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2023 | Buch

Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt im Hochschulkontext

Herausforderungen, Umgangsweisen und Prävention

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Über dieses Buch

Dieses Buch bietet einen Überblick über ein komplexes, auch an Hochschulen und Forschungseinrichtungen zunehmend sichtbarer werdendes gesellschaftliches Problem: Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt (SBDG). Die vielfältigen Aspekte, rechtlichen Fragen und komplexen Erscheinungsformen machen das Thema in einem hierarchischen Umfeld mit vielfach undurchsichtigen Verantwortungsstrukturen zu einer organisationalen und individuellen Herausforderung. 16 Beiträge nehmen die vielfältigen Erscheinungsformen und Ausprägungen als Forschungsgegenstand und Teil des organisationalen Alltags in den Blick. Sie erläutern den Umgang mit SBDG in verschiedenen Kontexten und Räumen in der Wissenschaft aus verschiedenen Perspektiven und informieren über Strukturen zur Prävention. Dieses Werk ist eine orientierende Handreichung für alle, die im universitären und/oder Forschungsbereich arbeiten, Personalverantwortung tragen, die Entwicklung von akademischen Einrichtungen begleiten und nicht zuletzt für all jene, die von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt in hochschulischen Kontexten direkt betroffen oder ihr indirekt begegnet sind.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Einleitung: S(B)DG im Hochschulkontext – Einführung und Überblick
Zusammenfassung
Sexualisierte (Belästigung,) Diskriminierung und Gewalt (S(B)DG) ist ein gesellschaftliches Problem – und eines an Hochschulen, auch wenn dieser Befund nicht mit dem Selbst- und Fremdbild der Hochschule als einer enlightened organisation (Schüz et al., Open Gender J 5, 2021, S. 2) übereinstimmt. Durch feministische Bewegungen der 1970er und 1980er generell als Thema sichtbar gemacht, wurde es bereits in den 1990er Jahren ein gleichstellungspolitisches Thema an Hochschulen (z. B. Bußmann H, Lange K (1996) Sexuelle Grenzverletzungen im Lichte akademischer Gleichstellungspolitik. In: Bußmann H, Lange K (Hrsg) Peinlich berührt. Sexuelle Belästigung von Frauen an Hochschulen. Verlag Frauenoffensive, München, S 9–19). Seitdem scheinen Erkenntnisse über S(B)DG an Hochschulen jedoch verloren gegangen (Schüz et al., Open Gender J 5, 2021, S. 14) oder marginalisiert worden zu sein, zumal sich im Zuge der Institutionalisierung der Gleichstellung an Hochschulen Geschlechterpolitik und feministische Wissensproduktion voneinander gelöst haben (ebd., S. 15). Im Zusammenhang mit medialen Debatten um #MeToo erfährt das Thema seit einiger Zeit nun auch an Hochschulen (wieder) mehr Aufmerksamkeit.
Heike Pantelmann, Sabine Blackmore

