Überschüssiger regenerativer Strom wird derzeit meist abgeregelt. Dieser könnte jedoch genutzt werden, etwa für Power-to-X. Doch die Potenziale reichen nicht aus, die Verfahren sind nicht wirtschaftlich.
Ist das Netz ausgelastet und lassen sich Wind- und Solarstrom nicht einspeisen, wird dieser Strom zur Erhaltung der Netzstabilität einfach abgeregelt. "[…] dies führt zunehmend dazu, dass entsprechende Stromerzeugungsspitzen nicht genutzt werden können und aufwändig kompensiert werden müssen. Diese theoretisch nutzbaren, aber nicht genutzten Strommengen werden als markt- oder netzbasierter "Überschussstrom" bezeichnet", beschreiben dies die Springer-Autoren Sebastian Drünert, Ulf Neuling, Sebastian Timmerberg und Martin Kaltschmitt in ihrem Zeitschriftenbeitrag Power-to-X (PtX) aus „Überschussstrom“ in Deutschland – Ökonomische Analyse auf Seite 173.
Dabei wäre dieser Strom theoretisch nutzbar. Eine mögliche Variante wäre die Nutzung mittels Power-to-X-Technologien (PtX). Der überschüssige Strom verwandelt dabei in Elektrolyseuren Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff. Der Wasserstoff wiederum wäre entweder in seiner Reinform nutzbar, etwa für die chemische Industrie, in Brennstoffzellen oder als ergänzender Brennstoff im Erdgasnetz, oder eben zu Kohlenwasserstoffen zu verarbeiten. Diese wiederum sind gut speicherbar, verfügen über eine vorhandene Logistik und könnten meist problemlos im Mobilitätssektor als Ersatz für Benzin, Kerosin oder Diesel dienen.
Nur halbes Prozent Potenzial
Doch dieser Weg scheint sich immer mehr als Irrweg herauszustellen. Denn die derzeitigen Potenziale an Überschussstrom reichen bei weitem nicht aus, um auch nur nennenswerte Mengen an PtX-Brennstoffen herzustellen. In Deutschland werden jedes Jahr rund 0,5 Prozent der gesamten erzeugten Strommenge abgeregelt. Das entspricht in etwa 5 Terawattstunden (TWh). Rechnet man einen 70-prozentigen Wirkungsgrad der Elektrolyseure hinzu, würden 3,5 TWh an Wasserstoff entstehen. Bei einer Umwandlung zu Kohlenwasserstoffen wäre der Wirkungsgrad noch schlechter, und damit auch die Ausbeute. Der Gesamtbedarf für die Mobilität liegt in Deutschland jedoch bei gut 768 TWh im Jahr. Die Überschuss-PtX-Potenziale würden also gerade mal ein halbes Prozent am gesamten Energieverbrauch abdecken können.
Hinzu kommt noch die mangelnde Wirtschaftlichkeit des Verfahrens. Elektrolyseure brauchen Laufzeiten von mindestens 1.500 Jahresstunden, ideal sind 3.000 Jahresstunden für einen wirtschaftlichen Betrieb. Bei einer reinen Nutzung von Überschuss würden diese Zeiten nie und nimmer erreicht, da eine Korrelation zwischen der Menge des abgeschalteten Stromes und den Zeiten, in denen dieser abgeschaltet wird, besteht. Wenn also nur 0,5 Prozent der Strommenge abgeregelt werden, steht dieser Strom auch nur in 0,5 Prozent der Zeit zur Verfügung. Bei 8.600 Jahresstunden wären das rund 430 Stunden – zu wenig für einen wirtschaftlichen Betrieb. Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass es bei den derzeitigen Rahmenbedingungen rund 5.000 Jahresarbeitsstunden bräuchte, um zumindest bei der Produktion von Wasserstoff halbwegs kostendeckend zu sein.
Für derzeitige PtX-Anlagen wäre sogar ein negativer Strompreis nötig, um sie überhaupt wirtschaftlich betreiben zu können. Doch auf negativen Strompreisen kann man allein aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen heraus kein Geschäftsmodell aufbauen. Denn Produzenten, die für ihr Produkt kein Entgelt erhalten oder sogar für dessen Abnahme noch zuzahlen müssen, werden sich über kurz oder lang vom Markt verabschieden oder ihr Modell entsprechend verändern. Daran würde auch ein Wegfall staatlicher Umlagen auf Strom für PtX nichts ändern. Der Strombezugspreis wäre immer noch zu hoch.
Eigene Erzeugung sinnvoller
Es gibt zwar Überlegungen, die Elektrolyseure dort zu errichten, wo der meiste Überschussstrom auch kontinuierlich anfällt – also in den Küstenregionen sowie in Schleswig-Holstein. Doch selbst das würde die Potenziale nicht steigern, sondern begrenzen. Letztlich bliebe nur, für die Elektrolyseure eigene Erzeugungskapazitäten für erneuerbaren Strom aufzubauen. Doch dann bräuchte es auch keinerlei Überlegungen zur Nutzung des Überschussstromes mehr.
"Die absoluten Mengen, die über ein Jahr anfallen, mögen zunächst sehr groß erscheinen, sind jedoch regional weit verteilt und an einem Standort nur zeitlich begrenzt verfügbar. Aufgrund der aktuell hohen Investitionskosten sind Installationen, die vor allem auf sonst nicht nutzbare Strommengen zurückgreifen, ökonomisch nicht sinnvoll. […] Dies ist energiewirtschaftlich bis auf weiteres nicht darstellbar", beschreiben dieses Dilemma die Springer Vieweg-Autoren Stephan Stollenwerk, Jens Kanacher und Frank-Detlef Drake in ihrem Buchkapitel Strom und erneuerbare Kraftstoffe – gemeinsame Lösung für die Verkehrswende auf Seite 143.