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Erschienen in: Wirtschaftsinformatik & Management 1/2021

Open Access 06.10.2020 | Spektrum

Digitale Plattformen: Strategien für KMU

verfasst von: Benedict Bender, M. Sc., Natalie Habib, B. Sc., Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Norbert Gronau

Erschienen in: Wirtschaftsinformatik & Management | Ausgabe 1/2021

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Zusammenfassung

Obwohl digitale Plattformen vornehmlich von Großunternehmen betrieben werden, bieten sie klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) Potenziale zur Verbreitung innovativer Technologien und für den Ausbau ihres Geschäftsmodells. Für die Umsetzung digitaler Plattformen stehen Unternehmen mehrere Strategien zur Verfügung. Der Beitrag vergleicht und bewertet grundlegende Strategien am Beispiel eines Maschinenbauunternehmens. Die Ergebnisse dienen als Grundlage für die Entscheidungsfindung von KMU.
Über Wachstum, Absatzsteigerung und Wettbewerbsvorteile durch Industrie 4.0, digitale Plattformen und künstliche Intelligenz berichten Zeitschriften, Nachrichtenagenturen und Publikationen. Umsetzungen werden häufig anhand von Global Playern wie SAP, Bosch und Netflix aufgezeigt. Die zahlreichen prominenten Beispiele erfolgreicher digitaler Plattformen werfen die Frage auf, ob diese zwangsläufig von großen Firmen dominiert werden müssen. Können klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) nicht ebenfalls vergleichbare Mehrwerte mittels digitaler Plattformen für ihr Geschäft erreichen? Wie gestalten sich solche Szenarios? Wie soll ein mittelständischer Maschinenhersteller mit limitierten Ressourcen und Kompetenzen eine voll vernetzte, automatisierte und globale Wertschöpfungskette mithilfe einer digitalen Plattform umsetzen? Es gilt, die Informationslücke zwischen dem theoretischen Konzept „Digitale Plattform“ und konkreten Handlungsempfehlungen für den besonderen Fall der KMU zu schließen.
Entscheidend für KMU für die Umsetzung von digitalen Plattformen ist, dass ein wesentlicher Mehrwert zum bestehenden Geschäftsmodell erzielt werden kann. Den KMU stehen limitierte Ressourcen wie Kapital, Arbeitskräfte und Material als auch begrenzte Kompetenzen in den Bereichen Ziele, Strategien und Geschäftsmodelle zur Verfügung. Die Erarbeitung von Handlungsalternativen und Lösungen in enger Zusammenarbeit mit der Praxis ist Ziel des Forschungsprojektes „KMU-Navigator“ der Universität Potsdam in Zusammenarbeit mit der Hahn-Schickard-Gesellschaft im Rahmen der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF). Im Rahmen des Forschungsprojektes werden drei zentrale Fragen betrachtet, um schrittweise konkrete Handlungsalternativen für KMU abzuleiten. Die erste Frage befasst sich mit der Identifizierung von Determinanten, ob sich ein Produkt oder eine Dienstleistung für eine digitale Plattform grundlegend eignet. Bei Eignung wird geprüft, ob das betrachtete KMU selbst eine digitale Plattform aufbauen oder sich einer bestehenden anschließen sollte. In enger Zusammenarbeit erarbeiten dafür Wissenschaft und Praxis Ziele, Strategien und Geschäftsmodelle. Zentrales Projektergebnis ist ein webbasiertes Tool, das KMU in das Thema digitale Plattformen einführt und den strategischen Aufbau und die konkrete Umsetzung unterstützt.
Digitale Plattformen bieten für KMU Potenziale, welche gegenwärtig ungenutzt bleiben. Zurzeit wünscht sich laut Umfrage die Mehrheit der Kunden digitale Plattformen aus Deutschland [1]. Gleichzeitig sind die Begriffe „digitale Plattform“ und „Plattformökonomie“ jedoch 54 % der deutschen Topmanager laut Umfrage kein Begriff [2]. Studien auf Basis von digitalen Plattformen weltweit [3] und auf Basis von Experteninterviews [4] zeigen, dass Europa im internationalen Vergleich sehr wenige führende Plattformen vorweist, und adressieren konkreten Handlungsbedarf in Deutschland [4]. Insbesondere die innovativen Technologien deutscher Unternehmen z. B. im Maschinen- und Anlagenbau eignen sich für digitale Plattformen [5]. Somit wäre insbesondere für den Wirtschaftsstandort Deutschland die intensivere Erschließung der mit digitalen Plattformen einhergehenden Potenziale für KMU wünschenswert.