Kritische Perspektiven auf Recht, Struktur und Daten

Frontmatter
Kapitel 2. „Islands of Empowerment“ – Recht als Instrument der Selbstermächtigung gegen rassistische und sexistische Diskriminierung
Zusammenfassung
Recht ist ein machtvoller und ein ambivalenter Diskurs. Recht erhebt einen egalitären und inklusiven Anspruch, wirkt aber gleichzeitig auch hierarchisierend und ausschließend. Im Recht gegen Diskriminierung und Gewalt zeigt sich das in der Schwierigkeit, erkämpfte Rechte in der Praxis auch durchzusetzen. Ausgehend von Patricia Williams Zitat „In the law, rights are islands of empowerment“, wirbt der Beitrag dafür, Antidiskriminierungsrecht als Instrument zum Empowerment einzusetzen. Ziel ist dann nicht primär die Durchsetzung von Rechten vor Gerichten – denn hier zeigt die Erfahrung, dass dieser Prozess Betroffenen von Diskriminierung und Gewalt oft mehr Ressourcen abverlangt, als sie besitzen. Ziel ist vielmehr, den Kreislauf von Scham und Ohnmacht zu durchbrechen, der allzu oft mit Diskriminierungserfahrungen im Hochschulkontext einhergeht.
Doris Liebscher
Kapitel 3. Nein heißt nein: Universitäre Maßnahmen gegen sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt. Richtlinien, Beratung, Prävention
Zusammenfassung
Sexualisierte Übergriffe an deutschen Universitäten sind so normal wie tabuisiert. Zum Schutz der Hochschulmitglieder werden hochschulweit geltende Richtlinien verabschiedet, mit denen der Umgang mit sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt sowie Beratungsangebote und Präventionsmaßnahmen geregelt werden. Die Zuständigkeit für die Umsetzung der Maßnahmen liegt meist bei den Gleichstellungsakteur*innen. Auf der Grundlage einer Auswertung von Richtlinien und Expert*inneninterviews mit Berater*innen diskutieren wir in diesem Beitrag die Frage, wo die Möglichkeiten, Herausforderungen und Grenzen von Richtlinien und den in ihnen genannten Maßnahmen gegen sexualisierte Belästigung Diskriminierung und Gewalt an Universitäten liegen und stellen die kritische Frage, inwiefern die Ansiedlung der Problematik im Gleichstellungsbereich sinnvoll ist.
Tanja Wälty, Heike Pantelmann
Kapitel 4. International vergleichende Forschung über Formen geschlechtsbezogener Gewalt in Wissenschaftsorganisationen
Zusammenfassung
Zahlreiche empirische Prävalenzstudien befassen sich mit dem Vorkommen geschlechtsbezogener Gewalt in der Wissenschaft. Die theoretischen Ansätze und Konzepte, welche die Studiendesigns und Operationalisierung der empirischen Messinstrumente bestimmen, stellen sich in einer Überblicksstudie im direkten Vergleich als heterogen dar. Die Heterogenität betrifft die Operationalisierung von Geschlechterkonzepten genauso wie die Auswahl der behandelten Gewaltformen. Durch die Entwicklung eines gemeinsamen Bezugsrahmens aus drei Dimensionen (Kontext des Geschehens, Geschlecht, Gewalt) lassen sich Unterschiede herausstellen, die ausschlaggebend für das spätere Verständnis der jeweiligen Prävalenzdaten sind. Ausgangspunkt unserer Analyse ist ein Mapping von Umfragestudien und Messinstrumenten aus dem Themenbereich geschlechtsbezogener Gewalt unter besonderer Berücksichtigung von sexualisierter Belästigung und Gewalt. Unsere Auswertung von neun Umfragestudien stellt Erhebungsinstrumente in den Mittelpunkt, die für die empirische Forschung im Hochschul- und Wissenschaftskontext entwickelt und dort zur Datenerhebung eingesetzt wurden. Die Befunde unseres Mappings weisen auf konzeptionelle Entscheidungen bei der Erhebung von sexueller Belästigung und Übergriffen hin, die unter Berücksichtigung des jeweiligen Forschungskontexts und der späteren Nutzungsabsicht der Ergebnisse getroffen wurden, einen direkten Vergleich der Prävalenzniveaus jedoch erschweren. Die hier angewendete Methode des selektiven Vergleichs weist auf Grenzen und Möglichkeiten der kulturübergreifenden Interpretation von Prävalenzdaten hin, selbst wenn die Umfragen alle aus dem Hochschul- und Wissenschaftskontext stammen.
Anke Lipinsky, Claudia Schredl

