Markenführung wird oft zu einseitig interpretiert: Führende Massenprodukte und Werbung stehen im Vordergrund. Falsche Modelle des Marketing für Konsumgüter verursachen Fehler in anderen Marktsituationen von Nischenprodukten und komplexen Angeboten.
Oft sind weitere Produkte, Kanäle oder Kunden (vermeintlich) attraktiver als angestammte Transaktionen. Wenn Verantwortliche in Unternehmen oder im Markt an Grenzen stossen, so liegt es nahe, sie zu erweitern. Für Marken stellt sich die Frage, ob sich unter den gleichen Bezeichnungen noch weitere Produkte und Leistungen erfolgreich verkaufen lassen; Markenlizenzen beruhen auf dieser Überlegung. Verwässerung und Zersplitterung sind die negativen Wirkungen dieser Erweiterung.
Damit gelingt es, die Aktivitäten des Marketing nicht nur als Kosten zu behandeln, sondern dauernd zu investieren und aufzubauen. Jedes Engagement steigert den aktuellen und zukünftigen Wert der Marke; vorausgesetzt die umgesetzten Werte sind nicht veraltet oder im Markt und damit für Kunden zunehmend unwichtig. Es gibt in der Markenführung immer mehrere Lösungen, die richtig sind. UnprofessionelleVeränderungen sind aber eindeutig falsch.Anspruchsvoll ist es, die Werte der Marke marktgerecht weiter zu entwickeln und laufend zeitgemäss zu interpretieren, ohne dass sich ein Unternehmen oder eine Institution untreu wird. Eindrückliche Beispiele sind Swatch, Coca Cola, Mars, Nike, Ovomaltine, Schindler oder Kaba.Manche Marken feiern inzwischen bereits ihr hundertjähriges Jubiläum und können eine kontinuierliche Entwicklung ihrer Marke belegen.
Welche kurzfristigen Aktivitäten schaden dem langfristigen Erfolg eines Unternehmens und welche täglichen Massnahmen stärken die Position? Dieses Spannungsfeld ist eng verknüpft mit den Systemen und Fristen der Führung in Unternehmen. Richtungspunkte und Controlling steuern das Verhalten der Beteiligten stark. Oft werden beispielsweise finanzielle Ziele und kurze Fristen vorgegeben, aber die Wege zur Zielerreichung stehen den Verantwortlichen weitgehend offen. Die grössten Kostensenkungen lassen sich immer bei den grössten Stärken eines Unternehmens erzielen. Budgets in der Kommunikation lassen sich besonders schnell senken. Zusätzlich schrumpft der Zeithorizont, weil Führungskräfte und Mitarbeiter an ihren Stellen oft nur kurz verweilen (vgl. Abschnitt 5.2).
Jedes Unternehmen bewegt sich in verschiedenen Anspruchsgruppen (oder Gruppen von Stakeholders) wie beispielsweise Kunden, vertikale Partner (z.B.Vertretungen undHandel),Mitarbeiter,Aktionäre, Banken und weitere Kapitalgeber,Wettbewerber, Lieferanten, Verbände und Gewerkschaften, Kritiker, Medien, Politik, Öffentlichkeit und Gesellschaft. Jede Gruppe ist vielfältig zusammengesetzt, hat spezifische Ängste und Interessen sowie Möglichkeiten, diese zu artikulieren und durchzusetzen. Die Transaktionen zu Leistungskäufen, Geldanlagen, Arbeit und Gesellschaftsthemen sind unterschiedlich. Sie ist mit den weiteren Gruppen verbunden. So entwickeln sich wichtige Themen für Unternehmen übergreifend in verschiedenen Anspruchsgruppen und die Diskussionen verstärken sich gegenseitig. Gleichzeitig gehören die meisten Menschen zu mehreren Organisationen und spielen deshalb mehrere Rollen.
Die Argumentation ist hinlänglich bekannt. Produkte differenzieren sich kaum mehr objektiv und der Kunde interessiert sich, abgesehen vom Preis, wenig für unterschiedliche Merkmale von Leistungen. «Emotionsprofil statt Sachleistungsprofil» heisst deshalb die Forderung (Kroeber-Riel 1986). Franz-Rudolph Esch bringt diese Argumentation auf den Punkt (2004, S. 35 f.): «Wer heute ausschliesslich an den Erfolg sachlicher Produktvorteile glaubt, hat den Zug der Zeit verpasst. Sie sind zwar notwendig, nicht jedoch hinreichend für den Erfolg einer Marke. Die Ausgangssituation für jede Marke ist deshalb genau und vorurteilsfrei zu analysieren. Marken sind in hohem Masse durch Gefühle und emotionale Bindungen geprägt. Was nützt es bei Pampers-Windeln, wenn diese statt ein, zwei oder drei Liter künftig womöglich zwanzig Liter Flüssigkeit aufnehmen, wo doch ein Baby an einem Tag niemals soviel nässen kann? Zählen hier nicht eher emotionale Aspekte wie Mutterglück, Liebe und Fürsorge für ein Baby? Was kann man an hard facts über eine Zigarette vermitteln, ausser dass diese Kettenrauchern unwiderruflich den Tod bringt? Wer sich nicht mit der emotionalen Seite der Marke auseinandersetzt, wird künftig Probleme haben.» Nicht nur was der Kunde (funktionale Werte), sondern auch wie er es bekommt (emotionale Werte), ist bedeutend (de Chernatony 2002, S. 114).
Markenführung wird häufig mit Kommunikation gleichgesetzt oder mindestens mehrheitlich durch Kommunikationsmassnahmen und Massenkampagnen gestützt.Unter diesem Blickwinkel wirdMarkenführung zu einem umfassenderen Begriff für Werbung. Dieser Ansatz ist weder notwendig noch ergiebig.
Auch die folgende Argumentation ist geläufig: Früher kannten wir Massenmärkte, um dann Segmente zu bearbeiten, für Zielgruppen zu vertiefen und zukünftig auf einzelne Kunden einzugehen. Ein Trend zur Individualisierung ist aber nicht unbestritten und vor allem häufig auch geschäftlich nicht besonders interessant. Deshalb gilt es, zwischen dem Marketing oder der Markenführung für alle Kunden, für Segmente, für Zielgruppen und einzelne Kunden sehr sorgfältig abzuwägen.
Differenzierung ist eine wichtige Triebfeder des Marketing. Für Sparten, Produkte, Preisklassen, Kundengruppen, Kanäle und Länder wird das Marketing verschieden gestaltet. International wird das Spannungsfeld zwischen Local- und Global-Marketing erörtert. Die Informationen und Emotionen für Anspruchsgruppen des Unternehmens oder der Institution sind ebenso spezifisch (vgl. Kapitel 7). Ziel der Differenzierung ist es, in selektionierten Einheiten des Unternehmens und von Teilmärkten besser vorzugehen als Wettbewerber und besonders erfolgreich mit den Kunden oder weiteren Gruppen zusammen zu arbeiten. Grundsätzlich lässt sich auch dieMarkenführung differenzieren, indem beispielsweise die Schwerpunkte des Marketing auf verschiedene Produktmarken und Servicemarken gelegt werden.
Zu Marken und Marketing entsteht vielleicht beim Leser ein Unbehagen: Unterscheidet sich Markenführung und Marketing oder handelt es sich um Synonyme? Die Frage ist zum Glück nicht entscheidend. Es geht einfach darum, wie Unternehmen erfolgreicher vorgehen können. Die Benennung ist zweitrangig.