Strategische Handlungsoptionen für KMU im Hinblick auf digitale Plattformen

Zu Beginn müssen KMU die für ihren Zweck geeignete Plattformstrategie ermitteln. Abb. 1 stellt das Vorgehen zur Identifikation einer Plattformstrategie dar. Grundsätzlich ist die Frage zu beantworten, ob sich das Produkt- bzw. Dienstleistungsportfolio für eine digitale Plattform eignet. Eignet sich das Angebot nicht für eine Plattform, sollten die wesentlichen Entscheidungsparameter kontinuierlich überwacht werden, denn veränderte Bedingungen, insbesondere Marktanforderungen und Wettbewerber, sind dynamisch. Eignet sich ein Produkt, besteht die Möglichkeit, eine eigene digitale Plattform zu initiieren oder sich einer bestehenden Plattform anzuschließen. Diese Entscheidung ist von den Zielen, der Marktstruktur sowie der Ausgangslage des Unternehmens abhängig. Bei bestehenden Plattformen kann auf eine etablierte Struktur zurückgegriffen werden, jedoch sind die Einflussmöglichkeiten eines einzelnen partizipierenden Unternehmens beschränkt. Daher ist bei der Partizipation insbesondere eine den Zielen entsprechende Partizipationsstrategie festzulegen.

Begriff der digitalen Plattform

Der Begriff der digitalen Plattform wird gemäß dem Untersuchungsfokus unterschiedlich verwendet [6]. Die Betrachtung von digitalen Plattformen als technologisches Element folgt dabei der Engineering orientierten Untersuchung mit Fokus auf die Plattformarchitektur. Dieses Begriffsverständnis kommt beispielsweise im industrienahen Bereich zum Tragen. Hierbei steht beispielsweise die Anbindung von Maschinen an Internet-of-Things(IoT)-Plattformen im Vordergrund. Über derartige Plattformen werden zentralisierte Funktionen wie z. B. Analyse- und Überwachungsfunktionen zur Verfügung gestellt.
Die Betrachtung von digitalen Plattformen als Märkte kommt insbesondere bei Fokus auf Geschäftsmodellaspekte zum Tragen. Häufig werden Plattformen dabei als nachfrageorientierte, zwei- und mehrseitige Märkte verstanden, welche die Koordination der an der Plattform partizipierenden Entitäten zum Ziel haben. Beispielsweise erfolgt auf Ebene der Geschäftsmodelle die Koordination und Vermittlung von Produkten und Dienstleistungen zwischen den unterschiedlichen Seiten der Plattform. Zum Beispiel vermittelt der Fahrdienstvermittler Uber zwischen den Fahrern und Nutzern.