Perspektiven auf spezifische Herausforderungen von Settings und Hochschultypen

Frontmatter
Kapitel 5. Umgang mit sexualisierter Diskriminierung und Gewalt in der Universitätsmedizin in Theorie und Praxis
Zusammenfassung
Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt (SDG) am Arbeitsplatz stellt ein relevantes Problem im Kontext akademischer Hochschulmedizin dar. Der medizinische Arbeitsbereich sowie die Hochschulmedizin im Besonderen sind stark von Hierarchien geprägt, wobei Machtgefälle zum Auftreten von SDG beitragen können (Freedman-Weiss et al., Ann Surg 271:608–613, 2020). Ein proaktiver und effektiver Umgang mit dem Problem sexualisierter Grenzverletzungen ist daher im medizinischen Arbeitsbereich potenziell sogar wichtiger und notwendiger als in anderen Kontexten. Der folgende Beitrag bietet einen Einblick in die aktuelle Studienlage zum Thema mit Fokus auf die weitreichenden negativen Folgen von SDG auf Gesundheit und Arbeitsleben der Betroffenen. Forschungsergebnisse zu Präventionsmaßnahmen werden diskutiert sowie Präventions- und Schutzmaßnahmen vorgestellt, welche seit 2016 an der Charité-Universitätsmedizin Berlin zum Schutz der Beschäftigten, Studierenden und Auszubildenden umgesetzt wurden. Abschließend gewährt dieser Beitrag einen Einblick in die Probleme und Herausforderungen, welche in der Beratungsstelle der Frauen- und Gleichberechtigungsbeauftragten der Charité gegenwärtig in der Beratungspraxis auftreten und erörtert mögliche Lösungsansätze.
Pia Djermester, Sabine C. Jenner, Sabine Oertelt-Prigione
Kapitel 6. Zum Umgang mit Nähe und Distanz – good practice an Musikhochschulen

Künstlerische Ausbildungen profitieren von intensiven persönlichen Lehr- und Lernbeziehungen, sind durch diese aber auch besonders anfällig für sexualisierte Diskriminierung und Gewalt (SDG). Der Artikel beschreibt die Entwicklungen im Umgang mit sexualisierter Diskriminierung und Gewalt, die durch die Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen (RKM) angestoßen wurden, exemplarisch an zwei Musikhochschulen. Die Autorinnen beobachten aus Gleichstellungssicht, wie Veränderungsprozesse von verschiedenen Seiten initiiert werden: durch Betroffene, die es wagen, sich an die Gerichte zu wenden; durch eine engagierte öffentliche Berichterstattung und kritische Debatten zum Thema; durch klare Top-down-Richtlinien und Null-Toleranz-Strategien sowie Bottom-up durch selbstfürsorgliche Mitarbeitende und Studierende in den Institutionen, unterstützende Maßnahmen und Beratungs- und Beschwerdemöglichkeiten von hierfür geschulten Akteur*innen. Flankiert werden die Veränderungsprozesse von einer kritischen, intersektionalen Reflexion künstlerischer Arbeit, die sich auch in den Curricula niederschlagen sollte.

