei Fällen transformativer Forschung zu nutzen und dabei herauszufinden, ob dieser auch auf der Ebene einer Stadt geeignet ist, die beobachteten Entwicklungen zu erklären. Dadurch sollen mögliche Weiterentwicklungen der Theorieströmung des diskursiven Institutionalismus geleistet werden, unter anderem um diesen auch auf kleinräumiger Ebene in kürzeren Prozessen nutzbar zu machen, wo das Vorliegen einer Veränderung noch nicht sichtbar ist. Daher legt das folgende Teilkapitel (Abschn. 6.1) zunächst dar, welche Schlussfolgerungen für den diskursiven Institutionalismus aus den Analysen gezogen werden können. Dabei werden Weiterentwicklungen hinsichtlich der Anwendbarkeit im Lokalen, eine Konkretisierung der Voraussetzungen für Wandel sowie Schlüsse zum Zusammenhang der drei Grade von Veränderung abgeleitet.
Weiteres Ziel war es, Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen für die Praxis transformativer Forschung zu ziehen, weshalb sich das zweite Teilkapitel (Abschn. 6.2) wieder dem Untersuchungsgegenstand – der transformativen Forschung – zuwendet. Aus der Analyse der beiden transformativen Forschungsprojekte anhand des diskursiven Institutionalismus wird geschlussfolgert, wie dieser Forschungsansatz erfolgreicher dabei sein könnte, Transformationen im lokalen Umfeld anzustoßen.

6.1 Weiterentwicklung des diskursiven Institutionalismus

6.1.1 Diskursive Veränderungen im Lokalen

Zunächst einmal lässt sich festhalten, dass der diskursive Institutionalismus grundsätzlich auch für die lokale Ebene anwendbar ist. Auch wenn sich Herausforderungen und Probleme unterschiedlicher Städte ähneln, so zeigte sich doch, dass in Städten jeweils spezifische Diskurse und Problemwahrnehmungen existieren und Städte sich durch spezifische Eigenlogiken (Löw 2012) beziehungsweise Eigenarten (WBGU 2016, S. 143) auszeichnen. Daher kann durchaus von spezifischen lokalen Diskursen ausgegangen werden, in denen sich Ideen verbreiten können. So stellten sich in Wuppertal beispielsweise insbesondere das negative Image der Stadt und die hohen kommunalen Schulden als Anknüpfungspunkte für die Fallbeispiele heraus, an die diese anzuknüpfen versuchten (siehe Abschn. 5.​3.​2). Natürlich sind die lokalen Diskurse, Ideen, Probleme und deren Wahrnehmung sowie Akteur*innen nicht völlig losgelöst von anderen räumlichen Ebenen zu betrachten. Aus diesem Punkt lässt sich schlussfolgern, dass der diskursive Institutionalismus auch auf der lokalen Ebene prinzipiell gut anwendbar ist, das heißt Veränderungen oder Stabilität auf lokaler Ebene erklären kann. An einigen, im Folgenden ausgeführten, Stellen zeichnen sich jedoch Aspekte ab, an denen eine Weiterentwicklung der zentralen Thesen des diskursiven Institutionalismus sinnvoll für die Anwendung auf lokaler Ebene erscheint.

6.1.2 Netzwerke der institutionellen Unternehmer*innen

Die Annahme, dass Netzwerke den institutionellen Unternehmer*innen bei der Verbreitung ihrer Ideen helfen, konnte bestätigt werden (siehe Abschn. 5.​3.​1). Außerdem wurde deutlich, dass der gute Ruf der Forschungsinstitute die Ansprache der Entscheidungsträger*innen und das Einbringen neuer Ideen erleichtert hat. Jedoch zeigte sich, dass der gute Ruf und die breiten Netzwerke nicht automatisch auch die Chance auf einen Wandel höherer Ordnung steigern. Voraussetzung dafür ist, dass die alternativen Paradigmen bei den institutionellen Unternehmer*innen vorliegen und in ihren Netzwerken explizit gemacht und in Diskurse eingebracht werden.
In Abschnitt 3.​3.​2 wurde herausgearbeitet, dass institutionelle Unternehmer*innen, die breite und heterogene Netzwerke haben, also Verbindungen zu unterschiedlichen Akteur*innen und deren Ideen, eher radikale Ideen entwickeln und durchsetzen können als Akteur*innen mit kleineren, homogeneren Netzwerken. Schlussfolgernd aus der vorangegangenen Analyse wird nun aber davon ausgegangen, dass die Chance eines Wandels dritter Ordnung nicht nur von der Breite der Netzwerke, sondern auch davon abhängt, wie die Netzwerke genau gestaltet sind. Hierzu können Annahmen aus dem Umfeld der Transition-Forschung (siehe Abschn. 2.​2.​1) Erkenntnisse liefern, wonach es nicht nur auf die Breite und Heterogenität der Netzwerke ankommt und geteilte Erwartungen der Netzwerkpartner*innen notwendig sind (Kemp und van Lente 2013, S. 135). Daneben sind sowohl formelle als auch informelle Netzwerke hilfreich für eine Transformation, da sie sich in ihren Funktionen ergänzen (Brown et al. 2013, S. 703). Die vorangegangene Analyse hat dies bestätigt und gezeigt, dass Netzwerke zusätzlich zu den von Campbell (2004, S. 178–181) genannten Kriterien der Diversität und Ressourcenausstattung über gemeinsame Erwartungen verfügen müssen, um Transformation anzustoßen. Dies setzt voraus, dass nicht nur abgeleitete Ideen erster und zweiter Ebene, sondern auch die dahinterliegenden neuen Paradigmen in den Netzwerken geteilt werden.
Schlussfolgernd wird also das in Abschnitt 3.​3.​2 genannte Kriterium für transformativen Wandel, dass die institutionellen Unternehmer*innen verschiedenen Netzwerken angehören und dadurch Zugang zu einem breiten Ideenspektrum haben, um die Tiefe der Netzwerke angepasst und daher wie folgt formuliert: Tiefe und diverse Netzwerke mit geteilten Erwartungen sowie der Zugang zu einem breiten Ideenspektrum erhöhen die Chance auf transformativen Wandel.

