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06.04.2017 | Fahrerassistenz | Interview | Online-Artikel

"Das Parken wird zum wesentlichen Punkt des autonomen Fahrens"

verfasst von: Michael Reichenbach

8 Min. Lesedauer

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Interviewt wurde:
Dipl.-Ing. Udo Wehner

ist Bereichsleiter Integrale Fahrzeugfunktionen bei IAV.

Die Entwicklung des ACC-Systems verlief evolutionär, nicht revolutionär, sagt Udo Wehner von IAV. Wie es in Afrika sowie mit der vollautomatisierten Parkhausassistenz weitergeht, diskutiert er im Interview.

ATZ_Springer Professional: Herr Wehner, seit zwanzig Jahren entwickeln Sie Assistenzsysteme, vor allem die Abstandsregelung haben Sie vorangetrieben. Wer war der erste im Markt mit einem solchen ACC-System?

Wehner: Im Jahr 1999 brachte Daimler seine Distronic in der Mercedes-Benz S-Klasse auf den Markt. Dieses System war noch hinsichtlich der Geschwindigkeit beschränkt, es regelte den Abstand nur im Bereich zwischen 30 bis 160 km/h. Heutige Abstandsregelugen, zum Beispiel in einem Audi A8, arbeiten in einem Bereich von 0 bis 210 km/h. Hier sieht man eine evolutionäre, keine revolutionäre Entwicklung – das hat sich über die Generationen hinweg im Markt entwickelt – und zwar mit einem Anstieg an gesammelter Erfahrung im Straßenverkehr und auch durch Mengeneffekte bei den Kosten. Die ersten Radarsysteme waren noch riesig, sie schrumpften im Bauraum auf ein Viertel zusammen. Heute werden andere Frequenzen genutzt, nicht nur die anfangs verfügbare 77-GHz-Frequenz, sondern es können auch 76 oder 24 GHz verwendet werden. 

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„Die Vernetzung ist sehr wichtig für die Assistenzfunktionen“

Bei der Entwicklung von Assistenzsystemen für das vollautomatisierte Fahren spielen natürlich viele Dinge eine Rolle. Neben der elektrifizierten Aktorik kommt es auf ein mehrdimensionales Sensorkonzept aus Radar, Lidar, Kamera und Ultraschall an.

Vor rund zehn Jahren gab es einen Streit, dass bestimmte Frequenzbänder von der CEPT für den Automotive-Bereich verboten werden sollten, ist das gelöst?

Verboten ist nicht der richtige Ausdruck. Es gibt eine Frequenz, die sehr nah an einer genutzten Frequenz für den Mobilfunk dran ist, und das ist mit der internationalen Standardisierung in diesem Bereich nicht so einfach. Freie Frequenzbänder findet man nicht mehr. Das Problem wurde in den letzten Jahren gelöst. Die internationale Normung hat sich nicht mehr groß verändert, für Automotive-Zwecke sind 24 GHz als Short Range Radar und 77 GHz für Long Range Radar reserviert. Das ist bei den Kommunikationsnormen ein bisschen anders, zum Beispiel beim WLAN in Form der Norm IEEE 802.11p. Moderne Fahrzeuge, die heute und morgen auf den Markt kommen, haben eine Vielfalt an Kommunikationstechnik an Bord.

Das ACC ist der erste Schritt zum autonomen Fahren. Welche Schritte folgen, welche Systeme werden benötigt?

Sie werden eine Aktorik für die Längs- und Querführung brauchen, Sie werden das Fahrzeug in irgendeiner Form also auf dieser Strecke rein physikalisch bewegen müssen. Und Sie werden Ihr Umfeld erfassen müssen; viel intensiver, als es ein Radarsensor kann, der nur nach vorne blickt. Wir müssen das Sichtfeld beziehungsweise das Wahrnehmungsfeld deutlich erweitern. Das geht weit über die Arbeit des jetzigen Abstandsregelsystems hinaus. Es wird schon an Laser- und Radarsystemen mit deutlich größeren Öffnungswinkeln gearbeitet. Und wir werden mit deutlich mehr Sensoren um das Fahrzeug einen Kokon bauen.

