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2018 | Buch

Schurkenstaaten als Normunternehmer

Iran und die Kontrolle von Massenvernichtungswaffen

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Über dieses Buch

Carmen Wunderlich geht der kontraintuitiven Frage nach, ob ‚Schurkenstaaten‘ – vermeintliche Gegner der westlich-liberalen Ordnung – auch ‚Normunternehmer‘ sein können, sich also proaktiv für die Förderung internationaler Normen einsetzen und ihnen zur Geltung verhelfen wollen, wie sie am Beispiel der Iranischen Republik Iran zeigt. Der Vergleich mit dem prototypischen Normunternehmer Schweden und dem notorischen Normbrecher Nordkorea macht deutlich, dass Normunternehmertum in unterschiedlichen Graden und Phasen des Normenzyklus auftreten kann und lässt Rückschlüsse auf die Erfolgsbedingungen von Normunternehmertum zu. Die Befunde legen außerdem nahe, ‚Schurkenstaaten‘ nicht länger ausschließlich als irrationale Gegner zur normativen Ordnung aufzufassen, sondern sie als legitime Teilnehmer an einer Auseinandersetzung über eine angemessene Herrschaftsordnung zu begreifen.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Chapter 1. Einleitung
Zusammenfassung
Obiges Zitat mag beim Leser zunächst Unbehagen, Unverständnis oder gar Entsetzen auslösen: Wird das Konzept des „Normunternehmers“ nicht gewöhnlich verwendet, um die Gutmenschen und Weltverbesserer zu beschreiben, prinzipiengeleitete Akteure, die sich selbstlos der Arbeit an der stetigen Zivilisierung der Menschheit verschrieben haben? Ein solches Begriffsverständnis wird zumindest von der gängigen konstruktivistischen Forschung zu Normdynamiken in den Internationalen Beziehungen (IB) vermittelt. Konstruktivistische Erklärungen von Entstehung und Wandel normativer Ordnungen setzen nicht nur auf struktureller Ebene an, sondern heben insbesondere die (notwendige) Rolle von (transnationalen und lokalen) Akteuren hervor.
Carmen Wunderlich
Chapter 2. Dem Guten verschrieben: Normunternehmer in den Internationalen Beziehungen
Zusammenfassung
Ihre Anfänge nahm die sozialkonstruktivistische Normenforschung in den späten 1980er Jahren im Zuge der konstruktivistischen Wende in den IB. Diese hatte die Einsicht salonfähig gemacht, dass ideelle Faktoren, wie Ideen, Normen oder Weltbilder das Miteinander kollektiver Akteure prägen und maßgeblich auf die Struktur des internationalen Systems einwirken (einschlägig Wendt 1992).
Carmen Wunderlich
Chapter 3. Wider die Normen der internationalen Gemeinschaft: „Schurken“, „Outlaws“ und „Parias“
Zusammenfassung
Während die Normenforschung dafür kritisiert werden kann, ihre empirischen Anwendungsfälle auf solche Normunternehmer zu verengen, die als progressive Verbreiter westlich-liberaler Normen in Erscheinung treten, wird Widerstand gegen die geltende normative Ordnung gewöhnlich als Normenfeindschaft stigmatisiert. Paradigmatisch zeigt sich dies am Beispiel des Konzepts sogenannter Schurkenstaaten, das in den 1990er Jahren Eingang in das sicherheitspolitische Vokabular der USA gefunden hat.
Carmen Wunderlich
Chapter 4. The Ugly? „Schurkenstaaten“ als Normunternehmer
Zusammenfassung
Wie im vorangegangenen Kapitel aufgezeigt, werden vermeintliche „Schurkenstaaten“ in der akademischen wie politischen Diskussion als Normenfeinde skizziert. Sie gelten als Normbrecher, die ihre oppositionelle Haltung gegenüber der geltenden normativen Ordnung durch Missachtung zentraler Regeln und Pflichten zur Schau stellen. Empirische Studien nähern sich ihnen daher vor allem aus der Perspektive der Nichteinhaltung von Normen.
Carmen Wunderlich
Chapter 5. Forschungsdesign und methodisches Vorgehen
