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Open Access 2020 | OriginalPaper | Buchkapitel

10. Kryptowährungen

Eine empirisch-qualitative Analyse von Kryptowährungen gegenüber dem traditionellen Währungssystem

verfasst von : Tobias Wenger, Kim Oliver Tokarski

Erschienen in: Digitale Transformation und Unternehmensführung

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Sowohl die Finanzkrise als auch die zunehmende Digitalisierung können als zwei zentrale Haupttreiber des „neuen“ Phänomens der Kryptowährungen angesehen werden. Kryptowährungen sollen sowohl eine Alternative zu dem traditionellen Währungssystem bieten als auch den Zahlungsverkehr vereinfachen. Das vorliegende Kapitel erarbeitet einen Vergleich von Kryptowährungen gegenüber dem traditionellen Währungssystem. Dabei liegt der Fokus auf der Kryptowährung Bitcoin und dem Wirtschaftsstandort Schweiz. Die empirischen Untersuchungen wurden mittels qualitativer Forschung durch Experteninterviews aus dem Bereich des Geldsystems und des Zahlungsverkehrs realisiert. In der Empirie wurde insbesondere der Aspekt des Vertrauens, der Resilienz wie auch der Vereinfachung von Zahlungstransaktionen analysiert.

10.1 Einleitung, Ausgangslage und Vorgehensweise

„Es ist und bleibt unbestritten, dass ein funktionierendes Finanzsystem von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung und das Wachstum einer Volkswirtschaft ist“ (Sixt 2017, S. 75). Dabei zeigte insbesondere die ab dem Sommer 2007 ausgelöste Banken- und Finanzkrise gewisse Probleme dieses Systems auf (Deutsche Bundesbank 2017, S. 107). Die Ursachen, Faktoren und Verursacher dieser Krise sind vielfältig und konnten bis heute nicht abschließend eruiert werden (Stijin und Ayhan 2013, S. 34 ff.; The Economist 2013). Gleichwohl kam die Financial Crisis Inquiry Comission zum Ergebnis, dass die Krise vermeidbar gewesen wäre, denn die Krise sei durch „menschliche Taten und Tatenlosigkeit“ verursacht worden. Die Ursache sei ein „enormes Versagen“ von Regierung und Finanzaufsicht sowie ein „rücksichtsloses Risikomanagement“ der Geldindustrie gewesen (Financial Crisis Inquiry Commission 2011, S. xvii–3). Um derartige Krisen zukünftig zu vermeiden, wurden unterschiedliche Regulierungsmaßnahmen, wie bspw. Basel III, eingeführt. Trotz dieser Reformen wird weiterhin bemängelt, dass das heutige System genauso instabil sei wie vor der Krise (Admati und Hellwig 2014, S. XII). Es wird argumentiert, dass die wiederkehrende Instabilität nicht behoben werden könne, solange nicht grundlegend etwas an der Ausgestaltung des Geldsystems verändert wird (Benes und Kumhof 2012; Fisher 2007; Huber 2013; Huber und Robertson 2008). Das traditionelle Geldsystem zeichnet sich dabei durch dessen zentralistische Strukturen aus, in denen die Zentralbanken, in der Schweiz ist dies die Schweizerische Nationalbank (SNB), und Geschäftsbanken wichtige Funktionen einnehmen (Deutsche Bundesbank 2017, S. 87, 125; The Corner 2017). Diese Abhängigkeit benötigt ein hohes Maß an Vertrauen der beteiligten Akteure des (Banken-, Finanz-, Währungs- bzw. Geld-)Systems (Tonkiss 2009, S. 1). Dieses Vertrauen wurde auch schon vor der Finanzkrise oftmals auf die Probe gestellt. So wurden zwischen 1970 und 2007 weltweit insgesamt 147 Bankenkrisen, 218 Währungskrisen und 66 Staatsverschuldungskrisen gezählt (Laeven und Valencia 2012, S. 3–13).
Vertrauen in das System und seine Akteure, u. a. Nationalbank, Geschäftsbanken, Staat etc., ist dabei ein essenzieller Faktor für dessen fortwährenden Erhalt und Weiterentwicklung. Ein mangelndes Vertrauen führt zu instabilen Systemen, aber durchaus auch zu einer Suche nach und Entwicklung von Alternativen. Eine Alternative sind dabei bspw. Kryptowährungen. Die Wichtigkeit des Vertrauens in das System, wird durch den unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto bekannten „Erfinder“ der ersten Kryptowährung Bitcoin veranschaulicht. Er steht den staatlichen Währungen und dem gängigen Vertrauenskonzept im Geldsystem kritisch gegenüber, wie das nachfolgende Zitat verdeutlicht:
The root problem with conventional currency is all the trust that’s required to make it work. The central bank must be trusted not to debase the currency, but the history of fiat currencies is full of breaches of that trust. Banks must be trusted to hold our money and transfer it electronically, but they lend it out in waves of credit bubbles with barely a fraction in reserve (P2P-Foundation 2018).
Viele Kryptowährungsenthusiasten sehen in der Veröffentlichung seines Whitepapers mit dem Titel: Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System (Nakamoto 2008) Ende Oktober 2008, mitten in der Krise, keinen Zufall (Thiele und Diehl 2017, S. 1). Das Whitepaper verdeutlicht, wie durch die Verknüpfung von Informatik und Kryptografie das bisherige Vertrauen in die zentralen Instanzen bzw. Akteure (bspw. Nationalbanken, Geschäftsbanken etc.) durch einen Algorithmus und somit in die Gesetzte der Mathematik ersetzt werden kann.
Eine theoretische Aufarbeitung des Untersuchungskontextes erfolgt in Abschn. 10.2. Im Abschn. 10.4.1 sowie 10.4.2 werden die Detailergebnisse der empirisch-qualitativen Analyse zum Themenbereich des Geldsystems sowie des Zahlungsverkehrs der beiden Währungssysteme dargestellt.
Was für eine Rolle das Vertrauen im traditionellen Geldsystem gegenüber dem Kryptowährungssystem spielt, soll in der vorliegenden Ausarbeitung dieses Kapitels unter der Hypothese 1 im Abschn. 10.4.3 genauer betrachtet werden. Zudem soll in der Hypothese 2 im Abschn. 10.4.4 genauer untersucht werden, ob das Kryptowährungssystem gegenüber dem traditionellen Geldsystem eine höhere Resilienz aufweist.
Nebst der Kritik an der Ausgestaltung des traditionellen Geldsystems bildet die zunehmende Digitalisierung einen zweiten, zentralen Treiber des Aufkommens von Kryptowährungen. Der technologische Fortschritt hat dazu geführt, das Fintech-Unternehmen im Bereich des Zahlungsverkehrs innovative Zahlungsinstrumente als Alternative zu den klassischen Zahlungslösungen bieten (Robleh Ali et al. 2014, S. 4). Durch Innovationen, wie bspw. mobiles Bezahlen und Peer-to-Peer-Zahlungslösungen (P2P) hat sich ein verstärkter Wettbewerb unter den Zahlungsverkehrsanbietern entwickelt (Deloitte 2017, S. 27 ff.). Zu diesen Innovationen gehören auch die Kryptowährungen (Robleh Ali et al. 2014, S. 3). Welche Kryptowährungen gegenüber den traditionellen Zahlungsinstrumenten einen Mehrwert bieten und somit die Umsetzung von Zahlungstransaktionen vereinfachen, soll durch die Hypothese 3 im Abschn. 10.4.5 genauer betrachtet werden. Die Ausarbeitung schließt im Abschn. 10.5 mit einem Fazit zum Untersuchungskontext.

10.2 Theorie

10.2.1 Kurzdarstellung und Vergleich der Geldsysteme

In der Literatur besteht keine allgemeingültige Definition des Begriffs der Währung und des Geldes. Aus diesem Grund werden einige ausgewählte Definitionen beispielhaft in Tab. 10.1 angeführt.
Tab. 10.1
Definitionen Währung und Geld. (Eigene Darstellung)
Währung
Geld
„A system of money in general use in a particular country.“ (Oxford Dictionaries 2018)
„A generally accepted medium for the exchange of goods and services, for measuring value, or for making payments“ (Financial Dictionary 2018)
„The money that is used in a particular country at a particular time.“ (Cambridge Dictionary 2018)
„ … offizielles und allgemein gebräuchliches Zahlungsmittel in der Währung, die im Hoheitsgebiet eines Staates gilt.“ (Huber 2013, S. 11)
Bei der Betrachtung der Definition einer Währung fällt auf, dass der Begriff eng an den Begriff des Geldes geknüpft ist und Währungen ein zeitlich sowie geografisch beschränktes System bilden. Eine Währung beschreibt also die gesetzlichen Rahmenbedingungen, in denen das Geldwesen definiert ist. Geld wird hingegen als generell akzeptierte Einheit bezeichnet, welche als Zahlungsmittel verwendet wird und somit einen gewissen Wert aufweist (vgl. Solit Gruppe 2018). Die European Central Bank (ECB) nimmt mit der Geld-Matrix in Abb. 10.1 die Abgrenzungen von reguliertem Geld vor.
Reguliertes Geld wird innerhalb der Geld-Matrix nach staatlich ausgegebenen Banknoten und Münzen sowie Buchgeld und E-Geld unterschieden. E-Geld ist die elektronische Repräsentation einer offiziellen Währung, welche für den elektronischen Zahlungsverkehr in offizieller Währung eingesetzt wird. An dieser Stelle ist zu betonen, dass E-Geld nicht mit Kryptowährungen zu verwechseln ist. Je nach Land ist die Einordnung von Kryptowährungen als reguliertes oder unreguliertes Geld unterschiedlich. Für eine Systematisierung kann dabei die zuvor dargestellte Geld-Matrix als Ausgangsgrundlage einer Einordnung bzw. Erweiterung dienen. Exemplarisch ist dies in Abb. 10.2 vorgenommen worden.
Um eine klare Unterscheidung zwischen Banknoten und Münzen sowie des Buchgelds vorzunehmen, ist es sinnvoll, die Geldmengendefinition der SNB (Schweizerische Nationalbank) der Tab. 10.2 zu betrachten.
Tab. 10.2
Geldmengendefinition der SNB. (Eigene Darstellung in Anlehnung an Schweizerische Nationalbank 2016, S. 1)
M0:
• Notenumlauf im Publikum
• Zahlungsreserven der Geschäftsbanken
– Barreserven
– Unbare Überschussreserven
• Mindestreserven
Zentralbankgeld
M1:
• Bargeldumlauf im Publikum
• Buchgeld
–Sichteinlagen
–Transaktionskonten
Publikumsgeld
M2:
• Geldmenge M1
• Spareinlagen
M3:
• Geldmenge M2
• Termineinlagen
Zwischen den oben aufgeführten Geldmengen bestehen rechtliche Unterschiede. In der Schweiz gelten die nachfolgenden Zahlungsmittel als gesetzliche Zahlungsmittel:
a)
„die vom Bund ausgegebenen Münzen;
 
b)
die von der Schweizerischen Nationalbank ausgegebenen Banknoten;
 
c)
auf Franken lautende Sichtguthaben bei der Schweizerischen Nationalbank“ (WZG, Art. 2).
 
