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Erschienen in:

Free Access 01.12.2024 | Praxis | Technologien

Schöne neue Klimawelt - Gelingt der grüne Wasserstoffhochlauf?

verfasst von: Axel Müller

Erschienen in: Zeitschrift für Energiewirtschaft | Ausgabe 4/2024

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Für die Wirtschaftlichkeit der Wasserstoffelektrolyse gibt es einen engen Zusammenhang zwischen der Verfügbarkeit von Grünstrom und den damit verbundenen jährlichen Betriebsstunden des Elektrolyseurs. Dieser Zusammenhang ist in bisherigen Analysen mittels pauschaler Annahmen über Betriebsweise und Betriebsstunden der Elektrolyseure dargestellt worden.1
In dieser Studie werden stattdessen die realen Verfügbarkeitsstunden von hohen Anteilen grünen Stroms im Stromnetz zugrunde gelegt. Um zu möglichst realistischen Annahmen über Grünstromverfügbarkeit und Strompreis zu kommen, liegt ein Rechenmodell zugrunde, das mit den aktuellen Stundenwerten2 im Stromnetz der Jahresperiode Juli 2023 bis Juni 2024 arbeitet und damit außerhalb der Störungen des Strommarktes in der Nachfolge von Ukraine-Krieg und Gaskrise liegt. Es kann gezeigt werden, dass die Erzeugung von grünem Wasserstoff mit einer getakteten Betriebsweise der Elektrolyseure in Stunden mit hohen Grünstromanteilen in naher Zukunft wirtschaftlich betrieben werden kann.

Anspruchsvolle Ziele - Holpriger Start

H2-Ready schallt es allenthalben. Im Kontext ihrer Strategie für die Klimaneutralität im Jahr 2050 hat sich die EU für den Start in die Wasserstoffwirtschaft konkrete und anspruchsvolle Ziele gesetzt. So sollen gemäß den Vorgaben der Erneuerbaren-Energien-Direktive (RED III)3 bis zum Jahr 2030 42 % des in der Industrie stofflich und energetisch verwendeten Wasser-stoffs aus erneuerbaren Quellen kommen, also als „grüner“ Wasserstoff durch regenerativen Strom erzeugt werden. 2035 sollen es bereits 60 % sein. Bisher wird dieser Wasserstoff vorrangig als „grauer“ Wasserstoff per Dampfreformierung ganz konventionell aus Erdgas erzeugt. Aktuell sind weniger als 1 % des verwendeten Wasserstoffs erneuerbar. Zugleich sollen für den Verkehrssektor bis 2030 1 % der eingesetzten Kraftstoffe als synthetische Kraftstoffe verfügbar sein4, die per Fischer-Tropsch-Synthese aus Wasserstoff und abgeschiedenem CO2 erzeugt werden.
Aber der Start ist holprig und stockt: „Europe's hydrogen market is beginning to take shape … but is not yet taking off.“5 Was sich auf dem Papier so gut anhört, ist in der Realität außeror-dentlich komplex.

