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20.03.2013 | Erneuerbare Energien | Schwerpunkt | Online-Artikel

Virtuelle Kraftwerke als Alternative zu Großkraftwerken

verfasst von: Sabine Voith

7:30 Min. Lesedauer

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Stromnetzstabilität, Versorgungssicherheit und Integration von Erneuerbaren Energien im Energiesystem sicherzustellen, sind Herausforderungen einer künftigen Energieversorgung. Dabei werden dezentrale Erzeugungsanlagen eine wichtige Rolle einnehmen und zu Virtuellen Kraftwerken gebündelt.

Die Virtuellen Kraftwerke entlasten dadurch die Stromnetze, da sie Leistungsschwankungen flexibel und schnell ausgleichen. Sie werden zentral gesteuert und stellen neben der Deckung des Energiebedarfs zusätzliche Energie zur Vermarktung an Strombörsen bereit. Um die Vorteile nutzen zu können und sich den Anforderungen von künftigen Energieversorgungssystemen stellen zu können, braucht es Konzepte und Vermarktungsmöglichkeiten.

Anforderungen an zukünftige Energiesysteme

Ein steigender und sich verändernder Bedarf an Energie, klimapolitische Zielsetzungen sowie der beschlossene Atomausstieg, stellen zunehmend neue Anforderungen an eine zuverlässige Energieversorgung. Erneuerbare Energien nehmen hierbei eine immer größere Rolle ein. Neben den daraus resultierenden positiven Effekten für Umwelt und Klima, stellt deren zunehmender Einsatz die Energieversorgungssysteme vor große Herausforderungen.

Eine der größten Herausforderungen ist die geringe Planbarkeit der Energieerzeugung. Diese unterliegt einer Volatilität und steht nicht immer dann zur Verfügung, wenn sie benötigt wird. Wenn beispielsweise Windstille herrscht, ist die Energie aus Windkraftanlagen nicht verfügbar. In Zeiten mit starkem Wind kann in vielen Gebieten nicht alle Energie ins Netz eingespeist werden, da eine Überlastung droht.

Elektrische Energie speichern und steuern zu können ist wichtig, um eine bessere Integration von Erneuerbaren Energien in die Strom- und Wärmeversorgung sicherzustellen. Einen Erfolg versprechenden Lösungsansatz bieten Virtuelle Kraftwerke. Sie speichern regenerativ erzeugte Energie in Form von Wärme.

Lösungsansatz Virtuelle Kraftwerke

Unter Virtuellen Kraftwerken versteht man eine Anzahl leittechnisch vernetzter dezentraler Strom- und Wärmeerzeugungsanlagen mit vergleichsweise kleiner Leistung wie Windkraftanlagen, Photovoltaikanlagen, Blockheizkraftwerken, Biogasanlagen, Kleinwasserkraftwerken und Wärmepumpen. Die Einbindung der Kraft-Wärme-Kopplung, wie sie beispielsweise in Blockheizkraftwerken zum Einsatz kommt, erläutern die Autoren Bert Droste-Franke, Holger Berg, Annette Kötter, Jörg Krüger, Karsten Mause, Johann-Christian Pielow, Ingo Romey, Thomas Ziesemer im Kapitel "Die Technologien Brennstoffzelle und Virtuelles Kraftwerk und ihre Bewertung im Hinblick auf eine zukunftsfähige Energieversorgung".

Die einzelnen Anlagen werden von einer Leitwarte zentral gesteuert. Diese prognostiziert Lasten und erstellt Fahrpläne für die Anlagen. Die Bezeichnung "virtuell" rührt daher, dass die technische Einheit der dezentralen Einzelanlagen lediglich in der zentralen Steuerung und der dazugehörigen IT liegt. Durch Virtuelle Kraftwerke kann eine wirtschaftliche Nutzung der Einzelanlagen erreicht werden und die Möglichkeit der Teilnahme am Energiemarkt durch deren Eigentümer.

Die Kommunikation zwischen zentraler Leitwarte und dezentralen Anlagen kann über Internet oder Mobilfunk erfolgen. Erzeugungsanlagen werden mit sogenannten Fernwirkmodulen ausgestattet und kommunizieren so mit der Leitwarte. Fernwirkmodule verfügen über eine Spannungsversorgung, Steuerung, Ein- und Ausgänge sowie ein Mobilfunkmodem mit Antenne. Damit werden per GPRS oder Internet Statusinformationen und Störmeldungen an die Leitwarte übertragen. In umgekehrter Richtung sendet das Energiemanagement-System des Virtuellen Kraftwerks Einsatzfahrpläne an die einzelnen Anlagen.

