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28.05.2013 | Marketing + Vertrieb | Interview | Online-Artikel

Unternehmen schlecht auf die digitale Revolution vorbereitet

verfasst von: Isabel Kiely

9 Min. Lesedauer

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Karl-Heinz Land und Prof. Dr. Ralf T. Kreutzer sind die Autoren von "Digitaler Darwinismus". Im Interview prophezeien sie erschreckende wirtschaftliche Konsequenzen für Unternehmen, die sich nicht ausreichend an die aktuellen Veränderungen anpassen – und raten zu kundenzentrischem Denken.

Springer für Professionals: Worum genau geht es beim Konzept des digitalen Darwinismus?

Karl-Heinz Land: Vergleichbar mit der Evolutionstheorie sind es auch in der Wirtschaft nicht die großen und/oder intelligenten Unternehmen, welche die digitale Welle überleben werden. Lediglich diejenigen Unternehmen, die in der Lage sind, sich am schnellsten an die sich ändernden Gegebenheiten, Geschäftsmodelle und wandelndes Kundenverhalten anzupassen, werden aus den aktuellen Veränderungen (auch ’Disruptive Change’/’zerstörerische Veränderung’ genannt) als Sieger hervorgehen. Das Motto dabei lautet: “Adapt or die!“

Ralf T. Kreutzer: Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, dass in vielen Unternehmen die Chancen und Risiken, die mit der Digitalisierung und der zunehmenden Macht der sozialen Medien verbunden sind, noch nicht umfassend gesehen werden. Gerade hat der Vorstandsvorsitzende von Rewe, Alain Caparros, in einem Interview bekannt: „Wir haben die Entwicklung und vor allem die Geschwindigkeit der Veränderungen im Internet unterschätzt. Darauf können wir wirklich nicht stolz sein“. Ein sehr ehrliches Statement – aber auch ein vermeidbares. Wir wollen durch unser Werk zum „Digitalen Darwinismus“ die Aufmerksamkeit – insb. von Top und Middle Management – auf die sich abzeichnenden Herausforderungen lenken. Damit sich die Unternehmen frühzeitig mit den Herausforderungen beschäftigen. Denn eines ist sicher: Die notwendigen Anpassungsprozesse werden langwierig und in vielen Fällen auch schmerzhaft sein. Je früher man mit dem notwendigen Change Management startet, desto geschmeidiger können diese Prozesse laufen – weil agiert und nicht alleine reagiert wird.

Welches sind die größten Herausforderungen für Marketingverantwortliche in den nächsten Jahren?

Kreutzer: In Studien werden immer wieder vier große Herausforderungen genannt, die Unternehmen zu bewältigen haben: Big Data, Social Media, das sich kontinuierlich verändernde Kundenverhalten und die Vielzahl von Kanälen und Instrumenten, die für die Kommunikation mit den Kunden zur Verfügung stehen.

Land: Angesichts von Big Data können wir von einem regelrechten Daten-Tsunami sprechen. Das für Unternehmen und Kunden zugreifbare Informationsangebot steigt exponentiell. Dies ist auch einer der Ursachen, warum wir in vielen Bereichen eine abnehmende Marken- und Produktloyalität feststellen müssen.

Wie gut sind die Unternehmen auf diese Herausforderungen vorbereitet?

Land: Die Unternehmen in Deutschland sind mehrheitlich sehr schlecht auf die digitale Revolution vorbereitet. Ähnlich wie die Internetwelle, werden viele Unternehmen in Deutschland auch die Digitale und Social Media Welle viel zu spät erkennen. Die negativen wirtschaftlichen Konsequenzen für Deutschland werden erschreckend sein.

Kreutzer: Erstaunlich sind dabei zwei Dinge: Zum einen fühlen sich die für die Bewältigung der aufgezeigten Herausforderungen in erster Linie verantwortlichen CMOs mehrheitlich schlecht auf diese vorbereitet. Es fehlt hier in vielen Fällen noch an Ideen, wie die sich abzeichnenden Veränderungen zum Wohle des Unternehmens gestaltet werden können. Zum anderen muss festgestellt werden, dass sich die digitale und soziale Veränderung schon längst nicht mehr durch „schwache Signale“ ankündigt. Umfassende Entlassungen bei AmericanExpress und MediaMedia Markt, die Schließung von Dutzenden Filialen bei Commerzbank, Thalia und Goertz zeigen überdeutlich, dass Unternehmen schon massiv betroffen sind. Die in vielen Unternehmen noch anzutreffende Marketing-Myopie i. S. einer Marketing-Kurzsichtigkeit, gilt es ganz schnell zu überwinden! Viel zu häufig wird die eigene – positive wie negative – Betroffenheit durch die sich abzeichnenden Veränderungen nicht erkannt.