6.1.3 Kommunikation der Ideen unterschiedlicher Ebenen

Bei der Analyse zeigte sich, dass leicht verständliche Begriffe schnell in den städtischen Diskursen diffundierten. Komplexere Zusammenhänge und alternative Paradigmen wurden kaum explizit kommuniziert und schienen schwerer verständlich. Daneben konnten diffus formulierte Ideen zwar schnell diffundieren und wurden von anderen Akteur*innen aufgegriffen, jedoch unterschiedlich verstanden. Dadurch haben die meisten Personen nur einen kleinen Teil der Ideen wahrgenommen – meist nur die Vorschläge neuer Policies und Programme und nicht die dahinterliegenden Paradigmen (siehe Abschn. 5.​3.​1). Die von Schmidt (2006, S. 253) beschriebene Mehrdeutigkeit war in den untersuchen Fällen also hilfreich für die Diffusion des allgemeinen Themas und der neuen Policies, jedoch nicht für die Verbreitung neuer Paradigmen. Teilweise wurden diese grundlegenden Alternativen zu verbreiteten Paradigmen schlicht nicht wahrgenommen, zu anderen Teilen vermutlich auch bewusst von Entscheidungsträger*innen nur die weniger kritischen Ideen aufgegriffen und im eigenen Interesse genutzt, wie es auch die Transition-Forschung beobachtet (Bauler et al. 2017; Pel 2016; Sievers-Glotzbach und Tschersich 2019, S. 7–9, siehe Abschn. 2.​2.​1).
Ähnlich konnten einfache Darstellungen wissenschaftlicher Ergebnisse der Projekte in wenigen quantitativen Zahlen besser verbreitet werden und waren von den Entscheidungsträger*innen erwünscht. Komplexere Auswertungen wurden dagegen weniger gut aufgenommen (siehe Abschn. 5.​3.​1).
Diese und andere projektspezifische Aspekte finden sich in den Thesen des diskursiven Institutionalismus bei der Erklärung von Politikwandel bisher kaum. Insbesondere zeigte die Analyse, dass mehrdeutige und anschlussfähige Formulierungen und einfache wissenschaftliche Ergebnisse die Diffusion auf den unteren zwei Ebenen erleichtert haben. Gleichzeitig erschwerte jedoch in den analysierten Fällen ebendiese Mehrdeutigkeit und parallele Verwendung unterschiedlicher Begriffe die Verbreitung der alternativen Paradigmen oder trug zumindest nicht positiv dazu bei.
Da diese Aspekte der Kommunikation eine wichtige Rolle für die Durchsetzung neuer Ideen zu spielen scheinen, wird folgende These aufgestellt: Leichter greifbare und mehrdeutige Formulierungen erleichtern die Diffusion von Policies und Programmen, jedoch fördert dies nicht unmittelbar einen Paradigmenwechsel.

6.1.4 Anknüpfungspunkte an Krisen und institutionelle Veränderungen

Die in Abschnitt 3.​3.​2 genannte Voraussetzung für Politikwandel des diskursiven Institutionalismus, dass Krisenwahrnehmungen vorhanden sein und neue Ideen als Lösungen kommuniziert werden müssen, konnte bestätigt werden. Aus der Analyse lässt sich auch schlussfolgern, dass die institutionellen Unternehmer*innen, um erfolgreich zu sein, selbst konkrete Anknüpfungspunkte herstellen müssen, indem sie die Ideen als auf die Probleme zugeschnittene Lösungen formulieren. Laut dem diskursiven Institutionalismus (Blyth 2002; Campbell 2004; King 1999) können Krisen dann Wandel begünstigen, wenn sie als Gefahr für Verteilung von Macht und Ressourcen wahrgenommen werden, Unsicherheiten erzeugen und so die Suche nach neuen Lösungen hervorrufen. Dabei können die institutionellen Unternehmer*innen und Framer*innen Situationen als Probleme beschreiben und damit Wandel wahrscheinlicher machen. In der Analyse zeigte sich, dass die schlechte finanzielle Lage der Stadt und die hohen kommunalen Schulden nicht als Gelegenheitsfenster für Veränderung wirkten. Zwar waren diese als Problem von den Entscheidungsträgern wahrgenommen und kommuniziert und dadurch die Ressourcen der Stadtverwaltung allgemein begrenzt, allerdings handelte es sich nicht um eine akute Gefahr für Macht und Ressourcen, sondern um eine längerfristige Situation. In der Theorie bleibt unklar, um wessen Ressourcen in Gefahr es sich handelt – die der Entscheidungsträger*innen als Gesamtheit, so beispielsweise Personaleinsparungen in der Stadtverwaltung und einzelnen Dezernaten, oder das Einkommen und die Position einzelner Personen. Daneben schienen die wahrgenommenen Probleme nicht als Widerspruch zu den vorhandenen Paradigmen wahrgenommen zu werden, sondern, wenn überhaupt, lediglich zur Suche nach neuen Policies oder Programmen zu führen. Sie hatten also, so wie sie formuliert und wahrgenommen wurden, kein Transformationspotenzial.
Um zu verstehen, welche Probleme sich im Sinne von Krisen als Gelegenheitsfenster allgemein und für Transformation im spezifischen eignen und welche nicht, wird hier das Konzept der Krisen als Voraussetzungen für Politikwandel weiter ausdifferenziert und dabei auf das Konzept Critical Junctures des historischen Institutionalismus (Capoccia und Kelemen 2007, S. 350) zurückgegriffen. Auch darin werden Krisen als Gelegenheitsfenster für Politikwandel verstanden, jedoch definiert als von kurzer Dauer im Vergleich zu der vorhergehenden Zeit politischer Stabilität (siehe Abschn. 3.​1). Auch wenn hier eine konkrete Zeitangabe fehlt, wird geschlussfolgert, dass der diskursive Institutionalismus keine konkrete Unterscheidung zwischen langfristigen krisenhaften Rahmenbedingungen und kürzeren Veränderungsdruck hervorrufenden Gelegenheitsfenstern macht. Dieser Aspekt des historischen Institutionalismus wird hier hinzugezogen und angenommen, dass die über 40 Jahre andauernde schwierige Finanzlage nicht als Krise verstanden werden kann, die im Sinne von „Critical Junctures“ oder eines Gelegenheitsfensters neue Lösungsvorschläge erfordert und die Umsetzung neuer Ideen ermöglicht. Daraus wird auch geschlussfolgert, dass die Wahrnehmung einer Gefahr für die Macht- und Ressourcenverteilung auch eine kurzfristige Veränderung beinhalten muss und keine allgemeine Situation knapper Ressourcen oder jahrzehntelanger Einsparungen. Daneben muss für eine erfolgreiche Transformation an Krisen angeknüpft werden, die die vorherrschenden Paradigmen infragestellen. Für Veränderungen niedriger Grade reicht eine Wahrnehmung bei den Entscheidungsträger*innen aus, dass bestehende Policies und Programme sich nicht mehr eignen und angepasst werden sollten. Zusätzlich können aber auch – was im diskursiven Institutionalismus bisher kaum beachtet wurde – institutionelle Veränderungen Gelegenheiten für Politikwandel bedeuten. Durch institutionelle Veränderungen können Situationen der Unsicherheit entstehen, die dafür sorgen, dass Entscheidungsträger*innen offener für neue Ideen institutioneller Unternehmer*innen sind.
Um dies zu konkretisieren, werden der bisherigen These des diskursiven Institutionalismus – dass eine Krise vorhanden sein und kommuniziert sein muss und als Gefahr für Macht und Ressourcen verstanden werden muss – folgende Ergänzungen hinzugefügt: Nur diejenigen wahrgenommenen Krisen können als Gelegenheitsfenster für politischen Wandel dienen, die sich über einen kurzen Zeitraum von wenigen Jahren erstrecken. Wird eine Krise als Indikator für einen mangelnden Geltungsanspruch bestehender Paradigmen angesehen, kann eine Transformation hier anknüpfen. Wird sie als innerhalb der Paradigmen lösbar angesehen, kommt es eher zu einem Wandel erster oder zweiter Ordnung. Daneben können auch institutionelle Veränderungen Gelegenheitsfenster für die neuen Ideen von institutionellen Unternehmer*innen darstellen, wenn an sie bewusst angeknüpft wird.

