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11.07.2014 | Baukonstruktion | Schwerpunkt | Online-Artikel

Digitale Planung und robotische Fertigung

verfasst von: Christoph Berger

5:30 Min. Lesedauer

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Der Forstpavillon auf der Landesgartenschau in Schwäbisch Gmünd ist ein Demonstrationsbau: An ihm wurden neue Methoden der digitalen Planung und robotischen Fertigung von Holzleichtbaukonstruktionen erforscht und vorgestellt.

„Robotik im Holzbau“ nennt sich ein von der Europäischen Union und dem Land Baden-Württemberg gefördertes Verbundforschungsprojekt, in dessen Rahmen der Forstpavillon an der Universität Stuttgart in Kooperation mit der Müllerblaustein Holzbau GmbH, der Landesgartenschau Schwäbisch Gmünd 2014 GmbH und der Kuka Roboter GmbH realisiert wurde.

Ziel des Forschungsprojekts war und ist es, neue Wege aufzuzeigen, wie durch die Verknüpfung computerbasierter Entwurfs-, Simulations- und Fertigungsverfahren innovative und zugleich besonders leistungsfähige und ressourcenschonende Konstruktionen aus der regional verfügbaren und nachwachsenden Ressource Holz möglich werden.

Innovationen in mehreren Bereichen

Bei dem Demonstrationsbau in Schwäbisch Gmünd kommt nun erstmals ein innovatives, robotisch gefertigtes Leichtbausystem aus Buchenfurniersperrholzplatten zur Anwendung, das vom Institut für Computerbasiertes Entwerfen (ICD), dem Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) sowie dem Institut für Ingenieurgeodäsie (IIGS) entwickelt wurde.

Die so entstandene neuartige Holzplattenbauweise ist nicht nur innovative Architektur, sondern gleichzeitig auch eine ausgesprochen leistungsfähige, ressourcenschonende Schalenkonstruktion. Die Materialstärke beträgt gerade mal 50 Millimeter.

Dies wurde durch integrative computerbasierte Entwurfs-, Simulations-, Fertigungs- und Messverfahren ermöglicht. Die Verbindung zur robotischen Fertigung eröffnet dem Material völlig neuartige Anwendungsmöglichkeiten: leistungsfähige und effiziente Konstruktionen. Am Forstpavillon lassen sich Innovationen anhand von fünf Aspekten zeigen.

Bionischer Leichtbau

Im Vergleich zu technischen Konstruktionen besitzen natürliche Konstruktionen in der Tier- und Pflanzenwelt in der Regel wesentlich komplexere Formen und Strukturen. Dieses „Mehr“ an Form ist häufig der Grund für deren besondere Leistungsfähigkeit und Materialeffizienz und geht mit einem „Weniger“ an Materialeinsatz und Ressourcenverbrauch einher.

Aus der Natur lassen sich daher oft wirksame Prinzipien ableiten, die in die Gestaltung technischer Systeme übertragen werden können. Dieses bionische Vorgehen besteht im Falle des Forstpavillons in der Ableitung einer segmentierten Schalenkonstruktion und ihrer Verbindungsdetails aus dem Plattenskelett von Seeigeln.

Die aus Calciumcarbonat bestehenden, individuellen Platten des Skeletts bilden durch ihre spezifische Anordnung eine stabile und effiziente Schalenkonstruktion. Die charakteristische Ausbildung der Plattenränder zeigt dabei Extrusionen, die die Platten verzahnen und als biologisches Vorbild für die Verbindung von Plattenkonstruktionen dienen.

Computerbasierter Entwurf und Simulation

Die komplexe Plattenstruktur des Forstpavillons wird durch computerbasierte Entwurfs- und Simulationsverfahren möglich. Diese erlauben es, bionische Konstruktionsformen zu modellieren und zu simulieren.

Das im Rahmen dieses Forschungsprojekts entwickelte Entwurfswerkzeug bietet die Möglichkeit, von Beginn an Materialeigenschaften und Herstellungsbedingungen in die Planung zu integrieren.

Die Platten werden dabei nicht einzeln gezeichnet oder modelliert, sondern sie finden in einem digitalen Simulations- und Optimierungsprozess ihre Lage, Größe und Form in Übereinstimmung mit den Möglichkeiten der robotischen Fertigung von selbst.

Robotische Fertigung

Die durchgehend computerbasierte Planung erlaubt die digitale Fertigung aller Bauteile der Holzkonstruktion, von der Herstellung der 243 unterschiedlichen Platten bis hin zum Zuschnitt der Dämmung, wasserführenden Schicht und Deckschicht aus Lärchenplatten.

Die größte Herausforderung und Innovation stellt dabei die Fertigung der 7600 geometrisch unterschiedlichen Zinkenverbindungen dar, die dem Pavillon seine Stabilität verleihen und im Innenraum sichtbar bleiben.