Wie kann es Unternehmen gelingen, sich an die sich schnell und radikal ändernden Marktbedingungen anzupassen?

Kreutzer: Alle Unternehmen kommen nicht umhin, sich an der Guideline von “Listen – Learn – Act – Control” zu orientieren. Viele Unternehmen starten heute noch in die sozialen Medien, ohne vorher geprüft zu haben, welche Angebote, welche Plattformen und insb. welche Inhalte für die eigenen Kunden und Interessenten relevant sind. Das heißt, dass das „Listen“ vielfach deutlich zu kurz kommt. Die Frage nach der Relevanz aus Kundensicht ist aber die entscheidende Voraussetzung dafür, dass das oben angesprochene „Engagement der Kunden“ tatsächlich auch erreicht wird. Sonst senden die Unternehmen – und keiner hört zu! Diese „Learn“-Phase ist vielfach noch zu kurz, bevor gehandelt wird („Act“). Und leider stellen wir auch immer wieder fest, dass „Control“ häufig auch eher stiefmütterlich behandelt wird.

Land: Dabei muss doch gelten: “Customer first and mobile first". Wir müssen uns in Deutschland folglich noch stärker darum bemühen, kundenzentrisch zu denken. Nur was dem Kunden Nutzen stiftet und ihn auf allen Kanälen bequem erreicht, wird zu mehr Marken-, Produkt- und letztendlich Kundenloyalität führen. Gleichzeitig müssen wir den Trend zur mobilen Nutzung von Inhalten berücksichtigen. Das Smartphone entwickelt sich schon heute immer stärker zum Mobile Service Terminal – und immer mehr Nutzer greifen mobil auf das Internet zu. Die Kernfrage für die Unternehmen lautet deshalb: Wie kann ich mit relevanten Inhalten auf die mobilen Plattformen kommen?

Viele Unternehmen haben Angst, beim Engagement in den sozialen Medien Fehler zu machen. Was raten Sie diesen Unternehmen?

Land: Viele Unternehmen weigern sich aus Angst vor negativen Folgen – hier ist insbesondere der berühmte „Shitstorm“ gemeint – eine aktive Rolle in den sozialen Medien, etwa bei Facebook, LinkedIn, Twitter oder Pinterest einzunehmen. Dabei gilt jedoch: Nur weil ich mich als Unternehmen selbst nicht auf diesen Plattformen bewege, heißt das nicht, dass dort nicht bereits intensiv über mein Unternehmen und meine Marke gesprochen wird. Meine Marke und mein Unternehmen sind auf sozialen Plattformen häufig bereits Gesprächsgegenstand – ob ich das als Unternehmenschef möchte oder nicht, interessiert dabei keinen einzigen Nutzer!

Kreutzer: Dabei gilt, dass 75 Prozent des Inhalte, die heute über Produkte und Unternehmen verbreitet werden, schon nicht mehr von den Unternehmen selbst kommen. Sie sind vielmehr Teil des sogenannten User-Generated-Content und stammt aus der Feder der Kunden oder anderer interessierter Personen. Und das mindeste, was Unternehmen tun müssen, ist Zuhören („Listen“). Deshalb ist es erstaunlich oder sogar erschreckend, dass nach einer Studie von BITKOM aus dem Jahr 2012 nur 10% der Unternehmen ein Social-Media-Monitoring einsetzen. Hier wird aus unserer Sicht sträflich vernachlässigt, zumindest „Zuzuhören“, was insbesondere die Kunden über uns zu berichten haben.

Die traditionelle Customer Journey kann vereinfacht mit der klassischen AIDA-Formel dargestellt werden Gilt die klassische AIDA-Formel auch heute noch?

Kreutzer: Das Käuferverhalten hat sich dramatisch verändert. Deshalb sollten wir statt von AIDA jetzt die Formel ASIDAS verwenden. Wenn potenzielle Kunden auf unser Angebot aufmerksam geworden sind („A“ für Attention), dann schließt sich jetzt vielfach ein umfassender Online-Suchprozess an. Deshalb muss die AIDA-Formel hier um ein „S“ für Search ergänzt werden. Deshalb müssen Unternehmen zunächst wissen, was die potenziellen Kunden über unsere Produkte und Services dort finden werden. Dann geht es darum, auf den relevanten Bewertungsplattformen möglichst mit guten Bewertungen zu glänzen. Wer als Unternehmen in den Augen der Kunden nicht performt, wird es in Zukunft immer schwerer haben, dies zu verstecken!