6.1.5 Zugang zu Entscheidungsträger*innen

Bezüglich des Zugangs zu und die Unterstützung durch Entscheidungsträger*innen hat die Analyse verdeutlicht, dass der Erfolg stark von Einzelpersonen abhängt. So sind die städtischen Institutionen und deren Teilbereiche nicht als neutrale Einheiten zu betrachten. Beispielsweise hat ein Wechsel des Personals großen Einfluss, wenn eine neue Policy erprobt, aber noch nicht verstetigt ist. Ein Wechsel der zuständigen Entscheidungsträger*innen kann sowohl Wandel behindern als auch ein neues Gelegenheitsfenster eröffnen. An dieser Stelle wird daher geschlussfolgert, dass die Voraussetzungen für Politikwandel, Zugang zu Entscheidungsträger*innen zu haben (Campbell 2004, S. 178 f., siehe Abschn. 3.​3.​2) genauer spezifiziert werden muss. So muss der Kontakt zu den Entscheidungsträger*innen und institutionellen Unternehmer*innen kontinuierlich vorhanden sein und bei einem Wechsel der Personen erneut aufgebaut werden. Ansonsten kann es passieren, dass die bereits ausgetauschten Ideen nicht weiterverfolgt und verbreitet werden. Auch bezüglich der Interessen der Entscheidungsträger*innen ergeben sich aus der Analyse weitere Ergänzungen. Laut Campbell (2004) haben Entscheidungsträger*innen ein größeres Interesse an der Verbreitung und Umsetzung einer Idee, wenn sie annehmen, dass die neuen Ideen ihre Ressourcen und ihre Macht steigern. Die Analyse deutet sogar darauf hin, dass bereits das Nutzen von Synergien zwischen Entscheidungsträger*innen und institutionellen Unternehmer*innen das Interesse steigern kann, auch wenn keine zusätzlichen Ressourcen zu erwarten sind. So kann insbesondere bei knapper Haushaltslage schon die Möglichkeit der Umsetzung eines Projektes, das im Interesse der Entscheidungsträger*innen ist, mit Ressourcen der institutionellen Unternehmer*innen die Entscheidungsträger*innen von der Idee überzeugen, wenn sie auf diese Weise für zusätzlichen Output keine zusätzlichen Ressourcen aufwenden müssen.
Eine Präferenz, ob Stadtpolitiker*innen oder Verwaltungsakteur*innen die geeigneteren Adressaten für die Umsetzung neuer Ideen sind, lässt sich aus der Analyse dagegen zunächst nicht ableiten, da beide Gruppen über gewisse Gestaltungsspielräume verfügen und sich in den untersuchten Fällen die Verwaltungsmitarbeitenden als genauso geeignete Entscheidungsträger*innen herausstellten wie die Stadtpolitik. Auch die Art, wie und in welcher Form Ideen verbreitet werden, ob dies beispielsweise schriftlich oder mündlich erfolgt, gilt es in zukünftigen Studien genauer zu erforschen.

