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08.07.2020 | Industrie 4.0 | Schwerpunkt | Online-Artikel

Gaia-X bietet neue Chancen für die Industrie 4.0

verfasst von: Thomas Siebel

5 Min. Lesedauer

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Cloud Computing, cyber-physische Systeme und Edge-Datenverarbeitung etablieren sich in der industriellen Produktion. Das europäische Projekt Gaia-X soll sie bald auf ein neues Niveau heben.

Mit der Anfang Juni offiziell vorgestellten Initiative für eine offene, interoperable und transparente europäische Dateninfrastruktur treffen der deutsche und der ehemalige französische Wirtschaftsminister, Peter Altmaier und Bruno Le Maire, einen Nerv in der Industrie, denn Cloud-Lösungen sind zentral für die Transformation hin zur vernetzten, digitalen Produktion. Besonders stark setzen deutsche Unternehmen bereits auf das Cloud-Computing. Laut einer aktuellen Studie des Digitalverbands Bitkom nutzen 76 Prozent der Unternehmen Rechenleistungen aus der Cloud, während weitere 19 Prozent dies planen oder zumindest diskutieren.

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Vorrausetzung für die Umsetzung von Industrie 4.0 ist die Vernetzung von Produktions-IT und Business-IT. Produktionsanlagen, Maschinen und Geräte entwickeln sich in Industrie 4.0 zu Cyber-physischen Systemen. Diese erzeugen kontinuierlich Daten, die in Realzeit zusammengeführt werden, um Ressourcen effizienter zu nutzen und Prozesse zu verbessern.

Cloud Computing kommt bei Echtzeitübertragung an Grenzen

Zusammen mit cyber-physischen Systemen und Edge Computing gehört Cloud Computing zu den wichtigsten Industrie-4.0-Technologien, wie Johannes Pistorius im Kapitel Internet der Dinge im Buch Industrie 4.0 – Schlüsseltechnologien für die Produktion beschreibt. Die drei Technologien greifen ineinander: Cyber-physische Systeme bilden gewissermaßen ein Basiselement für die Verschmelzung von physikalischer und virtueller Welt. Die eingebetteten Systeme vernetzen und steuern Anlagen, Maschinen und Betriebsmittel. Dafür verfügen sie über Sensoren und Aktoren, sie sichern, verarbeiten und interpretieren Daten und sie kommunizieren mit lokalen Netzen, dem Internet – oder der Cloud.

Mittels Cloud Computing können die an verschiedene Produktionsanlagen erhobenen Daten in der Cloud gespeichert und ausgewertet werden, etwa zur Prozessüberwachung oder zur Qualitätskontrolle in der Produktion. Dabei profitieren Unternehmen von hohen Rechenleistungen oder teuren IT-Infrastrukturen, die sie nach dem Pay-as-you-go-Prinzip nach Bedarf nutzen, ohne selbst für die gesamten Kosten aufzukommen. Drei Servicemodelle bieten die Cloud-Anbieter dabei an:

Cloud-Modell

Charakteristik

Infrastructure as a Service (IaaS):

Anstatt eigene IT-Hardware zu beschaffen, nutzen Unternehmen Server, Speicher oder Netzwerkinfrastruktur von Cloud-Anbietern.

Plattfom as a Service (PaaS)

Der Cloud-Dienstleister stellt eine komplette Plattform bereit, auf der Unternehmen benutzerdefinierte Anwendungen entwickeln können.

Software as a Service (SaaS):

Unternehmen nutzen Software on Demand über das Internet, während der Cloud-Anbieter Wartung und Administration übernimmt.

Trotz der genannten Vorteile kommt das Cloud Computing jedoch auch an Grenzen, insbesondere wenn in Produktionsprozessen mit hohem Datenaufkommen eine schnelle Echtzeitübertragung gefordert ist. Mittels Edge Computing werden deswegen Daten nahe an der Datenquelle vorverarbeitet, um so das Rechenzentrum – beispielsweise in der Cloud – zu entlasten. Anschließend werden nur die Prozessdaten an die Cloud weitergeleitet, die für die vernetzte Produktion erforderlich sind.

