Die Analyse hat gezeigt, dass die wissenschaftlichen Institutionen als glaubwürdig wahrgenommen und als Berater*innen, Expert*innen, Impulsgeber*innen und auch als Netzwerker*innen gesehen wurden. Die bestehenden Kontakte und der gute Ruf der Organisationen halfen ihnen bei der Verbreitung ihrer Ideen und dabei, Zugang zu Entscheidungsträger*innen und Vermittler*innen zu bekommen (siehe Abschn.
5.3.1). Die Forschenden und ihre Institutionen wurden im Sinne epistemischer Gemeinschaften (Campbell 2004, S. 106 f.; Haas 1992, S. 3 f., 27–29) wahrgenommen, die als Berater*innen kontaktiert und auch in städtische Gremiensitzungen eingeladen wurden. Daneben war es hilfreich, dass die Forschenden über die Prozesse in der Stadt Bescheid wussten. Dies ermöglichte ihnen, konkrete Gelegenheitsfenster zu nutzen und daran anzuknüpfen. Dieses Wissen über aktuelle Vorgänge stellte sich als Voraussetzung heraus, um bei transformativen Forschungsprojekten auf Prozesse, Konflikte und Krisen im Kontext des Projektes zu reagieren und die transformativen Ideen als konkrete Lösungswege zu formulieren.
Es ist daher empfehlenswert, transformative Forschungsprojekte an Orten durchzuführen, an denen gute Kontakte zur Zivilgesellschaft und zu Entscheidungsträger*innen bestehen und wo die Forschenden bereits über Reputation verfügen. Alternativ kann dieser gute Ruf nach und nach aufgebaut werden. Daneben sollte Wissen über laufende Prozesse aufgebaut und diese mitverfolgt werden. Dazu gehört es auch, bei Veranstaltungen im Bereich Bürgerbeteiligung oder Lokalpolitik präsent zu sein, bestehende Kontakte zu pflegen und neue zu knüpfen.
6.2.2 Bereitstellung innovativer Ideen und ihre Anschlussfähigkeit
Die Anknüpfung an Prozesse und Krisen, um diese als Gelegenheitsfenster zu nutzen, erweist sich als wichtiger Aspekt transformativer Forschung. So können zum Beispiel neu entstehende, (noch) durchlässige Institutionen (Campbell 2004, S. 178) oder Veränderungen der Machtverhältnisse (Quack 2006, S. 180) bewusst genutzt werden.
Bei den untersuchten Fällen konnte im Laufe des Untersuchungszeitraumes an städtische Prozesse gewinnbringend angeknüpft werden, die nicht von vorneherein geplant waren (siehe Abschn.
5.3.2). Hier zeigt sich, dass bei transformativer Forschung ein gewisses Maß an Flexibilität vorteilhaft ist. Nicht alle Schritte und Anknüpfungspunkte können im Voraus festgelegt werden, sondern müssen an parallellaufende Prozesse, aufkommende Krisen und institutionelle Veränderungen angepasst werden. Dies beinhaltet neben dem Wissen über die laufenden Prozesse auch eine konkrete Formulierung von Ideen als Lösungsvorschläge. Hier zeigt die Analyse, dass die Forschenden noch klarer als in den untersuchten Fällen formulieren sollten, wie die neuen Ideen dort Verwendung finden könnten.
Wie wichtig diese Übersetzungsfunktion in praktische Prozesse ist, zeigt auch die Tatsache, dass die Zusammenarbeit mit den Entscheidungsträger*innen dann besonders gut funktioniert hat, wenn ganz konkret formuliert wurde, wie die Ideen in der Praxis genutzt und umgesetzt werden könnten, insbesondere, wenn dabei auf Seiten der Stadt Ressourcen eingespart werden können. Transformative Forschungsprojekte sollten also, um längerfristig erfolgreicher zu sein, noch gezielter kommunizieren, wie die Ideen für städtische Prozesse gewinnbringend genutzt werden können und wie die Entscheidungsträger*innen selbst von den neuen Ideen profitieren könnten, beispielsweise durch die Vergrößerung von Macht oder Ressourcen oder auch als bessere Lösung für bestehende Herausforderungen. Dafür sollten aus den von den institutionellen Unternehmer*innen vertretenen Paradigmen konkrete Programme hergeleitet und kommuniziert werden, die an die wahrgenommenen Krisen gut anknüpfen, was beispielsweise in Form von Policy Briefs geschehen könnte. Weiterhin könnten transformative Forschungsprojekte auch bereits an der Stelle der Krisendefinition ansetzen und zunächst ihren Fokus darauf richten, Krisen passend zu den vorhandenen Ideen zu framen und bewusst eine erhöhte Krisenwahrnehmung bei den Entscheidungsträger*innen zu erzeugen (Campbell 2004, S. 177; King 1999, S. 39).