6.1.6 Entwicklung von diskursivem Wandel hin zu den drei Graden von Veränderung

Die in Abschnitt 3.​5 vorgenommene Zusammenführung der Konzepte von Schmidt (2017, S. 251) und Campbell (2002, S. 21, 2004, S. 93) hat sich in der Analyse als geeignet erwiesen. Während Schmidt drei Ebenen von Ideen unterscheidet, kommt bei Campbell die unterste Ebene, die Policies, nicht als solche vor. Werden diese mit den drei Graden der Veränderung nach Hall (1993, S. 278–281) kombiniert, so stellt ein Wandel erster Ordnung eine Anpassung von Policies dar, ein Wandel zweiter Ordnung eine Veränderung von Programmen und daraus abgeleitet ein Ersetzen oder Verändern von Policies. Ein Wandel dritter Ordnung ist dagegen eine Ablösung von Paradigmen, und damit einhergehend eine Veränderung von Policies und Programmen (siehe Abschn. 3.​5). In der Analyse wurde am Beispiel des Bürgerbudgets deutlich, dass eine Differenzierung von Veränderungen erster Ordnung in einmalige und längerfristige Policies notwendig ist, da ein einmaliges Einsetzen einer Policy noch keinen längerfristigen Wandel darstellt, während eine dauerhafte Umsetzung auch langfristigen Wandel bewirkt.
Außerdem ist in der Theorie des diskursiven Institutionalismus bisher weitgehend unklar geblieben, wie die drei Grade der Veränderung zusammenhängen und ob eine Veränderung niedriger Grade auf dem Weg hin zu einer Transformation hilft. Daher werden die Thesen hier dahingehend weiterentwickelt und dazu auch Erkenntnisse aus der Transition-Forschung hinzugezogen (siehe Abschn. 2.​2.​1). Daneben konnte die Analyse einige Erkenntnisse liefern, inwieweit Ideen auf höheren Ebenen zunächst in kleinen Netzwerken von Akteur*innen, die eine Transformation unterstützen, verfestigt oder direkt auf unterer Ebene diffundieren sollten.
Die untersuchten Fallbeispiele weisen darauf hin, dass eine explizite Benennung der neuen Paradigmen eine Voraussetzung für Paradigmenwechsel ist. So ist eine Verbreitung dieser Paradigmen innerhalb von Nischen – also Kontexten, in denen es Raum für Innovationen und Experimente gibt (siehe Abschn. 2.​2.​1) – hilfreich, um diese zunächst dort zu verfestigen und daraus Policies und Programme abzuleiten. Lediglich eine Kommunikation und Umsetzung abgeleiteter Policies ohne explizite Nennung und Verbreitung des Paradigmas reicht dagegen nicht aus. Da ein Wandel erster Ordnung ohne verfestigtes dahinterstehendes Paradigma wieder leicht rückgängig zu machen ist oder es nur bei einer einmaligen Umsetzung einer Policy bleibt, ist dieser nicht zielführend für eine Transformation. Ein Wandel dritter Ordnung bringt dagegen neue Pfadabhängigkeiten mit sich, da die Etablierung neuer Paradigmen langfristig geschieht und zugleich weniger leicht zu widerrufen ist. Daher deutet die Analyse darauf hin, dass es, wenn eine Transformation intendiert ist, nicht zielführend ist, neue Policies zu erproben, ohne das dahinterstehende alternative Programm oder Paradigma zu vermitteln.
Um in Bezug darauf die Thesen weiterzuentwickeln, kann hier auf Erkenntnisse aus dem Bereich der Transformations- und Transition-Forschung zurückgegriffen werden (siehe Abschn. 2.​2). Laut Göpel (2016, S. 49 f.) werden in der Phase vor einer Veränderung Paradigmen benötigt, um Alternativen aufzuzeigen und Widersprüche im Zusammenhang mit bisherigen Paradigmen deutlich zu machen. Später, kurz vor den Wendepunkten, helfen diese neuen Paradigmen, Unsicherheiten auszuräumen und gemeinsame Ziele der Veränderung zu haben. Diese Sichtweise von Göpel geht also davon aus, dass die Paradigmen durchaus, zumindest in Nischen, entwickelt, etabliert und auch kommuniziert werden sollten, um Veränderungen vorzubereiten und die Richtung zu zeigen. Daneben argumentieren sowohl Sievers-Glotzbach und Tschersich (2019, S. 8) als auch Smith (2007, S. 430), dass Nischen radikal sein und außerhalb der vorherrschenden Paradigmen stehen müssen, um Transformationspotenzial zu haben. Folglich wird hier angenommen, dass, um einen Wandel dritter Ordnung zu erreichen, folgende Schritte zielführend sind: Eine Diffusion von radikaleren neuen Ideen beziehungsweise alternativen Paradigmen sollte angestoßen, der diskursive Wandel also auf der höchsten Ebenen angegangen werden. Des Weiteren ist es hilfreich, wenn die institutionellen Unternehmer*innen die Alternativen selbst praktisch erproben und erlebbar machen. Dies kann durch Experimente, Reallabore oder andere Nischenprojekte geschehen, aber auch beispielhafte Policies oder Programme in kleinen abgesteckten Bereichen, die trotzdem radikal genug sind, also außerhalb der vorherrschenden Paradigmen stehen. Als Beispiel in diesem Zusammenhang können Experimente zum bedingungslosen Grundeinkommen in Finnland (Kangas et al. 2019; Kela 2015) genannt werden. Dies sollte jedoch abgeleitet aus den Paradigmen und parallel zur Verbreitung dessen geschehen. Die meisten Veränderungen erster oder zweiter Ordnung, bei denen kein grundlegend anderes Paradigma im Hintergrund steht, zählen also nicht zu den Schritten, die auf dem Weg zu einem Wandel dritter Ordnung zielführend sind. Es erscheint daher eher unwahrscheinlich, dass eine Veränderung die drei unterschiedlichen Grade nacheinander durchläuft. Daneben zeigt sich hier, dass eine diffuse Kommunikation, die die neuen Paradigmen nicht deutlich formuliert und verbreitet, nicht zielführend für einen Paradigmenwechsel ist.