Hierbei zeigt sich, dass das Buchgeld nicht erwähnt wird und somit nicht zu den gesetzlichen Zahlungsmitteln gezählt wird. Die gesetzlichen Zahlungsmittel beschränken sich lediglich auf das Zentralbankgeld bzw. die Geldmenge M0, welche direkt von der SNB an die Geschäftsbanken herausgegeben werden und die von der eidgenössischen Münzstätte Swissmint, im Auftrag des Staates, geprägten Münzen (vgl. Huber und Robertson 2008, S. 75).
Im traditionellen Geldsystem besteht der Hauptauftrag einer Nationalbank, im vorliegenden Untersuchungskontext der SNB, darin, die Geld- und Währungspolitik im Gesamtinteresse eines Landes zu betreiben. Demgegenüber sind hingegen die Geschäftsbanken kommerziell und privatwirtschaftlich geführte Unternehmen (Huber 2013, S. 70), (NBG, Art. 5). Nebst dieser zentralistischen Ausrichtung wird das vorherrschende Zweistufen-Geldsystem als fraktionales Reservesystem mit multipler Geldschöpfung bezeichnet (Huber und Robertson 2008, S. 7–8). Durch diese Systemausgestaltung ist es den Geschäftsbanken durch Kreditvergabe möglich, Buchgeld zu erschaffen bzw. durch Kreditrückzahlung Buchgeld zu vernichten (Deutsche Bundesbank 2017, S. 78; McLeay et al. 2014, S. 16).
Die Geschäftsbanken betreiben aufgrund ihrer profitorientierten Ausrichtung eine prozyklische Buchgeldschöpfung. Das heißt in guten Wirtschaftszeiten werden mehr Kredite vergeben, während in wirtschaftlich schlechten Zeiten die Bereitschaft zur Kreditvergabe sinkt (Benes und Kumhof 2012, S. 5; Huber 2013, S. 70). Es wird kritisiert, dass durch dieses Verhalten die bereits vorhandenen Marktübertreibungen noch akzentuiert werden. Einerseits werden in wirtschaftlich guten Zeiten die Preisinflation und die Spekulationsblasen verstärkt. Anderseits wird in wirtschaftlich schlechten Zeiten die Deflationen und die Gefahr einer Kreditklemme forciert (Blanchard und Illing 2009, S. 659; Huber und Robertson 2008, S. 70–76).
In der Schweiz ist die SNB bspw. die einzige Instanz, welche das Recht besitzt, gesetzliche Zahlungsmittel zu erstellen (Huber und Robertson 2008, S. 75). Die Erhöhung der Geldmenge ist dabei abhängig von der Geldpolitik des Landes. Hingegen ist es den Geschäftsbanken verboten, selbst Banknoten und Münzen herzustellen. Nichtsdestotrotz erschaffen die Geschäftsbanken im traditionellen Geldsystem die Mehrheit des Geldes. Dies wird dadurch ermöglicht, das Buchgeld per Gesetz nicht als staatliches Geld gilt. Buchgeld stellt lediglich ein Anrecht auf die Auszahlung von Bargeld dar (WZG, Art. 2), (Siedenbiedel 2012, S. 1–2; Huber und Robertson 2008, S. 10). Die Geschäftsbanken sind jedoch verpflichtet das Buchgeld vollumfänglich und jederzeit in Bargeld umzutauschen (Deutsche Bundesbank 2017, S. 57; Siedenbiedel 2012, S. 2). Da in der Schweiz 88 % der Geldmenge in Form von Buchgeld und lediglich 12 % aus Zentralbankgeld besteht, kann diesem Versprechen nicht vollumfänglich nachgekommen werden (Schweizerische Nationalbank 2015, S. 26). Das bedeutet, dass die Geschäftsbanken dem Publikum rund zehnmal mehr Geld versprechen, als dass sie eigentlich besitzen. Daraus zeigt sich, dass die Geschäftsbanken im traditionellen Geldsystem ein gewisses Risiko eingehen. Die Geschäftsbanken spekulieren darauf, dass es zu keinem Vertrauensverlust des Publikums, bspw. in Form von Bank Runs, dem plötzlichen Ansturm der Kunden auf Banken mit dem Ziel ihre Einlagen abzuheben, kommt und stets nur wenige Personen gleichzeitig ihr Buchgeld in Bargeld umtauschen wollen. Derartige Bank Runs können aufgrund der starken Geschäftsbankenvernetzung im schlimmsten Fall zum Zusammenbruch des Finanzsystems führen. Dieser Umstand macht auch verständlich, warum der ehemalige Vizepräsident der SNB, Jean-Pierre Danthine die Meinung vertritt, dass das heutige Geldsystem einzig auf Vertrauen basiert (Danthine 2014, S. 4).
In der Literatur werden die nachfolgenden Hauptprobleme am traditionellen Geldsystem genannt, welche in Tab. 10.3 dargestellt sind (vgl. Benes und Kumhof 2012; Fisher 2007; Huber 2013; Pfluger 2016).
Tab. 10.3
Auswahl an Problemen des traditionellen Geldsystems. (Eigene Darstellung)
Kontrollverlust der Zentralbank über die Geldmenge
Zunehmende öffentliche und private Verschuldung
Prozyklische Buchgeldschöpfung
Erzielung von Geldschöpfungsgewinnen durch die Geschäftsbanken
Gefahr von Bank Runs
Geld gelangt als Schuld in den Wirtschaftskreislauf
Aufgrund des Umfangs und der Relevanz für diese Forschungsarbeit sowie des Umstands, dass sich einige dieser Probleme mit anderen genannten Problemen überschneiden, werden in der Ausarbeitung lediglich die in der linken Spalte der Tab. 10.3 genannten Probleme vertieft thematisiert
Eine neue, innovative Alternative zum traditionellen Geldsystem bildet das Geldsystem der Kryptowährungen. Insbesondere die Dezentralität spielt in dieser Systemausgestaltung eine wichtige Rolle und bildet einen entsprechenden Gegenpol zum traditionellen Geldsystem (Blocher et al. 2017, S. 369; Sixt 2017, S. 62–63; Lee 2015, S. 8). Gleichwohl gibt es zwischen den beiden Systemen auch Gemeinsamkeiten, denn beide Währungen sind im Idealfall u. a. teilbar, beweglich, schwer zu kopieren (fälschungssicher) und sie sind ein knappes Gut. Am Beispiel von Bitcoin äußert sich dies insbesondere darin, dass die Geldmenge nicht wie im traditionellen Geldsystem beliebig durch eine zentrale Instanz erhöht werden kann, sondern dass eine vordefinierte Geldmengenobergrenze von 21 Mio. Bitcoins besteht (Blocher et al. 2017, S. 365; Sixt 2017, S. 108). Dabei wird die traditionelle Geldpolitik durch einen Algorithmus im Kryptowährungscode ersetzt. Durch diese Funktionsweise kann die Gefahr einer Inflationierung der Bitcoins ausgeschlossen werden (Sixt 2017 S. 31, 108). Jedoch stellt auch die im Kryptowährungssystem vorhanden Deflation eine Gefahr dar. Dadurch, dass ein Großteil der Kryptowährungen aufbewahrt bzw. gespeichert werden, wird die Umlaufgeschwindigkeit des Gelds beeinträchtig (Cointelegraph 2014). Dies führt zu einem tiefen Liquiditätsgrad des Bitcoins und zu einem „thin market“, was wiederum dazu führt, dass bereits kleine Änderungen des Angebots oder der Nachfrage zu einer erhöhten Kursvolatilität führen (Blockchain 2018b; Blocher et al. 2017, S. 365; Sixt 2017, S. 110). Die Funktionsweise einer Geldmengenobergrenze, der Algorithmus und die daraus folgenden Deflation und Kursvolatilität schränkt die Nutzbarkeit der Kryptowährung als Recheneinheit und Zahlungsmittel ein (Fortune 2017; Blocher et al. 2017, S. 365; Sixt 2017, S. 110).
Wie auch im traditionellen Geldsystem bestehen auch im Kryptowährungssystem profitorientierte Parteien, die sogenannten Miner (Brühl 2017, S. 137; BTC-Echo 2018; Koenig 2017, S. 84–85; Sixt 2017, S. 31). Für die zur Verfügungstellung der Rechenleistung im Sinne der Verarbeitung von Transaktionen, Absicherung und Synchronisierung von Blöcken bzw. Hashes auf der Blockchain bzw. dem Bitcoin-Netzwerk erhalten die Miner einen Block-Reward in Form von Bitcoins (Bitcoin Magazine 2018). Aufgrund der Profitmaximierung haben sich Mining Pools gebildet (Hileman und Rauchs 2017, S. 89). Dies führt dazu, dass aktuell mindestens 99 % der Blöcke auf der Bitcoin-Blockchain durch Mining Pools erstellt werden (Blocher et al. 2017, S. 368). Die fünf größten Pools erzeugen zusammen etwa 70 % der Blöcke. Vier von diesen fünf Mining Pools operieren von China aus (Blockchain 2018a). Dieses Verhalten reduziert einerseits die angestrebte Dezentralität, andererseits besteht die Gefahr einer 51-prozentigen Attacke (hierbei handelt es sich um einen Angriff auf das Bitcoin-Netzwerk, welcher durch die Kontrolle der Mehrheit der Mining-Power durch eine Partei realisiert werden könnte). (Bonneau et al. 2015, S. 104 ff.; Blocher et al. 2017, S. 367; Sixt 2017, S. 103).
Nebst den Minern gehören auch weitere Parteien zum Kryptowährungssystem, namentlich die Kryptowährungsdienstleister, welche Dienstleistungen in Form von Wallets (Aufbewahrung), Exchanges (Transfer/Handel/Umwandlung in andere Währungen) und Payment Solutions (Zahlung) zur Verfügung stellen (Brühl 2017, S. 138). Das bedeutet, dass wie im traditionellen Geldsystem auch im Kryptowährungssystem Intermediäre existieren. Diese Unternehmen können nicht nur potenzielle Angriffsziele in Form von Hackerangriffen werden, sondern auch selbst betrügerische Absichten in Form von Ponzi Schemes (Betrugssystem auf Basis der Generierung von Gewinnen für alte Investoren durch die Gewinnung neuer Investoren; vergleichbar bspw. mit dem Pyramidensystem des Betrugs) verfolgen (Blocher et al. 2017, S. 367; Sixt 2017, S. 92). Daher ist die von Satoshi Nakamoto gemachte Aussage, dass Kryptowährungen ohne Vertrauen auskommen können, kritisch zu hinterfragen (P2P-Foundation 2018).
Die aus der Literatur eruierten, ausgewählten Probleme der beiden Geldsysteme werden in der Abb. 10.3 zusammengefasst. Hierbei werden die Probleme den jeweiligen Ursachen und einem Oberbegriff zugeordnet.
Obwohl je nach System unterschiedliche Probleme und Ursachen existieren, bestehen dennoch gewisse Parallelen. Die Probleme der beiden Geldsysteme lassen sich auf die Funktionsweise, die finanziellen Anreize und das Vertrauenskonzept zurückführen.

10.2.2 Kurzdarstellung und Vergleich des Zahlungsverkehrs

Dem Zahlungssender und dem Zahlungsempfänger stehen in der Schweiz zahlreiche unterschiedliche Zahlungsinstrumente zur Verfügung (Berner Kantonalbank 2018; Bundesamts für Kommunikation 2016, S. 14–15). Diese Vielfalt ist insbesondere auf den technologischen Fortschritt zurückzuführen (Swissbanking 2016). Einerseits wurden die klassischen Zahlungsinstrumente durch neue Zahlungsfunktionen erweitert, z. B. Debit- und Kreditkarten mit kontaktlosem Bezahlen, Überweisungen, welche mittels E-Banking übermittelt werden können etc., andererseits sind auch neue Zahlungsanbieter wie bspw. Twint (www.​twint.​ch) und Apple Pay entstanden, welche mit neuen Zahlungsfunktionen, wie mobiles Bezahlen per Handy und P2P-Zahlungslösungen eine Alternative zu den klassischen Zahlungsanbietern darstellen (Hungerland et al. 2017, S. 23; Robleh Ali et al. 2014, S. 4).
Die Abb. 10.4 soll einen Gesamtüberblick über die in der Ausarbeitung behandelten Zahlungsinstrumente mit Einsatzgebiet in der Schweiz aufzeigen. Die Zahlungsinstrumente wurden aus Sicht des Zahlungssenders nach elf Kriterien im Vergleich zum Bargeld bewertet. Während die Farbe Grün bedeutet, dass das Kriterium erfüllt ist, bedeutet die Farbe Gelb, dass das Kriterium teilweise bzw. unter gewissen Bedingungen/Einschränkungen geben ist. Rot bedeutet, dass das Kriterium nicht erfüllt wird. Auf eine entsprechende Feingliederung wie eine detaillierte Gebührenanalyse oder Geschwindigkeitsvergleich etc. wird an dieser Stelle verzichtet. Gleichermaßen wurden Auslandzahlungstransaktionen nicht berücksichtigt.
Die Abb. 10.4 zeigt, dass jedes Zahlungsinstrument über entsprechende Vor- und Nachteile verfügt. Grundsätzlich kann aber der Zahlungsverkehr innerhalb der Schweiz aufgrund eines gut ausgebauten SIC-Zahlungssystems (Swiss Interbank Clearing) sowie den diversen Zahlungsinstrumenten als relativ effizient eingestuft werden (SIX Interbank Clearing 2016, S. 3, 2018; SIX Group AG, 2018, S. 5). Demgegenüber bestehen jedoch gewisse Probleme bzw. Limitationen, was den internationalen Zahlungsverkehr anbelangt. Aufgrund von unterschiedlichen lokalen Gesetzen und Praktiken innerhalb des Banken- und Finanzsystems sowie eines fehlenden globalen Standards, können Überweisungsaufträge in Entwicklungsländern bis zu 20 Tage dauern und erhöhte Kosten verursachen (Blocher et al. 2017, S. 7; Goldman Sachs 2014, S. 19; Park 2006). Nebst dieser vergleichsweise ineffizienten internationalen Zahlungsabwicklung verfügen weltweit rund 38 % der erwachsenen Bevölkerung über kein Geschäftsbankkonto (Demirguc-Kunt et al. 2014, S. 5). Als Hauptbarrieren werden Gründe, wie bspw. mangelndes Wissen über Finanzprodukte, Ausbaupotenzial von rechtlichen Rahmenbedingungen, mangelnde Förderung von neuen Kreditvergabetechnologien, hohe Kontoführungsgebühren, weite Entfernung zu einem Finanzinstitut und mangelndes Vertrauen in die Geschäftsbanken, genannt (Weltbank 2014b, S. 3–5).
Doch auch die Kryptowährungen verfügen über Probleme bzw. Limitationen. Die Hauptprobleme bestehen insbesondere in einem Zielkonflikt zwischen Skalierbarkeit und Dezentralität (Altcointoday 2018; Sixt 2017, S. 42, 96–99). Zudem gestaltet sich eine dezentrale Metakonsensfindung als schwierig (Koenig 2017, S. 89 ff.). Auch die (aktuell) tiefe Benutzerfreundlichkeit bildet ein Hemmnis, Kryptowährungen als Zahlungsmittel zu verwenden (CCN 2015; Fortune 2017; Koenig 2017, S. 60–61).