In den untersuchten Fällen richteten sich keine Dokumente explizit an Stadtverwaltung und -politik (siehe Abschn.
5.3.1). Übermittlung und Austausch über die Ideen mit den Entscheidungsträger*innen fand persönlich in Gesprächen, Workshops und Gremien statt. Zwar wurden Ergebnisse von „Glücklich in Wuppertal“ online in einem Dashboard veröffentlicht, was von vielen jedoch noch als zu kompliziert wahrgenommen wurde. Stattdessen sollten Ergebnisse noch klarer, einfacher und knapper, auch in schriftlicher Form, an die Entscheidungsträger*innen erfolgen.
Dazu sollten einerseits frühzeitig Ergebnisse bereitgestellt werden, unter anderem gut aufbereitete quantitative Berechnungen, und diese an die Entscheidungsträger*innen herangetragen werden. In der Planung der Projekte sollte daher genügend Zeit für die eigentliche Umsetzung veranschlagt werden, die nach der klassischen wissenschaftlichen Analyse folgt, sowie für Kommunikations- und Vernetzungsmaßnahmen. Dies deutet darauf hin, dass eine zeitlich begrenzte projektbasierte Förderung transformativer Forschung möglicherweise nicht die geeignete Finanzierung darstellt, da nach Ende der Förderlaufzeit der Erfolg von der Weiterführung und Finanzierung durch die Stadt oder andere Akteur*innen abhängt. Dadurch wäre eine längerfristige Förderung der Aktivitäten der transformativen Forschenden und ihres Austausches mit den Entscheidungsträger*innen von Vorteil. Im Sinne der Modus-3-Wissenschaft (siehe Abschn.
2.2.2) stellt dies einen Aspekt dar, der von den Forschenden reflektiert wird und bei dem gegebenenfalls Weiterentwicklungen in Wissenschaftseinrichtungen und Förderstrukturen notwendig wären.
Wesentlich bei der Verbreitung der Ideen ist außerdem, die Paradigmen explizit zu kommunizieren und entsprechend den verbreiteten Wahrnehmungen zu framen, die dabei allerdings nicht ihre Radikalität einbüßen sollten. Hierbei kann es hilfreich sein, mit geeigneten Framer*innen zusammenzuarbeiten. Diese Empfehlung, die Kommunikation der Ideen vermehrt an andere Akteur*innen abzugeben, könnte als Widerspruch zum Anspruch transformativer Forschung verstanden werden, da diese ja gerade nicht nur wie Theoretiker*innen neues Wissen produzieren, sondern dieses auch aktiv in Transformationsprozesse einbringen will (Schneidewind und Singer-Brodowski 2013, S. 72 f.). Doch auch dann scheint es empfehlenswert zu sein, auf zusätzliche Vermittler*innen, beispielsweise aus der Zivilgesellschaft, zurückzugreifen und mit Personen zu kooperieren, die als Framer*innen agieren können. Dabei muss aber sichergestellt werden, dass die grundlegenden Ideen als solche bestehen bleiben und im Zuge der Übersetzung durch die Akteur*innen nicht der Bezug zum eigentlichen alternativen Paradigma eingebüßt wird. Die transformativen Forschungsprojekte müssten daher auch gezielter auf der Ebene von Paradigmen neue Lösungsvorschläge ausformulieren und deren Vorteile konkret nennen. Dies erscheint insbesondere deswegen wichtig, da ansonsten eine Vereinnahmung der Ideen der transformativen Forschung durch Entscheidungsträger*innen droht, wodurch das Transformationspotenzial verloren gehen könnte. So könnte es passieren, dass die Ideen der transformativen Forschungsprojekte lediglich von den Entscheidungsträger*innen für deren eigenen Imagegewinn genutzt werden, die grundlegenden Paradigmen und Programme aber verloren gehen. Um dies zu verhindern ist es auch hilfreich, wie eben beschrieben, bei der Krisenwahrnehmung anzusetzen und so zunächst eine erhöhte Wahrnehmung einer grundsätzlich die Paradigmen hinterfragende Krise (siehe Abschn.
6.1.4) zu bewirken.
