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01.03.2024 | Automatisiertes Fahren | Kompakt erklärt | Online-Artikel

Was bedeutet Automatisierung für die Verkehrs-Energiebilanz?

verfasst von: Christiane Köllner

6 Min. Lesedauer

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Das automatisierte Auto kann den Energieverbrauch im Verkehr reduzieren. Allerdings passiert das nicht zwangsläufig. Denn auch der Energieverbrauch der Dateninfrastruktur und die On-Board-Datenverarbeitung fallen ins Gewicht. 

Die Debatte über die Auswirkungen des automatisierten und vernetzten Fahrens auf den Energieverbrauch steht erst am Anfang. Die Literatur und Öffentlichkeit konzentriert sich bislang vor allem auf die Hoffnung, dass automatisierte Fahrzeuge effizienter fahren können und deshalb gegenüber herkömmlichen Pkw Energieeinsparpotenziale haben. Wenig Beachtung findet hingegen der zusätzliche Energieverbrauch, der mit der Automatisierung der Fahrzeuge und der Vernetzung dieser miteinander, mit Datenplattformen und der Infrastruktur einhergeht.

Fest steht: Selbstfahrende Autos benötigen eine hohe Rechenleistung, die gleichzeitig den Energiebedarf in die Höhe treibt, was wiederum CO2-Emissionen verursacht. In Zukunft könnte die Energie, die für den Betrieb der leistungsstarken Computer an Bord einer globalen Flotte autonomer Fahrzeuge benötigt wird, so viele Treibhausgasemissionen erzeugen wie alle Rechenzentren der Welt heute, wie das Massachusetts Institute of Technology (MIT) in einer Studie berechnet hat. Diese Rechenzentren machen derzeit etwa 0,3 % der weltweiten Treibhausgasemissionen aus, was in etwa der Menge entspricht, die das Land Argentinien jährlich produziert. Für die Studie zugrunde gelegt wurden eine Milliarde autonome Fahrzeuge, die pro Tag eine Stunde mit einem 840-W-Rechner betrieben werden. Betrachtet wurde nur die Rechenleistung, nicht aber den Energieverbrauch der Fahrzeugsensoren oder die bei der Herstellung entstehenden Emissionen. 

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Verkehrliche und ökologische Wirkungen des automatisierten und vernetzten Fahrens

Wird die Entwicklung des automatisierten und vernetzten Fahrens auf der Straße zu steigenden Treibhausgasemissionen führen oder kann sie dazu beitragen, die das gesamte Verkehrssystem bis zum Jahr 2050 klimaschonender zu gestalten? Um diese Frage zu beantworten bedarf es einer Potenzialabschätzung, die sowohl die technische Entwicklung, die Akzeptanz als auch die verkehrlichen Wirkungen der Technikfolgen berücksichtigt.

Mehr belastbare Zahlen notwendig

Doch der Sachverhalt ist komplex. Denn automatisierte Pkw können sich sehr unterschiedlich auf den Energieverbrauch auswirken, wie eine Analyse des Thinktanks Agora Verkehrswende aufzeigt. Langfristig sei es möglich, dass computergestützte Autos pro Kilometer mehr Energie durch harmonisiertes Fahren und einen besseren Verkehrsfluss sparen, als sie für den Austausch von Daten verbrauchen. Der Effizienzgewinn könnte im Jahr 2050 bei 4 bis 10 % liegen. Dieser Gewinn ginge jedoch schnell verloren, wenn die Autos mehr gefahren werden. Bereits ab einem Anstieg der Pkw-Fahrleistung von 1 bis 2,6 % pro Jahr wäre die Gesamtenergiebilanz des automatisierten und vernetzten Fahrens im Jahr 2050 negativ. 

Auf diesen Umstand weist auch die aktuelle Meta-Studie "Nachhaltigkeitseffekte der Digitalisierung" des Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und Technopolis Deutschland im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hin. So würden Studien zwar zeigen, dass Straßen effizienter genutzt werden und Energieverbräuche von Fahrzeugen sinken, wenn Routen, Kolonnen oder Ampelschaltungen mithilfe künstlicher Intelligenz optimiert werden. "Doch die Umwelteffekte beim autonomen Fahren hängen davon ab, ob die neue Technik auch insgesamt die Zahl der Pkw und der gefahrenen Kilometer reduziert", warnt Ökonom Christian Lautermann vom IÖW. Künftige Forschung sollte daher verstärkt Carsharing, Güter- und Busverkehr betrachten. Die Potenziale digitaler Technologien für einen umweltfreundlichen Nahverkehr seien bisher deutlich weniger erforscht als beim Individualverkehr. Überhaupt macht die Meta-Studie, für die 200 Studien analysiert worden sind, deutlich: Die Forschung zur nachhaltigen Digitalisierung ist in vielen Bereichen noch lückenhaft. Die Nachhaltigkeitseffekte der Digitalisierung müssten umfassender bewertet werden, heißt es von den Studienautoren.