Potenziale digitaler Plattformen

Potenziale von digitalen Plattformen auf Geschäftsmodellebene spiegeln sich in ihren Hauptmerkmalen 1) Synergie- und Innovationseffekte für Anbieter und Nutzer sowie 2) in Netzwerkeffekten und einer externen Wertschöpfung für Betreiber wider. Digitale Plattformen werden als geschäftliche und organisatorische Modelle betrachtet, die veränderte Marktstrukturen abbilden. Im Detail befasst sich die Wissenschaft mit der gezielten Gestaltung der Zusammenarbeit eng verbundener Unternehmen, welche einen wesentlichen Teil zur Wertschöpfung beitragen, unter dem Betrachtungswinkel der sogenannten Business-Ökosysteme [7]. Wesentliches Merkmal ist, dass durch die Kombination der Leistung unterschiedlicher Unternehmen deutliche Synergieeffekte erzielt werden können, von denen das Ökosystem profitiert. Zentrales Element von Business-Ökosystemen ist eine digitale Plattform. Digitale Plattformen werden häufig als zwei- oder mehrseitige Märkte betrachtet, mit der Plattform als Intermediär zwischen Gruppen von Anbietern und Nutzern [8]. Digitale Plattformen ermöglichen die koordinierte und zielgerichtete Zusammenarbeit sowie Weiterentwicklung von Produkten und Dienstleistungen. Eine derartige Zusammenarbeit wurde bereits als Wachstumstreiber für beteiligte Unternehmen nachgewiesen [9]. Eine zentrale Motivation für die Zusammenarbeit stellen Synergieeffekte dar, welche durch die gezielte Kombination unterschiedlicher Kompetenzen und Angebote erreicht werden sollen. Neben Kunden profitieren besonders auch die beteiligten Unternehmen [10].
Synergieeffekte können nur erreicht werden, wenn ausreichend Anbieter zusammenarbeiten und genügend Nutzer an der Leistung interessiert sind. Der Aufbau und die Pflege eines Netzwerks sind Aufgaben des Betreibers einer Plattform. Besonders erfolgskritisch sind Netzwerkeffekte und die damit verbundenen Dynamiken [8]. Dabei hängt der Nutzen der einen Marktseite von der Verfügbarkeit und Vielfalt an Nutzern der anderen Marktseite ab. Das zweite Merkmal, von welchem Betreiber profitieren, ist die externe Wertschöpfung. Zum Beispiel bietet eBay keine eigenen Produkte an, Uber betreibt keinen eigenen Fuhrpark und Airbnb unterhält keine eigenen Wohnungen. Sie sind nur Intermediäre und gestalten die Interaktion zwischen Anbieter und Nutzer effizient. Plattformen zeichnen sich durch eine Verlagerung des unternehmerischen Fokus von innen nach außen aus [11]. Sie erreichen eine Verbesserung des Angebots durch das erfolgreiche Zusammenwirken von Inhaber und Komplementären [12]. Durch die Verlagerung der Wertschöpfung zeichnen sich Plattformen durch geringe Transaktionskosten und eine hohe Skalierbarkeit aus.

Anwendungsbeispiel Maschinen- und Anlagenbau

Zur Veranschaulichung der Potenziale werden im Folgenden Anwendungen von digitalen Plattformen im Szenario Industrie 4.0 betrachtet. Stellen Sie sich vor, dass Sie ein mittelständischer Maschinen- und Anlagenbauer sind. Ihre Produkte werden in industriellen Fertigungsprozessen eingesetzt. Die aktuellen Generationen Ihrer Maschinen sind bereits internetfähig. Mittels Sensoren können Messdaten wie Temperatur, Druck und Ortskoordinaten erhoben werden. Sie, als Hersteller, haben sich dafür entschieden, Ihren Kunden eine digitale Plattform zur Anbindung ihrer Maschinen anzubieten. Kunden haben somit die Möglichkeit, jederzeit aktuelle Statusinformationen über ihre Maschinen abzurufen. Darüber hinaus haben Sie beschlossen, Ihr Geschäftsmodell zu erweitern. Konkret beabsichtigen Sie, externe Dienstleister in Ihr Angebot zu integrieren. Dies umfasst den Einsatz von Servicepartnern im Bereich Inbetriebnahme, Wartung und Reparatur, um eine bessere Abdeckung zu erreichen. Die Koordination der Subunternehmer erfolgt dabei über die angebotene Plattform. Weiterhin wird Ihr Portfolio um den Service Predictive Maintenance erweitert. Die übermittelten Statusinformationen werden dafür im Hinblick auf Anomalien untersucht und mögliche Wartungsbedarfe ermittelt, welche ebenfalls über die Plattform koordiniert werden. Sie nehmen dadurch eine Doppelrolle als Anbieter von Maschinen und Anlagen sowie als Betreiber einer digitalen Plattform ein.
Die angebotene Plattform integriert dabei mehrere Anwendungsfälle. Einerseits bietet die Plattform als technologisches Element Ihren Kunden durch Bereitstellung und Integration von Statusinformationen einen Mehrwert, wodurch die Internetfähigkeit Ihrer Maschinen zum Tragen kommt. Weiterhin ermöglicht die Plattform die Erweiterung Ihres Geschäftsmodells um die Vermittlung und Koordination von Serviceaufträgen.