Kapitel 7. Kunst braucht Nähe. Nähe braucht Regeln. Vom professionellen Umgang mit Grenzen in der musikalischen Ausbildung an Musikhochschulen
Zusammenfassung
Dieser Aufsatz beleuchtet einige Spezifika von Musikhochschulen wie die besondere Prägung von vielen Musikstudierenden in der Kindheit, Einzelunterricht, Körperkontakt, Emotionalität als Ausdrucksmittel, anspruchsvolle Aufnahmeprüfung und der große Einfluss der Lehrenden auf ihre künstlerischen Karrieren. Anhand einiger Schlaglichter wird gezeigt, wie die Hochschulstrukturen und der alltägliche Umgang Grenzüberschreitungen, Diskriminierung und Machtmissbrauch begünstigen. Dies geschieht durch überzogenen Leistungsdruck und Angstmachen als didaktisches Mittel, fehlende Bewertungskriterien, intransparente Auswahlverfahren, unreflektiertes Übernehmen von sexistischen Schönheitsidealen, ein fehlendes normatives Gerüst mit gemeinsam vereinbarten Grundwerten, fehlende pädagogische Vor- und Weiterbildung von Lehrenden sowie Versperrung von Zugängen und Netzwerken. Präventive Maßnahmen müssen verhindern, dass hierarchische Situationen ausgenützt und Abhängigkeiten missbraucht werden. Aufgrund ihrer Erfahrungen als Frauenbeauftragte, die zu Grenzüberschreitungen und sexualisierter Belästigung ausdrücklich auch Männer und nicht-binäre Menschen berät, empfiehlt die Autorin verpflichtende Weiterbildungen für Lehrende zum Ausbalancieren von Nähe und Distanz und mehrsprachige, unbenotete Seminare für Studierende zum Umgang mit körperlichen und seelischen Grenzen. Abschließend werden drei Vorschläge zur Prävention von Machtmissbrauch, sexualisierter Belästigung und Gewalt gemacht, die über die Hochschulen hinaus in die Kulturbranche hineinwirken würden: Verhaltenskodizes, eine bundesweite Aufklärungskampagne sowie der Einsatz von Intimitätskoordinator*innen.
Antje Kirschning
Kapitel 8. Für ein gutes Miteinander auf See. Eine Initiative zur Prävention von sexualisierten Grenzverletzungen auf Forschungsfahrten
Zusammenfassung
„Für ein gutes Miteinander auf See“ ist eine Initiative am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, die sich der Prävention von sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt (SBDG) auf deutschen Forschungsschiffen widmet. Geleitet wird die Initiative vom Gleichstellungsteam, das in der komplexen Organisationsstruktur der Forschungsschifffahrt viele Akteur*innen zusammenbringen muss, um die Maßnahmen passgenau zu entwickeln und zu etablieren. Auf Forschungsfahrten sind die Menschen für einen längeren Zeitraum auf engem Raum zusammen und können unerwünschten Situationen nicht ausweichen. Das Ziel der Initiative ist es, dafür eine Rettungsinsel zu bieten: Etablierte und klare Strukturen sollen Sicherheit geben und eine Klärung von unerwünschten Situationen ermöglichen. Dieser Beitrag gibt einen Einblick in die Vorgehensweise der Entwicklung der Initiative und erläutert, welche Herausforderungen Forschungsschiffe als Arbeitsort für eine SBDG-Initiative darstellen.
Kristin Hamann, Nikole Lorenz, Catharina Jäcke, Ulrike Schroller-Lomnitz

