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25.04.2021 | Polymerwerkstoffe | Schwerpunkt | Online-Artikel

Wie sich Mikro- und Nanoplastik aus Wasser entfernen lässt

verfasst von: Dieter Beste

6 Min. Lesedauer

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Winzige Kunststoffpartikel kontaminieren die Umwelt. Forscher versuchen mit Hochdruck deren immer noch unbekanntes Gefährdungspotenzial zu verstehen – und fanden jetzt einen innovativen Weg, Mikro- und Nanoplastik aus Wasser zu entfernen.

Schaut man sich das Schicksal der weltweit hergestellten Produkte aus Polymerwerkstoffen an, ist das Resultat erschreckend, gibt Andreas Fath in seiner Einleitung zu "Mikroplastik kompakt" zu bedenken: "Seit dem Beginn der Massenproduktion von Kunststoffprodukten sind 6,3 Mrd. Tonnen Plastik produziert worden (2015) mittlerweile sind es bereits 8,3 Mrd. (2017). Nur 9 % davon wurden recycelt und 12 % verbrannt. Die restlichen 79 % landen auf Deponien in der Umwelt oder sind noch in Gebrauch." Kunststoffe haben je nach Typ eine Verrottungs- bzw. Zersetzungszeit von 450 Jahren bis unbestimmt: "Wohin ist also der ganze Rest verschwunden", fragt Fath rhetorisch und gibt selbst die Antwort: "Einiges des sogenannten "missing plastic" ist in die Tiefsee gesunken, hat sich im arktischen Eis agglomeriert, wurde wieder an Strände angespült oder hat die Mägen von Millionen von Meerestieren pro Jahr gefüllt, die daran zugrunde gingen."

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Die aus dem Zerfall von Kunststoffen in der Umwelt verbleibenden Partikel messen teils nur wenige Tausendstel oder sogar Millionstel Millimeter, wobei die Risiken dieser Substanzen für den menschlichen Organismus weitgehend unbekannt sind, denn es fehlen bislang belastbare Daten als Grundlage für eine Risikobewertung. Hier setzt das am 1. April 2021 gestartete Projekt "Polyrisk" an, das vom EU-Programm Horizon 2020 mit 5,9 Millionen Euro gefördert wird. Es soll in den kommenden vier Jahren mögliche Risiken von Mikro- und Nanoplastik grundlegend erforschen. Auf deutscher Seite ist unter anderem die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) an Polyrisk beteiligt.

Die BAM forscht nach eigenen Angaben seit mehreren Jahren zu Mikroplastik und hat ein neuartiges und schnelleres Nachweisverfahren für die Polymerpartikel in Umweltproben entwickelt sowie die weltweit ersten Referenzmaterialien in diesem Forschungsthema. "Für Polyrisk werden wir insbesondere unsere Test- und Referenzmaterialien für Mikroplastik weiterentwickeln und solche für Nanoplastik ganz neu herstellen", sagt Korinna Altmann von der BAM. "Sie sind die Voraussetzung, um validierte Methoden für die Probenentnahme und -bewertung entwickeln zu können und damit die Grundlage für die empirische Datenerhebung." Zuerst soll an der BAM ein Referenzmaterial für Polyethylen (PET) entstehen, das beispielsweise für Trinkflaschen verwendet wird. In Ergänzung zu Polyrisk fördert die EU im Rahmen von Horizon 2020 das Projekt "Plasticsfate", das ebenfalls mit 5,9 Millionen Euro Fördermitteln ausgestattet ist. Auch für dieses EU-weite Konsortium wird die BAM neue Referenzmaterialien für Mikro- und Nanoplastik umfassend physikalisch und chemisch charakterisieren. 

Offene Fragen und komplexe Zusammenhänge

Kunststoff-Verschmutzung in der Umwelt ist inzwischen ein prominentes Thema in der öffentlichen Diskussion. In ihrem Zeitschriftenartikel "Warum eine Risikoabschätzung und Grenzwertsetzung für Mikrokunststoffe in der aquatischen Umwelt problematisch ist" unternimmt Maria Fürhacker den Versuch, vorhandene Informationen und Kenntnisse, aber auch offene Fragen über die komplexen Zusammenhänge von Mikroplastik in der Umwelt zusammenzuführen und definiert:

Mikroplastik (MP) ist jener Teil des Gesamtplastiks dessen Partikelgrößen zwischen Makroplastik (>5mm) und Nanoplastik (Partikel kleiner als 1μm bzw. kleiner als 100 nm), bei jedenfalls <5mm liegt, wobei die untere Größenbegrenzung noch immer nicht konsistent definiert ist."

