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23.09.2015 | Fahrzeugtechnik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Absicherung nach dem Zwiebelschalenprinzip

verfasst von: Alexander Heintzel

7:30 Min. Lesedauer

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Wie lassen sich im Zeitalter der Entwicklung des autonomen Fahrens die sicherheitskritischen und domänenübergreifenden Fahr- und Assistenzfunktionen gegen Hacker- und Cracker-Angriffe absichern? Welche Strategien sind aktuell die Treiber in der Autoindustrie? ATZ / MTZ fragte auf der IAA 2015 nach.

Wie zu erwarten, stand die IAA 2015 im Zeichen des automatisierten Fahrens. Grund genug für ATZ / MTZ, hier noch einmal nachzuhaken und den aktuellen Stand zu beobachten. Denn beim Thema automatisiertes Fahren sind manche Implikationen schon deutlich, andere müssen es erst noch werden. Schlussendlich entscheiden auch die Kunden und diese haben einen starken Fokus auf die sogenannte Convenience - also Komfortfaktoren - während die aktuelle Sicherheitsdiskussion in all ihren interessanten Facetten derzeit für sie noch zu weit weg ist. Dennoch müssen Unternehmen, die als innovativ gelten wollen, die Bedürfnisse der Kunden, ob Endkunde oder Hersteller, voraussehen und entsprechend erfüllen.

Entwicklung bei Cyber-Security wird weiter an Fahrt gewinnen

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Nach den Hackerangriffen auf Systeme von Herstellern ist für Fachleute das Thema Datensicherheit sowie Hardware- und vor allem Software-Trojaner aktueller denn je. Und hier stellt sich die Frage: Ist die Automobilindustrie gut genug aufgestellt, um die Elektronik- und Softwarearchitekturen, die im Car-to-X-Verbund notwendigerweise offen bleiben sollten, hinreichend abzusichern? Einige Unternehmen haben auch entsprechend aufgerüstet. So hat beispielsweise Bosch mit seiner Tochter ETAS den IT-Spezialisten Escrypt in den Konzern integriert und in Summe bereits über 100 Datensicherheits-Experten, die von einem übergeordneten Kompetenzzentrum koordiniert werden. Bosch-Geschäftsführer Markus Heyn ist überzeugt, dass "die Domäne, die das Infotainment- und das Multimediasystem bedient, nicht geschlossen werden kann, da wir sonst den Kunden vieler Möglichkeiten berauben. Daher ist die Trennung hin zu den Domänen Powertrain und Chassis wichtig und an den Stellen setzen wir mit entsprechend gesicherten Gateways, Filtern und Protokollen an, die wir selbst entwickeln." Unter dem Gesichtspunkt Software-Trojaner wird das Unternehmen in wenigen Monaten ein Hardware-Security-Modul für verschiedene Steuergeräte anbieten können, mit dem der notwendige Software-Check erfolgen kann. Vor dem Hintergrund, dass Fahrzeuge für viele Jahre im Markt bleiben, muss auch darüber nachgedacht werden, wie auf intelligente und effiziente Art und Weise die nötigen Updates eingespielt werden können. Heyn: "Bei der Entwicklungsgeschwindigkeit auf diesem Sektor wird das alle zwei bis drei Jahre notwendig sein. Das halte ich für das wesentliche Thema, damit diese Sicherheit over lifetime tatsächlich gewährleistet ist." Der Bosch-Geschäftsführer vergleicht den Datensicherheitsansatz im Auto mit einer Zwiebel: "Wir machen es schwer, Schicht für Schicht weiter in die Zwiebel einzudringen".