Unternehmen hängen von außereuropäischen Anbietern ab

Bei all den neuen Möglichkeiten weisen Cloud-Services jedoch auch einen kritischen Aspekt auf: die Datensicherheit. Für den Endnutzer bleibt die innere Cloud-Struktur vollkommen verborgen, wie Andriy Luntovskyy und Dietbert Gütter im Kapitel Verteilte Systeme und Cloud Computing im Buch Moderne Rechnernetze schreiben. Dadurch ergeben sich komplizierte Haftungsprobleme, da die Cloud-Anbieter im Regelfall unterschiedlichen Rechtssystemen unterliegen. Erschwerend kommt hinzu, dass deutsche Unternehmen heute vorrangig Cloud-Infrastrukturen außereuropäischer Anbieter nutzen, wie Ina Schieferdecker und Christoph March vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in einem Beitrag für den Wirtschaftsdienst schreiben. Die Autoren sehen die europäische Technologiesouveränität gefährdet, da Skalierungsvorteile und Netzwerkeffekte der bestehenden Infrastrukturen das Entstehen einer umfassenden europäischen Alternative verhindern – zumal diese zusätzlich höheren Datenschutzanforderungen genügen müsste. Ein Umstand, der sich für die europäische Industrie zum Problem entwickeln könnte, denn selbst in der Industrie 4.0, in der Deutschland weltweit führend ist, entwickeln sich Daten zunehmend zum zentralen Wertschöpfungsfaktor. Deswegen sehen die Autoren den Staat in der Verantwortung, die Technologiesouveränität europäischer Anbieter zu stärken.

„Es ist Aufgabe des Staats, im Sinne der Technologiesouveränität europäische Wettbewerber zu stärken.“ 

Ina Schieferdecker und Christoph March

Mit der europäischen Dateninfrastruktur Gaia-X soll nun genau das geschehen. Das digitale Ökosystem soll allen Anforderungen des europäischen Datenschutz‘ gerecht werden, transparente Strukturen aufweisen und Interoperabilität aller Teilnehmer zur Voraussetzung macht.

Sicheres Identitätsmanagement und Interoperabilität

Anbieter und Anwender von Rechenzentren, Cloud-Lösungen, Hochleistungsrechnern und sektorspezifischen Cloud- und Edge-Systemen sollen so auf eine Infrastruktur treffen, in der sämtliche Dienste dank standardisierter Schnittstellen miteinander kompatibel sind. Das wäre ein Fortschritt gegenüber dem aktuellen Stand, bei dem viele Unternehmen Dienste von verschiedenen Cloud-Anbietern nutzen, die untereinander jedoch nicht interoperabel sind. Gaia-X verspricht zudem ein sicheres Identitätsmanagement, mit dem Zugriffs- und Nutzungsrechte von Daten vertrauenswürdig zugeteilt werden können, was insbesondere für die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit erleichtert. Für Industrie-4.0-Anwendungen bietet Gaia-X eine Reihe von neuen Möglichkeiten:

  • Für die Vernetzung von Produktionsanlagen nutzen Unternehmen innerhalb einer Fertigungseinheit bislang oft auf unterschiedliche Cloud-Systeme, wodurch die Einrichtung sehr aufwendig wird. Gaia-X soll nun als „multilaterale Verwaltungsschicht“ existierende Cloud-Angebote, Produktionsinfrastrukturen und Datenaustauschdienste mitsamt ihrem jeweiligen Rechtsrahmen verbinden und so das Schnittstellenmanagement vereinfachen. Aufwendige maschinenspezifische Einzellösungen für die Integration von Industrie-4.0-Anwendungen sollen der Vergangenheit angehören.
  • Standardisierte Schnittstellen für Cloud-Anbindungen sollen modulare Lösungen in der vernetzten Produktion zulassen, ohne an einen einzelnen Hersteller gebunden zu sein. Sogenannte Lock-in-Effekte in digitalen Fertigungsstraßen sollen somit vermieden werden.
  • Gaia-X soll den Rahmen für Wertschöpfungsketten in der Shared Production liefern. Durch Interoperabilität und Interkonnektivität sollen sich Werschöpfungsnetzwerke werks- und firmenübergreifend in einer Weise ständig neu konfigurieren können, wie es heute noch nicht möglich ist.
  • Auch im Condition Monitoring und der prädiktiven Instandhaltung entstehen neue Möglichkeiten, etwa indem Hersteller Zugang zu bestimmten Daten einer bei einem Drittunternehmen betriebenen Maschine erhalten oder indem die Daten bestimmter, in unterschiedlichen Unternehmen betriebenen Maschinen erfasst und mittels Künstlicher Intelligenz ausgewertet werden.

Über 300 Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Verbände und Institutionen aus unterschiedlichen Ländern haben sich dem Projekt Gaia-X bislang angeschlossen. Bis Anfang 2021 wollen sie eine erste prototypische Implementierung erarbeiten.

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