10.3 Methodik

Das Ziel der vorliegenden empirisch-qualitativen Analyse liegt darin, einen Vergleich zwischen Kryptowährungen und dem traditionellen Währungssystem vorzunehmen. Um dieses Ziel erreichen zu können, wurde das Währungssystem in zwei Bestandteile gegliedert. Dabei handelt es sich um das Themenfeld des Geldsystems und des Zahlungsverkehrs. Für die jeweiligen Themenfelder wurden Hypothesen ausgearbeitet. Die Abb. 10.5 visualisiert den Zusammenhang der Bestandteile des Währungssystems, die dazugehörigen Hypothesen und das Ziel der vorliegenden Ausarbeitung.
Üblicherweise werden Forschungsthesen als Grundlage von qualitativen Forschungsmodellen gebildet (Mayer 2013, S. 28). Dennoch ist es durchaus legitim, auch Hypothesen für einen qualitativen Forschungszweck aufzustellen (Mayring 2015, S. 25). Aufgrund der Neuartigkeit von Kryptowährungen und dem Fokus auf den Wirtschaftsstandort Schweiz wurde in dieser Forschungsarbeit eine empirische Studie mittels einer Expertenbefragung durchgeführt (Gardini 2007, S. 17–18). Die zu erschließenden Forschungsinhalte werden durch eine qualitative Methode ermittelt. Im Zentrum steht das Wissen eines Experten in einem bestimmten Themenbereich (Bohnsack et al. 2003, S. 57). Für die Auswahl der Erkenntnissubjekte wurden Exponenten aus den zwei für diese Forschungsarbeit relevanten Bestandteilen, namentlich dem Geldsystem und dem Zahlungsverkehr ausgewählt. Die Experten sind in relevanten hierarchisch-inhaltlichen Positionen angesiedelt und verfügen über ein umfassendes, tiefes Wissen der Materie und erfüllen den Status bzw. Anforderungen an einen Experten, wie in Abb. 10.6 dargestellt.

10.4 Empirie

Im folgenden Unterkapitel wird die empirisch-qualitative Analyse im Detail beschrieben. Dabei erfolgt zunächst die Auswertung sowie Erörterung zum Themenbereich des Geldsystems. In Anschluss wird ein Vergleich des Zahlungsverkehrs der beiden Währungssysteme vorgenommen. Im Anschluss werden die drei definierten Hypothesen zusammenfassend beantwortet:
  • Hypothese 1: Wie im traditionelle Geldsystem bedarf auch das Kryptowährungssystem an Vertrauen.
  • Hypothese 2: Das Kryptowährungssystem ist gegenüber dem traditionellen Geldsystem resilienter.
  • Hypothese 3: Gegenüber dem traditionellen Zahlungsverkehr vereinfachen Kryptowährungen die Umsetzung von Zahlungstransaktionen.