Elektrolyse - Stand der Technik und Kosten

Bei der Wasserstoffelektrolyse wird in den Zellen/Stacks eines Elektrolyseurs Wasser als Elektrolyt durch einen zwischen Anode und Kathode fließenden elektrischen Strom in seine beiden Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Es gibt verschiedene Verfahren der Elektrolyse.6 Die alkalische Elektrolyse (AEL) ist erprobt, etabliert und großtechnisch verfügbar. Ihr Nachteil liegt in der schlechten Reagibilität auf das schwankende Angebot regenerativen Stroms. Auch die PEM-Elektrolyse (Polymer-Elektrolyt-Membran) ist technisch einsatzbereit, ihr Vorteil liegt in der flexiblen Reagibilität auf ein variierendes erneuerbares Stromangebot. Ihr Nachteil ist der hohe Preis, der wegen der eingesetzten seltenen Edelmetalle nur begrenzt nach unten skalierbar erscheint. Die Entwicklung deutet deshalb derzeit in Richtung auf die AEM-Elektrolyse (Anionen-Exchange-Membran), die in den ersten Anlagen industriell verfügbar und für einen variablen Betrieb geeignet ist.7
Die Investitionskosten für die Elektrolyse-Anlagen unterscheiden sich entsprechend der jeweils eingesetzten Elektrolyse-Technik, wobei die Werte für die AEM-Elektrolyse im Stadium der Markteinführung noch sehr fließend sind. Die ermittelten Preise beinhalten die komplette Verfahrenstechnik inklusive Elektrolyse-Stacks als Kernkomponente, Elektrolytaufbereitung, Gasreinigung, Kompressor, Steuerung, Zwischenspeicher und so weiter.8 Tab.1
Tab. 1
/ Die Preise für Anlagen im MW-Bereich werden in € bezogen auf die elektrische Leistung der Anlagen in KW angegeben
Elektrolyse-Technik
AEL
PEM
AEM
Derzeitige Anlagekosten je KW-el.
500 €
1.250 €
1.000 €
Perspektive Anlagekosten 2030 je KW-el. )
300 €
1.000 €
500 €
Für die nachfolgenden Wirtschaftlichkeitsberechnungen der Wasserstoffelektrolyse werden neben den Anlagekosten (Capex) folgende Faktoren berücksichtigt: Zuschlag von 25 % auf die Anlagekosten für die weiteren Investitions- und Planungskosten vor Ort, Betriebskosten (Opex) in Höhe von 15 % der jährlichen Erlöse, 60.000 Betriebsstunden beziehungsweise bei Unterschreitung im getakteten Betrieb eine wirtschaftliche Betriebsdauer von 15 Jahren, Verzinsung des eingesetzten Kapitals mit 5 %, Wirkungsgrad der Elektrolyseure mit 65 %.9

Grüne Wasserstofferzeugung - Betriebsweisen

Der für die Wasserstoffwirtschaft erforderliche Aufbau der Pipeline- und Speicherinfrastruktur braucht Zeit. Für den Wasserstoffhochlauf in den nächsten Jahren kann mit dieser Infrastruktur noch nicht gerechnet werden. Voraussetzung für den kurzfristigen Hochlauf ist deshalb die Platzierung der Wasserstoff-Elektrolyseure direkt bei den H2-Verbrauchern. Wegen fehlender oder teurer Speicherkapazität muss zudem auf die enge zeitliche Korrelation zwischen Erzeugung und Verbrauch geachtet werden. Das ist wegen der schwankenden Verfügbarkeit von regenerativem Strom nicht einfach und wird wahrscheinlich nur durch einen zumindest vorübergehend parallelen Einsatz von grünem und grauem Wasserstoff möglich sein.
Für die Erzeugung von grünem Wasserstoff ist die Nutzung von regenerativem Strom erforderlich. Der regenerative Strom kann entsprechend den Regelungen der EU-Wasserstoff-Direktive10 beziehungsweise der daraus abgeleiteten 37. BImSchV (Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes) aus einer EE-Eigenerzeugungsanlage beziehungsweise aus einem Power-Purchase-Agreement (PPA) mit Solar- oder Windfarmen (Option A) oder aus dem Bezug von grünem Netzstrom zu Börsenstrompreisen (Option B) stammen. Beide Varianten sollen im Weiteren genauer betrachtet werden.

Option A: Grünstrom aus Eigenerzeugungsanlage/Power-Purchase-Agreement (PPA)