Dabei müssen wir auch an das Fahrzeug denken, wenn es 150.000 km gelaufen ist. Pkw also, die über 10 bis 15 Jahre alt sind. Die gehen heute doch zum Großteil nach Afrika, haben dort noch ein zweites Autoleben vor sich – funktioniert das zukünftig noch mit den hochtechnisierten Autos?

Zumindest wird es den Fahrern dort weniger Spaß machen, weil die Systeme  auf europäische, US-amerikanische oder japanische Verkehrsverhältnisse zugeschnitten sind. Und wenn sie die in einen anderen Verkehrsraum bringen, dann wird es dort nicht so gut funktionieren. Die Fahrzeuge werden dort noch fahren können, denn es sind noch alle Systeme abschaltbar. Allerdings gibt es auch jetzt schon Einschränkungen. Ein heutiges Spurverlassens-Warnsystem funktioniert nur, wenn Markierungen auf der Straße sind. Ich glaube, die drängendste Frage wird aber sein, wie sich die Mobilität generell verändern wird. Das wird in Afrika anders sein, als in Asien und wieder anders in Europa. Und für Afrika ist meiner Ansicht nach die Frage nach Assistenzsystemen momentan eher zweitrangig. Dort wird viel entscheidender sein, mit welcher Energieform die Autos zukünftig angetrieben werden, um vom Rohöl unabhängig zu werden.

Wie können Consumer- und Kfz-Elektronik aufeinander abgestimmt werden, damit das Internet der Dinge fürs Auto schnell Realität wird?

Wir werden im Auto nicht den Update-Rhythmus von Smartphones erreichen, zumindest nicht hardwareseitig. Die Automobilindustrie arbeitet aber daran, die Software-Updates so schnell wie möglich zu bringen. Und über diesen Weg werden wir den Zusammenfluss von Funktionen sehen. Mit Updates over the Air werden wir zukünftig neue Funktionen über das Internet schneller in den Markt bringen können. Vernetzung war das große Thema auf der CES in Las Vegas: Wie bestelle ich etwas aus dem Auto heraus? Auch IAV hat so etwas auf der Messe mit Partnern vorgestellt. Brauche ich noch einen Blumenstrauß, dann bestelle ich aus dem Pkw heraus eben schnell beim Blumenhändler und nehme auf meinem Weg den fertig gebundenen Blumenstrauß noch kurz mit. Ums Bezahlen muss ich mich nicht kümmern, das macht meine Kreditkarte. Ich denke, so etwas wird dem Kunden Spaß machen.

Was sind die Chancen, wenn das Internet der Dinge ins Auto integriert wird?

Es geht beim Assistenzbegriff darum, dass wir dem Kunden noch mehr Komfort bieten wollen, das ist die ganz große Chance. Das Auto weiß, dass ich nach Hause komme, schaltet mein Hoflicht ein, öffnet die Garagentür und wärmt die Wohnung vor. Und wenn man in Richtung Einparken und Parkhäuser schaut, da wird es durch das Bezahlen per App, das Billing, für den Endkunden wirklich einfacher. Es gibt inzwischen schon viele Anbieter, bei denen Sie einfach nur noch ins Parkhaus rein und raus fahren, und ums Bezahlen müssen Sie sich nicht mehr kümmern. Den Münzautomat gibt es nicht mehr. Sie müssen auch keinen freien Parkplatz auf der richtigen Etage suchen, das weiß ihr Auto.

Werden dies dann Luxusparkhäuser werden, oder kann sich das jeder leisten?

