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2020 | Buch

Spielen ist unwahrscheinlich

Eine Theorie der ludischen Aktion

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Über dieses Buch

Begründet und entfaltet wird ein Begriff des Spiels, der sich um Lockungen und Drohungen des Unerwarteten dreht. Das Autorenduo ordnet seine Theorie der ludischen Aktion in klassische Konzepte des Spiels ein sowie in den aktuellen Diskurs der Game Studies. Die phänomenale Mannigfaltigkeit des Spiels wird in historischer Perspektive skizziert und in systematischer Weise gegliedert. Die Autoren erläutern medientechnische und kommunikative Voraussetzungen des Booms der Computerspiele und reflektieren die Diskussion über Eskalationen ludischer Gewalt. Kritisch ausgeleuchtet werden Instrumentalisierungen des Spiels, die sich unter dem Stichwort Gamification wachsender Beliebtheit erfreuen. Die auffällige Inflation der Spielmetapher wird in Zusammenhang gebracht mit ludischen Anmutungen in den sozialen Strukturen der modernen und digitalen Gesellschaft.

Fabian Arlt, M. A., hat Medienmanagement studiert und promoviert im Studiengang Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation der Universität der Künste (UdK) in Berlin.

Prof. Dr. Hans-Jürgen Arlt ist Sozialwissenschaftler und Publizist, er lehrt am Institut für Theorie und Praxis der Kommunikation der Universität der Künste (UdK) in Berlin.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Einleitung
Zusammenfassung
Es geht um eine Theorie des Spiels. Die Arbeit am Begriff des Spiels, die eine großartige Tradition hat, wird fortgesetzt, statt es dabei bewenden zu lassen, dass im Grunde alles auch Spiel sein kann. Vorgelegt wird eine Offerte, die angesichts der phänomenalen Mannigfaltigkeit des Spiels nicht die Theorie-Segel streicht, sondern diese Vielfalt zu erklären versucht. Dabei wird weder dem Pfad der Game Studies gefolgt, deren Studien typisch eine Randnotiz zum Spielbegriff voranstellen, um sich dann ganz der digitalen Welt hinzugeben. Noch soll es um eine Definition des Ludischen gehen. Wie die eine Definition ein zu einfacher Wunsch, so ist die Theorie ein zu dogmatischer Anspruch. Der Argumentationsgang verläuft als Schleife: Der Text begründet eine Idee, wie Spielen verstanden werden kann, hält sie fest und kehrt ihr dann den Rücken zu, um das Spiel in seinen Umwelten zu beobachten und zu beschreiben.
Fabian Arlt, Hans-Jürgen Arlt
Kapitel 2. Funktion und Eigensinn des Spiels
Zusammenfassung
Entwickelt wird ein Spielbegriff, der Spielen als eine Aktionsform begreift, die sich den Drohungen und Lockungen des Unerwarteten hingibt. Dabei befreit sich das Spiel auf seine besondere Weise aus Normalitäten, nämlich im Modus eines vorübergehenden unverbindlichen Tuns als ob. Nachzuvollziehen gilt es die Erlebnisqualitäten des Spiels, die seine Teilnehmer fesseln, sowie den Aufführungscharakter ludischer Aktionen, der Publika anspricht. Als theoretischer Ausgangspunkt der Arbeit am Begriff des Spiels dient die Interaktion, verstanden als eine Begegnung, bei der Personen füreinander wahrnehmbar sind und miteinander kommunizieren. Interaktionen gelten als die Primärform von Sozialität. Als elementares Ereignis entsteht menschliche Sozialität – soweit sie sich darüber den Kopf zerbricht, ist die Soziologie hier weitgehend einig – aus doppelt kontingenten Erwartungserwartungen.
Fabian Arlt, Hans-Jürgen Arlt