Perspektiven auf Strukturen, Umgang und Lösungsansätze

Frontmatter
Kapitel 9. Die Hochschule – ein möglichst sicherer Ort! Elemente eines Schutzkonzepts zur Prävention von und zum Umgang mit sexualisierter Diskriminierung und Gewalt
Zusammenfassung
Basierend auf der Antidiskriminierungsrichtlinie, die sich die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin) im Jahr 2018 gegeben hat, wurde im Wintersemester 2021/22 damit begonnen, ein Schutzkonzept zur Prävention von und zum Umgang mit sexualisierter Diskriminierung und Gewalt zu erarbeiten. Dieses Schutzkonzept basiert auf drei Leitprinzipien: Einsicht, Enttabuisierung und Betroffenengerechtigkeit. Diese sind in der Organisationskultur zu verankern, wobei das letztgenannte Prinzip die grundlegendsten Veränderungen für die Organisation mit sich bringt. Im vorliegenden Beitrag werden erstens die genannten Leitprinzipien mit dem Fokus auf der Betroffenengerechtigkeit eingeführt und erläutert. Zweitens wird das Schutzkonzept in den Kontext des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und der internen Antidiskriminierungsrichtlinie gestellt. Drittens wird das dichte Hilfenetz beschrieben, welches die etablierten, hochschuleigenen Beratungseinrichtungen, die Interessenvertretungen bestimmter Gruppen mit den „Knotenpunkten“ bilden sollen, die im Zuge der seit 2018 verstärkten Antidiskriminierungsarbeit an der HTW Berlin neu geschaffen werden, insbesondere der Antidiskriminierungsrat und die Antidiskriminierungsstelle. Viertens wird der Bearbeitungsprozess von Meldungen und Beschwerden Schritt für Schritt dargestellt. Die Hochschule hat damit begonnen, intensiv und unter Beteiligung vieler Hochschulangehöriger daran zu arbeiten, ein möglichst sicherer Ort für alle zu werden. Die Organisationskultur befindet sich im Wandel, maßgebliche Veränderungen für Strukturen und Prozesse wurden angestoßen. Die Praxis der kommenden Jahre wird zeigen, wie tragfähig diese tatsächlich sind. Wie bei jeder guten Organisationsentwicklung ist es auch hier entscheidend, entsprechende Signale wahrzunehmen und gegebenenfalls nachzujustieren. Dieser Beitrag ist als Werkstattbericht zu verstehen, denn er dokumentiert einen Zwischenstand.
Ulrike Richter, Sünne Andresen, Elisa Kassin, Holger Specht
Kapitel 10. „Na, dann brauchen wir wohl einen Workshop oder Coaching …“ – Trainings und Coaching als Instrumente in der hochschulischen Arbeit bei Fällen von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt
Zusammenfassung
In diesem praxisorientierten Beitrag wird die Rolle von Trainings und Coachings als Instrumente in der Arbeit mit Vorfällen von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt (SDG) im hochschulischen Kontext vorgestellt, eingeordnet und diskutiert. Dabei geht es zum einen um die Möglichkeiten, wie Coachings und Trainings als Maßnahmen bei der Arbeit mit Vorfällen von und als Präventionsmaßnahme gegen SDG an Hochschulen eingesetzt werden können. Zum anderen werden die Grenzen in diesem spezifischen Feld und der Einsatz der beiden Instrumente durch Hochschulen kritisch beleuchtet. Der Beitrag schließt mit Empfehlungen für einen guten Umgang mit Coaching und Training in der Arbeit mit und gegen SDG (Der Beitrag basiert auf unserer Arbeit an deutschen und österreichischen Hochschulen und bezieht eine deutsch-österreichische Perspektive ein.).
Sabine Blackmore, Lisa Horvath
Kapitel 11. Beratung bei sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt: Ein Schulungskonzept für Hochschulen
Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird das Konzept einer Schulung für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte vorgestellt, die deren Beratungskompetenz im Umgang mit Betroffenen sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt (SBDG) stärken soll. Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte sind häufig erste Anlaufstellen bei SBDG an Hochschulen. Die Amtsinhaber*innen sind jedoch für diese komplexe und sensible Funktion in der Regel nicht ausreichend ausgebildet. Diese Schulung schließt die Lücke im System und vermittelt den teilnehmenden Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten Kompetenzen, Informationen und Methoden, um professionell und mit mehr Selbstvertrauen SBDG-Betroffene erstberaten zu können. Neben notwendigen Rahmenbedingungen für die Schulung werden der zeitliche Ablauf und wesentliche inhaltliche Aspekte dargestellt. Die praxisnahe Beschreibung von Techniken und Übungen zeigt, wie die Inhalte vermittelt bzw. gemeinsam erarbeitet werden. Erfahrungsberichte aus zahlreichen Schulungen zu SBDG, immer wiederkehrende Fragen und Reaktionen von Teilnehmer*innen und exemplarische Ergebnisse von Gruppenarbeiten runden die Beschreibung dieses Angebots ab. Das Ziel der Schulung ist es, den Teilnehmer*innen in kurzer Zeit und auf einfachem Weg die Grundkompetenz für eine vertrauensvolle und unterstützende Beratung zu vermitteln.
Brigitte Reysen-Kostudis, Wendy Stollberg
Kapitel 12. Sensibilisierung zum Thema „Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt“ im Rahmen der jährlichen Sicherheitsunterweisung nach Arbeitsschutzgesetz – eine präventive Maßnahme
Zusammenfassung
Laut Art. 2 (2) Grundgesetz hat jeder Mensch das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Dies beinhaltet auch den Schutz vor sexualisierter Diskriminierung und Gewalt (SDG). Im Arbeitsschutzgesetz steht, dass die Sicherheit und der Gesundheitsschutz bei der Arbeit gesichert und verbessert werden müssen, weshalb jährliche Sicherheitsunterweisungen, z. B. in der Chemie, der Gentechnik und dem Strahlenschutz etc., stattfinden. Schutz vor sexualisierter Diskriminierung und Gewalt gehört aber ebenfalls dazu. Daher haben die Autor*innen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) das ergänzende Modul „Sensibilisierung zum Thema sexualisierte Diskriminierung und Gewalt“ eingeführt, um hier Grundlagenarbeit zu leisten und dies prozessual nachhaltig zu verankern. Mit der Maßnahme sollen die Teilnehmenden auch dafür sensibilisiert werden, dass der Schutz vor sexualisierter Diskriminierung und Gewalt nicht in der Verantwortung der betroffenen Personen, also überwiegend der Frauen, liegt, sondern in der Organisation – aber vor allem bei den Führungskräften.
Robin von Both, Britta Bergfeldt, Birgid Langer