Keine automatische Nachhaltigkeitstransformation

Wichtig ist zu beachten, dass sich technische Innovationen "nicht automatisch in Nachhaltigkeitstransformationen" übersetzen lassen, wie es die Springer-Autoren Jan C. T. Bieser und Vlad C. Coroamă im Artikel Direkte und indirekte Umwelteffekte der Informations- und Kommunikationstechnologie formulieren. Um die Umweltschutzpotenziale der Digitalisierung zu ermöglichen, sei es notwendig, dass Entscheidungsträger eine ganzheitliche Betrachtung der Umweltauswirkungen von IKT-Anwendungen vornehmen, welche direkte und indirekte, speziell systemische Effekte, mitberücksichtige. "Andernfalls besteht die Gefahr, dass unerwünschte Auswirkungen der Digitalisierung zu einer Verschärfung von Umweltproblemen beitragen", so die Autoren.

Die MIT-Experten sehen vor diesem Hintergrund die Notwendigkeit zur stetigen Effizienzsteigerung der Bordrechner. So fanden sie heraus, dass in mehr als 90 % der modellierten Szenarien jedes Fahrzeug weniger als 1,2 kW Rechenleistung verbrauchen muss, um zu verhindern, dass die Emissionen autonomer Fahrzeuge die derzeitigen Emissionen von Rechenzentren übersteigen. Damit dies möglich ist, muss die Computerhardware effizienter werden, d.h. die Effizienz müsste sich etwa alle 1,1 Jahre verdoppeln. Eine Möglichkeit, die Effizienz zu steigern, wäre der Einsatz speziellerer Hardware, die für die Ausführung bestimmter Fahralgorithmen ausgelegt sei. "Wenn wir den Trend zur Dekarbonisierung und die derzeitige Rate der Verbesserung der Hardware-Effizienz beibehalten, scheint es nicht ausreichend zu sein, um die Emissionen der Computer an Bord autonomer Fahrzeuge zu begrenzen. Dies hat das Potenzial, ein enormes Problem zu werden. Aber wenn wir ihm zuvorkommen, könnten wir effizientere autonome Fahrzeuge entwerfen, die von Anfang an einen geringeren CO2-Fußabdruck haben", sagt Erstautor der MIT-Studie  Soumya Sudhakar, Doktorand der Luft- und Raumfahrttechnik.

Handlungsempfehlungen für Politik und Industrie 

Auch Agora Verkehrswende empfiehlt auf Basis der Analyse, die das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) im Auftrag erstellt hat, in allen Bereichen des automatisierten Fahrens auf energieeffiziente Technologien und Abläufe zu setzen:

On-board-Energieverbrauch minimieren

  • Im Fahrzeug gelte das vor allem für die Prozessoren und Speicher, die die Daten verarbeiten. Je weniger Strom diese Komponenten verbrauchten, desto weiter käme das Fahrzeug mit einer Batterieladung. Die vorliegende Analyse baut auf Schätzungen auf, dass sich der zusätzliche On-board-Energieverbrauch vollständig automatisierter Fahrzeuge bei stetiger Effizienzverbesserung im Jahr 2050 auf 270 Wh/100 km begrenzen lässt. 

So viel Vernetzung wie nötig, aber so wenig wie möglich

  • Bei der Vernetzung sei es auch aus Sicherheits- und Kostengründen sinnvoll, wenn die Fahrzeuge weitgehend unabhängig von Datenverbindungen mit Schildern, Ampeln und Straßen fahren können. Die Datenübertragung, die zum Beispiel für die Aktualisierung von Karten unerlässlich sei, sollte möglichst über lokale Funknetze (Wireless Local Area Network, WLAN) anstatt über Mobilfunknetze abgewickelt werden.

Zu übertragende Datenmenge geringhalten

  • Ein kritischer Faktor ist der Analyse zufolge die Datenmenge, die aus dem Fahrzeug heraus übertragen werden muss. Pro automatisiertem Fahrzeug könnten in Zukunft 1,4 bis 19 Terabyte pro Stunde (TB/h) anfallen. Sobald davon mehr als 0,8 TB/h übertragen würden, wären die Effizienzgewinne aufgebraucht. Deshalb sieht Agora Verkehrswende Pkw-Hersteller, Zulieferer und Softwareentwickler in der Verantwortung, die übertragene Datenmenge möglichst niedrig zu halten und effiziente Verfahren zu entwickeln.

Von einer CO2-Emissionsmetrik zu einer Energieeffizienzmetrik

  • Bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen sei es wichtig zu differenzieren. Zum einen sollten die europäischen Flottengrenzwerte von einer CO2-Emissionsmetrik auf eine Energieeffizienzmetrik umgestellt werden und dabei auch den Energiebedarf zusätzlicher Komponenten im Fahrzeug berücksichtigen, so die Analyse. Zum anderen brauche es einen gesonderten Regulierungsrahmen für eine energieeffiziente digitale Infrastruktur. Damit beide Bereiche gleichermaßen Fortschritte machen, dürften Effizienzgewinne bei Fahrzeugen und in der Infrastruktur nicht miteinander verrechnet werden.

Gemeinschaftliche Nutzung, Integration in den ÖPNV

  • Schließlich empfiehlt Agora Verkehrswende, automatisierte Fahrzeuge in erster Linie gemeinschaftlich zu nutzen und gut in den öffentlichen Verkehr zu integrieren. Nur so ließe sich ein Anstieg der Pkw-Fahrleistung und des damit verbundenen Energieverbrauchs vermeiden.

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