6.1.7 Zusammenfassung

Insgesamt hat sich gezeigt, dass der diskursive Institutionalismus auf lokaler Ebene auch für die Analyse kleiner diskursiver Veränderungen nützlich ist und sich auf dieser kleinräumigen Ebene entsprechende eigenständige Diskurse entwickeln können. Ergänzend wurden einige Punkte herausgestellt, in Bezug auf die eine Weiterentwicklung des diskursiven Institutionalismus sinnvoll ist (siehe Abb. 6.1).
So zeigte die Analyse, dass die institutionellen Unternehmer*innen nicht nur über breite Netzwerke verfügen müssen, sondern diese Netzwerke auch durch geteilte Erwartungen und Ressourcen charakterisiert sein sollten, um eine Transformation zu erleichtern. Daneben wurde deutlich, dass leicht verständliche, mehrdeutige Formulierungen zwar die Diffusion von Policies und Programmen erleichterten, diese aber nicht automatisch auch die Verbreitung und Umsetzung neuer Paradigmen fördern.
Bezüglich der wahrgenommenen Krisen, an die institutionelle Unternehmer*innen mit ihren Ideen anknüpfen können, wurde oben konkretisiert, dass diese im Vergleich zur Phase der Stabilität von kurzer Dauer sein sollten, dass sich also keine langfristigen Strukturprobleme für die Anknüpfung eignen. Zusätzlich könnten auch andere Veränderungen Gelegenheitsfenster darstellen, beispielsweise neu geschaffene Institutionen, die noch offen für Ideen von außen sind oder Zeiten von Wahlkampf. Unterstützend für Wandel ist es außerdem, wenn dieser als Vorteil für die Macht und Ressourcen der Entscheidungsträger*innen gesehen wird oder auch, wenn eine Umsetzung neuer Ideen indirekt Gelder einspart, was sich darin äußert, dass die Entscheidungsträger*innen ohne den Einsatz eigener finanzieller Mittel oder Aufwand zusätzliche Projekte umsetzen können.
Da die Thesen des diskursiven Institutionalismus von einer Kontinuität bei den Entscheidungsträger*innen ausgehen und dies beispielsweise durch Personalwechsel nicht immer gewährleistet wird, sollte dieser Punkt mit beachtet werden. Wenn die Personen in für die Ideen relevanten Organisationen wechseln, so muss erneut Kontakt mit den neuen zuständigen Personen aufgenommen werden und auch bei gleichbleibenden Personen der Kontakt langfristig aufrechterhalten werden. Neues Personal kann sowohl hinderlich für Veränderung sein als auch förderlich, je nachdem, wie die Personen dazu und zu den institutionellen Unternehmer*innen eingestellt sind.
In den vorangegangenen Abschnitten wurde außerdem ein Versuch unternommen, die Schritte hin zu einem Wandel dritter Ordnung genauer auszudifferenzieren und dabei insbesondere Augenmerk auf die Phase des diskursiven Wandels zu legen. Die Analyse deutet darauf hin, dass eine Transformation wahrscheinlicher wird, wenn eine Diffusion der radikalen neuen Ideen, also der Paradigmen, stattfindet, diese also in den Diskursen explizit gemacht werden. Zusätzlich, jedoch nicht ohne den vorher genannten Punkt, ist eine Ableitung und Umsetzung von neuen Policies und Programmen hilfreich. Eine Umsetzung von Policies und Programmen, ein Wandel erster und zweiter Ordnung, kann also auf dem Weg zu einer Transformation geschehen, solange die Paradigmen ebenfalls explizit gemacht werden. Diese schrittweise Veränderung ist allerdings nicht zwingend. Werden lediglich die neuen Policies und Programme formuliert und die Paradigmen nicht explizit gemacht, ist es unwahrscheinlich, dass die drei Grade des Wandels nacheinander durchlaufen werden.
Durch die genannten Schlussfolgerungen der Analyse können die zentralen Thesen des diskursiven Institutionalismus daher in einiger Hinsicht ausdifferenziert und erweitert werden, wie in Abb. 6.1 dargestellt wird. Diese stellen einen Beitrag zum diskursiven Institutionalismus dar und sollten auch für die Transition- und Transformationsforschung hilfreich sein. Insbesondere im diskursiven Institutionalismus ist es bisher offen gewesen, ob die drei Stufen der Veränderung nacheinander durchlaufen werden. Folgende Punkte sollen als wichtigste Ergänzungen zum diskursiven Institutionalismus herausgestellt werden:
1.
Die Netzwerke von institutionellen Unternehmer*innen müssen breit und tief sein, Ressourcen beinhalten und die Vermittler*innen müssen die Ziele teilen und die Ideen unterstützen, um Veränderungen dritter Ordnung zu ermöglichen.
 
2.
Ein guter Ruf der institutionellen Unternehmer*innen hilft ihnen bei der Verbreitung der Ideen.
 
3.
Eine leicht greifbare und mehrdeutige Formulierung der Ideen erleichtert zwar die Diffusion von Policies und Programmen, nicht jedoch die Verbreitung der Paradigmen, welche eindeutig kommuniziert werden müssen.
 
4.
Nur Krisen von relativ kurzer Dauer können als Gelegenheitsfenster für Wandel dienen, wenn von institutionellen Unternehmer*innen bewusst daran angeknüpft wird, nicht aber längerfristige Strukturprobleme. Um eine Transformation hervorzurufen, müssen sie bei den Entscheidungsträger*innen zu einem Hinterfragen der Paradigmen führen.
 
5.
Auch institutionelle Veränderungen, wie die Gründung einer neuen Institution oder Personalwechsel, können als Gelegenheitsfenster für Wandel genutzt werden.
 
6.
Um erfolgreich Politikwandel anzustoßen muss der Zugang zu Entscheidungsträger*innen über den gesamten Zeitraum, über den versucht wird, eine Veränderung zu bewirken, aufrechterhalten werden oder gegebenenfalls erneuert werden, wenn es zu Personalwechseln kommt. Dabei ist eine Begleitung der Umsetzungen der Ideen durch die institutionellen Unternehmer*innen von Vorteil, damit es nicht bei einmaligen Policies bleibt.
 