Erweiterung der Perspektive

Frontmatter
Kapitel 13. Intersektionalität, Repräsentanz und safer spaces bei sexualisierter Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen
Zusammenfassung
Hinsichtlich sexualisierter Diskriminierung und Gewalt nehmen an Hochschulen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte als Interessenvertretung und Anlaufstelle eine herausragende Stelle ein. Aus intersektionaler Perspektive – wenn also verschiedene Identitäten und Diskriminierungsformen als verschränkt begriffen werden – wird die Idee der Repräsentanz brüchig, denn jede Person hat zugleich eine Vielzahl an Zugehörigkeiten und ist an der Schnittstelle unterschiedlicher Machtachsen positioniert. Dieser Beitrag geht der Frage der Repräsentanz nach, sowohl hinsichtlich des Vertretungsanspruchs als auch bei Fragen nach Zielgruppen und dem symbolischen Status der Ansprechpersonen. Dem intersektionalen Ansatz folgend, können weder Funktionen noch Räume existieren, die die Erfahrungen und Perspektiven aller von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt betroffenen Personen repräsentieren, denn diese sind vielfältig und komplex. Somit sind alle Räume von Machtunterschieden durchdrungen und in allen Räumen ist Diskriminierungspotenzial vorhanden. Das heißt in letzter Konsequenz, dass es keine safe spaces und umfassende Repräsentanz geben kann. Auch wenn die inhärenten Herausforderungen nicht auflösbar sind, ist es jedoch möglich, Handlungsansätze zur Schaffung von safer spaces herzuleiten und das Potenzial des intersektionalen Ansatzes bei der Bekämpfung von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt zu nutzen.
Gabriele Rosenstreich
Kapitel 14. Gender.Macht.Wissenschaft – Akademischer Aktivismus. Ein Bericht über aktivistische Schreib- und Arbeitsprozesse
Zusammenfassung
Die Arbeitsgemeinschaft Gender.Macht.Wissenschaft berichtet von ihren Erfahrungen mit aktivistischen Arbeits- und Schreibprozessen. Im Dezember 2020 hat die interdisziplinäre Gruppe eine gemeinsame Erklärung gegen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt an deutschen Hochschulen veröffentlicht: www.​gender-macht-wissenschaft.​de. Die kollaborativen Schreibmethoden und Arbeitsprozesse werden im Text nachgezeichnet. Der Erfahrungsbericht möchte zum Nachahmen einladen und Akademiker*innen darin bestärken, sich trotz prekarisierter Arbeitsbedingungen und persönlicher Abhängigkeiten gegen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen zur Wehr zu setzen. Hochschulen sind Räume eines diskursiven Miteinanders von verschiedenen Einzelnen. Hochschulen müssen Orte sein, an denen ein kollegialer, solidarischer Umgang erlernt, gelebt und praktiziert wird. Gender.Macht.Wissenschaft ist eine selbstorganisierte Gruppe von Frauen* aus der Wissenschaft, die daran arbeiten, die Strukturen, die sexualisierte Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen ermöglichen, offenzulegen. Gemeinsame Schreibprozesse können eine Methode sein, um selbstermächtigende Äußerungsformen zu finden und strukturelle Veränderungen in der Wissenschaft anzuregen, die über die Institutionalisierung eines akademischen Aktivismus hinausgehen.
AG Gender.Macht.Wissenschaft