Um bei Option A auf möglichst hohe Betriebsstunden des Elektrolyseurs zu kommen, empfiehlt sich eine Betriebsweise mit geschickter Verkopplung mehrerer Solar- und Windstromanlagen (an unterschiedlichen Standorten), so dass im Jahresverlauf nahezu ständig ausreichend Grünstrom zur Verfügung steht. Diese Betriebsweise ist möglich, wenn durch die PPAs jeweils ein Teilbezug des je Anlage erzeugten grünen Stroms vereinbart wird und der für den Betrieb des Elektrolyseurs nicht erforderliche Stromanteil gemäß Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) von den Betreibern der EE-Anlagen an der Strombörse vermarktet wird.
Für die weitere Betrachtung wird deshalb davon ausgegangen, dass für den Betrieb des Elektrolyseurs 8.000 jährliche Betriebsstunden möglich sind. Das kommt der alkalischen Elektrolyse (AEL) entgegen, die für eine schwankende Versorgung mit Grünstrom wenig geeignet ist.
Die Betreiber beziehungsweise Investoren von Wind- und Solarfarmen werden für die Abgabe von Grünstrom an den Elektrolyseur im Rahmen der PPAs zumindest den Preis erwarten wollen, der ihren Erlösen aus der Stromvermarktung nach EEG entspricht. Durch die Marktprämie für erneuerbaren Strom ist quasi ein Mindestpreis garantiert, der sich durch die von der Bundesnetzagentur durchgeführten Ausschreibungsrunden ergibt. Der Zuschlagswert für neue Freiflächenanlagen für Solarstrom liegt derzeit bei etwa 5 ct/ kWh, für Windstrom bei ca. 7 ct/ kWh.11 Für die folgende Wirtschaftlichkeitsbetrachtung soll von einem Durchschnittswert von 6 ct/kwh ausgegangen werden.
Der faktische Erlös aus der Vermarktung von Grünstrom liegt aber höher, weil bei Börsenstrompreisen oberhalb des Mindestpreises Zusatzerlöse erwirtschaftet werden. Tab.2
Tab. 2
/ Aus dem dieser Studie zugrunde liegenden Rechenmodell der realen Börsenstrompreise (Day-Ahead-Preis) für die aktuelle Jahresperiode Juli 2023 bis Juni 2024 ergibt sich folgende Erlössituation:
Durchschnittliche Stundenwerte Börsenstrompreis > 6ct/kwh
2. Halbjahr 2023
1. Halbjahr 2024
Jahresdurchschnitt 2023/2024
2,50 ct/ kWh
1,80 ct/ kWh
2,15 ct/ kWh
Weil auch mit der Stromvermarktung verbundene Vermarktungskosten zu beachten sind, soll für die weitere Betrachtung zusätzlich zu den durch die Marktprämie gesicherten 6 ct/ kWh ein für den Abschluss der PPAs erforderlicher Aufschlag von 1,5 ct/ kWh berücksichtigt werden. Deshalb ist von einem für den Betrieb des Elektrolyseurs relevanten Bezugspreis für Grünstrom von 7,5 ct/ kWh mit den sich daraus ermittelten Wirtschaftlichkeitsschwellen auszugehen.12 Tab.3
Tab. 3
/ Für unterschiedliche Kosten des Elektrolyseurs liegt die Wirtschaftlichkeitsschwelle bei den nachfolgend genannten Wasserstoffpreisen in ct/kwh bzw. €/kg H2:
Betriebsstunden Elektrolyseur: 8.000 h/p.a.; Lebensdauer: 60.000 Stunden; Grünstrombezugspreis: 7,5 ct/kwh
Kosten Elektrolyseur in €/KW-el.
€ 300.-
€ 500.-
€ 1.000.-
Wirtschaftlichkeitsschwelle bei H2-Preis von
15 ct/ kWh
16 ct/ kWh
18 ct/ kWh
5,00/kg
5,30/kg
6,00/kg
Die Frage stellt sich, für welche H2-Anwendungen bei der ermittelten Wirtschaftlichkeitsschwelle von 15 ct/kWh beziehungsweise 5,00 Euro je kg H2 eine grüne Wasserstoffelektrolyse wirtschaftlich betrieben werden kann, unter Zugrundelegung von für die AEL-Elektrolyse in den nächsten Jahren erreichbar erscheinenden Anlagekosten von 300,- €/kW-el.
Machbar unter dieser Prämisse ist die Erzeugung von synthetischen Kraftstoffen (E-Fuels oder sogenannte RFNBO = Renewable Fuels of Non-Biological Origin) aus Wasserstoff mittels Fischer-Tropsch-Synthese oder Methanisierung. Durch die Novellierte Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU 2023/2413 (RED III) ist eine Beimischung von 1 % der eingesetzten Kraftstoffe als synthetische Kraftstoffe bis 2030 erforderlich. Angesichts dieses kleinen Anteils und der für die Kraftstoffe marktgängigen Preise fällt der Aufwand von 15 ct/kWhfür die Wasserstofferzeugung kaum ins Gewicht und ist für den Endkunden nicht merklich.