Kapitel 3. Der Spiel-Diskurs: Konsens-, Kontakt-, Kontrapunkte
Zusammenfassung
Von A wie Abenteuer über B wie Bewegung bis Z wie Zufall gibt es eine große Anzahl von Wörtern, die mit dem Spiel in Wechselbeziehung stehen. Dieser Beziehungsreichtum des Spiels schlägt sich in einer bunten Fülle von wissenschaftlichen Zugängen zum Spiel nieder. Jetzt geht es darum, den im zweiten Kapitel entwickelten Spielbegriff in diesem ludischen Diskurs zu verankern, Anschlussstellen zu identifizieren, Übereinstimmungen zu notieren, Differenzen zu benennen, Dissens zu begründen: Zum Beispiel, weshalb das Spiel der Wellen kein Spiel der Wellen ist, und warum eine Schraube nicht spielt, auch wenn sie zulasten ihrer Befestigungsfunktion Spiel hat. Die ludische Aktion wird als pragmatische Paradoxie beschrieben. Dabei wird die Triade des Realen, Imaginären und Fiktiven um das Ludische ergänzt, einer Wirklichkeitsform, in der ein Kuss ein Kuss und kein Kuss ist. Vor dem Hintergrund der Beobachtung, dass das Spiel mehr und mehr zum letzten Wort sowohl der Geistes- wie der Naturwissenschaften wird, wird argumentiert: Beim Spiel handelt es sich um ein Sekundärphänomen, erst etablierte Normalität löst Motive aus, sich aus ihr zu befreien.
Fabian Arlt, Hans-Jürgen Arlt
Kapitel 4. Funktionswandel und Variationen des Spiels
Zusammenfassung
Für die grenzenlose Variationsbreite des Spiels stellt sich die Aufgabe, ihr sowohl in historischer als auch in systematischer Perspektive gerecht zu werden. In der historischen Dimension werden, unterlegt mit Einzelbeispielen, Orientierungshinweise zum Funktionswandel des Spiels gegeben. Dabei wird die Konstruktion übernommen, Gesellschaftsgeschichte in die vier Formationen tribal, ständisch, modern, digital einzuteilen. In seinem Umgang mit Unerwarteten fungiert das Spiel in der Stammesgesellschaft primär als Schutz. Für die Oberschicht der Ständegesellschaft ist es ein Kokettieren mit der festgefügten Ordnung, für die Unterschicht ein Rückzugsort. In der Moderne wird das Spiel zur Einladung, mit Unerwartetem umzugehen. In der digitalen Gesellschaft eskaliert es die virtuelle Verwirklichung des Unerwarteten. In systematischer Perspektive werden drei Grunddifferenzierungen ludischer Aktionen herausgearbeitet, das Spielen mit sich selbst, mit Anderen sowie mit Themen, Zeichen und Medien, wobei unterschieden wird zwischen Dingmedien, natürlichen und artifiziellen, Erfolgsmedien wie Macht und Liebe sowie Verbreitungsmedien wie Sprache, Schrift und Funk. Exkurse zu Sport, Kunst und Technik ergänzen die Systematik.
Fabian Arlt, Hans-Jürgen Arlt
Kapitel 5. Spielen im digitalen Sandkasten
Zusammenfassung
Als Video-, Konsolen-, PC-, Online- und Mobile Games haben sich digitale Spiele innerhalb weniger Jahrzehnte stark ausdifferenziert, Kategorienbildungen und Genrebezeichnungen befinden sich sowohl für die Hardware wie für die Software im Fluss. Der Computer als universelles Werkzeug und als hochleistungsfähiges Medium eröffnet dem Spiel neue fantastische Welten, die sich der Pointe der Digitalisierung verdanken: Je gründlicher getrennt wird, desto mehr Möglichkeiten der Rekombination entstehen, je trivialer die Unterscheidung, desto leichter ihre Steigerung in immer höhere Komplexität. Ein Blick in die Kommunikationsgeschichte verhilft zu einem besseren Verständnis des ludischen Potenzials des Computers, das ein dreifaches Ich-Erlebnis als Spieler, Gespielter und Beobachter ermöglicht. An rechnerbasierten Spielen fällt bis heute das Missverhältnis auf zwischen höchsten technischen Raffinessen, luxuriösem Design und opulenten Bildern, und manchmal ärmlichen sozialen Kompetenzen. Digitale Kommunikation als Interaktion zwischen Adressen erzeugt einen Widerspruch zwischen Erlebnisreichtum und Mitgefühlsarmut. Er findet einen Ausdruck in ludischen Gewaltexzessen, die jedoch auf der schlichten Vergleichsebene von Spiel und Realität gründlich missverstanden werden.
