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15.04.2014 | Produktion + Produktionstechnik | Interview | Online-Artikel

„Digitale Vorreiter erzielen mehr Umsatz“

verfasst von: Andreas Nölting

8:30 Min. Lesedauer

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Auf der Hannover-Messe sprachen kürzlich Manager und Ingenieure selbstbewusst von der vierten industriellen Revolution und skizzierten ihre Visionen von der „Industrie 4.0“. Eine Umfrage des Beratungsunternehmens Prophet zeigt allerdings, dass sich sechs von zehn Mitarbeitern persönlich besser auf die digitale Zukunft vorbereitet sehen als ihre Arbeitgeber.

Springer für Professionals: Warum tun sich die Manager mit der neuen digitalen Welt so schwer?

Felix Stöckle: Viele Unternehmen sind große Tanker. Für diese Unternehmen bedeutet die Digitale Revolution eine der größten Veränderungen der letzten Jahrzehnte, wenn nicht sogar die größte Veränderung überhaupt. Ich mag zwar das Schlagwort ‚Digitale Revolution’ selber nicht mehr hören, aber das Ausmaß der notwendigen Transformation spricht am Ende für sich. Überall entstehen neue Möglichkeiten und Kanäle, um mit Kunden zu interagieren und Wachstum zu erzielen. Das alles geschieht in einer Geschwindigkeit, die viele Manager überfordert. Gleichzeitig sind die Konsequenzen für die Unternehmensorganisationen und die Menschen in diesen Unternehmen gewaltig. Geschäftsmodelle sowie alle internen Abläufe müssen neu definiert werden und große Investitionen getätigt werden. Vor allem: Die Führungskräfte müssen die Mitarbeiter mitnehmen, den Weg der notwendigen Veränderung zu gehen. Aber Veränderungen dieses Ausmaßes machen den Menschen Angst. Viele Mitarbeiter zweifeln, ob sie in der neuen Welt mithalten können und bangen um ihren Arbeitsplatz.

Wie wird die digitale Revolution „Industrie 4.0“ traditionelle Geschäftsmodelle verändern?

Viele Manager dachten lange, dass es im Rahmen der Digitalisierung eher um neue Kommunikationskanäle wie Social Media geht. Aber das ist viel zu kurz gesprungen. Die Digitale Revolution hat zunehmend Einfluss auf die Geschäftsmodelle fast ausnahmslos aller Unternehmen und die gesamte Art und Weise, wie sie konkret ihr Geschäft betreiben. Den zum Teil dramatischen Veränderungen sind bereits viele einst erfolgreiche Unternehmen wie Kodak und Polaroid oder Quelle und Neckermann zum Opfer gefallen. Selbst Technologieriesen wie Sony und Nokia oder HP und Dell straucheln. Denn mit den sich bietenden neuen digitalen Möglichkeiten verändern sich auch Kundenbedürfnisse, -verhalten und -interaktion.

Im Industriebereich müssen Unternehmen ihren Kunden daher künftig durch neue, digital erweiterte Angebote einen höheren Mehrwert liefern. Dies kann auf mehreren Ebenen stattfinden: Zum einen geht es darum, digitale Technologien zu nutzen, um die eigenen Produkte intelligenter, effizienter und produktiver zu machen – beispielsweise im Rahmen der Maschinensteuerung und -überwachung durch Fernwartung oder die Auswertung von Maschinendaten zum Zwecke des Benchmarking.

Die zweite Ebene ist, die digitale Anreicherung der Produkte und Dienstleistungen der eigenen Industriekunden für deren Endabnehmer zu ermöglichen – das heißt zum Beispiel eine Steuerungselektronik für ein Fahrzeug so zu gestalten, dass es für das Automobilunternehmen einfach ist, eine plattformunabhängige Smartphone-Einbindung für seine Endkunden zu realisieren. Bei der heutigen Fertigungstiefe im Automobilbereich wird dies immer mehr zur Aufgabe der Zulieferer auf Industrieseite.