7.
Wenn glaubwürdig gezeigt werden kann, dass eine Idee Ressourcen einspart oder zusätzliche Vorteile bringt, ohne Ressourcen zu kosten, kann dies das Interesse der Entscheidungsträger*innen an der Idee erhöhen.
 
8.
Um Wandel dritter Ordnung anzustoßen, wird vor allem eine Diffusion der neuen Paradigmen benötigt, die durch eine Erprobung abgeleiteter Policies oder Programme begleitet werden kann. Eine Kommunikation lediglich von Policies und Programmen, ohne die Paradigmen explizit zu machen, ist jedoch kontraproduktiv für einen Paradigmenwechsel.
 

6.2 Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen für die transformative Forschung

6.2.1 Städtischer Transformationskontext

Die Analyse hat gezeigt, dass die wissenschaftlichen Institutionen als glaubwürdig wahrgenommen und als Berater*innen, Expert*innen, Impulsgeber*innen und auch als Netzwerker*innen gesehen wurden. Die bestehenden Kontakte und der gute Ruf der Organisationen halfen ihnen bei der Verbreitung ihrer Ideen und dabei, Zugang zu Entscheidungsträger*innen und Vermittler*innen zu bekommen (siehe Abschn. 5.​3.​1). Die Forschenden und ihre Institutionen wurden im Sinne epistemischer Gemeinschaften (Campbell 2004, S. 106 f.; Haas 1992, S. 3 f., 27–29) wahrgenommen, die als Berater*innen kontaktiert und auch in städtische Gremiensitzungen eingeladen wurden. Daneben war es hilfreich, dass die Forschenden über die Prozesse in der Stadt Bescheid wussten. Dies ermöglichte ihnen, konkrete Gelegenheitsfenster zu nutzen und daran anzuknüpfen. Dieses Wissen über aktuelle Vorgänge stellte sich als Voraussetzung heraus, um bei transformativen Forschungsprojekten auf Prozesse, Konflikte und Krisen im Kontext des Projektes zu reagieren und die transformativen Ideen als konkrete Lösungswege zu formulieren.
Es ist daher empfehlenswert, transformative Forschungsprojekte an Orten durchzuführen, an denen gute Kontakte zur Zivilgesellschaft und zu Entscheidungsträger*innen bestehen und wo die Forschenden bereits über Reputation verfügen. Alternativ kann dieser gute Ruf nach und nach aufgebaut werden. Daneben sollte Wissen über laufende Prozesse aufgebaut und diese mitverfolgt werden. Dazu gehört es auch, bei Veranstaltungen im Bereich Bürgerbeteiligung oder Lokalpolitik präsent zu sein, bestehende Kontakte zu pflegen und neue zu knüpfen.

