Bislang habe ich die Interaktionen zwischen allen beteiligten Spielern im Spiel des Lebens – Bürgerinnen und Bürger, aber auch staatliche Akteure – immer so behandelt, als passierten sie simultan. In der Spieltheorie spricht man dann von der Normalform oder der strategischen Form eines Spiels. Dabei werden einige Details ausgeblendet, sodass es so aussieht, als passiere das ganze Spiel zu einem einzigen Zeitpunkt. Die im vorangegangenen Kapitel präsentierten Argumente erlauben aber noch weitergehende Einsichten, wenn wir das Spiel so darstellen, wie es tatsächlich im Zeitverlauf (sequenziell) gespielt wird, also – um den Fachbegriff zu verwenden – in seiner extensiven Form.
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Es ist eine interessante philosophische Frage, ob ein Unterschied besteht zwischen simultanen Zügen und sukzessiven, aber „blinden“ Zügen, wenn also der zweite Spieler den Zug des ersten nicht kennt. Siehe dazu meine Diskussion in Basu (2000, Kap. 2). Im vorliegenden Kontext können wir dieses Komplikation aber getrost ignorieren.
Beispielsweise beziehen sich Mailath/Morris/Postlewaite (2017) auf leeres Gerede bei ihrer Annäherung an das faszinierende Phänomen der Autorität (siehe auch Zambrano 1999; Akerlof 2017).
Im aktuellen Kontext bleibe ich bei der Mainstream-Annahme, dass Äußerungen während eines Spiels die Auszahlungen nicht beeinflussen, sondern lediglich Handlungsabsichten signalisieren. Es gibt jedoch Literatur, die darauf hinweist, dass solche Äußerungen beim Adressaten Erwartungen erzeugen können, die letztlich reale Handlungsauswirkungen haben (siehe z. B. Charness und Dufwenberg 2006; Ellingsen et al. 2010). Auch kann es sich bei solchen Äußerungen um Versprechen handeln, und Versuche haben gezeigt, dass Menschen ihre Versprechen ungern brechen, selbst wenn es ihnen relativ egal ist, ob anderen Menschen ihre Zusagen einhalten (Vanberg 2008). Insofern könnte das Verhalten des Gesetzgebers durchaus durch seine eigenen Gesetze beeinflusst werden. In Kap. 7 bespreche ich, wie einige solcher ‚Verhaltenselemente‘ in der ökonomischen Analyse des Rechts berücksichtigt werden sollten.
Eng damit verbunden ist die Glaubwürdigkeit eines Autokraten oder generell einer Regierung. Von der Glaubwürdigkeit hängt viel von dem ab, was in einer Gemeinschaft passiert (Myerson 2008; Schauer 2015, Kap. 7). In der Formulierung von Myerson ist eine Ankündigung mehr als ein Hinweis auf ein bereits bestehendes Gleichgewicht im nachfolgenden Teilspiel; vielmehr kann ein Autokrat sie nutzen, um sich selbst auf ein bestimmtes Verhalten in der Zukunft festzulegen, denn davon abzuweichen hieße, die eigene Glaubwürdigkeit zu verlieren.
In der Theorie der Industrieökonomik gibt es viele Beispiele von ähnlichen Konstellationen, in denen ein Akteur davon profitiert, irrational zu sein (siehe Fershtman und Judd 1987; Basu 1993). Auch im Bereich der internationalen Beziehungen zahlt es sich mitunter für Staatenlenker aus, verrückt und unberechenbar zu erscheinen. Einige von ihnen sind das leider tatsächlich.
Die Beispiele zeigen auch, dass die Trennlinie zwischen verhaltensökonomischen Modellen und realistisch aufgebauten neoklassischen Modellen vielleicht nicht so klar ist, wie oft angenommen wird. Denn die Menge an Handlungen, die wir als möglich erachten, kann schon durch internalisierte Moralvorstellungen beschränkt worden sein.
Die Russellsche Antinomie ist leicht zu verstehen. Man definiere, ausgehend von der Menge aller Mengen, eine Untermenge X, die alle Mengen enthält, die nicht ein Element von sich selbst sind. Ist nun X ein Element von sich selbst? Wenn ja, dann ist es kein Element von sich selbst. Wenn nein, dann ist es per Definition ein Element von sich selbst. Es liegt also eine logische Unmöglichkeit vor, die wohl in der Annahme begründet ist, dass es eine Menge aller Mengen gebe. Das Paradoxon zeigt also die Unmöglichkeit einer solchen Menge.
Solche Paradoxe scheinen in der rechtswissenschaftlichen Literatur bislang wenig behandelt worden zu sein. Hocket (1967) und Jain (1995) sind Ausnahmen.
Binmore (1995, S. 135) argumentiert ähnlich: „Weder unser empirisches Wissen noch unser theoretisches Instrumentarium reicht aus, um das Spiel des Lebens zu formulieren und zu analysieren, sodass wir einzelne Spieler untersuchen könnten. Wenn wir die Funktionsweise von Institutionen verstehen wollen, bleibt uns deshalb kaum etwas anderes übrig, als handhabbare Modelle des Spiels des Lebens zu erfinden, von denen wir genau wissen, dass sie drastische Vereinfachungen der tatsächlichen Situation darstellen.“ Ein möglicher Unterschied zu meiner Herangehensweise besteht nur darin, dass wir meiner Meinung nach nicht aus Gründen der Praktikabilität so verfahren sollten, sondern weil wir ansonsten auf ein philosophisches Paradoxon stoßen würden.