10.4.1 Vergleich Geldsystem

10.4.1.1 Aspekt des Vertrauens

Als Hauptinnovation von Kryptowährungen sowie als entsprechende Faszination von Bitcoin wird erwähnt, dass für die Abwicklung einer Zahlungstransaktion kein Vertrauen in eine zentrale Instanz benötigt wird (Frecè 2018, S. 50; Anonym 2018, S. 198; Hüsler 2018, S. 77, 322; Jaag 2018, S. 82). Dies ist insofern möglich, als dass innerhalb des Bitcoin-Systems eine basisdemokratische und dezentrale Buchführung ermöglicht wird. Das bedeutet, dass das Vertrauen in eine zentrale Institution durch das Vertrauen in eine Mehrheit eines Systems ersetzt wird (Anonym 2018, S. 50). Im Folgenden wird untersucht, inwiefern und wo das Vertrauen im Vergleich zum traditionellen Geldsystem auch im Kryptowährungssystem eine Rolle spielt. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass es sich beim Vertrauen um einen relativen und subjektiven Aspekt handelt (Ankenbrand 2018, S. 95, 99; Frecè 2018, S. 90). Gerade weil es sich um eine individuelle Wahrnehmung handelt, können die nachfolgenden Vertrauensfaktoren je nach Person als unterschiedlich relevant gewichtet werden.
10.4.1.1.1 Kryptowährungscode
Im Umgang mit Kryptowährungen bedarf es Vertrauen in den Kryptowährungscode bzw. in die darin enthaltene Mathematik, dass sich darin keine Fehler befinden (Frecè 2018, S. 90; Anonym 2018, S. 193; Jaag 2018, S. 110, 258; Lehmann 2018, S. 225; Sprock 2018, S. 68). Dieser Aspekt ist insofern nicht zu vernachlässigen, da im Bereich der Softwareentwicklung im Schnitt auf 120 Zeilen-Code 7 Programmierfehler gemacht werden. Wenn nun bspw. ein Smart-Contract 60.000 Zeilen-Code aufweist, befinden sich darin im Schnitt 3500 Programmierfehler. Das bedeutet, dass oftmals zwischen der Richtigkeit des Kryptowährungscodes und der Genauigkeit der Mathematik eine Diskrepanz besteht (Frecè 2018, S. 50; Sprock 2018, S. 68). Da es sich bei Kryptowährungen um ein Open-Source-Konzept handelt, wird der Kryptowährungscode öffentlich zugänglich gemacht. Somit kann jede Person, die entsprechende Funktionsweise nachvollziehen und sich von der Richtigkeit des Codes selbst überzeugen. Da eine entsprechende Überprüfung ein hohes Maß an technologischem Wissen und Zeit voraussetzt, kann der Kryptowährungscode von der breiten Bevölkerung nicht selbstständig überprüft werden. Frecè (2018) argumentiert, dass es in einem solchen Fall das Vertrauen in eine zentrale, Instanz braucht, welche für die Öffentlichkeit eine Bewertung der entsprechenden Kryptowährung vornimmt. Als Beispiel wird Google angeführt, welche analog der Ratingagentur Moody’s & Fitch die im traditionellen Währungssystem Unternehmen bewertet, eine derartige Überprüfung vornehmen könnte. Hierbei stellt sich jedoch auch die Frage, ob die Bevölkerung Google vertraut und inwiefern diese bei der Überprüfung tatsächlich neutral und unabhängig bei der Bewertung vorgeht (Frecè 2018, S. 90). Nebst einer zentralen Institution argumentiert Jaag (2018), dass auch die Anzahl der in einer Kryptowährung involvierten Personen ein entsprechender Indikator für das Vertrauen in eine Kryptowährung darstellen kann. Je größer die Community, desto mehr technologisch versierte Personen haben sich mit dem Kryptowährungscode auseinandergesetzt und desto fundierter ist eine Kryptowährung. Somit kann eine Vertrauensbildung auch über eine dezentrale Community stattfinden (Jaag 2018, S. 110, 346). Diese zwei Möglichkeiten bestehen laut den Experten, um das Risiko eines Hackerangriffs auf Fehler im Kryptowährungscode zu reduzieren und dadurch Vertrauen in die Kryptowährungen zu generieren. Ein Bestandteil des Kryptowährungscodes bildet unter anderem der darin enthaltenen Algorithmus der Geldmengenschöpfung. Im Vergleich dazu besteht im traditionellen Geldsystem kein solch mathematisch verankerter Geldschöpfungsprozess. Die Geldschöpfung wird durch die Zentralbanken und die Geschäftsbanken dynamisch und aufgrund ökonomischer Einflussgrößen betrieben. Somit wird das Vertrauen in das menschliche Handeln (Geldschöpfung und Geldpolitik) im traditionellen Geldsystem durch das Vertrauen in den Kryptowährungscode bzw. in den darin enthaltenen Algorithmus im Kryptowährungssystem ersetzt (Frecè 2018, S. 66; Hüsler 2018, S. 193).
10.4.1.1.2 Kryptografische Verfahren
Wie im traditionellen Geldsystem muss auch im Kryptowährungssystem sichergestellt werden, dass das Geld nicht fälschbar ist. Im traditionellen Geldsystem wird dies bspw. durch die Verwendung von Sicherheitsmerkmalen auf Banknoten sichergestellt. Diese Sicherheitsmerkmale werden laufend dem technologischen Fortschritt angepasst. Diese Anpassung wird regelmäßig durch die Ausgabe von neuen Banknotenserien durch die Schweizerische Nationalbank durchgeführt. Im Kryptowährungssystem wird die Fälschungssicherheit, d. h. das Double-Spending-Problem, durch kryptografische Verfahren gelöst (Frecè 2018, S. 42; Anonym 2018, S. 50; Hüsler 2018, S. 264–270; Jaag 2018, S. 46). Wie im traditionellen Geldsystem besteht auch im Kryptowährungssystem die Möglichkeit, dass durch technologische Innovationen die Fälschbarkeit der Geldeinheiten vereinfacht werden kann. Dieses Problem äußert sich im Kryptowährungssystem bspw. durch neuartige kryptografische Verfahren oder Hochleistungsrechner. Insofern müssen Kryptowährungen fortlaufend dem technologischen Fortschritt angepasst werden. Ansonsten würde das Double-Spending-Problem, also die vereinfachte Fälschbarkeit von Kryptowährungen, zunehmen. Insofern benötigen die Systemteilnehmer ein Vertrauen in die kryptografischen Verfahren. Falls dieses Vertrauen nicht mehr vorhanden sein sollte und bekannt wird, dass innerhalb eines Kryptowährungssystems die Möglichkeit besteht, Double-Spending zu betreiben, würden sich die Systemteilnehmer aus der Kryptowährung zurückziehen. Die Kryptowährung wäre defacto unbrauchbar (Frecè 2018, S. 94; Anonym 2018, S. 82; Lehmann 2018, S. 225).
10.4.1.1.3 Entwickler
Nebst diesen technologischen Aspekten wie dem Kryptowährungscode und dem kryptografischen Verfahren muss auch den Entwicklern von Kryptowährungen vertraut werden. Diese stehen mit ihrem Ruf und ihrem Know-how für das Funktionieren einer Kryptowährung ein (Anonym 2018, S. 82; Hüsler 2018, S. 262; Jaag 2018, S. 112–124, 342). Im traditionellen Geldsystem sind diese mit einem Teilaufgabengebiet der Zentralbank zu vergleichen, welche mit ihrem Namen und ihrem Vertrauen die Funktionsfähigkeit einer traditionellen Währung gewährleistet (Anonym 2018, S. 50; Jaag 2018, S. 82).
10.4.1.1.4 Kryptowährungsdienstleister
Vertrauen muss zudem auch dem Kryptowährungsdienstleister an den Schnittstellen des Kryptowährungssystems entgegengebracht werden (Ankenbrand 2018, S. 47; Frecè 2018, S. 126; Anonym 2018, S. 46, 82–90; Hüsler 2018, S. 157, 430–434; Jaag 2018, S. 110; Lehmann 2018, S. 57–59; Sprock 2018, S. 80). Nebst Anbietern von Exchanges und Payment Solutions sind hier auch Wallet-Anbieter betroffen. Letztere sind für die Verwaltung von Kryptowährungs-Adressen und -Transaktionen wie auch für die Erstellung von privaten Schlüsseln zuständig. Diese Aufbewahrung von digitalen Gütern, wie es auch die privaten Schlüssel sind, bedarf über einen längeren Zeithorizont ein hohes Maß an Sorgfalt (Anonym 2018, S. 86). Bei einem allfälligen Verlust des Private-Schlüssels kann kein Zugriff mehr auf die entsprechenden Kryptowährungen gewährleistet werden. Diese Aufbewahrung von Kryptowährungen kann grundsätzlich auf zwei verschiedene Arten stattfinden. Die erste Option der physischen Aufbewahrung besteht darin, dass der Systemteilnehmer sich selbstständig um die Aufbewahrung der Kryptowährungen kümmert und diese auf einem physischen Ledger Wallet oder den privaten Schlüssel alternativ in Papierform an einem sicheren Ort verwahrt. Bei der Aufbewahrung des privaten Schlüssels in einem physischen Ledger Wallet muss jedoch auch ein Vertrauen in den Hersteller der Hardware, sprich dass diese richtig funktioniert und keinen technologischen Fehler aufweist, bestehen (Anonym 2018, S. 174). Ansonsten braucht es bei dieser Variante der selbstständigen, physischen Aufbewahrung kein Vertrauen mehr in eine Drittpartei. Entscheidet sich ein Kryptowährungsbenutzer für diese Lösung, dann ist dieser selbstständig für die fachgerechte Aufbewahrung verantwortlich. Hier muss der Anwender lediglich Vertrauen in sich selbst haben und sich selbst die Aufbewahrung selbst zumuten können. Potenzielle Risiken in der physischen Aufbewahrung bestehen darin, dass der private Schlüssel verloren gehen oder gestohlen werden könnte (Anonym 2018, S. 82, 86; Jaag 2018, S. 110, 390). Diese Option kommt im traditionellen Geldsystem der Aufbewahrung von Bargeld gleich, wo der Besitzer selbstständig dafür verantwortlich ist, die Vermögenswerte gegen Diebstahl oder Verlust zu schützen (Frecè 2018, S. 186; Hüsler 2018, S. 157). Jaag (2018) und Frecè (2018) argumentieren, dass die Option der physischen Aufbewahrung von Kryptowährungen gegenüber dem Bargeld im traditionellen Geldsystem den Vorteil hat, dass Kryptowährungen über größere Distanzen ohne die Einbindung von einem Intermediär verwendet werden können. Diese Möglichkeit besteht im traditionellen Geldsystem nicht und bildet somit eine wertvolle Option (Jaag 2018, S. 390; Frecè 2018, S. 434). Inwiefern die Zahlungstransaktion jedoch ohne die Zuhilfenahme eines Anbieters aus dem Bereich Payment Solutions, welcher de facto auch als Intermediär taxiert werden kann, initialisiert werden kann, ist kritisch zu hinterfragen. Die zweite Option besteht darin, dass man für die Verwahrung der Kryptowährungen auf einen Online-Wallet-Anbieter zurückgreift. Diese Alternative bietet sich an, wenn die Systemteilnehmer das Risiko eines physischen Verlustes nicht tragen möchten. Bei dieser Variante muss der Systemteilnehmer jedoch dem Wallet-Anbieter vertrauen, dass dieser die Kryptowährungen sorgfältig und sicher aufbewahrt, keinen Missbrauch betreibt und den Systemteilnehmern den Zugriff nicht verweigert. Ein solcher Missbrauch könnte sich bspw. in Form einer böswilligen Absicht des Wallet-Anbieters äußern, indem dieser die Kryptowährungen stiehlt (Ponzi Schemes) oder die Online-Plattform durch eine Drittpartei gehackt wird und die Kryptowährungen entwendet werden (Frecè 2018, S. 186; Anonym 2018, S. 90; Hüsler 2018, S. 157; Jaag 2018, S. 52–24; Lehman 2018, S. 225). Sprock (2018) geht jedoch davon aus, dass die Wallet-Anbieter von einer nachhaltigen Geschäftstätigkeit langfristig mehr profitieren würden als in Form eines einmaligen, kurzfristigen und böswilligen Handelns. Diese ökonomischen Anreize reduzieren die Wahrscheinlichkeit von Ponzi Schemes (Sprock 2018, S. 84). Die Funktion des Wallet-Anbieters kann im traditionellen Geldsystem mit der Führung eines Geschäftsbankkontos verglichen werden. Aufgrund dieser Analogie können sich diverse Experten vorstellen, dass das Wallet Angebot, welche sich bisher mit wenigen Ausnahmen wie Swissquote auf Fintech-Unternehmen beschränken, durchaus auch ein zukünftiges Geschäftsfeld für die Geschäftsbanken bilden könnten (Ankenbrand 2018, S. 71 ff.; Frecè 2018, S. 314; Anonym 2018, S. 174; Hüsler 2018, S. 157, 161–167; Jaag 2018, S. 110, b, 186–198). Geschäftsbanken würden sich insofern für die Aufbewahrung eignen, da diese in der Wahrnehmung der Experten in der Schweiz ein hohes Vertrauen seitens der Bevölkerung genießen. Dieses Vertrauen in die Geschäftsbanken ist jedoch im internationalen Kontext nicht in jedem Land gegeben (Frecè 2018, S. 166; Anonym 2018, S. 58; Hüsler 2018, S. 157; Jaag 2018, S. 50; Kneissler 2018, S. 192).
Bei dieser zweiten Option muss also wie auch im traditionellen Geldsystem einer zentralen Institution vertraut werden, dass diese die Vermögenswerte fachgerecht und sicher aufbewahrt. Kritisch zu hinterfragen ist jedoch, ob durch dieses Szenario nicht die Vision des Bitcoin-Gründers Satoshi Nakamoto verfehlt wird.
10.4.1.1.5 Miner
Einem individuellen Miner muss kein Vertrauen geschenkt werden, da dieser lediglich die Buchführung betreiben muss und als Erlös einen Block-Reward erhält (Frecè 2018, S. 98; Hüsler 2018, S. 189; Anonym 2018, S. 50). Der Vertrauensfaktor nimmt durch die Bildung von Mining-Pools zu. Dieses Vertrauen besteht darin, dass die individuellen Miner sich nicht zu einem dominanten Mining-Pool zusammenschließen. Würde ein Mining-Pool mehr als 51 % der Rechenleistung verfügen, wäre das System bei einer entsprechenden Absprache der Miner fälschbar bzw. würde nicht mehr funktionieren. Die Dezentralität wäre in einem solchen Fall nicht mehr gegeben und die Buchführung könnte alleinig von einem Mining-Pool übernommen werden (Frecè 2018, S. 116–118, 234; Hüsler 2018, S. 161, 189; Jaag 2018, S. 258). In der Vergangenheit kam es bereits einmal zu einer solch dominanten Stellung eines Mining-Pools. Hierbei haben sich die Miner jedoch selbstständig in kleinere Mining-Pools umverteilt. Jaag (2018) und Anonym (2018) sehen darin einen Marktmechanismus und das Bestreben der Miner darin, das System aufrechtzuerhalten. Es wird argumentiert, dass diese aufgrund von ökonomischen Anreizen (Block-Reward und Transaktionsgebühren) ein Interesse daran haben, dass das System funktionsfähig bleibt (Anonym 2018, S. 66–74; Jaag 2018, S. 266). Im traditionellen Geldsystem wird die Buchführung durch eine Geschäftsbank, vorgenommen. Hier brauchen die Geschäftsbankkunden ein Vertrauen, dass die Buchführung der Geschäftsbanken korrekt vorgenommen wird. Diesen zentralen Institutionen muss vertraut werden, dass diese die Daten richtig verwalten, die Buchführung nicht fälschen und dass jederzeit Zugang zu den Vermögenswerten besteht und man nicht aus dem Bankensystem ausgeschlossen wird (Frecè 2018, S. 62; Jaag 2018, S. 50, 156).
10.4.1.1.6 Staat
Wie im traditionellen Geldsystem braucht es auch innerhalb des Kryptowährungssystem das Vertrauen in den Staat, dass dieser durch rechtliche Rahmenbedingungen die Funktionsweise der beiden Geldsysteme nicht einschränkt bzw. sogar verunmöglicht (Frecè 2018, S. 94; Anonym 2018, S. 54, 142; Hüsler 2018, S. 398; Lehmann 2018, S. 55). Im Fall von Kryptowährungen könnte der Staat bspw. aufgrund von gewissen Indizien besorgt sein, dass mit Kryptowährungen Geldwäscherei oder sonstige illegale Aktivitäten betrieben werden (Ankenbrand 2018, S. 53–63; Lehmann 2018, S. 239–275). Ein Eingriff in das System durch den Staat ist nicht möglich. Dennoch besteht die Möglichkeit, dass dieser gewisse Restriktionen oder regulatorische Maßnahmen an den Schnittstellen (Kryptowährungsdienstleister) einführt bzw. gewisse Dienstleistungen komplett verbietet. Ein derartiger Eingriff würde den Handel mit Kryptowährungen stark einschränken und für die Kryptowährungsteilnehmer unattraktiv machen. Insbesondere eine erschwerte Konvertierung in Fiat-Geld und vice versa könnte den Gebrauch von Kryptowährungen stark einschränken.
Obwohl der Staat nicht direkt in das Kryptowährungssystem eingreifen bzw. dieses regulieren kann, muss dem Staat jedoch vertraut werden, dass dieser den Handel mit Kryptowährungen an den Schnittstellen nicht einschränkt oder verbietet (Ankenbrand 2018, S. 95–99; Jaag 2018, S. 372–386; Lehmann 2018, S. 237).