Ein ähnlicher Tenor ist auch bei Magna zu hören, wo man mit mehreren Partnern an dieser Thematik arbeitet. "Die notwendige Sicherheit muss machbar sein", ist Michael Biemer, Leiter Vorentwicklung Software und autonomes Fahren sicher. Auch Magna hat in das Thema Cyber-Security investiert. Das Unternehmen "fokussiert auf die Arbeit mit unseren Partner Argus Security. Wenn man sich mit dem Thema Car of the Future beschäftigt, kommt man am automatisierten Fahren nicht vorbei", wie Unternehmenssprecher Rej Husetovic bestätigte. ZF bezeichnet elektronische Sicherheit als "eines unserer wesentlichen Entwicklungsthemen, was die funktionale Sicherheit angeht, aber auch bezüglich Datensicherheit, Verschlüsselung, Zugangssicherheit, Schutz vor unerwünschtem Zugriff", so Dr. Gerhard Gumpoltsberger, Leiter Innovationsmanagement und Erprobung, im Gespräch mit ATZ / MTZ. Der ZF-Ingenieur ist überzeugt: "Bald haben Hersteller und Zulieferer mehr Software-Spezialisten in ihren Reihen als die Computerindustrie". Klar ist auch, dass die im Zuge des automatisierten Fahrens erhobenen Daten viele Interessenten finden werden, die gerne Zugang zu ihnen hätten. Hier, so Gumpoltsbergers Überzeugung, sei die Einführung verbindlicher Regeln essentiell. Auch die Entwicklungsdienstleister sehen sich gut gerüstet. "Wir haben Spezialisten dazu an Bord", bestätigt EDAG-Chef Jörg Ohlsen. Es scheint, als ob die OEMs das Thema Datensicherheit grundsätzlich beherrschen, aber sie scheinen sehr viel Respekt davor zu haben, da auch die Kunden sehr sensibel diesem Thema gegenüber stehen. "Das", so Ohlsen, "ist der Unterschied zu Apple oder Google, die ganz anders herangehen können. Wir werden nicht umhin kommen uns diesem Thema extrem zu öffnen".

Lesen Sie mehr zu kamerabasierten Systemen und zum vollautonomen Fahren auf Seite 2.

Mit kamerabasierten Systemen in die Massensegmente

"In den kommenden zwei bis vier Jahren wird teilautomatisiertes Fahren in immer mehr Fahrzeugsegmenten zu finden sein", ist sich Continental-Powertrain-Chef, José Avila, sicher, "weil das am Ende vom Sicherheits-, Komfort- und Effizienzaspekt her für den Kunden attraktiv ist". Er erkennt ein starkes Interesse der Kunden und sieht klare Vorteile für den, der so was zuerst als Mehrwert für den Kunden anbietet. Strategie für Continental ist die "kontinuierliche Einführung solcher Features". Auch Magna testet und entwickelt mit Kameras und Frontlaser. "Kameras haben", so Biemer, "den Vorteil, dass sie die Umgebung so wahrnehmen wie ein Mensch. Alles, was ein Mensch kann, ist auch mit Kameras umsetzbar". Magna setzt hierbei aus verschiedenen Gründen auf Monotechnologie: Stereokameras benötigen einen größeren Bauraum, sind schwieriger in ein bestehendes Design zu integrieren und müssten für größere Distanzen weiter voneinander entfernt verbaut werden. Zudem benötigt der Großteil unserer Applikationen keine zweite Kamera, wie zum Beispiel die Verkehrsschilder- oder Linienerkennung. EDAG-Chef Ohlsen warnt davor, die Systeme im Rahmen der Kaskadierung kostenseitig so zu verschlanken, dass Redundanzen herausgenommen werden: "Das hat Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit.“ So sei im breiten Kundenmarkt keine Akzeptanz zu erzielen. Ohlsen: "Systeme müssen bedienerfreundlich und so komfortabel wie möglich gestaltet werden, ohne extrem auf den Preis zu achten. Dann sollte man lieber auf ein System verzichten."