Fabian Arlt, Hans-Jürgen Arlt
Kapitel 6. Übergänge I: Expansionen und Korruptionen des Spiels
Zusammenfassung
Spielen scheint ohne einen moralisierenden Beiklang der Missachtung oder der Achtung keine Beachtung zu finden. Schlecht oder gut, schädlich oder nützlich sind fundamentale Unterscheidungen, aber wer sie mit Blick auf ludische Aktionen trifft, darf nicht damit rechnen, dass sich die Spielenden davon beeindrucken lassen. Die Fortsetzung des Werturteils findet als direkte Instrumentalisierung des Spiels statt. Solche „Spielverderber“ können Spieler und Spielerinnen selbst sein, Stichwort Spielsucht. Weitaus häufiger werden einzelne Spielmethoden (Gamification) oder bestimmte Games (serious games) in den Kontext gesellschaftlicher Funktionsfelder eingepasst und für Organisationszwecke verwendet. Ohne Zweifel sind es die Erziehung und die Wirtschaft, die sich des Spiels bevorzugt bemächtigen. Die Pädagogen nutzen aus, dass das Spiel eine natürliche Nähe zum Lernen hat, weil es mit Unerwartetem umgeht. Die Ökonomisierung des Spiels ist kein isoliertes Phänomen, sie ist ein Unterfall der Aufmerksamkeitsökonomie, von der die öffentliche Kommunikation inzwischen insgesamt weitgehend beherrscht wird. Die Interpreten der massiven Ausweitung der Spielzone sind uneins: Das Spiel erobert den Planeten und macht ihn zu einem schöneren Ort, ist eine optimistische Position. Ihr steht eine Verteidigungsposition gegenüber, die das Spiel möglichst unberührt Spiel sein lassen will: Rettet Spielen die Welt oder muss das Spiel vor der Welt gerettet werden?
Fabian Arlt, Hans-Jürgen Arlt
Kapitel 7. Übergänge II: Moderne Spielräume und das ludische Grundgefühl digitaler Kultur
Zusammenfassung
Überall wo Komplexität, also Selektionszwang, und Kontingenz, also Enttäuschungsrisiko, zusammen mit ihren Begleitphänomenen wie Unabhängigkeit, Entscheidungsfreiheit, Unvorhersehbarkeit zu beobachten sind, also inzwischen überall, wird das Spiel als Referenz aufgerufen. Wie viel Realitätsgehalt und wie viel Schönfärberei stecken im inflationären Gebrauch der Spielmetapher? Die Entdeckungsreise, die in normalen Strukturen der modernen und der digitalen Gesellschaft nach ludischen Anmutungen, nach Elementen der Aktionsform Spiel sucht, wird in vielen Hinsichten fündig. Auf ludische Nähe verweist unter anderem der Aufstieg drei neuer Tugenden, der Achtsamkeit, als Antwort auf mehr Unerwartetes, der Anschlussfähigkeit als sozialer Überlebensgarantie in Netzwerken und der Fehlerfreundlichkeit, die in Niederlagen die Einladung sieht, neu zu starten. Aber die rhetorische Expansion des Spiels dient auch dem zweifelhaften Zweck, reales Scheitern mit – gänzlich ungeklärten – Aussichten auf künftiges Gelingen schön zu färben.
Fabian Arlt, Hans-Jürgen Arlt
Metadaten
Titel
Spielen ist unwahrscheinlich
verfasst von
Fabian Arlt
Dr. Hans-Jürgen Arlt
Copyright-Jahr
2020
Electronic ISBN
978-3-658-29107-5
Print ISBN
978-3-658-29106-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-29107-5