6.2.2 Bereitstellung innovativer Ideen und ihre Anschlussfähigkeit

Die Anknüpfung an Prozesse und Krisen, um diese als Gelegenheitsfenster zu nutzen, erweist sich als wichtiger Aspekt transformativer Forschung. So können zum Beispiel neu entstehende, (noch) durchlässige Institutionen (Campbell 2004, S. 178) oder Veränderungen der Machtverhältnisse (Quack 2006, S. 180) bewusst genutzt werden.
Bei den untersuchten Fällen konnte im Laufe des Untersuchungszeitraumes an städtische Prozesse gewinnbringend angeknüpft werden, die nicht von vorneherein geplant waren (siehe Abschn. 5.​3.​2). Hier zeigt sich, dass bei transformativer Forschung ein gewisses Maß an Flexibilität vorteilhaft ist. Nicht alle Schritte und Anknüpfungspunkte können im Voraus festgelegt werden, sondern müssen an parallellaufende Prozesse, aufkommende Krisen und institutionelle Veränderungen angepasst werden. Dies beinhaltet neben dem Wissen über die laufenden Prozesse auch eine konkrete Formulierung von Ideen als Lösungsvorschläge. Hier zeigt die Analyse, dass die Forschenden noch klarer als in den untersuchten Fällen formulieren sollten, wie die neuen Ideen dort Verwendung finden könnten.
Wie wichtig diese Übersetzungsfunktion in praktische Prozesse ist, zeigt auch die Tatsache, dass die Zusammenarbeit mit den Entscheidungsträger*innen dann besonders gut funktioniert hat, wenn ganz konkret formuliert wurde, wie die Ideen in der Praxis genutzt und umgesetzt werden könnten, insbesondere, wenn dabei auf Seiten der Stadt Ressourcen eingespart werden können. Transformative Forschungsprojekte sollten also, um längerfristig erfolgreicher zu sein, noch gezielter kommunizieren, wie die Ideen für städtische Prozesse gewinnbringend genutzt werden können und wie die Entscheidungsträger*innen selbst von den neuen Ideen profitieren könnten, beispielsweise durch die Vergrößerung von Macht oder Ressourcen oder auch als bessere Lösung für bestehende Herausforderungen. Dafür sollten aus den von den institutionellen Unternehmer*innen vertretenen Paradigmen konkrete Programme hergeleitet und kommuniziert werden, die an die wahrgenommenen Krisen gut anknüpfen, was beispielsweise in Form von Policy Briefs geschehen könnte. Weiterhin könnten transformative Forschungsprojekte auch bereits an der Stelle der Krisendefinition ansetzen und zunächst ihren Fokus darauf richten, Krisen passend zu den vorhandenen Ideen zu framen und bewusst eine erhöhte Krisenwahrnehmung bei den Entscheidungsträger*innen zu erzeugen (Campbell 2004, S. 177; King 1999, S. 39).
In den untersuchten Fällen richteten sich keine Dokumente explizit an Stadtverwaltung und -politik (siehe Abschn. 5.​3.​1). Übermittlung und Austausch über die Ideen mit den Entscheidungsträger*innen fand persönlich in Gesprächen, Workshops und Gremien statt. Zwar wurden Ergebnisse von „Glücklich in Wuppertal“ online in einem Dashboard veröffentlicht, was von vielen jedoch noch als zu kompliziert wahrgenommen wurde. Stattdessen sollten Ergebnisse noch klarer, einfacher und knapper, auch in schriftlicher Form, an die Entscheidungsträger*innen erfolgen.
Dazu sollten einerseits frühzeitig Ergebnisse bereitgestellt werden, unter anderem gut aufbereitete quantitative Berechnungen, und diese an die Entscheidungsträger*innen herangetragen werden. In der Planung der Projekte sollte daher genügend Zeit für die eigentliche Umsetzung veranschlagt werden, die nach der klassischen wissenschaftlichen Analyse folgt, sowie für Kommunikations- und Vernetzungsmaßnahmen. Dies deutet darauf hin, dass eine zeitlich begrenzte projektbasierte Förderung transformativer Forschung möglicherweise nicht die geeignete Finanzierung darstellt, da nach Ende der Förderlaufzeit der Erfolg von der Weiterführung und Finanzierung durch die Stadt oder andere Akteur*innen abhängt. Dadurch wäre eine längerfristige Förderung der Aktivitäten der transformativen Forschenden und ihres Austausches mit den Entscheidungsträger*innen von Vorteil. Im Sinne der Modus-3-Wissenschaft (siehe Abschn. 2.​2.​2) stellt dies einen Aspekt dar, der von den Forschenden reflektiert wird und bei dem gegebenenfalls Weiterentwicklungen in Wissenschaftseinrichtungen und Förderstrukturen notwendig wären.
Wesentlich bei der Verbreitung der Ideen ist außerdem, die Paradigmen explizit zu kommunizieren und entsprechend den verbreiteten Wahrnehmungen zu framen, die dabei allerdings nicht ihre Radikalität einbüßen sollten. Hierbei kann es hilfreich sein, mit geeigneten Framer*innen zusammenzuarbeiten. Diese Empfehlung, die Kommunikation der Ideen vermehrt an andere Akteur*innen abzugeben, könnte als Widerspruch zum Anspruch transformativer Forschung verstanden werden, da diese ja gerade nicht nur wie Theoretiker*innen neues Wissen produzieren, sondern dieses auch aktiv in Transformationsprozesse einbringen will (Schneidewind und Singer-Brodowski 2013, S. 72 f.). Doch auch dann scheint es empfehlenswert zu sein, auf zusätzliche Vermittler*innen, beispielsweise aus der Zivilgesellschaft, zurückzugreifen und mit Personen zu kooperieren, die als Framer*innen agieren können. Dabei muss aber sichergestellt werden, dass die grundlegenden Ideen als solche bestehen bleiben und im Zuge der Übersetzung durch die Akteur*innen nicht der Bezug zum eigentlichen alternativen Paradigma eingebüßt wird. Die transformativen Forschungsprojekte müssten daher auch gezielter auf der Ebene von Paradigmen neue Lösungsvorschläge ausformulieren und deren Vorteile konkret nennen. Dies erscheint insbesondere deswegen wichtig, da ansonsten eine Vereinnahmung der Ideen der transformativen Forschung durch Entscheidungsträger*innen droht, wodurch das Transformationspotenzial verloren gehen könnte. So könnte es passieren, dass die Ideen der transformativen Forschungsprojekte lediglich von den Entscheidungsträger*innen für deren eigenen Imagegewinn genutzt werden, die grundlegenden Paradigmen und Programme aber verloren gehen. Um dies zu verhindern ist es auch hilfreich, wie eben beschrieben, bei der Krisenwahrnehmung anzusetzen und so zunächst eine erhöhte Wahrnehmung einer grundsätzlich die Paradigmen hinterfragende Krise (siehe Abschn. 6.1.4) zu bewirken.

6.2.3 Begleitung praktischer Umsetzungen und Verstetigung der Ideen

Die Analyse hat außerdem Hinweise geliefert, dass es hilfreich sein kann, wenn die Wissenschaft selbst als institutionelle Unternehmerin die Umsetzung der Ideen mit begleitet oder in die Hand anderer institutioneller Unternehmer*innen gibt und nicht alleine den Entscheidungsträger*innen überlässt. Die untersuchten Fälle waren dort erfolgreich, wo die Wissenschaftler*innen sehr eng in die Umsetzung eingebunden waren, diese konkret mitgestalten konnten (wie Bürgerbudget und STEK2030) und nicht nur das Angebot machten, auf Forschungsergebnisse zurückzugreifen (wie W2025). Was sich jedoch als schwierig herausstellte, ist sicherzustellen, dass es nicht bei einer einmaligen Nutzung bleibt (wie beim Bürgerbudget und STEK2030), sondern dass die Ideen längerfristig einfließen, was sich bei zeitlich begrenzter Förderung für Forschungsprojekte und dem Anspruch, die Umsetzung selbst mit zu begleiten, jedoch sehr schwierig einlösen lässt.
Förderlich hier wäre eine längerfristige Ermöglichung sowohl der Finanzierung der Wissenschaftler*innen als auch der Begleitung von städtischen Prozessen über einzelne Anwendungen und Projekte hinaus. Insbesondere bei Personalwechseln sollte der Kontakt erneut hergestellt und die Verstetigung der Ideen sichergestellt werden.