Speicherung durch Umwandlung in Wärme

Die durch die dezentralen Anlagen erzeugte elektrische Energie lässt sich leider nicht großtechnisch speichern. Allerdings ist eine Speicherung nach Umwandlung in eine andere Energieform wie beispielsweise thermische, kinetische, potentielle oder chemische Energie möglich. Verschiedenen Technologien werden von dem Autor Adolf J. Schwab im Kapitel "Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien" beschrieben. In Virtuellen Kraftwerken ist beispielsweise die Speicherung mittels Wärmepumpen eine Möglichkeit. In Phasen, in denen überschüssiger Strom in das Netz eingespeist wird, beispielsweise durch Windkraftanlagen, steuert die Leitwarte die im Netz befindlichen Wärmepumpen an. Diese verbrauchen den Strom und erzeugen daraus Wärme.

Die Wärmepumpen verfügen über Wärmespeicher. In diesen kann die Wärme für den späteren Gebrauch gespeichert werden. In Folge dessen sinkt die Netzlast und die überschüssige Windenergie wird sinnvoll eingesetzt. Wird umgekehrt, wenig Windenergie eingespeist, steuert die Leitwarte die im Netz befindlichen Blockheizkraftwerke (BHKW) an. Diese werden vorwiegend dort betrieben, wo die Wärme verbraucht wird oder in ein Nahwärmenetz eingespeist werden kann.

Die meist gasbetriebenen Verbrennungsmotoren erzeugen Strom und Wärme. Der erzeugte Strom wird ins Netz eingespeist und erhöht die Netzlast. Blockheizkraftwerke arbeiten nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung. Die erzeugte Wärme kann für den späteren Gebrauch in Wärmespeichern gespeichert werden. Die Funktionsweise von verschiedenen Heizungstechnologien sowie deren ökologische und ökonomische Aspekte beschreiben die Autoren Franz Wosnitza und Hans Gerd Hilgers im Kapitel "Moderne Heiztechnologien".

Notwendigkeit der Integration

Übertragungs- und Verteilernetze stoßen zunehmend an die Grenzen ihrer Kapazitäten, da eine steigende Anzahl von Wind- und Photovoltaik-Anlagen immer mehr Energie liefert. Netzbetreiber müssen immer häufiger Maßnahmen zur Ausregelung treffen, dies betrifft vor allem die Windenergie. Statistisch gesehen muss seit 2008 an jedem zweiten Tag ins Stromnetz eingegriffen werden. Laut einem Bericht der Bundesnetzagentur gingen dadurch im Jahr 2009 rund 74 Millionen Kilowattstunden regenerativ erzeugten Stroms verloren. Unter der Annahme von 4.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch für einen Vierpersonenhaushalt, ließen sich mit der verlorenen Energie 18.500 Haushalte oder 74.000 Einwohner versorgen.

Eine bessere Integration Erneuerbarer Energieerzeugungsanlagen ist notwendig, da sich elektrische Energie nicht in großen Mengen speichern lässt, sondern an Leistung gebunden ist. Um die zuverlässige Versorgung mit Strom zu gewährleisten, müssen sich Strommenge und Stromnachfrage immer im Gleichgewicht befinden. Im Stromnetz muss zu jedem Zeitpunkt exakt die gleiche Menge elektrische Energie vorhanden sein, wie in diesem Moment benötigt wird.

Bei zu starken Abweichungen der Werte, ist die Netzstabilität gefährdet, in Folge kann es zu Stromausfällen kommen. Dies hängt damit zusammen, dass im europäischen Verbundnetz Strom mit einer Frequenz von 50 Hertz fließt. Ist die aktuelle Stromnachfrage deutlich unter der eingespeisten Strommenge, kommt es also zur Überspeisung, steigt die Frequenz über 50 Hertz. Im umgekehrten Fall einer Unterspeisung, sinkt die Frequenz wenn die Stromnachfrage höher ist als die eingespeiste Menge. Die Frequenz schwankt im Normalfall um lediglich 0,05 Hertz, treten größere Abweichungen auf, droht eine Beschädigung elektronischer Geräte und Erzeugungsanlagen.

Der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromproduktion lag 2009 bei 16 Prozent. Ziel der Bundesregierung ist es den Anteil bis 2020 auf 30 Prozent zu steigern und danach weiter kontinuierlich zu erhöhen. Damit wird eine intelligente Steuerung von Stromerzeugung und -verbrauch immer wichtiger.