Hier kommt der robotischen Fertigung eine Schlüsselrolle zu, da sie im Vergleich zu üblichen computergesteuerten Fertigungsmethoden einen wesentlich höheren Freiheitsgrad bietet: die Verbindungen, die in mikroskopisch kleinem Maßstab auch der Seeigel nutzt, lassen sich nur mit einer sieben-achsigen Roboteranlage effizient umsetzen. Wie auch beim Seeigel spielt es dabei keine Rolle, dass alle Platten Einzelstücke sind. Die gesamte Vorfertigungszeit des Schalentragwerks betrug lediglich drei Wochen.

Innovative Messverfahren

Diese Art der Vorgehensweise  ermöglicht eine sehr hohe Präzision. Die Qualitätskontrolle der individuellen robotisch gefertigten Platten stellt daher eine besondere Herausforderung dar und erfordert eine hochpräzise messtechnische Erfassung durch im Sub-Millimeter Bereich agierende Lasertracker.

Zusätzlich kommen drei-dimensionale Laserscanner zur mehrfachen Vermessung des gesamten Bauwerks zum Einsatz, die eine Analyse des Langzeitverhaltens ermöglichen.

So konnte aufgezeigt werden, dass die mittlere quadratische Abweichung der Bauteile in der Bauteilebene, die ein Maß für die Genauigkeit der Fertigung darstellt, lediglich 0,86 Millimeter beträgt. Dies sei ein außerordentlich guter Wert, heißt es von Seiten der Wissenschaftler, vor allem auch im Hinblick darauf, dass es sich bei der Buchenholzschale gleichzeitig um „Rohbau“ und fertige Oberfläche im Innenraum handelt.

Neuartige Holzkonstruktion

Der Forstpavillon ist nach Eigenaussage der Universität Stuttgart die erste robotisch gefertigte Schalenkonstruktion aus Buchenholzplatten. Im Sinne der funktionalen Integration, einem Grundprinzip biologischer Strukturen, sind diese Platten zugleich Tragwerk und Gebäudehülle.

Die Verbindungskräfte, die an den Plattenrändern auftreten, können durch die robotisch gefräste Zinkenverbindung besonders gut aufgenommen werden. So entsteht eine besonders leistungsfähige Holzkonstruktion, deren tragende Schicht aus gerade einmal 50 Millimeter starken Buchenplatten besteht.

Die Verwendung von regional verfügbarem Buchenholz steht dabei nicht nur im Einklang mit zukünftigen Beforstungsstrategien in Mitteleuropa, sondern eignet sich aufgrund der hervorragenden mechanischen Eigenschaften auch für einen ressourcenschonenden Holzleichtbau.

Effizienter Materialeinsatz

Mit einer Schalenfläche von 245 Quadratmetern und äußeren Abmessungen von etwa 17 x 11 x 6 Metern (LxBxH) bietet der Forstpavillon eine Nutzfläche von circa 125 Quadratmtern und ein Raumvolumen von 605 Kubikmetern.

Die gesamte, sehr dünne Schale konnte aus gerade einmal zwölf Kubikmetern Holz hergestellt werden. Die eingesetzten Holzressourcen wurden fast vollständig verwendet, da der Verschnitt der Plattenfertigung zu einem Buchenparkettfußboden weiterverarbeitet wurde. Aufgrund der durchgehend digitalen Planung und Vorfertigung konnte das gesamte Gebäude in lediglich vier Wochen errichtet werden.

Der Innenraum

Das Innere des Forstpavillons ist in zwei räumliche Bereiche gegliedert: einen Eingangsbereich und den Hauptausstellungsbereich. In beiden Bereichen ist die Schale kuppelförmig ausgebildet und besteht aus konvex-polygonalen Platten.

Dazwischen befindet sich eine sattelförmige Einschnürung aus konkav-polygonalen Platten. Der Besucher betritt das Gebäude durch den niedrigeren Teil der Schale und wird dann durch die räumliche Einschnürung fließend in den sechs Meter hohen Hauptraum geleitet, der sich durch die große Glasfassade zur Landschaft hin weit öffnet.

Besonders präsent ist im Innenraum das Muster der sichtbaren und weitgehend unbehandelten, tragenden Buchenholzkonstruktion mit Ihren charakteristischen Zinkenverbindungen. Durch den geometrisch bedingten Übergang von konvex- zu konkavpolygonalen Platten wird der räumliche Wechsel noch akzentuiert. Die Logik der Konstruktion, die sich gemäß dem biologischen Vorbild aus der Differenzierung der Plattenform und Zinkenverbindung ableitet, bleibt im Innenraum sicht- und erlebbar.

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