10.4.1.2 Aspekt der Resilienz

Wie in der Literatur bestätigen auch die Experten, dass Kryptowährungen als Gegenpol zum traditionellen Geldsystem entwickelt wurden. Als Auslöser und Notwendigkeit eines solchen Kryptowährungssystems werden die bestehenden Probleme des traditionellen Geldsystems genannt, welche zu der Krise ab 2007 geführt haben. Von dieser Alternative zum traditionellen Geldsystem erhofft man sich eine höhere Resilienz (Ankenbrand 2018, S. 67; Anonym 2018, S. 58; Jaag 2018, S. 68–70; Sprock 2018, S. 48). Dabei stellt sich die Fragen, inwiefern man im Geldsystem überhaupt von einer Krise sprechen kann (Frecè 2018, S. 246; Hüsler 2018, S. 282, 310; Jaag 2018, S. 394). Es wird argumentiert, dass es defacto keine Geldkrise geben kann, sondern dass eine realwirtschaftliche Krise, wie bspw. die Vergabe von faulen Krediten, analog der Subprime-Krise im Jahr 2007, einen Einfluss auf die Geldwertstabilität hat (Hüsler 2018, S. 338). Da es unterschiedliche Arten, Ausprägungen und Ursprünge von Krisen geben kann, wurde sich bei der Befragung zum Aspekt der Resilienz an der Finanzkrise ab dem Jahr 2007 orientiert (vgl. Abschn. 1.1). Dabei wird insbesondere auf die in der Literatur ausgearbeiteten Probleme des traditionellen Geldsystems in der Schweiz eingegangen und untersucht, inwiefern ein Kryptowährungssystem diese reduzieren bzw. verhindern kann. Trotz dieser in der Literatur beschriebenen Probleme verfügt in der Wahrnehmung der Experten die Schweiz über ein stabiles Geldsystem, eine solide Geldpolitik und über vertrauensvolle Geschäftsbanken. Insofern wird der potenzielle Mehrwert von Kryptowährungen auf die Resilienz des Geldsystems in der Schweiz als marginal eingestuft (Ankenbrand 2018, S. 47; Frecè 2018, S. 166–170; Anonym 2018, S. 58; Jaag 2018, S. 56–62, S. 68–70; Kneissler 2018, S. 88, 216; Lehmann 2018, S. 41–47). Anders gestaltet sich der potenzielle Mehrwert von Kryptowährungen laut einigen Experten im internationalen Kontext. Entgegen der Schweiz herrscht in diversen Ländern, insbesondere in Drittweltländern, ein dysfunktionales Geldsystem. Als Beispiele werden Länder wie Venezuela und Malawi genannt. In diesem Zusammenhang wird argumentiert, dass Kryptowährungen für die Bevölkerung eine Alternative zu den lokalen Fiat-Währungen bilden könnten, um sich dem dysfunktionalen Geldsystem entziehen zu können. Hier könnte eine algorithmisch festgelegte Geldpolitik gegenüber dem durch Menschen erzeugte dysfunktionale Geldpolitik einen Mehrwert erzeugen (Frecè 2018, S. 74, 166; Hüsler 2018, S. 380–382; Jaag 2018, S. 62; Lehmann 2018, S. 93–95).
Bevor man sich der Frage stellen kann, welches Geldsystem denn nun eine höhere Resilienz aufweist, gilt es vorgängig festzuhalten, wie ein solches Kryptowährungssystem denn zukünftig ausgestaltet sein wird. Dabei besteht die Möglichkeit, dass Kryptowährungen das traditionelle Geldsystem ergänzen oder ersetzen werden. Die Mehrheit der Experten geht davon aus, dass die Kryptowährungen die staatlichen Fiat-Währungen zukünftig nicht ersetzten, sondern als Parallelwährung ergänzen werden (Frecè 2018, S. 368; Anonym 2018, S. 174; Hüsler 2018, S. 342; Jaag 2018, S. 82, 152–154, 394; Kniessler 2018, S. 202–204; Sprock 2018, S. 60). Unter Berücksichtigung dieser Ausgangslage werden diverse akademische Diskussionen geführt, ob die SNB eine Kryptowährung (z. B. SNB-Coin) herausgegeben soll und inwiefern dieser gegenüber dem traditionellen Geldsystem eine erhöhte Resilienz aufweist (Jaag 2018, S. 102–130; Frecè 2018, S. 314; Anonym 2018, S. 168–174; Hüsler 2018, S. 390). Der Grund, weshalb gerade eine Zentralbank eine Kryptowährung ausgeben könnte liegt gemäß Jaag (2018) darin, dass für die Sicherstellung einer nachhaltigen gesamtwirtschaftlichen Funktionsweise, die Kryptowährung mit entsprechenden Aktiva als Reserve hinterlegt werden müsste. Nur so kann sichergestellt werden, dass eine Kryptowährung auch werthaltig ist. Zu solch einer Hinterlegung wäre eine Nationalbank, wie bspw. die SNB in der Lage (Jaag 2018, S. 104–106, 126). Welche Probleme des traditionellen Geldsystems wie der Kontrollverlust der Zentralbank über die Geldmenge, die prozyklische Buchgeldschöpfung und die Gefahr von Bank Runs laut den Experten durch die Emission eines SNB-Coins bestehen bleiben bzw. sich reduzieren oder beseitigt werden, wird nachfolgenden kritisch diskutiert.
10.4.1.2.1 Kontrollverlust der Zentralbank über die Geldmenge
Bis dato bleibt unklar, wie ein solcher SNB-Coin technologisch, wie auch organisatorisch ausgestaltet sein könnte. Es sind von über einer fixen Geldmengenobergrenze bis hin zu einer variablen Geldmenge zahlreiche Modelle denkbar. Aufgrund der hohen Komplexität und der Neuartigkeit sollte man sich vor der Ausgabe eines SNB-Coin ausreichend Gedanken über deren Wirkung machen (Anonym 2018, S. 78, 142, 170–174; Hüsler 2018, S. 340–342; Sprock 2018, S. 108). Aufgrund dieser Ausgangslage stehen den Experten nicht ausreichende Informationen zur Verfügung, um eine abschließende Antwort darauf geben zu können, ob ein SNB-Coin das Problem eines Kontrollverlustes der Zentralbank über die Geldmenge löst. Trotzdem wird bzgl. einer potenziellen Ausgestaltung eines SNB-Coins im weiteren Verlauf von einer fixen Geldmengenobergrenze analog dem Bitcoin ausgegangen. Die Geldschöpfung erfolgt in diesem Szenario direkt durch und an das Publikum. In diesem Kryptowährungssystem kämen die traditionellen Funktionsweisen wie das zweistufige Geldsystem und das fraktionale Reservesystem mit multipler Geldschöpfung nicht zum Tragen. Der SNB-Coin würde direkt an das Publikum und nicht wie im traditionellen Geldsystem an die Geschäftsbanken ausgegeben werden. In einem solchen Szenario würde aufgrund der festgelegten Geldmengenobergrenze für die SNB kein Handlungsspielraum mehr bestehen, über diese Obergrenze hinaus weitere Geldeinheiten zu erstellen. Jaag (2018) argumentiert, dass durch eine solche Systemausgestaltung entgegen dem traditionellen Geldsystem von der SNB ausgelöste Angebotsschocks ausgeschlossen werden können. Das Risiko von Nachfrageschocks würden jedoch weiterhin bestehen bleiben (Jaag 2018, S. 400–402). Nichtsdestotrotz müsste gemäß Hüsler (2018) im laufenden Handel nebst der Wertstabilität des CHF auch jene des SNB-Coins durch eine zentrale Instanz sichergestellt werden. Insofern können Angebotsschocks nicht mehr direkt durch die SNB ausgelöst werden, aber es existiert immer noch die Möglichkeit, dass aufgrund einer Marktverunsicherung oder Marktpanik durch die Systemteilnehmer ein großes Verkaufsvolumen zu einem Angebotsschock führen kann (Hüsler 2018, S. 131–153). Trotz dem durch die Geldmengenobergrenze limitierten Handlungsspielraum der SNB im Kryptowährungssystem würde die SNB nebst der Ausgabe von Bargeld (M0) ein weiteres Geldmengensteuerungsinstrument zur Verfügung haben. Basierend auf diesem Szenario würde das Problem des Kontrollverlustes der Zentralbank über die Geldmenge reduziert werden. Dennoch handelt es sich hierbei um eine Annahme und muss an dieser Stelle aufgrund der fehlenden Informationen über die Systemausgestaltung und das Fehlen von praktischen Erfahrungen als unklar taxiert werden. Auch unklar ist, wie sich eine Gesellschaft unter einem anhaltenden deflationären Geldsystem, wie dies bei dem SNB-Coin der Fall wäre, verhalten würde (Ankenbrand 2018, S. 91; Jagg 2018, S. 62). Nebst dem potenziellen Ansatz von Kryptowährungen, das Geldsystem durch Dezentralisierung resilienter auszugestalten, findet in der Schweiz auf politischer Ebene eine Diskussion über die Vollgeldinitiative statt. Interessanterweise verspricht die Vollgeldinitiative eine höhere Resilienz des Geldsystems durch Zentralisierung, also indem die SNB mehr Macht und Kontrolle über die Steuerung der Geldmenge erhält (Frecè 2018, S. 138; Anonym 2018, S. 170; Hüsler 2018, S. 69; Lehmann 2018, S. 49–55). Insofern besteht zwischen den unterschiedlichen Vertretern von Kryptowährungen und den Vertretern der Vollgeldinitiative eine grundsätzliche Diskrepanz darüber, ob die Resilienz des Geldsystems durch Dezentralisierung oder Zentralisierung verbessert werden kann.
10.4.1.2.2 Prozyklische Buchgeldschöpfung
Anders gestaltet sich jedoch die Situation, wenn es darum geht, das Problem der prozyklischen Buchgeldschöpfung zu diskutieren. Wie auch im traditionellen Geldsystem existiert im Kryptowährungssystem die Möglichkeit, Kredite zu vergeben. Insofern besteht auch im Kryptowährungssystem die Gefahr, dass ein Kreditnehmer den aufgenommenen Kredit nicht zurückbezahlen kann. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass eine Kreditvergabe im Kryptowährungssystem entgegen dem traditionellen Geldsystem keinen Einfluss auf die Ausweitung der Geldmenge zur Folge hat. Der Grund liegt darin, dass dem Kryptowährungssystem eine andere Funktionsweise als das fraktionale Reservesystem mit multipler Geldschöpfung zugrunde liegt. Im Kryptowährungssystem erfolgt die Geldschöpfung ausschließlich aufgrund des im Kryptowährungscode festgehaltenen Algorithmus und wird durch die Miner geschöpft. Als Konsequenz davon besteht auch kein Geldschöpfungsmultiplikator. Das bedeutet, dass im Vergleich zum traditionellen Geldsystem im Kryptowährungssystem keine Möglichkeit existiert „Kryptowährungs-Buchgeld“ zu erzeugen. Infolgedessen muss im Kryptowährungssystem keine Unterscheidung zwischen den unterschiedlichen Geldmengenkategorien (M0, M1, M2, M3) vorgenommen werden. Dennoch bleibt das Risiko, dass ein Kredit nicht zurückbezahlt werden kann auch im Kryptowährungssystem bestehen. Die Folge eines solchen Kreditausfalls wird jedoch insofern reduziert, als dass aufgrund des Fehlens eines Geldschöpfungsmultiplikators im Kryptowährungssystem die sich daraus entstehenden Folgen nicht potenzieren (Frecè 2018, S. 136–162; Anonym 2018, S. 54, 94–108; Hüsler 2018, S. 171–185, 284–290; Jaag 2018, S. 120–134, S. 394).
Aufgrund dieser Systemausgestaltung besteht das im traditionellen Geldsystem inhärente Problem der prozyklischen Buchgeldschöpfung der Geschäftsbanken nicht. Obwohl dieses Problem im Kryptowährungssystem nicht existiert, basiert die Funktionalität des Kryptowährungssystems wie das traditionelle Geldsystem auf finanziellen Anreizen. Insofern sind in beiden Geldsystemen auf Wettbewerb ausgerichtete ökonomische Prinzipien vorhanden (Anonym 2018, S. 74, 206; Hüsler 2018, S. 77, 211–213; Jaag 2018b, S. 266, 326). Während interessanterweise in der Literatur diese ökonomischen Prinzipien im traditionellen Geldsystem zu der prozyklischen Buchgeldschöpfung führen und entsprechend als Problem taxiert werden, wird in der Praxis argumentiert, dass im Kryptowährungssystem durch diese ökonomischen Anreize (Block-Rewards) die Funktionalität und die Sicherheit gewährleistet wird (Jaag 2018b, S. 266, 326).
10.4.1.2.3 Bank Runs
Wie im traditionellen Geldsystem besteht auch im Kryptowährungssystem die Gefahr von Bank Runs. Die Theorie zeigt, dass Banks Runs insbesondere dann entstehen, wenn ein Vertrauensverlust des Publikums in die Währung oder in die Geschäftsbank eintritt. In der Praxis wurde ersichtlich, dass auch im Kryptowährungssystem der Aspekt des Vertrauens eine wichtige Rolle spielt. Dabei muss im Kryptowährungssystem im Vergleich zum traditionellen Geldsystem anderen Parteien und technologischen Komponenten vertraut werden. Insofern können die durch einen Vertrauensverlust ausgelösten Bank Runs auch im Kryptowährungssystem nicht vermieden werden. Ein Sonderfall bildet hierbei jedoch eine potenzielle Ausgabe einer staatlichen Kryptowährung, wie bspw. einem SNB-Coin. Entgegen dem Buchgeld im traditionellen Geldsystem würde der SNB-Coin in der Schweiz als gesetzliches Zahlungsmittel taxiert werden. Dies führt dazu, dass eine gesetzliche Pflicht zur Annahme eines SNB-Coins anfällt. Wenn der SNB-Coin auf einem physischen Ledger Wallet aufbewahrt wird, trägt der Kryptowährungsbenutzer in diesem Fall lediglich das makroökonomische Risiko (Kaufkraftrückgang). Dies ist dem Bargeld in der Schweiz gleichzusetzen. Wird der SNB-Coin jedoch bei einem Online-Wallet-Anbieter aufbewahrt, so trägt der Kryptowährungsbesitzer noch immer das spezifische, mikroökonomische Risiko eines Kreditausfalls des Online-Wallet Anbieters. Somit wäre bei einem Misstrauen gegenüber dem Kryptowährungsdienstleister auch in diesem Fall ein Bank Run auf die Online-Wallet-Anbieter nicht zu verhindern. Aus dieser Konstellation mit einer staatlich anerkannten Kryptowährung würde sich eine bisher unbekannte Option eröffnen. Im traditionellen Geldsystem war man bis anhin für das Bezahlen von größeren Geldbeträgen entweder auf nicht gesetzliches Buchgeld angewiesen oder man ließ sich den Betrag in gesetzlichem Bargeld auszahlen. Die zweite Option kann jedoch zu Mehrkosten in Bezug auf die Transportsicherheit führen. Mit einer staatlichen Kryptowährung würde neu die Möglichkeit bestehen, dass digitales Geld, den rechtlichen Status als gesetzliches Zahlungsmittel erhält. Damit bestünde neu die Möglichkeit, ein gesetzliches Zahlungsmittel elektronisch aufzubewahren und zu versenden (Anonym 2018, S. 58, 166; Hüsler 2018, S. 292–310; Jaag 2018, S. 134, 394). Was für Herausforderungen und Barrieren sowohl in der Schweiz als auch im internationalen Kontext im Umgang mit Kryptowährungen im Zahlungsverkehr bestehen, werden im nachfolgenden Kapitel kritisch diskutiert.