Vollautonomes Fahren noch ferne Zukunftsmusik

Der Punkt, ab dem in kritischen Situationen das System entscheidet und nicht mehr der Fahrer, ist laut Avila noch nicht absehbar: "Wir arbeiten daran, aber hier liegt noch ein weiter Weg vor uns, bevor wir wirklich vollautomatisierte oder gar autonome Funktionen zuschalten können". Bis dahin wird der Fahrer immer noch derjenige sein, der letztendlich entscheiden muss und damit die volle Kontrolle über die Aktion behält, da diese an ihn zurückgegeben wird. Auch vom technologischen Standpunkt her, sind immer noch einige Überlegungen zu treffen, bevor es soweit ist. "In der Zwischenzeit", so Avila, "werden wir voranschreiten, automatisierte Funktionen weiter zu testen und einzuführen. Es liegt noch viel fundamentale Arbeit vor uns, zum Beispiel im Bereich der Sensorik, der Software oder der notwendigen Redundanzen". Die Frage also, wann der nächste ganz große Schritt erfolgt, wird in den kommenden Jahren sehr präsent sein. "Automatisiertes Parken aber, wird mehr und mehr in den nächsten Jahren kommen", ist sich Avila sicher.

"Wir testen auf allen Straßen in verschiedenen Ländern und haben auch die Genehmigung dazu“, relativiert Magna-Ingenieur Biemer die Relevanz des politischen Vorzeigeprojekts Teststrecke A9. Nichtsdestotrotz sind die Teststrecken ein erster wichtiger Schritt in Richtung autonomes Fahren innerhalb einer V2X Kommunikations-Infrastruktur. Es sei absolut notwendig, unterschiedlichste Situationen bewerten und berücksichtigen zu können, denn teilautomatisiertes Fahren sei technisch "sehr schnell - innerhalb der nächsten fünf Jahre" möglich. Beim Valet Parking muss auch der Fokus auf die Akzeptanz gelegt werden damit diese Systeme auch bedienbar sind und die Fahrer darin auch vertrauen gewinnen. Hier könnten vielleicht die Versicherungsunternehmen Bewegung ins Spiel bringen, denn immerhin sind laut deren Aussage rund 48 Prozent aller Blechschäden auf Parkrempler zurück zu führen. In den Augen des Getriebe- und Fahrwerksspezialisten ZF ist die Einführung von vollautonomem Fahren auch stark davon abhängig, wie viele Fahrzeuge insgesamt dazu fähig sind. Da hierfür wohl ein hoher Prozentsatz im Markt vonnöten sein werde, dürfte vor 2025 keine Chance bestehen, diese Technologien flächendeckend einzuführen. Erste Autobahnassistenten könnte es allerdings schon in wenigen Jahren geben - je nachdem wie sich vor allem die Umfeldsensorik darstellen lässt, wie viel Vertrauen die Hersteller in die Technologie haben und in welche Märkte sie sich als erstes trauen. "Auch die Use Cases spielen eine große Rolle", konstatiert ZF-Entwickler Gumpoltsberger, "Zwischen der deutschen Autobahn und dem US-Highway bestehen doch erhebliche Unterschiede bezüglich Komplexität und rechtlichen Rahmenbedingungen, so benötigen wir beispielsweise für Deutschland aufgrund der hohen Geschwindigkeiten eine rückwärtsgewandte Sensorik mit höherer Reichweite".

Es bleibt der Eindruck, dass die Industrie weiß, welche Schritte notwendig sind und die richtigen Stellhebel bereits betätigt hat. Sicherheit von Domänen im Fahrzeug im Zwiebelschalenmodell anzugehen, scheint ein probates Mittel. Allerdings kann oder möchte sich derzeit niemand festlegen, wann größtmöglich autonomes Fahren Realität im Straßenverkehr sein wird. Klar ist, alle haben mehr oder weniger ihre eigene Roadmap und es fehlen noch viele Testeindrücke aus unterschiedlichsten Verkehrsszenarien bevor ein belastbarer Zeitpunkt sinnvoll genannt werden könnte. Beim Thema automatisiertes Fahren sind in Zukunft viele neue Spieler mit dabei: neben Automobil- und Infrastrukturunternehmen, auch Softwarespezialisten und Experten von Versicherungsunternehmen sowie Energieversorgern.

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