Perspektiven internationaler Hochschulkontexte

Frontmatter
Kapitel 15. Tackling Sexual Harassment and Violence in Universities: Seven Lessons from the UK
Abstract
This article offers seven lessons on tackling sexual harassment and violence in universities, based on fifteen years of activism in the UK. The problem must be named and understood as caused not by individual ‘bad apples’ but by structural dynamics both within universities and without. Many of the approaches taken so far have used what Audre Lorde would call ‘the master’s tools’ and have made use of naming and shaming and media outrage to appeal for punitive and authoritarian responses. This article argues that such responses merely consolidate oppressive institutional power, and offers an alternative approach drawn from abolitionist thinking and practice.
Alison Phipps
Kapitel 16. Green Tides and Pink Glitter: A Brief Account of the 21st-century Feminist Movement in Mexican Higher Education
Abstract
The first decades of the 21st century have witnessed a tremendous feminist uprise on a global scale. In Mexico, the protagonists of this movement are predominantly young university students. Through many creative strategies, these women have gained visibility and brought to the public opinion long-ignored issues such as sexual harassment and systemic sexism within universities. At the same time, they have joined other women outside academic settings to address problems that surpass university settings, such as reproductive rights, femicides, and forced disappearances. This social movement collides with the backfire of a conservative, religious sector of Mexican society and the inefficacy of the Mexican government that appears to be oblivious to the dangers that Mexican women face in everyday life. In this text, I’d like to sketch a landscape that illustrates that the uprising of women in Mexico has been going on for decades. Global historic junctures have given it momentum and potency. As a result, the feminist movement in higher education achieved accurate, tangible results that have legally and culturally transformed Mexico and its universities.
Kenya Herrera Bórquez
Kapitel 17. Sexual Violence in the University Environment in Mexico: Some Reflections on its Manifestations and its Relationship with Feminist Activism
Abstract
Gender violence in academia exposes female students to sexual harassment and bullying as the most common expressions of gender discrimination and misogyny. In 2019/2020 in Mexico, students have started to initiate a series of actions to demonstrate against sexual violence in academia and to publicly denounce their aggressors through both public exposure of perpetrators (escraches) and clotheslines (tendederos). As documented by several scholars (Barreto Barreto, Rev Mex Sociol 79:261–286, 2017; Cerva Cerva, Rev. de la Educ. Super 49:135–145, 2020a, Cerva D (2020b) La protesta feminista en México. La misoginia en el discurso institucional y en las redes sociodigitales. Rev Mex Cienc Polit Soc 65(240):177–205; González González G (2019) Acciones colectivas para enfrentar la violencia de género en las universidades: el caso de los escraches en la Red No Están Solas. Tesis de Maestría en Estudios Políticos. UNAM Posgrado en Ciencias Políticas y Sociales, México and Mingo Mingo A (2020) Juntas nos quitamos el miedo. Estudiantes feministas contra la violencia sexista. Rev Iberoam Educ Superior 11(31):3–23. 10.22201/iisue.20072872e.2020.31.703), these forms of public denunciation have served to render visible practices of sexual violence and strongly emphasized the need for specific institutional responses. Due to these actions, university authorities decided to implement the revision of the protocol of protection. However, these reactions are not enough. The objective of this article is to document the development of the conflict around sexual violence and harassment at Mexican universities, the institutional reactions as well as the mobilization process of feminist activism to fight violence. We argue that there is a dire need of establishing processes to legitimate a gender perspective as a tool for analyzing the experiences of inequality and discrimination of women in academia.
Daniela Cerva Cerna, Marcela Suárez Estrada
Metadaten
Titel
Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt im Hochschulkontext
herausgegeben von
Heike Pantelmann
Sabine Blackmore
Copyright-Jahr
2023
Electronic ISBN
978-3-658-40467-3
Print ISBN
978-3-658-40466-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40467-3

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