Auswirkungen der digitalen Plattform auf das Geschäftsmodell

An die Betrachtung des Szenarios reiht sich eine Menge von Fragen. Wie groß ist der Mehrwert für den mittelständischen Maschinen- und Anlagenbauer, welche Hürden sind damit verbunden? Und nicht zuletzt, wie groß ist der Nutzen für den Kunden und sein Interesse an der Erweiterung durch eine derartige Plattform? Im Folgenden werden die Implikationen für Anbieter und Nutzer thematisiert. Ungeachtet der technischen Herausforderungen fokussiert dieses Kapitel die Implikationen für das Geschäftsmodell und die sich daraus ergebenden Effekte für Anbieter und Kunden.
Der Maschinen- und Anlagenbauer transformiert durch das Angebot der Plattform sein Geschäftsmodell von einem reinen Hersteller zu einem integrierten Serviceanbieter. Ungeachtet der Tatsache, dass der Hersteller bereits vorher Servicedienste angeboten haben kann, ermöglicht die Plattform die Vermittlung von Dienstleistungen. Durch die Integration externer Dienstleister kann der Hersteller ungeachtet seiner eigenen Ressourcen die regionale Abdeckung seiner Serviceleistungen verbessern. Hierdurch können den Kunden insbesondere kürzere Reaktionszeiten garantiert werden. Der Anbieter kann durch das integrierte Angebot der Plattform seinen Kunden eine Lösung aus einer Hand anbieten, welche es auch auf digitaler Ebene ermöglicht, den Zugang zum Kunden zu sichern. Das zusätzliche Geschäftsfeld mit der Anbindung der Maschinen ermöglicht dem Anbieter ferner, basierend auf den aggregierten Nutzungsinformationen, Realinformationen über den Einsatz seiner Maschinen zu erhalten, was langfristig zur Verbesserung der Produkte und Prozesse beiträgt. Weiterhin bilden die zusätzlichen Angebote einen Beitrag zum Umsatz des Anbieters. Zusammenfassend ermöglicht die Einführung einer digitalen Plattform den Ausbau der Wettbewerbsposition des Anbieters.
Die Einführung der Plattform hat insbesondere für die Kunden des Anbieters Auswirkungen. Kunden können durch das erweiterte Angebot eine integrierte Leistung aus Maschinen und produktbegleitenden Dienstleistungen wie Inbetriebnahme und Wartung erwerben. Für die Kunden reduziert sich somit die Komplexität in der Verwaltung und Aufrechterhaltung der Maschinen. Insbesondere Kunden mit vielen Maschinen an unterschiedlichen Standorten müssen keine individuellen Serviceverträge vereinbaren und verwalten. Insofern der Kunde die Wartung der Maschinen selbst übernehmen möchte, kann er von einem ggf. angebotenen Ersatzteilshop auf der Plattform profitieren. Auf Basis der Statusinformationen können zielgerichtet die notwendigen Ersatzteile ermittelt und beschafft werden. Die Anbindung der Plattform bietet Kunden zahlreiche Potenziale hinsichtlich der Transparenz im Produktionsprozess. Die Plattform bietet neben Funktionen zur Zustandsüberwachung und Auslastungsinformationen auch vorausschauende Informationen zu Wartungsbedarfen oder Optimierungsmöglichkeiten. Die verbesserte Transparenz ermöglicht Kunden eine bessere Auslastung der Ressourcen sowie die Vermeidung von Ausfällen durch zustandsbasierte Wartungen. Dennoch ist die Verbreitung in der industriellen Praxis mit knapp 3 % äußerst gering [13]. Nach einer Studie von McKinsey können durch Predictive Maintenance die Ausfallzeiten bis zu 50 % reduziert werden [14].