Machbar, aber auch sinnvoll? Nein, denn: „Eine großflächige Nutzung von E-Fuels bei Pkw und Lkw ist ökonomisch nicht zielführend. Die Umwandlungsverluste sind enorm und Alternativen wie die direkte Elektrifizierung sind auf die Stromnutzung bezogen bis zu fünfmal effizienter.“13
Für eine wasserstoffbasierte Mobilität mittels Brennstoffzellen scheint auf den ersten Blick unter den genannten Bedingungen ein wirtschaftlicher Betrieb des Elektrolyseurs möglich. Der Hydrix-Index für grünen Wasserstoff schwankt derzeit um einen Preis von 25 ct/kWh beziehungsweise 8,- € je kg H2.14 Zu diesen Preisen gibt es derzeit aber keine nennenswerte Nachfrage. Der erreichbar erscheinende Schwellenpreis von 15 ct/kWh würde einem Strompreis von 25 ct/kWhfür batterieelektrisch angetriebene Fahrzeuge entsprechen, unter Zugrundelegung eines Wirkungsgrades der Brennstoffzelle von 60 %. Dies liegt unter dem derzeitigen Strompreis für Privatkunden und wäre damit auf den ersten Blick wirtschaftlich. Doch diese Betrachtung ist zum einen verzerrt, weil die hohen Kosten für die Betankungsinfrastruktur nicht einbezogen sind.15 Zum anderen sind Brennstoffzellenfahrzeuge beim Strombezug für den Elektrolyseur von den Netzentgelten befreit, batterieelektrische Fahrzeuge aber nicht.16 Würde man diese Ungleichbehandlung aufheben, wäre eine wasserstoffbasierte Mobilität wirtschaftlich nicht zu betreiben.
Aber ist eine wasserstoffbasierte Mobilität überhaupt sinnvoll? Nein, denn ein batterieelektrisch betriebener Pkw hat aus 100 kWh regenerativ erzeugtem Strom eine Reichweite inklusive Ladeverluste von circa 500 km, ein Pkw mit Wasserstoff-Brennstoffzelle von circa 200 km.17 Angesichts der zunehmend knapper werdenden finanziellen Ressourcen für die Energiewende erscheint es zudem als unrealistisch, neben der Infrastruktur für die Elektromobilität auch noch eine Parallelinfrastruktur für die Wasserstoffmobilität aufzubauen.
Relevanter wird die Betrachtung, wenn man den industriellen Einsatz von grünem anstelle grauen Wassersoffs analysiert. Hier ist als Referenzgröße der Marktpreis für grauen Wasserstoff heranzuziehen, um bei H2 nachfragenden Unternehmen die Bereitschaft zu erzeugen, von grauem auf grünen Wasserstoff umzustellen. Die Preise für grauen Wasserstoff schwanken in Abhängigkeit von der Entwicklung der Erdgaspreise. Bei einem aktuellen Erdgaspreis von ca. 7,5 ct. (inklusive Abgaben, Umlagen et cetera) für Gewerbe- und Industriekunden und einem Faktor von 1,618 als Aufschlag für die Wasserstoffdampfreformierung ergeben sich Kosten für grauen Wasserstoff von ca. 12 ct/kWh. Das entspricht einem Preis von etwa 4,- € je kg H2. Damit wäre unter der in Variante A betrachteten Betriebsweise grüner Wasserstoff nicht wettbewerbsfähig, auch nicht bei der für die AEL-Elektrolyseure zu erwartenden Kostendegression auf 300,- €/kW-el.
Doch ist das in Option A skizzierte Betriebskonzept überhaupt sinnvoll? Denn der in Variante A skizzierte Dauerbezug von Grünstrom für die Elektrolyse aus Solar- und Windparks führt zur Bindung regenerativer Erzeugungskapazitäten selbst in Zeiten von geringen Grünstromanteilen, die damit für das Stromnetz, die Elektromobilität und die Wärmewende (Wärmepumpen) nicht zur Verfügung stehen. Der ursprüngliche Gedanke hinter der Wasserstoffelektrolyse lag ja gerade darin, dass vor allen Dingen überschüssiger Grünstrom für die Elektrolyse genutzt werden soll. Deshalb soll nun Option B in den Fokus genommen werden.