Neue Vermarktungschancen

Die bessere Integration von regenerativen Energien lässt sich durch Virtuelle Kraftwerke realisieren. Es entstehen neue Vermarktungschancen, da mit dem Zusammenschluss Energiemengen gebündelt werden, die wiederum an den Energiemärkten vermarktet werden können. So können auch Betreiber kleinerer Anlagen ihren erzeugten Strom am Spotmarkt der Energiebörse European Energy Exchange (EEX) zum Kauf anbieten, sofern die Wirtschaftlichkeit unter Einbezug der notwendigen Investitionskosten zur Einbindung in das Virtuelle Kraftwerk gegeben ist. Hierfür ist die Ausrüstung der Einspeiser mit kommunikationsfähiger Fernwirktechnik notwendig.

Im Regelfall erfolgt die Vermarktung im Rahmen der Direktvermarktung nach den Maßgaben des in 2012 novellierten EEG. Das Preisrisiko der Direktvermarktung gegenüber der gesetzlichen Einspeisung des Stroms wird durch eine Marktprämie sowie eine zusätzliche Managementprämie ausgeglichen.

Neben dieser Vermarktungsart, bestehen weiter Einsatzmöglichkeiten wie beispielsweise in der Bewirtschaftung von Bilanzkreisen oder der Bereitstellung von Systemdienstleistungen für Netzbetreiber. Ziel dabei ist, auf Ungleichgewichte zwischen Erzeugung und Verbrauch im Bilanzkreis zu reagieren und diese auszuregeln. Hierfür kann der Bilanzkreisverantwortliche die gebündelte Energiemenge aus dezentralen Anlagen gezielt abrufen. Auch die Bereitstellung von Regelleistung für die Betreiber von Übertragungsnetzen ist eine Möglichkeit.

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Jüngste Veränderungen der legislativen Rahmenbedingungen waren ein wichtiger Anstoß für die Entwicklung Virtueller Kraftwerke. Auf EU-Ebene wurden in den letzten 15 Jahren viele Entscheidungen getroffen, welche maßgeblich zur Öffnung der Energiemärkte und zur Wettbewerbssteigerung beitrugen. Als Beispiel können die EU-Binnenmarktpakete 1 bis 3 dienen. Diese sollen den europäischen Energiemarkt wettbewerbsorientiert, transparent und diskriminierungsfrei gestalten. Bislang geltende Verordnungen und Richtlinien wurden durch das 3. EU-Binnenmarktpaket abgelöst, welches am 3. September 2009 in Kraft trat.

Die nationale Umsetzung durch die EU-Mitgliedsstaaten war innerhalb von 18 Monaten durchzuführen. Aufgrund der EU-Regelungen und der nationalen Gesetzesänderungen ist Bewegung in den deutschen Energiemarkt gekommen. Die Marktakteure müssen sich der gestiegenen Marktdynamik anpassen. Neue Vermarktungschancen für Strom aus kleineren dezentralen Erzeugungsanlagen sind durch ihr Vernetzungskonzept eine attraktive Innovation.

Ziele und Möglichkeiten

Durch den Betrieb von Virtuellen Kraftwerken soll eine Reduktion von CO2-Emissionen mittels Einsparung fossiler Primärenergieträger erreicht werden. Eine umweltschonende Netzeffizienzsteigerung ist möglich. Die

Energiebeschaffungskosten reduzieren sich. Der Zusammenschluss der dezentralen Anlagen ermöglicht die Bündelung großer Stromerzeugungskapazitäten. Bei ausreichender Größe können Atomkraftwerke durch Virtuelle Kraftwerke ersetzt werden. Regionale Engpässe und Überschüsse elektrischer Energie gleichen sich durch die Zusammenschaltung der Erneuerbaren Energien durch Virtuelle Kraftwerke aus. Die Versorgungssicherheit wird dadurch erhöht.

Verschiedene Energieanbieter betreiben bereits Virtuelle Kraftwerke und bieten Vergütungssysteme, mit deren Hilfe Betreiber von Windkraft-, Photovoltaik-, sowie Biomasse und Biogasanlagen ihre Energie vermarkten können. Durch Kostenoptimierung durch Vereinfachung und Standardisierung von Prozessen, wird es zukünftig möglich sein, immer kleinere Einspeiser zu bündeln. Durch neue kostengünstige technische Komponenten ist eine weitere Verbesserung der Wirtschaftlichkeit Virtueller Kraftwerke möglich.

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