Anschluss an bestehende Plattform oder Aufbau einer eigenen Plattform

Hat sich ein Unternehmen für eine Plattform entschlossen, so besteht die Möglichkeit, sich bestehenden Plattformen anzuschließen oder eine eigene Plattform zu entwickeln (siehe Abb. 1). Im Folgenden sollen die zentralen Unterschiede am Beispiel des Maschinen- und Anlagenbauers aufgezeigt werden (siehe Abb. 2).
Die Realisierung bzw. der Aufbau einer eigenen Plattform erfordert umfangreiche Ressourcen. Neben der vollständigen Eigenentwicklung kann eine Plattform unter Verwendung bestehender Technologiebausteine oder als Whitelabel-Lösung auf Basis etablierter Technologien realisiert werden und somit den notwendigen Aufwand verringern. Vergleichsweise geringen Aufwand erfordert die Anbindung an bestehende Plattformen. Dies ermöglicht die Nutzung etablierter Plattformen und deren Funktionen für die angebotenen Maschinen. Der Hersteller muss lediglich die Anbindung der Maschinen an die ausgewählte(n) Plattform(en) realisieren. Hinsichtlich der Maschinen- und Produktionstransparenz bietet diese Lösung eine aufwandsarme Möglichkeit für den Hersteller. Das für die Realisierung notwendige Know-how ist für den Fall der Anbindung deutlich geringer, da hier lediglich die Vorgaben der Plattform erfüllt werden müssen, wohingegen beim eigenen Aufbau die gesamte Konzeption und Realisierung erforderlich ist.
Der Grad an Autonomie für den Hersteller variiert in Abhängigkeit der gewählten Lösung. Während bei einer eigenen Plattform keine bis geringe (durch ggf. verwendete Technologiebausteine) Abhängigkeit vorherrscht, ist der Hersteller bei der Anbindung an eine bestehende Plattform vollständig von deren Anbieter abhängig und hat keinen bis geringen Einfluss auf die Weiterentwicklung der Plattform. Die Einflussmöglichkeiten einzelner Hersteller auf große Plattformanbieter ist aus Marktperspektive meist gering. Damit einhergehend sind auch die funktionalen Gestaltungsmöglichkeiten auf der Plattform stark eingeschränkt. Zumeist sind die vom Anbieter angebotenen Funktionen auf IoT-Plattformen gesetzt. Darüber hinaus sind die Möglichkeiten zur Erweiterung des Geschäftsfeldes oder die Realisierung neuer Geschäftsmodelle eingeschränkt. Zumeist verfolgen Plattformanbieter selbst eigene Ziele im Hinblick auf Geschäftsmodelle und bieten Herstellern nur geringe Möglichkeiten, eigene Geschäftsfelder zu realisieren. Das Angebot zusätzlicher Services kann durch den Plattformanbieter kontrolliert und gesteuert werden. Langfristig besteht die Gefahr einer Übernahme bzw. Ausgrenzung des Herstellers beim Angebot von Zusatzleistungen [15]. Im Unterschied dazu bieten eigene Plattformen vollständige Gestaltungsfreiheit. Der Hersteller kann sowohl im Hinblick auf funktionale als auch Geschäftsmodellaspekte seine Vorstellungen realisieren, muss jedoch den damit verbundenen Aufwand in Kauf nehmen.
Hinsichtlich der Marktperspektive ist anzumerken, dass etablierte Plattformen ein umfangreiches Ökosystem aus Anbietern und Nutzern vorweisen können. Für Kunden zeigt sich die Bedeutung der Netzwerkeffekte beispielsweise durch die Möglichkeit, zusätzliche Maschinen (auch anderer Hersteller) anbinden zu können. Beim Aufbau einer eigenen Plattform sind dementsprechende Ökosysteme aufzubauen und strategisch zu entwickeln. Meist fokussieren Hersteller sich auch auf die Anbindung eigener Maschinen, wohingegen Plattformanbieter die Anbindung unterschiedlicher Hersteller realisieren.
Die Entscheidung welche Strategie für KMU geeignet ist, ist von einer Vielzahl an Faktoren abhängig. Vorrangig sind hierbei die Ziele, welche mit der Plattform erreicht werden sollen. Davon ausgehend können die angestrebte Position und Bedeutung der Plattform ermittelt werden. Beabsichtigt ein Unternehmen z. B. den strategischen Ausbau des Geschäftsmodells, wie in unserem Beispiel, so bietet eine eigene Plattform umfangreiche Möglichkeiten, eine geringe Abhängigkeit und Gestaltungsfreiheit. Ist die Motivation einer Plattformanbindung lediglich die Erfüllung spezifischer Anforderungen einzelner Kunden von geringer Bedeutung, so bietet ggf. die Anbindung an eine etablierte Plattform eine aufwandsarme Möglichkeit.