Option B: Grünstrom aus Netzbezug

Will man dies ernst nehmen, dürften Elektrolyseure zur Erzeugung von grünem Wasserstoff nicht in Dauereinsatz betrieben werden, sondern nur im getakteten Betrieb in Zeiten hoher Grünstromanteile. Daraus ergibt sich ein enger Zusammenhang zwischen der Verfügbarkeit von grünem Strom im Netz und den nutzbaren Betriebsstunden für die Elektrolyse. Tab.4
Tab. 4
/ Auf der Basis des dieser Studie zugrunde liegenden Rechenmodells für den stündlichen Mindestanteil regenerativen Stroms an der jeweiligen Last für das letzte Jahr (Juli 2023 - Juni 2024) ergeben sich folgende Stundenwerte19), wobei zwischen dem stündlichen Mindestanteil und dem korrespondierenden Durchschnittswert zu unterscheiden ist:
Anteil Grünstrom/Stunde min.
50 %
60 %
70 %
80 %
Stunden p.a.
5.251
4.051
2.907
1.854
Durchschnitt Grünstrom/Stunde
73 %
79 %
83 %
89 %
Dies bedeutet, dass zum Beispiel bei einem Betrieb des Elektrolyseurs in den 2.907 Stunden mit mindestens 70 % Grünstromanteil auf das Jahr bezogen durchschnittlich 83 % regenerativer Strom im Netz verfügbar ist.
Die Betriebskosten der Elektrolyse werden primär durch den Strombezugspreis an der Strombörse geprägt. Für den Betrieb eines regenerativ geführten Elektrolyseurs kommt es einerseits darauf an, möglichst geringe Strombezugskosten zu haben, aber andererseits auf ausreichende Betriebsstunden zu kommen. Tab.5
Tab. 5
/ Auf der Basis des dieser Studie zugrunde liegenden Rechenmodells der Stundenwerte für das zurückliegende Jahr (Juli 2023 bis Juni 2024) ergibt sich für unterschiedliche Grade des stündlichen regenerativen Stromanteils im Netz folgender Zusammenhang:20)
Anteil Grünstrom/Stunde min.
50 %
60 %
70 %
80 %
Stunden p.a.
5.251
4.051
2.907
1.854
Strompreis Day-Ahead ct/kWh
5,9
5,1
3,9
2,6
Aus den oben genannten Gründen soll die weitere Wirtschaftlichkeitsbetrachtung auf die industrielle Wasserstoffnutzung konzentriert werden. Für den weiteren Fortgang soll die Wirtschaftlichkeit der Wasserstoffelektrolyse alternativ für die drei Varianten von 60 %, 70 % und 80 % Mindestanteil stündlichen Grünstroms im Netz ermittelt werden. Dabei wird wie bereits dargestellt von einem Rechenpreis für grauen Wasserstoff von circa 12 ct/kWh entsprechend etwa 4,- €/kg H2 ausgegangen. Tab. 6
Tab. 6
/ Wirtschaftlichkeitsberechnung für unterschiedliche stündliche Grünstromanteile: 21
Kosten Elektrolyseur € 500.-/KW-el.
Preis H2 0,12 € kwh
Mindestanteil Grünstrom im Netz je Std.
60%
70%
80%
Betriebsstunden p.a.
4.051
2.907
1.854
Strompreis ct/kWh
5,1
3,9
2,6
Amortisation22 nach Jahren
13,9
10,1
10,9
Rendite in %
0,4%
3,1%
2,5%
Das Ergebnis ist positiv, die H2-Elektrolyse trägt sich unter den genannten Prämissen, wenn auch nur knapp. Von den Optionen liegt die mittlere mit einem Grünstrommindestanteil von 70 % im Optimum und ist unseres Erachtens auch unter den Kriterien von Netzkompatibilität und Klimawirkung gut vertretbar. Denn bei den 2.907 Betriebsstunden mit mindestens 70 % Grünstrom liegt der durchschnittliche Grünstromanteil schon bei 83 %. Tab. 4
Auch für Option B stellt sich die Frage, wie sich unterschiedliche Anlagepreise auf die Rendite auswirken. Tab. 7 Daraus ergibt sich, dass bei den gegenwärtigen Anlagenkosten sowohl die AEM-Elektrolyse mit circa 1.000,- €/MW-el. als auch die PEM-Elektrolyse mit circa 1.250,- €/MW-el (vgl. Tab. 1) derzeit noch nicht wirtschaftlich nutzbar wären. Bei PEM wird dies voraussichtlich so bleiben, weil wegen des hohen Bedarfs an teuren Edelmetallen die Kostensenkungspotenziale vergleichsweise geringer sind. Die AEM-Elektrolyse hat das Potenzial für eine deutliche Kostendegression auf 500,- €/kW-el. und würde damit wirtschaftlich. Die AEL-Elektrolyse wäre mit 500,- €/MW-el. bereits jetzt wirtschaftlich einsetzbar, ist für den getakteten Betrieb mit Grünstrom aber nur eingeschränkt geeignet.
Tab. 7
/ Wirtschaftlichkeitsberechnung für unterschiedliche Anlagekosten:
Mindestanteil Grünstrom im Netz 70 % je Std.
Preis H2 0,12 € kwh
Anlagekosten Elektrolyseur €/kW-el.
300,- €
500,- €
1.000,- €
Betriebsstunden p.a.
2.907
2.907
2.907
Strompreis ct/kWh
3,9
3,9
3,9
Amortisation22 in Jahren
5,4
10,1
-
Rendite in %
11,8%
3,1%
negativ