6.2.4 Verfestigung der Paradigmen in Nischen

Transformative Forschungsprojekte verfolgen ihrem Ansatz nach neue Paradigmen mit dem Ziel, grundlegende Strukturen und Institutionen zu verändern und eine Nachhaltigkeitstransformation anzustoßen. Gleichzeitig versuchen die Projekte, die lokalen Akteur*innen einzubeziehen und für die Ideen des Projektes zu gewinnen. Diese Übersetzung in lokale Kontexte und zu den Vorstellungen von Entscheidungsträger*innen und Bürgerschaft kann schnell mit einer Anpassung der Ideen an bestehende Paradigmen und Empfindungen einhergehen und das Transformationspotenzial mindern. Daher müssen die transformativen Forschungsprojekte je nach Forschungskontext eine Strategie entwickeln, inwieweit sie sich von vorherrschenden Paradigmen explizit abgrenzen.
Im Fall der Wohlstandsindikatorenentwicklung hat sich gezeigt, dass die Ideen insbesondere an Nischenakteur*innen im Nachhaltigkeitsbereich anschlussfähig waren und weniger an die breite Bevölkerung und Entscheidungsträger*innen. In diesem untersuchten Fall wurde dann auch hauptsächlich Anschluss an die Nischenakteur*innen gesucht und die Ideen kaum in der Stadtöffentlichkeit verbreitet. Im Fall von „Glücklich in Wuppertal“ war dagegen eine breite Kommunikation erforderlich, um Nutzer*innen für die App zu gewinnen und damit eine gute Datenqualität zu erreichen. Dabei wurden häufig soziale Medien als Verbreitungsmedium genutzt, weshalb komplexe Ideen kaum darstellbar schienen. In beiden untersuchten Fällen wurden kleine Umsetzungen auf der ersten und zweiten Ebene von Ideen erprobt, mit dem Ziel, damit den Ideen im Hintergrund zur Verbreitung zu verhelfen.
Schlussfolgernd aus den in Abschnitt 6.1 genannten Punkten wird hier davon ausgegangen, dass für das konkrete Transformationspotenzial die direkte Formulierung der Paradigmen und deren Übersetzung in (radikale) Programme ein notwendiger Baustein transformativer Forschung ist. Dies beinhaltet auch eine öffentliche Kommunikation der alternativen Paradigmen und eine Kritik an bestehenden Paradigmen, statt hauptsächlich Angebote für zusätzliche Möglichkeiten zu unterbreiten.
In beiden Fällen hätten eine engere Verbindung mit zusätzlichen Akteur*innen, die die Idee unterstützen, und ein stärkerer Diskurs über die alternativen Paradigmen die Chance auf einen transformativen Wandel erhöht, statt breite Gruppen von Akteur*innen mit oberflächlichen Informationen auszustatten. Wenn ein Diskurs eine radikale Transformation von bestehenden Werten fordert, kann er sich laut Schmidt (2002, S. 221) auch auf neu aufkommende Werte berufen und damit einen Wertewandel bestärken. Die beiden Projekte hätten sich hier also auf andere neu aufkommende Alternativen zum vorherrschenden Paradigma, die beispielsweise in der Zivilgesellschaft vorhanden sind, beziehen und sich mit diesen verbinden können. Hier stellt sich dann jedoch die Frage, wie das Anstoßen von und Agieren in einem kritischen öffentlichen Diskurs – was durchaus dem selbst gestellten Anspruch der transformativen Forschenden entspricht – sich mit den Erwartungen an sie als Wissenschaftler*innen und ihrem Ansehen als epistemische Gemeinschaft vereinbaren lässt, oder ob hier widersprüchliche Anforderungen entstehen würden.

6.2.5 Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich der lokale Kontext einer Stadt als geeignet für den Forschungsansatz transformativer Forschung herausstellte. Es zeigte sich außerdem, dass die transformative Forschung, um erfolgreich Transformation anzustoßen oder zu unterstützen, die Kommunikation ihrer Ideen – insbesondere der Paradigmen – und die längerfristige Begleitung der Umsetzung verstärkt fokussieren muss. Dazu zählt auch die Zusammenarbeit mit Akteur*innen, die als Framer*innen oder Vermittler*innen agieren können. Im Folgenden werden die in den vorangegangenen Abschnitten hergeleiteten Empfehlungen für zukünftige transformative Forschungsprojekte zusammengefasst:
1.
Die Wissenschaftler*innen in transformativen Forschungsprojekten müssen gut über Prozesse in dem Kontext ihrer Forschung Bescheid wissen, weshalb sich eine Durchführung am Standort der Forschungsinstitute gut eignet. Sofern noch nicht vorhanden, sollten sie Kontakte herstellen und eine gute Reputation ihrer Organisation erreichen.
 
2.
Die transformativen Forschungsprojekte sollten flexibel auf aufkommende Projekte, Krisen und Prozesse reagieren können, sofern diese Gelegenheitsfenster und Anknüpfungspunkte für ihre transformativen Ideen darstellen. Dabei sollte klar formuliert werden, wie die neuen Ideen als Lösungsvorschläge dienen, wie sie umgesetzt werden können und welche Vorteile dies den Entscheidungsträger*innen bringt.
 
3.
Zur vertieften Kommunikation der Ideen, insbesondere der Paradigmen und der konkreten, daraus abgeleiteten Programme, wird eine Zusammenarbeit mit Framer*innen und Vermittler*innen benötigt, die über die notwendige Kommunikationskompetenz verfügen, gute Netzwerke haben und die Paradigmen der institutionellen Unternehmer*innen teilen.
 
4.
Diese Ideen sowie erste Forschungsergebnisse sollten nicht nur mündlich in Besprechungen, sondern schriftlich in konkreten Policy Briefs an die Entscheidungsträger*innen kommuniziert werden. Hierfür sollten genügend personelle und finanzielle Mittel und Zeit im Rahmen der Forschungsprojekte eingeplant werden.
 
5.
Widersprüche zu bestehenden Paradigmen sollten nicht verschwiegen, sondern Diskussionen über die alternativen Paradigmen angestoßen und bestehende Paradigmen kritisiert werden.
 
6.
Wenn möglich, sollten Umsetzungen von neuen Policies und Programmen mitbegleitet und praktisch unterstützt werden. Damit dies nicht bei einer einmaligen Umsetzung der Ideen bleibt, sollte auch auf eine Verstetigung der Ideen und des politischen Wandels hingewirkt werden.
 
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Metadaten
Titel
Schlussfolgerungen für Theorie und Forschungspraxis: vom veränderten Diskurs zur „Großen Transformation“
verfasst von
Katharina Schleicher
Copyright-Jahr
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-32601-2_6