Zusammenfassung
Ausgangspunkt diesr Studie ist die Feststellung, dass die gegenwärtige Normenforschung einen analytisch begrenzten Blickwinkel auf zentrale Analysekonzepte wirft: Arbeiten zu gelungenen Normdiffusionsprozessen richten ihr Hauptaugenmerk in der Regel auf die Institutionalisierung westlich-liberaler Normen und führen diese u. a. auf das Normunternehmertum westlich-liberaler Akteure zurück.
Carmen Wunderlich
Chapter 6. Iran innerhalb der gegenwärtigen normativen Weltordnung: Ein gegenhegemonialer „Normzerstörer”?
Zusammenfassung
Nicht erst seit der Islamischen Revolution 1979 gilt Iran als „a veteran of rule-breaking behaviour within and beyond its borders” (Geldenhuys 2004: 112), als ein paradigmatischer „Schurkenstaat“ also, dessen normative Verfehlungen immer wieder für Schlagzeilen sorgen. Dennoch hält er sich erstaunlich hartnäckig in der Position als Herausforderer des internationalen Systems. Dabei galt Iran lange Zeit als Gendarm des Westens in der geostrategisch interessanten wie konfliktreichen Region des Nahen Ostens.
Carmen Wunderlich
Chapter 7. Irans Politik hinsichtlich der Kontrolle von Massenvernichtungswaffen
Zusammenfassung
Abhandlungen zur Rüstungskontrollpolitik Irans sind rar gesät. Zu paradox scheint es offenbar, die Diplomatie eines vermeintlichen Parias zu analysieren, der in erster Linie für aggressive Rhetorik, politische Drohgebärden und Normverletzungen berüchtigt ist. So gibt es zwar zahlreiche politische und wissenschaftliche Analysen, die sich mit dem Konflikt um das iranische Atomprogramm auseinandersetzen.
Carmen Wunderlich
Chapter 8. Iran als Normunternehmer
Zusammenfassung
Iran vertritt die Auffassung, dass der NVV den Nichtkernwaffenstaaten ein Recht auf friedliche Nutzung der Kernenergie inklusive Urananreicherung garantiere. Tatsächlich lässt sich Teherans Eintreten für ein solches Recht bis in die Zeiten des Schahs zurückverfolgen. Gleichzeitig ist die Forderung nach dessen formeller Anerkennung Kernstück der 2003 begonnenen Nuklearverhandlungen zwischen Iran und dem Westen.
Carmen Wunderlich
Chapter 9. Diskussion der Ergebnisse und kontrastierender Vergleich
Zusammenfassung
Das von Iran in den drei beschriebenen Fällen gezeigte Engagement kann gemäß den in Abschnitt 5.4.1 identifizierten Indikatoren als Normunternehmertum gedeutet werden. Diesen zufolge wird das Konzept des Normunternehmers für solche Akteure verwendet, die sich einer bestimmten Idee oder Norm verpflichtet fühlen und – unzufrieden mit der existierenden normativen Ordnung – aktiv durch rhetorisches und praktisches Lobbying versuchen, die bestehende normative Struktur so zu verändern, dass die von ihnen propagierte Norm(interpretation) als neuer Angemessenheitsstandard verankert wird.
Carmen Wunderlich
Chapter 10. Theoretische Schlussfolgerungen und Implikationen für die Praxis
Zusammenfassung
Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit ist eine analytische Verengung existierender Normstudien, die zentrale Analysekonzepte wie das Normunternehmerkonzept bislang überwiegend auf westlich-liberale Normen und auf Akteure, die diese propagieren, angelegt haben. Verfechter alternativer Ordnungsvisionen werden primär als Adressaten (neuer) Verbotsnormen analysiert oder als bloße normzerstörende „Schurkenstaaten“ stigmatisiert. Ihr normunternehmerisches Potential wurde bislang nicht untersucht.
Carmen Wunderlich
Backmatter
Metadaten
Titel
Schurkenstaaten als Normunternehmer
verfasst von
Dr. Carmen Wunderlich
Copyright-Jahr
2018
Electronic ISBN
978-3-658-19020-0
Print ISBN
978-3-658-19019-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-19020-0