Sinkende Strompreise?

Welche Auswirkungen hätten sinkende Strompreise auf die Wirtschaftlichkeit der Wasserstoffelektrolyse? Die weitere Entwicklung der Strompreise ist schwer zu prognostizieren. Einerseits dürfte der weitere Ausbau der Erneuerbaren zu sinkenden Börsenstrompreisen führen. Dabei ist zu beachten, dass dies derzeit bei den Ausschreibungen für die Windkraft kaum zu beobachten ist. Andererseits wird der erwartbare Zubau von Stromspeichern zu einer Stabilisierung des Preisniveaus beitragen.
Im Nachfolgenden wird die Wirtschaftlichkeit unter der Annahme analysiert, dass der Strompreis bis 2030 gegenüber den bisherigen Annahmen um 20 % sinkt23, unter Erhalt der weiteren bisherigen Prämissen. Tab.8
Tab. 8
Wirtschaftlichkeitsberechnung bei sinkendem Strompreis für unterschiedliche Anlagekosten
Preis H2 0,12 € kwh
Elektrolyse-Technik
AEL
AEM
PEM
Anlagekosten Elektrolyseur €/kW-el.24
300,- €
500,- €
1.000,- €
Betriebsstunden p.a.
8.000
2.907
2.907
Strompreis ct/kWh
6,0
3,1
3,1
Amortisation22 nach Jahren
-
7,3
-
Rendite in %
0 %
7,0 %
negativ
Unter diesen Bedingungen sinkender Strompreise stünde die alkalische Elektrolyse im Dauerbetrieb bei angenommenem Wasserstoffpreis von 12 ct/kWh an der Wirtschaftlichkeitsschwelle. Die AEM-Elektrolyse wäre wirtschaftlich, voraussichtlich aber noch nicht die PEM-Elektrolyse, die erst ab einem Strompreis von unter 2,5 ct/kWh die Wirtschaftlichkeitsschwelle überschreiten würde. Die Wirtschaftlichkeit wäre in allen drei betrachteten Verfahren natürlich dann früher gegeben, wenn der als Bezugsgröße genannte Preis für grauen Wasserstoff durch die CO2-Zertifikatehandel schneller auf einen Wert oberhalb von 12ct/kWh steigt.