Ein paar Sachen kann ich mir kostenlos vorstellen, aber es wird natürlich auch Bezahldienste oder Versteigerungen geben. Ich gehe davon aus, dass wir die Funktion Parkhausassistenz sehr schnell demokratisiert bekommen. Gerade beim Parken macht es eigentlich nur Sinn, wenn viele Autos automatisiert parken, für einzelne kann man auch mit Valet Parking (also mit Menschen) arbeiten. Das automatisierte Fahren wird bestimmte Dinge erst möglich machen, vielleicht gibt es dann auch urbane Zonen oder Parkhäuser, in die  wir autonom hineinfahren dürfen. Das Parken wird ein ganz wesentlicher Punkt des autonomen Fahrens werden, und da wollen Sie natürlich nicht autonom aus dem Parkhaus fahren und vorher noch mit der Kreditkarte zum Automaten gehen und bezahlen müssen. Und für den Parkhausbetreiber ist das automatisierte Parken nicht schlecht, der muss ja gar nicht viel investieren, weil das alles das Auto automatisiert macht.

Wie müssen die Systeme für eine Parkhausassistenz ineinander greifen?

Das muss alles aus einem Guss sein. Sie brauchen neben Aktorik und Sensorik auch das Internet der Dinge. Zu Ende gedacht muss das Auto über die Cloud wissen, wo ein Parkplatz in der Nähe des Leipziger Gewandhauses ist, wann die Vorstellung beginnt, und wann sie endet. Der autonome Wagen bringt sie vor die Tür, setzt sie ab. Dann braucht das Auto eine Karte des Parkhauses, um seinen Stellplatz von selbst zu finden. Und am Schluss des Konzerts kommt es zurück. Es wird eine Versteigerung geben, wessen Auto als erstes vor die Tür fahren darf, um den Menschen an der Oper abzuholen. Alle anderen müssen warten oder selbst laufen.

Amazon möchte Pizza, die Deutsche Post Medikamente per Drohne verschicken. Bald kommt das Bofrost-Auto autonom zu mir nach Hause. Geht dabei das Menschliche komplett verloren?

Wie wir Menschen in Zukunft mit autonomen Systemen umgehen, ist eine wichtige Frage, mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Die autonomen Systeme werden auch bestimmte Beschränkungen haben und bestimmte Abläufe nicht können. Damit müssen wir uns als intelligente Menschen noch beschäftigen. Das ist das Spannende an der Autonomie-Diskussion. Wir Ingenieure müssen lernen, diese Dinge sicher zu bauen. Auf der anderen Seite müssen wir alle lernen, mit solchen autonomen Systemen umzugehen. Der Prozess der Gewöhnung hat im Haushalt schon begonnen, wo erste Rasenmäher und Staubsauger als Roboter unterwegs sind. Das autonome Auto muss nicht alle komplexen Verkehrssituationen beherrschen, es kann oft eine andere Route wählen. So macht es UPS mit seinen menschlichen Fahrern jetzt schon, die in der Stadt nicht links abbiegen dürfen. Das spart Zeit und vermeidet Unfälle. So würde es auch ein Roboterauto im ersten Ansatz machen.

Zum Schluss noch zur Gretchenfrage beim vollautomatisierten Fahren: Weicht das Auto autonom in eine Gruppe Schüler aus, oder fährt es lieber auf eine alte Oma zu?

Weder noch, denn wir werden uns nach der Straßenverkehrsordnung richten. Wir können jederzeit gefahrlos anhalten, auch das autonome Fahrzeug wird eine sehr defensive Ausrichtung haben. Das ist mir sehr wichtig, denn es ist heute praktisch mit der Sensorik nicht möglich, irgendwelche Unterscheidungen bei den Fußgängern zu treffen. Also, selbst wenn ich es wollte, könnte ich es nicht. Das heißt, wir werden zuvorderst versuchen, Unfälle zu vermeiden, es ist völlig egal, wer vor dem Auto steht.

Herr Wehner, vielen Dank für das interessante Gespräch.

Mehr zum Thema Vernetzung erzählt Udo Wehner im Interview "Die Vernetzung ist sehr wichtig für die Assistenzfunktionen“ aus der ATZ 4-2017.

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Quelle:
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