10.4.2 Vergleich Zahlungsverkehr

10.4.2.1 Aspekt der Vereinfachung von Zahlungstransaktionen

In der Wahrnehmung der Experten verfügt die Schweiz im Zahlungsverkehr über eine sehr leistungsfähige, durch die SIX betriebene, Finanzmarktinfrastruktur. Des Weiteren steht den Konsumenten in der Schweiz eine Vielzahl an Zahlungsinstrumenten zur Auswahl. Aufgrund dieser Ausgangslage spielen Kryptowährungen in der Wahrnehmung der Experten in der Schweiz aktuell im Zahlungsverkehr eine untergeordnete Rolle. Der Grund für diese Einschätzung liegt darin, dass Kryptowährungen gegenüber den traditionellen Zahlungsinstrumenten aktuell keinen wesentlichen Mehrwert bieten. Zudem befindet sich der Schweizer Zahlungsverkehr in einem sehr kompetitiven Umfeld, was die Eintrittsbarrieren für eine nachhaltige Etablierung von neuen Zahlungsinstrumenten stark erschwert (Frecè 2018, S. 292–294; Anonym 2018, S. 58; Hüsler 2018, S. 380–382; Kneissler 2018, S. 88, 180, 216; Lehmann 2018, S. 219–225; Sprock 2018, S. 190–192). Im Zahlungsverkehr spielt insbesondere der Netzwerkeffekt eine entscheidende Rolle. Je mehr Personen Kryptowährungen akzeptieren und je vielfältiger dies einsetzbar sind, desto wertvoller werden sie als Zahlungsmittel (Ankenbrand 2018, S. 77–79; Anonym 2018, S. 160–166; Kneissler 2018, S. 40–44). Diese kritische Größe was die Akzeptanz anbelangt, ist heute noch nicht gegeben. Dies hat auch damit zu tun, dass das Ausrollen einer flächendeckenden Hardwareinfrastruktur wie Kryptowährungsautomaten oder Bezahlterminals am Point-of-Sale sehr kostenintensiv ist. Es wird sogar davon ausgegangen, dass sich aufgrund der tiefen Transaktionsgebühren, welche die Kryptowährungen aufweisen müssten, keine Erträge damit erzielen lassen, sondern ein Verlustgeschäft darstellen würden (Hüsler 2018, S. 402; Sprock 2018, S. 150–152; Kneissler 2018, S. 42–44). Nebst dieser wirtschaftlichen Hürde verfügen die Kryptowährungen, wie bspw. Bitcoin, über diverse Probleme bzw. Limitationen. Trotz dieser Probleme bzw. Limitationen herrscht bei den Experten eine positive Grundstimmung was neue technologische Verfahren anbelangt, um diese bestehenden Probleme bzw. Limitationen zu lösen. Es wird argumentiert, dass es sich bei Bitcoin um einen Testversuch handelt und das darauf aufbauend durchaus das Potenzial besteht, dass bessere und anwendungs- und zielgerichtetere Kryptowährungen entstehen werden (Frecè 2018, S. 166, 174–178, 394; Anonym 2018, S. 36–38; Hüsler 2018, S. 386).
Wenn davon ausgegangen werden kann, dass sich die Kryptowährungen technologisch weiterentwickeln werden, so sieht Anonym (2018) trotz einer gut ausgebauten Finanzmarktinfrastruktur und der Vielzahl an vorhandenen Zahlungsinstrumenten, für Kryptowährungen einen Anwendungsfall in der Schweiz im Bereich des Micropayments. Er geht davon aus, dass sich die Art und Weise, wie heute Rechnungen gestellt werden, zukünftig verändern wird. Als Beispiel nennt er Dienstleistungen im Internet wie die Verwendung von Webcams in einem Skigebiet und Temperatur- und Wetterabfragen. Diese Dienstleistungen werden aktuell noch kostenlos zur Verfügung gestellt. Er kann sich vorstellen, dass derartige kostenlose Dienstleistungen durch die zukünftige Möglichkeit, Kryptowährungen Micropayments durchzuführen, kostenpflichtig gemacht werden könnten. So würde man für den Gebrauch solcher Dienstleistungen bspw. 1 Rappen pro Minute bezahlen. Nebst der Möglichkeit, bisher kostenlos zur Verfügung gestellte Dienstleistungen neu kostenpflichtig auszugestalten, würde auch die Möglichkeit bestehen, bereits bestehende kostenpflichtige Angebote kostentechnisch anders zu strukturieren. Als Beispiel könnte man sich vorstellen, dass zukünftig nicht mehr eine ganze Zeitung gekauft werden muss, sondern dass man die Möglichkeit hätte, spezifische Zeitungsartikel zu lesen und lediglich für diesen Artikel anstelle für die ganze Zeitung zu bezahlen. Auch müssten bspw. die Parkplatzgebühren nicht mehr halbstündlich bezahlt werden, sondern könnten zukünftig nach dem effektiven Gebrauch abgerechnet werden. Zudem werden Anwendungsbeispiele in der Musikbranche angeführt, wo mittels Kryptowährungen die Möglichkeit bestehen würde, die Künstler direkt zu bezahlen ohne dass dabei ein Intermediär, wie aktuell bspw. Apple oder Spotify, zwischengeschaltet werden müsste. Somit könnte sichergestellt werden, dass die Bezahlung direkt an die Künstler erfolgt und dass von diesen Gebühren kein Teilbetrag mehr an die erwähnten Dienstleister abgetreten werden müsste. Derartige Zahlungslösungen könnten mit Kryptowährungen sehr einfach implementiert werden (Anonym 2018, S. 182). Bisher kostenlose Dienstleitungen zukünftig kostenpflichtig auszugestalten, dem steht der ehemalige COO/Mitgründer des Micropayment Unternehmens milliPay Systems AG Sprock (2018) kritisch gegenüber. Dabei ist er mit Anonym (2018) einig, dass eine technologische Implementierung eines Mircopayment-Systems kein Problem darstellt. Hingegen sieht er viel mehr ein Problem im Geschäftsmodell. Als Beispiel wird die Einführung einer Plastiktütengebühr der Detailhändler von 5 Rappen erwähnt. Nach der Einführung dieser Gebühr sei der Bezug der Plastiktüten stark zurückgegangen. Genau diesen Fall habe er beim Start-up milliPay Systems AG auch erlebt. Die Tatsache, dass der Preis einer Dienstleistung oder eines Gutes von kostenlos auf 1 Rappen oder einen Bruchteil eines Rappens erhöht wird, wird in der subjektiven Wahrnehmung des Konsumenten maximal teurer, sodass oftmals gänzlich darauf verzichtet wird und eine Verhaltensänderung (man bringt seine eigene Plastiktüte mit) bevorzugt wird. Deshalb ist er bzgl. des Erfolgs eines Micropayment-Systems, welches darauf abzielt, bisher kostenlos zur Verfügung gestellte Dienstleistungen neu kostenpflichtig auszugestalten, skeptisch gegenüber eingestellt (Sprock 2018, S. 116). Nebst diesem potenziellen Anwendungsfeld des Micropayments wurden von den Experten keine weiteren Einsatzgebiete im Zahlungsverkehr von Kryptowährungen in der Schweiz genannt.

10.4.2.2 Grenzüberschreitender Zahlungsverkehr

Nebst der Auffassung der Experten, dass Kryptowährungen in der Zahlungslandschaft Schweiz einen untergeordneten Stellenwert einnehmen bzw. einnehmen werden, sind die Experten der Auffassung, dass im internationalen Kontext ein Anwendungsfall für die Vereinfachung von Zahlungstransaktionen besteht. Wie in der Theorie wird auch in der Praxis der internationale Zahlungsverkehr, insbesondere außerhalb von Europa und in Drittweltländern, als langsam und kostenintensiv klassifiziert (Frecè 2018, S. 282–290; Anonym 2018, S. 150; Jaag 2018, S. 74; Kneissler 2018, S. 100–104, 192; Lehmann 2018, S. 69–71).
Entgegen dem nationalen, besteht im internationalen, Zahlungsverkehr nach Kneissler (2018), ein konkretes Kundenbedürfnis, diese Zahlungen effizienter auszugestalten. Dabei wird kritisch hinterfragt, ob Kryptowährungen für diese Problemlösung tatsächlich das richtige Instrument darstellen oder diese das bestehende Problem bzw. die Limitation nicht allenfalls sogar noch verkomplizieren (Kneissler 2018, S. 104, 176). Dem stimmt Sprock (2018) zu, denn auch er ist sich nicht sicher, ob Kryptowährungen im internationalen Zahlungsverkehr tatsächlich das richtige Problem bzw. die Limitation adressieren (Sprock 2018, S. 140). Auch Lehmann (2018) und Frecè (2018) zweifeln daran, ob Kryptowährungen eine geeignete Lösung für das Problem bzw. die Limitation darstellen. In ihrer Wahrnehmung wurden die internationalen Zahlungsverkehrsanbieter bisher noch nicht von neuen Anbietern herausgefordert. Entsprechend habe man sich im traditionellen Markt unter den bestehenden internationalen Zahlungsanbietern arrangiert. Sie gehen davon aus, dass, wenn ein substanzieller Teil der Auslandzahlungen über Kryptowährungen durchgeführt werden würde, durchaus Handlungsspielraum bei den traditionellen Anbietern bestehen würde, um sowohl die Kosten wie auch die Geschwindigkeit von internationalen Zahlungstransaktionen zu reduzieren. Diese vorhandenen Probleme bzw. Limitationen im traditionellen internationalen Zahlungsverkehr würden sich ihrer Auffassung nach nicht auf technologische Limitationen beziehen, sondern auf das kommerzielle Eigeninteresse der Zahlungsanbieter. Ihrer Meinung nach sei dieser Handlungsspielraum noch so groß, dass die potenziell vorhandenen Kosten- und Geschwindigkeitsvorteile von Kryptowährungen wieder aufgehoben werden könnten. Insofern gehen sie nicht davon aus, dass Kryptowährungen einen nachhaltigen und substanziellen Marktanteil im internationalen Zahlungsverkehr erreichen können. Der Vorteil von Kryptowährungen bestehe jedoch darin, dass die traditionellen Zahlungsanbieter herausgefordert werden würden und diese dazu gezwungen wären, ihr Geschäftsmodell zu überdenken bzw. ihre Dienstleistungen effizienter und kostengünstiger auszugestalten (Lehmann 2018, S. 69; Frecè 2018, S. 294). Ein Beispiel dafür ist, dass Western Union auf die Kryptowährungen reagiert hat, indem sie die Preise für ihren Service angepasst hat (Frecè 2018, S. 134, 270–278).
Trotz dieser Bedenken wird argumentiert, dass Kryptowährungen insbesondere den Vorteil bieten, dass die Kryptowährungszahlungen auch tatsächlich beim Endbegünstigten ankommen (Anonym 2018, S. 150; Kneissler 2018, S. 126–128). Um eine Kryptowährungszahlung zu empfangen, werden lediglich ein Mobiltelefon mit Internetzugang sowie eine Online-Wallet benötigt. Dieser Zugang sei bei einem Großteil der Bevölkerung, auch in Drittweltländern, gegeben. Dabei hat sich insbesondere anhand der Einführung der Mobile-Payment-Lösung M-Pesa in Kenia gezeigt, dass in Drittweltländern durchaus mit den neuen Technologien umgegangen werden kann (Ankenbrand 2018, S. 135; Hüsler 2018, S. 412–418; Jaag 2018, S. 164–168, 222–258; Kneissler 2018, S. 134–136; Sprock 2018, S. 138–140). Insofern wird das Problem der Experten in diesem Anwendungsfall weniger im Umgang mit Kryptowährungen gesehen, sondern vielmehr wie in der Schweiz in der mangelnden Akzeptanz und der fehlenden Hardware-Infrastruktur. Die Problematik besteht darin, dass wenn der Begünstige in einem Drittweltland die Kryptowährungen empfangen hat, er diese aufgrund des Fehlens eines Geschäftsbankenkontos nicht in lokales Fiat-Geld umtauschen kann. Zudem besteht aktuell aufgrund der fehlenden Hardware-Infrastruktur am Point-of-Sale auch die die Möglichkeit, mit den Kryptowährungen Waren einzukaufen. Das heißt, der Umtausch von Kryptowährungen in reale Werte gestaltet sich in Drittweltländern sehr schwierig (Hüsler 2018, S. 428–430; Jaag 2018, S. 176–186; Kneissler 2018, S. 104; Sprock 2018, S. 152, 160). Als denkbarer Lösungsansatz wird erwähnt, dass ein Institut mit einem flächendenkenden Filialnetz einen kostenpflichtigen Service anbieten könnte, Kryptowährungen in Fiat-Währungen und vice versa zu tauschen. Als denkbare Beispiele werden Western Union oder das Filialnetz eines Detailhändlers (Kioskreihe) vorgeschlagen. Bei einem solchen Szenario wäre durch das Filialnetz ein großer Skalierungseffekt vorhanden, was für eine breitere Akzeptanz sorgen könnte (Jaag 2018, S. 242; Hüsler 2018, S. 432–434; Frecè 2018, S. 294).