Was jetzt zu tun ist

Die Definition für grünen Wasserstoff ist bisher nicht zufriedenstellend geregelt. Die Regelungen der EU-Wasserstoff-Direktive beziehungsweise der 37. BImSchV gelten für den Verkehrsbereich. Eine Anwendung auf andere Sektoren (zum Beispiel Industrie) ist rechtlich umstritten25. Sie wäre auf jeden Fall kontraproduktiv. Die strikte Kopplung an eine Anlage zur Grünstromerzeugung wäre unter derzeitigen Rahmenbedingungen wie weiter oben gezeigt nicht wirtschaftlich. Dies gilt erst recht für die ebenfalls in der 37. BImSchV für den Netzbetrieb genannte Vorgabe eines zulässigen maximalen stündlichen Day-Ahead-Preises von 20,- €/MWh, bei dem die Wasserstoffelektrolyse wegen der zu geringen jährlichen Betriebsstunden unwirtschaftlich wäre.26
Die Definition, wann Wasserstoff als grün gilt, könnte stattdessen für die für die Wasserstoffwirtschaft entscheidenden Sektoren Industrie und Energiewirtschaft an den Entwurf das noch zu verabschiedenden Wasserstoffbeschleunigungsgesetz anknüpfen, wo sie unter § 4 Abs. 3, Nummer 2 bereits angelegt ist. Dort gelten Elektrolyseanlagen als grün, wenn die elektrische Energie für den Betrieb zu mehr als 80 % aus erneuerbaren Energien erzeugt wird.27 Dieser Ansatz entspricht dem in Option B skizzierten Vorschlag einer getakteten Wasserstofferzeugung in Zeiten eines stündlichen Grünstromanteils im Netz von mindestens 70 %, was mit einem durchschnittlichen Anteil von regenerativem Strom von mehr als 80 % korrespondiert.
Die in Option B beschriebene getaktete Betriebsweise ist unseres Erachtens für die Wasserstoffelektrolyse unter wirtschaftlichen und ökologischen Gesichtspunkten am besten geeignet. Hierfür sehen wir in der AEM-Elektrolyse aus den genannten Gründen das größte Potenzial. Deshalb sollte die AEM-Elektrolyse in ihrem großtechnischen Hochlauf unterstützt werden, um ein Henne-Ei-Problem zu vermeiden. Weil die Stacks zu teuer sind, gibt es keine Nachfrage. Weil es keine Nachfrage gibt, können die Stacks nicht günstiger werden.
Schließlich scheint es geboten, die in RED III vorgesehene Beimischung von elektrolytisch erzeugten synthetischen Kraftstoffen in Höhe von 1 % der eingesetzten fossilen Kraftstoffe bis 2030 nicht für eine fahrzeugbezogene Mobilität zu verwenden. Dies ist eine Verschwendung regenativer Ressourcen, da die Elektromobilität hier erheblich wirkungsvoller ist. Die RFNBOs sollten stattdessen allein dem Flugverkehr vorbehalten bleiben, wo auf längere Sicht keine Alternativen für einen klimaneutralen Betrieb möglich erscheinen.
Axel Müller leitet Novaro Energiesysteme in Köln.
info@novaro.de

Anmerkungen:

[1]
Vgl. hierzu z. B.: ifo Institut: Grüner Wasserstoff: Wie steht es um die Wirtschaftlichkeit und welche Nachfrage lässt sich er-warten?, 2023, Abb. 1. Online: https://​www.​ifo.​de/​publikationen/​2023/​aufsatz-zeitschrift/​gruener-wasserstoff-wirtschaftlichke​it; Norddeutsches Reallabor: Grüner Wasserstoff für die Energiewende, Teil 5: Erzeugung von grünem Wasserstoff, Juni 2024, S. 23. Online: https://​norddeutsches-reallabor.​de/​download/​potentiale-grenzen-und-prioritaeten-gruener-wasserstoff-fuer-die-energiewende-teil-5-erzeugung-von-gruenem-wasserstoff-2024-06/​
 
[3]
Novellierte Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU 2023/2413 (Renewable Energy Directive RED III), Art. 22a, Abs. 1, UAbs. 5
 
[4]
Sog. RFNBO = Renewable Fuels of Non-Biological Origin; Novellierte Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU 2023/2413 (Renewable Energy Directive RED III), Art. 25, Abs. 1, b)
 
[5]
BCG White Paper: Turning the European Green Hydrogen Dreams into Reality: A Call to Action, October 2023. Online: https://​media-publications.​bcg.​com/​Turning-the-European-Green-H-Dream-into-Reality.​pdf; oder: FAZ: Die Wasserstoff-Lücke, 7.6.2024. Online: https://​www.​faz.​net/​aktuell/​wirtschaft/​energiewende-mit-wasserstoff-benoetigte-mengen-sind-nicht-in-sicht-19770780.​html
 
[6]
Gut verständliche Erklärung z. B. unter: https://​www.​fh-muenster.​de/​egu/​fue/​fue_​gebiete/​sektorenkopplung​/​hymat/​FRAGEDESMONATSDE​Z.​php; sowie Norddeutsches Reallabor, S. 8 ff - siehe Anm. 21)
 
[7]
Z. B. Enapter AEM-Nexus-1000, vgl. https://​handbook.​enapter.​com/​electrolyser/​aem_​nexus/​downloads/​Enapter_​Datasheet_​AEM-Nexus-1000.​pdf; bisher liegen zur AEM-Elektrolyse aber noch wenig Betriebserfahrungen vor.
 
[8]
Durchschnittswerte und Prognose auf der Grundlage eigener Marktrecherche
 
[9]
Der Wirkungsgrad der Wasserstoffelektrolyse unterscheidet sich nicht wesentlich zwischen den genannten technischen Konzepten. Eine Verbesserung des Wirkungsgrades wird angestrebt, kann aber mit Blick auf den hier reflektierten Zeitraum bis 2030 nicht sicher unterstellt werden.
 