Die dritte Ebene ist die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Unternehmen. Die Interaktion zwischen Unternehmen und ihren Kunden in der Industrie (B2B) besteht heute immer noch zu 80 Prozent aus menschlicher Interaktion. Damit sind in erster Linie die Vertriebs- und Außendienstmitarbeiter, der technische Kundendienst etc. gemeint. Auch hier lassen sich viele Prozesse im Rahmen der Digitalisierung effizienter gestalten, Generalisten können einfacher auf Spezialwissen zurückgreifen, Bestellprozesse und Supply Chain können vereinfacht werden etc.


Aber etablierte Großkonzerne können sich ja nicht einfach von heute auf morgen neu erfinden, oder?

In allen beschriebenen Fällen sprechen wir eher von „Digital Enrichment“ – also der digitalen Erweiterung bzw. Anreicherung bestehender Produkte und Services. Denn anders als bei jungen Start-ups, die mit einem weißen Blatt Papier starten können, geht es bei etablierten Playern eben nicht darum, alles Bisherige radikal zu ersetzen, sondern darum, die Möglichkeiten zu nutzen, um sinnvolle digitale Dienstleistungen oder Produkte in die Wertschöpfungskette zu integrieren und so Leistungsangebot und Prozesse schrittweise zu optimieren. Gleichzeitig gilt es immer wieder strategisch zu bewerten, inwiefern ein rein digitales Geschäftsmodell eine echte Gefahr für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens darstellt und welche Zugangsbarrieren in einem Markt tatsächlich bestehen. Die Geschichte von Kodak sollte hier als mahnendes Beispiel dienen, Start-ups und technologische Veränderungen nicht zu unterschätzen. Oft sind die Zugangsbarrieren deutlich geringer, als es sich manch etablierter Großkonzern gerne eingestehen möchte. Und je niedriger die Barrieren, umso vehementer und radikaler muss ein Unternehmen gegensteuern und die Veränderung suchen – oder Gefahr laufen, mittel- bis langfristig unterzugehen.

Wer da nicht mithält, wird aus dem Business katapultiert?

Wie gut ist Ihr Arbeitgeber auf die digitale Zukunft vorbereitet?

(Prophet-Umfrage unter 1.000 Arbeitnehmern)

Trifft
zu
Trifft
nicht zu

Mein Unternehmen ist schon sehr weit auf die digitalen

Herausforderungen eingestellt.

60%

40%

Die digitale Strategie meines Arbeitgebers ist allen unseren

Mitarbeitern bekannt.

52%

48%

Unsere Kollegen werden regelmäßig in Zukunftstechnologien

geschult.

38%

62%

Unser Unternehmen hat sich bereits sehr geschickt in sozialen

Netzwerken eingebunden.

45%

55%

Privat bin ich auf dem Weg in die digitale Zukunft schon weiter

als mein Arbeitgeber.

62%

38%

Ja, wir nennen diese Auslese auch „Digitalen Darwinismus“. Nur die Unternehmen überleben, die in der Lage sind, sich schnell genug an veränderte Kundenbedürfnisse anzupassen und die technologische Entwicklung bzw. Veränderung nachzuvollziehen, die notwendig ist, um eine führende Marktstellung langfristig zu sichern. Für diesen Kraftakt werden sie allerdings reichlich belohnt. Und dies ist nicht irgendein Berater-Bla-Bla, sondern lässt sich durch eine Studie des MIT Centers for Digital Business („The Digital Advantage“) belegen. Digitale Vorreiter erzielen mehr Umsatz, sind deutlich profitabler und besitzen einen höheren Firmenwert als die jeweilige Peer Group.

Wie stehen die deutschen Konzerne im internationalen Vergleich dar?

Nicht gerade überragend. Das Gros der Unternehmen bewegt sich laut "Digital Readiness Index" international im unteren Mittelfeld. Relativ weit bei wichtigen digitalen Themen wie der Vernetzung mit Kunden und der Nutzung von Social Media sind demnach die Automobil- und Modeindustrie. Dies zeigt sich bei den Automobilherstellern durch die zunehmende technologische Integration in die Fahrzeuge (Internet of Things) ebenso wie in neuen digitalen Geschäftsmodellen wie DriveNow von BMW. Spannender ist aber, was zum Beispiel in der Modewelt passiert. Wer denkt, das Live-Streaming der Modeschauen von Burberry im Internet sei lediglich ein kommunikativer PR-Gag, hat noch nicht verstanden, dass durch die direkte Ordermöglichkeit der Einzelhandel umgangen und das Feedback der Kunden dazu benutzt wird, um die Produktionsstückzahlen und Distribution zu steuern. Dies reduziert die Notwendigkeit von Rabattaktionen und Schlussverkäufen, weil Wochen später genau die Ware im Laden hängt, welche die höchste Kundenresonanz erzielt hat. Dies ist ein erstklassiges Beispiel dafür, wie die Digitalisierung nicht nur die Kommunikation verändert, sondern das gesamte Geschäftsmodell inkl. Entwicklung, Produktion und Distribution.