10.4.2.3 Unbanked People

Nebst dem Vorteil, dass Kryptowährungen Menschen in Drittweltländern ohne Geschäftsbankenkonto die Möglichkeit gibt, Kryptowährungszahlungen zu senden und zu empfangen, wird als zusätzlicher Nutzen auch die Wertaufbewahrung erwähnt. Da die Unbanked People über kein Geschäftsbankenkonto verfügen, wird deren Vermögen entweder in Form von realen Gütern oder in Form von Bargeld aufbewahrt. Es wird argumentiert, dass bei einem solchen Verhalten ein erhöhtes Diebstahlrisiko besteht und dass die Wertaufbewahrung in Form von Kryptowährungen dieses reduzieren würde, (Frecè 2018, S. 62; Hüsler 2018, S. 75–77; Jaag 2018, S. 222, 236–242). In der Wahrnehmung von Lehmann (2018) wird durch die Sicherheitsvorkehrung eines privaten Schlüssels seiner Meinung nach das Diebstahlrisiko gegenüber dem Bargeld reduziert. Er gibt jedoch zu bedenken, dass auch bei Kryptowährungen nebst dem Risiko, dass jemand sich durch Erpressung oder eine sonstige Bedrohung Zugang zu den Kryptowährungen verschaffen könne, zusätzlich noch das Diebstahlrisiko durch Hackerangriffe auf den Online-Wallet-Anbieter hinzukommt (Lehmann 2018, S. 83 ff.). Nichtsdestotrotz bieten Kryptowährungen abseits des traditionellen Geldsystems die Möglichkeit, ohne regulatorische Anforderungen wie Ausweisdokumente etc. die finanzielle Inklusion zu erhöhen und sich zudem einem dysfunktionalen Geldsystem zu entziehen Als Beispiele werden Länder wie Venezuela und Malawi genannt. Hier könnte eine algorithmisch festgelegte Geldpolitik gegenüber der durch Menschen erzeugten, dysfunktionalen Geldpolitik einen Mehrwert erzeugen (Frecè 2018, S. 74, 166; Hüsler 2018, S. 380–382; Jaag 2018, S. 62; Lehmann 2018, S. 93–95).
Inwiefern der Staat eine solche Koexistenz neben der lokalen Fiat-Währung toleriert, ist kritisch zu hinterfragen. Auch wenn die Kryptowährung per se nicht reguliert werden kann, kann der Staat den Schnittstellen Restriktionen auferlegen. Eine solche Handhabung wäre durchaus denkbar, denn es bestehen oftmals auch Restriktionen, was den Besitz von anderen Fiat-Währungen, abgesehen von der lokalen Fiat-Währung anbelangt (Kneissler 2018, S. 168–172). Uneinigkeit herrscht jedoch unter den Experten in der Frage, ob durch eine derartige finanzielle Inklusion, wie in der Theorie beschrieben, auch die Wohlfahrt eines Landes erhöht wird. Sowohl Kneissler (2018) wie auch Jaag (2018) argumentieren, dass sich durch die Möglichkeit am Handel teilzunehmen, die Wohlfahrt erhöhen würde (Kneissler 2018, S. 174, 176; Jaag 2018, S. 162, 434–442). Hüsler (2018) kann sich nicht vorstellen, dass durch die finanzielle Inklusion der Handel erhöht wird. Er gibt zu bedenken, dass die entsprechenden Realgüter immer noch ausgetauscht werden müssen. Insofern sieht er keine direkte Beziehung zwischen finanzieller Inklusion und einer Wohlfahrtssteigerung (Hüsler 2018, S. 436–458). Nebst der Verwendung von Kryptowährungen in Drittweltländern gibt Frecè (2018) zu bedenken, dass auch in den anderen Ländern in Europa gewisse Minderheiten keinen Zugang zu einem Geschäftsbankenkonto erhalten. Dabei wird das Beispiel genannt, dass es aktuell für einen in der Schweiz lebenden Amerikaner, aus regulatorischen Gründen, sehr umständlich ist, ein Geschäftsbankenkonto in der Schweiz zu eröffnen. Derartige Restriktionen gestalten die Abwicklung von Zahlungstransaktionen, wie bspw. das Bezahlen der Miete, die Krankenkassenzahlungen oder den Erhalt der Lohnzahlungen, als sehr umständlich (Frecè 2018, S. 58, 322–338). Trotz dieser genannten potenziellen Anwendungsfälle im nationalen und internationalen Kontext gilt es an dieser Stelle nochmals zu erwähnen, dass aktuell immer noch zahlreichen Probleme bzw. Limitationen, wie bspw. eine erhöhte Wechselkursvolatilität, Skalierungsprobleme, tiefe Benutzerfreundlichkeit etc., bestehen. Bevor diese Probleme nicht gelöst werden, sind sämtliche erwähnten Anwendungsfälle in der Praxis zurzeit nicht anwendbar.
Im Folgenden werden die zentralen drei Hypothesen bzw. Forschungsfragen auf Basis der Analyse beantwortet.

10.4.3 Hypothese 1: Wie im traditionelle Geldsystem bedarf auch das Kryptowährungssystem an Vertrauen

Bereits in der Theorie kann erahnt werden, dass die vom Bitcoin-Erfinder Satoshi Nakamoto gemachte Aussage, dass Kryptowährungen ohne Vertrauen auskommen, relativiert werden muss (P2P-Foundation 2018).
Im Rahmen der vorliegenden empirisch-qualitativen Studie bestätigen sämtliche befragten Experten, dass auch im Kryptowährungssystem genauso wie im traditionellen Geldsystem, Vertrauen benötigt wird (Ankenbrand 2018; Frecè 2018; Anonym 2018; Hüsler 2018; Jaag 2018; Kneissler 2018; Lehmann 2018; Sprock 2018). Die gewonnenen Erkenntnisse zum Thema Vertrauen wurden systematisiert und in einem Vergleich in der Abb. 10.7 dargestellt.
Es wird deutlich, dass das Kryptowährungssystem im Vergleich zum traditionellen Geldsystem einer neuen Vertrauensebene bedarf. Die Aufgabe der Zentralbank (1), Geldpolitik zu betreiben, die Fälschungssicherheit der Banknoten zu gewährleisten und mit ihrem Ruf für das Funktionieren der Fiat-Währung einzustehen, wird im Kryptowährungssystem durch den Kryptowährungscode, das kryptografische Verfahren und die Entwickler ersetzt (1). Somit wird im Kryptowährungssystem ein Teil des sozialen Vertrauens in die Ebene des technologischen Vertrauens verschoben. Die Rolle der Geschäftsbanken (2), die Buchführung durchzuführen und unter anderem das Vermögen sicher aufzubewahren, wird im Kryptowährungssystem von den Minern und den Kryptowährungsdienstleistern übernommen (2). Lediglich die Rolle des Staates bleibt in beiden Geldsystemen bestehen (3). Im traditionellen Geldsystem muss insgesamt drei Akteuren vertraut werden, im Kryptowährungssystem verschiebt sich dies aufgrund der gewünschten Dezentralität auf insgesamt vier Akteure und zwei technologische Komponenten. Somit lässt sich die Hypothese wie folgt beantworten:
Hypothese 1: Wie im traditionellen Geldsystem bedarf auch das Kryptowährungssystem an Vertrauen
Wie das traditionelle Geldsystem bedarf auch das Kryptowährungssystem an Vertrauen. Das Vertrauen im Kryptowährungssystem verschiebt sich im Vergleich zum traditionellen Geldsystem auf andere Akteure und auf eine technologische Ebene.
Ob nun das traditionelle Geldsystem oder das Kryptowährungssystem das vertrauensvollere System darstellt, kann aufgrund der subjektiven Komponenten nicht abschließend festgehalten werden. Dieser Fragestellung könnte in weiterführenden quantitativen Forschungen, speziell der Nutzer bzw. der Bevölkerung, genauer nachgegangen werden. Eine mögliche Hypothese könnte lauten:
Das traditionelle Geldsystem stellt im Vergleich zum Kryptowährungssystem das vertrauensvollere Geldsystem dar.

10.4.4 Hypothese 2: Das Kryptowährungssystem ist gegenüber dem traditionellen Geldsystem resilienter

Durch die Literaturanalyse ließen sich die Probleme im traditionellen Geldsystem in drei Hauptprobleme unterteilen. Dies sind namentlich der Kontrollverlust der Zentralbank über die Geldmenge, die prozyklische Buchgeldschöpfung und die Gefahr von Bank Runs.
Durch die geführten Experteninterviews sollte herausgefunden werden, ob die genannten Probleme durch ein Kryptowährungssystem gelöst werden und dadurch im Vergleich zum traditionellen Geldsystem resilienter sind. Die Abb. 10.8 zeigt, welche Probleme im traditionellen Geldsystem, bspw. durch die Emission einer staatlichen Kryptowährung (z. B. SNB-Coin), gelöst werden könnten.
Es hat sich gezeigt, dass sowohl das traditionelle Geldsystem wie auch das Kryptowährungssystem eines Vertrauenskonzeptes bedürfen. Dies führt dazu, dass im Kryptowährungssystem die Gefahr von Bank Runs bestehen bleibt. Bei einem allfälligen Vertrauensverlust werden die Kryptowährungen verkauft und in eine andere, vertrauenswürdigere Währung konvertiert. Im Gegensatz dazu kann im Kryptowährungssystem das Problem der prozyklischen Buchgeldschöpfung gelöst werden. Wie im traditionellen Geldsystem basiert die Durchführung der Geldschöpfung auch im Kryptowährungssystem auf finanziellen Anreizen. Der Unterschied besteht darin, dass das Kryptowährungssystem nach einer anderen Funktionsweise als das fraktionale Reservesystem mit multipler Geldschöpfung funktioniert. Demnach besteht im Kryptowährungssystem keine Möglichkeit, die Geldmenge durch Kreditvergabe über die im Kryptowährungscode vorgesehene Anzahl der Geldeinheiten zu erhöhen. Eine Möglichkeit der Behebung des Kontrollverlustes der Nationalbank wäre die Ausgabe einer eigenen Kryptowährung (bspw. SNB-Coin). Unklar bleibt dabei aber, inwiefern die Zentralbank durch die Emission eines SNB-Coins den Kontrollverlust über die Geldmenge reduzieren kann. Fakt ist, dass diese nebst der Ausgabe von Bargeld ein weiteres Instrument zur Steuerung der Geldmenge M0 erhält. Aufgrund der Neuartigkeit, fehlender Informationen und Praxiserfahrung, können die makroökonomischen Folgen einer Emission eines SNB-Coins zum aktuellen Zeitpunkt nur sehr schwer abgeschätzt werden. Insbesondere ist auch kritisch zu betrachten, dass zwischen den unterschiedlichen Vertretern von Kryptowährungen und bspw. der Vollgeldinitiative eine grundsätzliche Diskrepanz in der Frage besteht, ob die Resilienz des Geldsystems durch Dezentralisierung oder Zentralisierung verbessert werden kann.
Trotz dieser in der Literatur erwähnten Probleme im Geldsystem, verfügt die Schweiz in der Wahrnehmung der Experten über ein stabiles Geldsystem, eine solide Geldpolitik und über vertrauenswürdige Geschäftsbanken. Aufgrund dieser Ausgangslage wird in der Praxiswahrnehmung davon ausgegangen, dass Kryptowährungen für die Erhöhung der Resilienz des Geldsystems in der Schweiz eine untergeordnete Rolle einnehmen werden. Nichtsdestotrotz scheint es durchaus vorstellbar, dass eine staatliche Kryptowährung ein Teil der in der Literatur angesprochenen Probleme im traditionellen Geldsystem lösen könnte. Dennoch besteht durch ein derartiges Experiment die Gefahr, dass durch die Lösung eines bestehenden Problems neue Probleme entstehen. Aus diesem Grund muss die Hypothese 2 wie folgt beantwortet werden:
Hypothese 2: Das Kryptowährungssystem ist gegenüber dem traditionellen Geldsystem resilienter
Für eine Beantwortung der Hypothese 2 fehlen klare Kriterien und eine nachvollziehbare Abgrenzung zum Thema Krise in einem Geldsystem. Zudem müsste genauer untersucht werden, wie die Ausgestaltung einer staatlichen Kryptowährung sowohl technologisch als auch organisatorisch funktionieren würde. Aufgrund der Neuartigkeit und der fehlenden Informationen und Praxiserfahrung kann die Hypothese nicht abschließend beantwortet werden.
Um den Grad der Unsicherheit reduzieren zu können, sollten vorgängig in einer weiterführenden Forschung bspw. die folgenden Hypothesen beantwortet werden:
  • Eine Geldsystemkrise beruht immer auf realwirtschaftlichen Faktoren.
  • Die Resilienz eines Geldsystems wird durch Dezentralität und nicht durch Zentralität erhöht.
  • Die Ausgabe eines resilienten SNB-Coins wird nicht durch einen Algorithmus definiert.
  • Ein resilienter SNB-Coin wird durch eine Private-Blockchain gewährleistet.
Des Weiteren könnte aufgrund der thematischen Abgrenzung dieser Ausarbeitung auf den Wirtschaftsstandort Schweiz sowie der Einschätzung der Experten eine genauere Betrachtung der Auswirkung von Kryptowährungen auf Länder mit einem dysfunktionalen Geldsystem interessant sein. Eine mögliche Hypothese für weiterführende Forschungen könnte sein:
Kryptowährungen erzielen in Ländern mit einem dysfunktionalen Geldsystem einen Mehrwert für die Einwohner.