[10]
DELEGIERTE VERORDNUNG (EU) 2023/1184 vom 10. Februar 2023
 
[15]
Zu dem nahezu bizarren Aufwand für eine H2-Betankungsinfrastruktur vgl: Urban Transport Magazine: Wasserstoff - aber nicht im Verkehr, 25.05.2024. Online: https://​www.​urban-transport-magazine.​com/​wasserstoff-aber-nicht-im-verkehr/​
 
[16]
So ist aus der geforderten Technologieoffenheit im Handumdrehen eine regulatorische Bevorzugung der Wasserstoffmobilität entstanden.
 
[17]
Unter Berücksichtigung des Elektrolyse-Wirkungsgrads von 65 %; zur Reichweitenabschätzung für batterieelektrischer Fahrzeuge unter realen Testbedingungen vgl. z. B. https://​www.​autobild.​de/​artikel/​ e-auto-reichweite-20977681.​html; für Brennstoffzellenfahrzeuge z. B. https://​www.​adac.​de/​rund-ums-fahrzeug/​autokatalog/​marken-modelle/​toyota/​toyota-mirai/​
 
[18]
Berechnet nach den Angaben bei Leopoldina: Wasserstoff - Welche Bedeutung hat er im Energiesystem der Zukunft?, Februar 2024, S. 7, Fußnote 9. Online: https://​www.​leopoldina.​org/​fileadmin/​redaktion/​Publikationen/​Nationale_​Empfehlungen/​2024_​ESYS_​Kurz_​erkl%C3%A4rt_​Wasserstoff.​pdf
 
[19]
Eigene Berechnungen auf der Basis der Stundenwerte im bundesdeutschen Stromnetz der Fraunhofer Energy Charts. Online: https://​www.​energy-charts.​info/​charts/​price_​spot_​market/​chart.​htm?​l=​de&​c=​DE
 
[20]
dito
 
[21]
Zur sehr ähnlichen Ergebnissen kommt folgende aktuelle Studie: Norddeutsches Reallabor: Grüner Wasserstoff für die Energiewende, Teil 5: Erzeugung von grünem Wasserstoff, Juni 2024, S. 23. Online: https://​norddeutsches-reallabor.​de/​download/​potentiale-grenzen-und-prioritaeten-gruener-wasserstoff-fuer-die-energiewende-teil-5-erzeugung-von-gruenem-wasserstoff-2024-06/​
 
[22]
Die Amortisation ist nach Durchschnittsmethode berechnet.
 
[23]
Das ist optimistischer als die aktuelle Prognos Strompreisprognose 2024, die im mittleren Pfad mit einer Senkung der Strompreise bis 2030 um ca. 15 % rechnet, siehe: https://​www.​vbw-bayern.​de/​Redaktion/​Frei-zugaengliche-Medien/​Abteilungen-GS/​Wirtschaftspolit​ik/​2024/​Downloads/​Strompreisprogno​se_​2024_​v4-(002).​pdf
 
[24]
Unter der Voraussetzung, dass die eingangs genannten Zielwerte für die Preisdegression der Elektrolyseure erreicht werden können.
 
[25]
Stiftung Umweltenergierecht: Wie man (k)einen einheitlichen Rechtsrahmen für erneuerbaren Wasserstoff schafft, 19.11.2023, S. 43 ff.. Online: https://​stiftung-umweltenergierec​ht.​de/​wp-content/​uploads/​2023/​11/​Stiftung_​Umweltenergierec​ht_​WueStudien_​32_​DA_​Wasserstoff.​pdf
 
[26]
37. BImSchV, § 7 Abs. 3, Nr 1.
 
[27]
Gesetzentwurf Wasserstoffbeschleunigungsgesetz, § 4 Abs. 3, Nr. 2
 

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Metadaten
Titel
Schöne neue Klimawelt - Gelingt der grüne Wasserstoffhochlauf?
verfasst von
Axel Müller
Publikationsdatum
01.12.2024
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
Zeitschrift für Energiewirtschaft / Ausgabe 4/2024
Print ISSN: 0343-5377
Elektronische ISSN: 1866-2765
DOI
https://doi.org/10.1007/s12398-024-1290-4