Digitale Plattform als Herausforderung für KMU

Derartige Plattformen bieten Unternehmen umfassende Möglichkeiten, ihr produktzentriertes Angebot sukzessiv auszubauen. Dennoch sind für die Realisierung und den Betrieb einer derartigen Plattform Voraussetzungen zu erfüllen, welche insbesondere KMU vor eine Herausforderung stellen. Hierbei sind insbesondere die notwendigen Ressourcen für den Auf- und Ausbau einer digitalen Plattform sowie das notwendige Know-how zu nennen. Neben der Identifikation einer geeigneten Strategie bedarf die Umsetzung sowohl eines strategischen als auch technischen Know-how. Insbesondere KMU stellt dies zunehmend vor Herausforderungen. Durch deren Größe sind die verfügbaren Ressourcen sowie das verfügbare Know-how deutlich eingeschränkter als bei vergleichbaren Großunternehmen. Um KMU an dieser Stelle gezielt zu unterstützen, entwickelt das Projekt KMU-Navigator ein Entscheidungsunterstützungstool zur Evaluation, ob digitale Plattformen infrage kommen und welche Plattformstrategie geeignet ist.
Interessierte Unternehmen finden auf der Projektwebseite Informationen zu bisherigen Ergebnissen und Möglichkeiten zur Mitwirkung (www.​plattform-navigator.​de). Interessierte Unternehmen sind ausdrücklich dazu eingeladen, sich über die Webseite an das Projektteam zu wenden, um weitere Informationen zu erhalten. Das Projekt wird durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert (Kennzeichen: 0479N).
Zusammenfassung
  • Digitale Plattformen bieten KMU zahlreiche Potenziale für den Ausbau ihrer Geschäftstätigkeit und ihres Geschäftsmodells.
  • Bei Plattformstrategien für KMU kann unterschieden werden zwischen der Partizipation an etablierten Plattformen oder dem Aufbau einer eigenen Plattform.
  • Vergleich und Bewertung von Plattformstrategien anhand eines mittelständischen Maschinenbauers
Kernthesen
  • Potenziale von digitalen Plattformen sind nicht nur für Großunternehmen, sondern auch für KMU nutzbar.
  • Ein mehrstufiger Entscheidungsprozess ermöglicht die Erarbeitung einer geeigneten Plattformstrategie.
  • Die Plattformstrategien „Anschluss an bestehende Plattform“ und „Neuaufbau“ sind gegensätzlich in den Aspekten Realisierung, Autonomie und Ökosystem.
Handlungsempfehlungen
  • KMU sollten die Potenziale digitaler Plattformen bei der Gestaltung ihres Geschäftsmodells berücksichtigen und mögliche Strategien abwägen.
  • Mehrwert von digitalen Plattformen im Vergleich zum bestehenden Geschäftsmodell als auch damit verbundene neue Potenziale bewerten
  • Eignung von Produkten und Dienstleistungen für digitale Plattform evaluieren und Plattformstrategie ableiten
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Texte auf dem Stand der wissenschaftlichen Forschung, für Praktiker verständlich aufbereitet. Diese Idee ist die Basis von „Wirtschaftsinformatik & Management“ kurz WuM. So soll der Wissenstransfer von Universität zu Unternehmen gefördert werden.

Literatur
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Zurück zum Zitat Bender, B., Thim, C., & Linke, F. (2019). Platform coring in the browser domain – an exploratory study. Paper presented at the International Conference on Information Systems. Bender, B., Thim, C., & Linke, F. (2019). Platform coring in the browser domain – an exploratory study. Paper presented at the International Conference on Information Systems.
Metadaten
Titel
Digitale Plattformen: Strategien für KMU
verfasst von
Benedict Bender, M. Sc.
Natalie Habib, B. Sc.
Univ. Prof. Dr.-Ing. habil. Norbert Gronau
Publikationsdatum
06.10.2020
Verlag
Springer Fachmedien Wiesbaden
Erschienen in
Wirtschaftsinformatik & Management / Ausgabe 1/2021
Print ISSN: 1867-5905
Elektronische ISSN: 1867-5913
DOI
https://doi.org/10.1365/s35764-020-00292-w

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