10.4.5 Hypothese 3: Gegenüber dem traditionellen Zahlungsverkehr vereinfachen Kryptowährungen die Umsetzung von Zahlungstransaktionen

Wie in der Literatur bestätigten auch die Experten, dass der schweizerische Zahlungsverkehr sehr effizient ausgestaltet ist. Dies wird insbesondere auf die sehr leistungsfähige Finanzmarktinfrastruktur sowie auf die große Auswahl an Zahlungsinstrumenten zurückgeführt. Viele Handlungsfelder werden bereits sehr gut durch Bargeld, Debit-/Kreditkarte, E-Banking, Mobile Payment und P2P-Zahlungen abgedeckt. Aufgrund dieser Ausgangslage wird in der Expertenwahrnehmung keine Notwendigkeit bzw. kein Bedürfnis nach einem zusätzlichen Zahlungsinstrument in der Schweiz gesehen. Zusätzlich zum kompetitiven Umfeld kommt bei den Kryptowährungen hinzu, dass zahlreiche Probleme bzw. Limitationen bestehen. Aufgrund dieser Probleme bzw. Limitationen im Zahlungsverkehr werden Kryptowährungen primär als Spekulationsobjekt eingesetzt. Deshalb wird zum aktuellen Zeitpunkt in der Expertenwahrnehmung die Umsetzung von Zahlungstransaktionen durch Kryptowährungen nicht vereinfacht.
Die Mehrheit der Experten ist jedoch optimistisch gestimmt, dass diese Probleme zukünftig gelöst werden können. Wenn dieses Szenario eintreten würde und alle Probleme bzw. Limitationen gelöst werden könnten, dann wird der Bereich des Micropayments als einzig mögliches zukünftiges Einsatzgebiet von Kryptowährungen genannt. Ansonsten werden von den interviewten Experten keine weiteren mehrwertschaffenden Einsatzmöglichkeiten von Kryptowährungen in der Schweiz erwähnt.
Anders gestaltet sich die Situation im internationalen Kontext. Die Experten sehen Potenzial darin, dass Kryptowährungen dazu beitragen könnten, den internationalen Zahlungsverkehr zu vereinfachen. Der Grund liegt darin, dass entgegen dem nationalen Zahlungsverkehr der internationale Zahlungsverkehr sowohl was die Transferkosten wie auch die Transfergeschwindigkeit anbelangt, ineffizient ausgestaltet ist. Hier besteht im Vergleich zum nationalen Zahlungsverkehr ein konkretes Bedürfnis. Dabei bestehen die Ineffizienzen laut den Experten nicht aus technologischen Problemen bzw. Limitationen, sondern aus ökonomischen Gründen ist seitens der Zahlungsanbieter kein Anreiz vorhanden, diesen Service kundenfreundlicher auszugestalten. Hier besteht die Möglichkeit, dass Kryptowährungen als Konkurrenz zu den bestehenden internationalen Zahlungsanbietern zukünftig zur Lösung dieser Ineffizienzen beitragen könnten. Laut den Experten wurden die internationalen Zahlungsverkehrsanbieter in diesem Geschäftsfeld nur selten von neuen Anbietern herausgefordert.
In diesem Zusammenhang könnten Kryptowährungen dazu beitragen, dass die traditionellen Zahlungsdienstleister ihre Services anpassen werden, sodass der durch Kryptowährungen potenziell erzielte Geschwindigkeits- und/oder Kostenvorteil wieder kompensiert werden könnte. Als erste Reaktion auf die Kryptowährungen und als Anzeichen für diesen Handlungsspielraum wird die Gebührenreduktion von Western Union erwähnt.
Ein weiteres Szenario könnte sein, dass Kryptowährungen für Unbanked People die Option darstellen, überhaupt an einem Zahlungsverkehrssystem teilzunehmen. Auch hier könnten Kryptowährungen zukünftig einen entsprechenden Mehrwert bieten. Basierend auf diesen Erkenntnissen kann die Hypothese 3 wie folgt beantwortet werden:
Hypothese 3: Gegenüber dem traditionellen Zahlungsverkehr vereinfachen Kryptowährungen die Umsetzung von Zahlungstransaktionen
Gegenüber dem traditionellen Zahlungsverkehr vereinfachen Kryptowährungen die Umsetzung von Zahlungstransaktionen zum aktuellen Zeitpunkt in der Schweiz nicht. Dennoch verfügen Kryptowährungen im Bereich des Micropayments im internationalen Zahlungsverkehr und bei den Unbanked People über das Potenzial, zukünftig die Umsetzung von Zahlungstransaktionen zu vereinfachen.
Aufgrund des Hauptfokus dieser Ausarbeitung auf den Wirtschaftsstandort Schweiz wäre es interessant herauszufinden, ob Kryptowährungen bereits heute in Ländern mit einer schlechter ausgebauten Finanzmarktinfrastruktur, wo viele Unbanked People existieren, einen Mehrwert erzielen können. Somit könnte eine weiterführende Hypothese wie folgt lauten:
Kryptowährungen erzielen in Drittweltländern einen höheren Mehrwert als in Industrieländern.

10.5 Fazit

Seit der Erfindung von Bitcoin am 31.Oktober 2008 hat sich der Kurs um ein Vielfaches erhöht, allerdings bei einer hohen Volatilität. Diese hohe Kursvolatilität, das politische Image und das Disruptionspotenzial haben zu einem erhöhten Interesse der Medien und der Bevölkerung geführt. Diese anhaltende Euphorie bringt insofern einen Nachteil mit sich, als dass eine Diskrepanz zwischen Hype und Realität von Kryptowährungen besteht. Aus diesem Grund wurde zusammenfassend, basierend auf der Theorie und der Empirie, ein Vergleich der Vor- und Nachteile von Kryptowährungen gegenüber dem traditionellen Währungssystem mit Fokus auf den Wirtschaftsstandort Schweiz erstellt, welcher in Abb. 10.9 dargestellt ist.
Die Empirie hat gezeigt, dass die von Satoshi Nakamoto gemachte Aussage, dass Kryptowährungen ohne Vertrauen auskommen, hinterfragt werden muss. Die Experteninterviews haben gezeigt, dass beide Geldsysteme Vertrauen brauchen. Das Vertrauen kann dabei in staatliches, soziales und technologisches Vertrauen unterteilt werden. Der Hauptunterschied besteht darin, dass ein Teil des Vertrauens in das menschliche Handeln (soziales Vertrauen) im traditionellen Geldsystem durch die Gesetze der Mathematik (technologisches Vertrauen) im Kryptowährungssystem ersetzt wird. Konkret wird die Aufgabe der Zentralbank, im traditionellen Geldsystem Geldpolitik zu betreiben und die Fälschungssicherheit der Banknoten zu gewährleisten, im Kryptowährungssystem durch den Kryptowährungscode und das kryptografische Verfahren ersetzt. Dies führt dazu, dass das Kryptowährungssystem im Gegensatz zum traditionellen Geldsystem über eine zusätzliche Vertrauensebene, namentlich dem technologischen Vertrauen verfügt. Des Weiteren verschiebt sich das Vertrauen innerhalb des sozialen Vertrauens auf andere Akteure. So wird die Rolle der Geschäftsbanken, die Buchführung und u. a. das Vermögen aufzubewahren, im Kryptowährungssystem durch die Miner und die Kryptowährungsdienstleister ersetzt. Des Weiteren verschiebt sich der Ruf der Zentralbank, für die Fiat-Währung einzustehen, im Kryptowährungssystem auf die Entwickler.
Die Vorteile des Kryptowährungssystems gegenüber dem traditionellen Geldsystem liegen darin, dass aufgrund der Funktionsweise und der Geldmengenobergrenze keine Möglichkeit zur prozyklischen Buchgeldschöpfung besteht und die Geldmenge nicht beliebig erhöht werden kann. In der Wahrnehmung der Experten verfügt die Schweiz dank einer soliden Geldpolitik und vertrauenswürdigen Geschäftsbanken über ein stabiles Geldsystem. Aufgrund dieser Wahrnehmung wird der potenzielle Mehrwert einer staatlichen Kryptowährung (z. B. SNB-Coin) zur Erhöhung der Resilienz in der Schweiz als marginal eingestuft. Auch wenn durch ein SNB-Coin gewisse Probleme des traditionellen Geldsystems gelöst werden könnten, besteht in einem solchen Experiment eine hohe Unsicherheit darin, ob durch die Lösung eines Problems nicht neuartige Probleme entstehen und dadurch allenfalls die Krisenanfälligkeit nicht sogar noch erhöht wird. Aufgrund der Neuartigkeit von Kryptowährungen und den beschränkten Praxiserfahrungen kann an dieser Stelle nicht abschließend festgehalten werden, ob das Kryptowährungssystem oder das traditionelle Geldsystem resilienter ist.
Ein Vorteil von Kryptowährungen im Zahlungsverkehr liegt darin, dass eine Zahlungstransaktion dezentral abgewickelt werden kann. Dennoch muss für eine Initialisierung und das Empfangen einer Zahlungstransaktion wieder auf einen Kryptowährungsdienstleister zurückgegriffen werden. Aufgrund der vertrauenswürdigen Geschäftsbanken wird der Mehrwert einer solchen dezentralen Zahlungstransaktion in der Schweiz als marginal eingestuft. Nebst diesem Vorteil verfügen die Kryptowährungen jedoch über diverse Probleme bzw. Limitationen, welche die Verwendung als Zahlungsmittel stark erschweren. Aus diesem Grund vereinfachen Kryptowährungen die Abwicklung von Zahlungstransaktionen in der Schweiz zum aktuellen Zeitpunkt nicht. Die Experten sind jedoch zuversichtlich, dass die Mehrheit dieser Probleme bzw. Limitationen durch neue technologische oder organisatorische Verfahren gelöst werden können. Trotzdem sieht die Mehrheit der Experten in der Schweiz aufgrund der effizienten Finanzmarktinfrastruktur und der Vielfalt an Zahlungsinstrumenten kein großes Bedürfnis nach einer weiteren Zahlungslösung. In einem solchen Szenario besteht dennoch das Potenzial, dass Micropayments effizienter durchgeführt und im internationalen Zahlungsverkehr die grenzüberschreitenden Zahlungstransaktionen vereinfacht sowie die finanzielle Inklusion der Unbanked People erhöht werden könnte.
Abschließend kann festgehalten werden, dass Kryptowährungen in der Schweiz aktuell primär als Spekulationsobjekt und weniger als Zahlungsmittel verwendet werden. Gerade dieser Spekulationsgedanke und das Disruptionspotenzial der zugrunde liegenden Blockchain-Technologie führen zu einer Diskrepanz zwischen Hype und Realität. Es ist kritisch anzumerken, dass hohe Erwartungen an die Kryptowährungen bestehen, jedoch noch kaum vorzeigbare Lösungen vorliegen. Zudem stellt sich die Frage ob Kryptowährungen für die obengenannten potenziellen Einsatzgebiete die zielführendste Lösung bilden oder die Probleme nicht mit einem anderen Lösungsansatz sogar noch zielgerichteter gelöst werden könnten. Die zukünftige Hauptherausforderung von Kryptowährungen liegt darin, ein tatsächliches Problem zu lösen und sich von einem Disruptionspotenzial hin zu einer nachhaltigen und mehrwertsteigernden Innovation zu entwickeln.
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Metadaten
Titel
Kryptowährungen
verfasst von
Tobias Wenger
Kim Oliver Tokarski
Copyright-Jahr
2020
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-26960-9_10