Man unterscheide zwischen primärem (Typ A und B) und sekundärem MP. "Unter dem primären MP-Typ A versteht man MP-Partikel, die in dieser Größe produziert wurden und in Produkten z. B. Peelings, Zahnpasten oder Putzpasten, inclusive Luftstrahlmedien, eingesetzt werden. Primäres MP Typ B entsteht bei der Nutzung, z. B. durch Abrieb wie Fasern aus Kleidung oder Partikel aus Reifen. Sekundäres MP wird während oder nach Gebrauch von Kunststoffen durch Fragmentierung größerer Plastikstücke in immer kleinere Teilchen unbeabsichtigt freigesetzt." Diese sekundären Kunststoffpartikel zersetzen sich nicht, sondern werden lediglich in einem langsamen mechanischen Fragmentierungsprozess immer kleiner. 

Suche nach der Nadel im Heuhaufen

Aus Untersuchungen von Gewässerproben des Rheins geht hervor, dass die Anzahl der Mikroplastikpartikel umgekehrt proportional zu deren Partikeldurchmesser ansteigt, berichtet Andreas Fath im Buchkapitel "Mikroplastik". Somit befänden sich in unserer Umwelt eine unzählbare Anzahl von Nanoplastikpartikeln. "Eine Filtration, um in Gewässern Nanoplastikpartikel nachzuweisen, ist mit einem erheblicheren technischen und zeitlichen Aufwand verbunden als das mit Mikroplastik bereits der Fall ist. Dies kommt der vielzitierten Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleich, denn kleinste Kunststoffteilchen müssen aus einem hohen Anteil von Biomasse isoliert und analysiert werden. Eine Reinigung von mit Mikroplastik belasteten Gewässern stellt eine bislang unlösbare Aufgabe dar, sodass an die Entfernung von Nanoplastik aus der Luft, dem Boden oder den Gewässern noch gar nicht gedacht wird" (Seite 229).

Die SPIONs-Idee

Klassische Methoden wie die Filtration werden also vermutlich nicht zur Lösung des Mikro- und Nanoplastik-Problems beitragen können. Aber wie so häufig bei innovativen Technikentwicklungen, führen gedankliche Umwege über traditionelle Fachgrenzen hinweg zum Ziel: Forscher der Universität Erlangen-Nürnberg konnten jetzt zeigen, wie sich Plastikpartikel unterschiedlicher Sorten und Größen mithilfe von SuperParamagnetic Iron Oxid Nanoparticles (SPIONs) aus dem Wasser entfernen lassen. SPIONs haben eine Größe von weniger als 50 Nanometer und werden bislang eigentlich deshalb weltweit intensiv untersucht, um sie etwa in der Krebstherapie und -diagnostik zu nutzen oder auch zur Verstärkung von Magnetresonanz-Signalen bei Bildgebungsanwendungen.

Das Forscherteam um die Professoren Marcus Halik (Department Werkstoffwissenschaften, Interdisziplinäres Zentrum für Nanostrukturierte Filme – IZNF), Dirk Zahn (Professur für Theoretische Chemie, Computer Chemistry Center – CCC), Erdmann Spiecker (Department Werkstoffwissenschaften, Center for Nanoanalysis and Electron Microscopy (CENEM) sowie Christoph Alexiou (Sektion für Experimentelle Onkologie und Nanomedizin (SEON) der Hals-Nasen-Ohren-Klinik) nutzt SPIONs nun, um mit ihrer Hilfe Plastikpartikel in Größen von 100 nm bis 970 nm aus Wasser zu entfernen. Wie die Forscher aktuell in der Fachzeitschrift "Materials Today" berichten, konnten sie die Oberflächen der SPIONs derart modifizieren, dass die winzigen Nanoteilchen mit den größeren Plastikpartikeln wechselwirken und mit ihnen verklumpen. Der verblüffende Trick – in einem Video festgehalten –, diese Aggregate aus Nanoplastik und Eisenoxid lasse sich mit einem Magneten aus dem Wasser herausholen. 

Magnetische Wasserreinigung – Option für die Praxis

Bahnbrechend an diesem Konzept sei, so die Wissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg, dass durch die Oberflächenfunktionalisierung die SPIONs sogar derart eingestellt werden können, dass bestimmte Kunststoffsorten bevorzugt anbinden. Dabei sei das Konzept so variabel, dass auch eine Breitband-Effizienz für Mischungen von Nanoplastik erreicht werde – wie in der Umwelt vorfindbar. Der wissenschaftliche Hintergrund dieser Wechselwirkungen, so Marco Sarcletti, Erstautor der Studie, beziehe sich hauptsächlich auf entgegengesetzte Oberflächenladungen der SPIONs und der Plastikpartikel.

In einer eigens für magnetische Nanopartikel entwickelten Teststrategie konnten die Forscher zudem zeigen, dass die verwendeten SPIONs nicht toxisch sind – ein fundamentaler Befund für eine spätere praktische Anwendung. Auch wenn sich wohl nicht alle 1,4 Milliarden Kubikkilometer Wasser auf der Erde auf diese Weise von Mikro- und Nanoplastik werden reinigen lassen – Marcus Halik ist zuversichtlich. Er arbeitet an einer Skalierung und schließlich technischen Umsetzung der magnetischen Wasserreinigung mit dem Ziel, "den zukünftigen Eintrag, der im Wesentlichen über Flüsse erfolgt, zu minimieren."


 

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