Hat die Digitalisierung nicht trotzdem auch einen Einfluss auf die Art und Weise, wie Unternehmen mit ihren Kunden kommunizieren müssen?

Auf jeden Fall. In Zeiten von Social Media, Experten-Foren und frei verfügbaren Kundenbewertungen besteht heute eine Transparenz, die es früher nicht gab. In der Vergangenheit konnten Unternehmen ihre Markenkommunikation weitgehend kontrollieren. Sie zahlten Millionen für bezahlte Inhalte – Werbung – und verbreiteten auf diese Weise ihre Botschaften über den gesamten Erdball. Im Vergleich dazu war Mund-zu-Mund-Propaganda ein sehr lokales Phänomen, das meist im direkten Dialog stattfand. Heute ist ‚Social Media’ dieser Gartenzaun – virtuell, global und mit Millionen Nutzern. Jetzt gibt es neue Kanäle, in denen diese Werbeaussagen oder Produkte bewertet werden. Heute kann man nur noch ehrlich und authentisch sein. Man wird sonst sowieso entlarvt. Die Konsequenz ist klar: Was man verspricht, muss man auch halten, weil Unternehmen und Marken – ebenso wie Verbraucher – zunehmend gläsern sind.

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Viele Verantwortliche in Unternehmen stehen ratlos vor diesen Entwicklungen, basteln hier mal eine App, dort ein YouTube-Video und hinterlassen so einen Flickenteppich digitaler Maßnahmen, nur um überhaupt etwas zu tun. Ein strategisches Agieren sieht allerdings anders aus. Man könnte auch sagen, die Zeit des Ausprobierens und Lernens ist vorbei. Unternehmen müssen ihre digitalen Kommunikationsmaßnahmen konsolidieren und sämtliche Maßnahmen in einer digitalen Strategie bündeln.

Wie können die Beschäftigten auf dem Weg in die neue digitale Welt mitgenommen werden?

Dies ist ein weiteres Thema, dass stark unterschätzt wird. Auf der einen Seite führen viele Mitarbeiter bereits einen digitalen Lebensstil in ihrem Privatleben – mit Facebook, Whatsapp etc. Entsprechend schizophren erscheint es, wenn sie sich parallel am Arbeitsplatz in der digitalen Steinzeit bewegen. Auf der anderen Seite bestehen aber auch viele Ängste. Entsprechend wichtig ist es, Ängste abzubauen, den Wandel erlebbar zu machen und in Aus- und Weiterbildung zu investieren. Für einen unserer Klienten, eine spanische Bank, haben wir beispielsweise den Prototypen einer neuen Filiale direkt ins Foyer gebaut. So konnten die Beschäftigten den Wandel erleben, ausprobieren und Feedback geben. Es sollten eben nicht nur Parolen zur schönen neuen Welt verbreitet werden. Die Dinge müssen greifbar gemacht werden. Je mehr ohne Substanz schöngemalt wird, desto größer ist später die Ernüchterung. So verliert man die Menschen, wo man sie für Veränderung gewinnen muss.

Zur Person
Felix Stöckle arbeitet als Partner im Berliner Büro von Prophet, einer weltweit tätigen strategischen Marketing- und Markenberatung mit Büros u.a. in Berlin, London, Zürich, Hongkong, San Francisco und New York. Ziel Stöckles, der in Göttingen Betriebswirtschaft und im schottischen St Andrews Wirtschaftswissenschaften und Politik studierte, ist es, präzises analytisches Denken so mit ganzheitlichen kreativen Innovationsideen zu verbinden, dass sich Unternehmen und Marken nachhaltig in ihrem Wettbewerbsumfeld differenzieren können – und dafür Markenstrategien zu entwickeln.

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