6.2.3 Begleitung praktischer Umsetzungen und Verstetigung der Ideen
Die Analyse hat außerdem Hinweise geliefert, dass es hilfreich sein kann, wenn die Wissenschaft selbst als institutionelle Unternehmerin die Umsetzung der Ideen mit begleitet oder in die Hand anderer institutioneller Unternehmer*innen gibt und nicht alleine den Entscheidungsträger*innen überlässt. Die untersuchten Fälle waren dort erfolgreich, wo die Wissenschaftler*innen sehr eng in die Umsetzung eingebunden waren, diese konkret mitgestalten konnten (wie Bürgerbudget und STEK2030) und nicht nur das Angebot machten, auf Forschungsergebnisse zurückzugreifen (wie W2025). Was sich jedoch als schwierig herausstellte, ist sicherzustellen, dass es nicht bei einer einmaligen Nutzung bleibt (wie beim Bürgerbudget und STEK2030), sondern dass die Ideen längerfristig einfließen, was sich bei zeitlich begrenzter Förderung für Forschungsprojekte und dem Anspruch, die Umsetzung selbst mit zu begleiten, jedoch sehr schwierig einlösen lässt.
Förderlich hier wäre eine längerfristige Ermöglichung sowohl der Finanzierung der Wissenschaftler*innen als auch der Begleitung von städtischen Prozessen über einzelne Anwendungen und Projekte hinaus. Insbesondere bei Personalwechseln sollte der Kontakt erneut hergestellt und die Verstetigung der Ideen sichergestellt werden.
6.2.4 Verfestigung der Paradigmen in Nischen
Transformative Forschungsprojekte verfolgen ihrem Ansatz nach neue Paradigmen mit dem Ziel, grundlegende Strukturen und Institutionen zu verändern und eine Nachhaltigkeitstransformation anzustoßen. Gleichzeitig versuchen die Projekte, die lokalen Akteur*innen einzubeziehen und für die Ideen des Projektes zu gewinnen. Diese Übersetzung in lokale Kontexte und zu den Vorstellungen von Entscheidungsträger*innen und Bürgerschaft kann schnell mit einer Anpassung der Ideen an bestehende Paradigmen und Empfindungen einhergehen und das Transformationspotenzial mindern. Daher müssen die transformativen Forschungsprojekte je nach Forschungskontext eine Strategie entwickeln, inwieweit sie sich von vorherrschenden Paradigmen explizit abgrenzen.
Im Fall der Wohlstandsindikatorenentwicklung hat sich gezeigt, dass die Ideen insbesondere an Nischenakteur*innen im Nachhaltigkeitsbereich anschlussfähig waren und weniger an die breite Bevölkerung und Entscheidungsträger*innen. In diesem untersuchten Fall wurde dann auch hauptsächlich Anschluss an die Nischenakteur*innen gesucht und die Ideen kaum in der Stadtöffentlichkeit verbreitet. Im Fall von „Glücklich in Wuppertal“ war dagegen eine breite Kommunikation erforderlich, um Nutzer*innen für die App zu gewinnen und damit eine gute Datenqualität zu erreichen. Dabei wurden häufig soziale Medien als Verbreitungsmedium genutzt, weshalb komplexe Ideen kaum darstellbar schienen. In beiden untersuchten Fällen wurden kleine Umsetzungen auf der ersten und zweiten Ebene von Ideen erprobt, mit dem Ziel, damit den Ideen im Hintergrund zur Verbreitung zu verhelfen.
Schlussfolgernd aus den in Abschnitt
6.1 genannten Punkten wird hier davon ausgegangen, dass für das konkrete Transformationspotenzial die direkte Formulierung der Paradigmen und deren Übersetzung in (radikale) Programme ein notwendiger Baustein transformativer Forschung ist. Dies beinhaltet auch eine öffentliche Kommunikation der alternativen Paradigmen und eine Kritik an bestehenden Paradigmen, statt hauptsächlich Angebote für zusätzliche Möglichkeiten zu unterbreiten.
In beiden Fällen hätten eine engere Verbindung mit zusätzlichen Akteur*innen, die die Idee unterstützen, und ein stärkerer Diskurs über die alternativen Paradigmen die Chance auf einen transformativen Wandel erhöht, statt breite Gruppen von Akteur*innen mit oberflächlichen Informationen auszustatten. Wenn ein Diskurs eine radikale Transformation von bestehenden Werten fordert, kann er sich laut Schmidt (2002, S. 221) auch auf neu aufkommende Werte berufen und damit einen Wertewandel bestärken. Die beiden Projekte hätten sich hier also auf andere neu aufkommende Alternativen zum vorherrschenden Paradigma, die beispielsweise in der Zivilgesellschaft vorhanden sind, beziehen und sich mit diesen verbinden können. Hier stellt sich dann jedoch die Frage, wie das Anstoßen von und Agieren in einem kritischen öffentlichen Diskurs – was durchaus dem selbst gestellten Anspruch der transformativen Forschenden entspricht – sich mit den Erwartungen an sie als Wissenschaftler*innen und ihrem Ansehen als epistemische Gemeinschaft vereinbaren lässt, oder ob hier widersprüchliche Anforderungen entstehen würden.