Land: Dann schließt sich – hoffentlich – die Phase von Desire und Action an. Aber damit ist der Prozess aber vielfach noch nicht beendet. Die vorgenannten Bewertungen sind das Ergebnis eines Sharing-Prozesses. Deshalb ist am Ende noch ein „S“ für Share zu ergänzen. Was hier nur nach der Ergänzung von zwei Buchstaben hin zu ASIDAS aussieht, hat aber dramatische Auswirkungen auf den aktuellen und zukünftigen Erfolg von Unternehmen. Ein weiterer Treiber für „Change“.

Welche Bedeutung kommt dem Empfehlungsmarketing vor dem Hintergrund der "digitalen Revolution" zu und was heißt das für Unternehmen?

Land: In einer Welt des ’Informations-Tsunami’ wird es für den Konsumenten immer schwerer, über alles informiert zu sein. Deshalb kommt Empfehlungen in Zukunft eine viel größere Rolle zu. Unsere These lautet deshalb: “The Future of Search is Recommendation“. Wir meinen damit, dass Empfehlungen von Freunden und Bekannten aus sozialen Netzen, von Empfehlungsportalen wie Tripadvisor und Holidaycheck sowie die sogenannten Empfehlungs- und Recommendation-Engines in Zukunft die eigenständige Suche weiter ergänzen bzw. sogar ersetzen werden.

Kreutzer: Gut nachvollziehbar ist, dass nach einer aktuellen Studie von Nielsen bei der Glaubwürdigkeit die Empfehlungen der Freunde an erster Stelle stehen. Aber bereits an zweiter Stelle stehen die genannten Online-Empfehlungen von unbekannten Dritten. Und diese Empfehlungen haben einen dramatischen Einfluss auf das Kaufverhalten der Kunden. Deshalb müssen wir diese als Unternehmen im Auge behalten.

Warum ist „Vertrauen“ Ihrer Meinung nach die neue Währung in Marketing und Management?

Kreutzer: „Vertrauen“ ist die Voraussetzung dafür, dass mir der Kunde Daten zur Verfügung stellt, dass ich Permissions zur Ansprache per E-Mail und Telefon und dass ich Zugang zu Zahlungswegen erhalte. Unternehmen, die ihr Vertrauenspotenzial verspielen, werden es in Zukunft noch schwer haben. Gerade auch, weil Kunden öffentlich über den „Entzug von Vertrauen“ kommunizieren. Deshalb empfehlen wir, die Customer Touch Points zu Customer Trust Points weiterzuentwickeln.

Land: Was ist der Hintergrund hierfür? Im traditionellen Markt, in welchem nur verteilt wurde bzw. der Verdrängungswettbewerb nicht hoch war, spielte der Kunde keine große Rolle. Ein unzufriedener Kunde wurde dementsprechend auch kaum gehört. Durch die Demokratisierung von Macht über die sozialen Medien hat sich diese Situation gründlich verändert. Ein einzelner Kunde kann heute, wie auch die Beispiele in unserem Buch zeigen, ganze Unternehmen unter Druck setzen und dazu führen, dass diese Produkte nach wenigen Tagen auf dem Verkehr ziehen. Dies war etwa beim Otto-Versand mit dem T-Shirt für junge Mädchen mit dem Aufdruck „In Mathe bin ich Deko“ der Fall. Die Kunden dominieren immer stärker in der Kommunikation und können Unternehmen heute schon vor sich hertreiben.

Wie verändert sich das Marketing vor dem Hintergrund der digitalen Revolution?

Land: Unsere Prognose ist, dass sich Marketing immer stärker zum Service entwickeln muss. Ein individueller Service kann aber nur geboten werden, wenn uns der Kunde vertraut und seine Präferenzen mitteilt. Nur dann wird eine gezielte Werbung möglich, die der Kunde tatsächlich als Service und nicht als ungewollten Spam empfindet.

Kreutzer: Wir sehen, vor den Unternehmen liegen große Herausforderungen. Damit diese Schritt für Schritt bearbeitet werden können, haben wir unser Werk in kleine, gut lesbare Kapitel aufgeteilt. Und in jedem Kapitel gibt es ThinkBoxen, die zum Nachdenken anregen und dazu motivieren sollen, unmittelbar über einen Transfer des Gelesenen ins Tun sicherzustellen. Denn das ist die Aufgabe des Managements.

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