Personalauswahl erfolgt zunehmend über das Web. Welche Vor- und Nachteile Online-Assessments bieten und wie Unternehmen die neue Möglichkeit geschickt nutzen können, erläutern die Springer-Autoren Klaus Stulle und Stephan Weinert.
Gerade in Zeiten des vielbeschworenen "War for Talent" wird eine professionelle Personalauswahl wichtiger denn je. Die üblichen Vorstellungsgespräche sind dazu weiterhin weit verbreitet, führen aber regelmäßig zu herben Enttäuschungen. Eine gängige Alternative stellen Assessment Center dar: Diese bieten meist eine hohe Treffgenauigkeit, bedeuten oft aber auch einen hohen Aufwand. Daher liegt es auf der Hand, eine dritte Option in Erwägung zu ziehen, die international auch schon viel selbstverständlicher verwendet wird als in den deutschsprachigen Ländern, nämlich psychologische Testverfahren.
Diese werden in Deutschland zwar vorrangig für Personalauswahl-Entscheidungen bei Azubis und Absolventen verwendet, finden aber zunehmend auch Anwendung im Executive Assessment. Allerdings liegt der Schwerpunkt hier weniger auf der Auswahl als vielmehr auf der Führungskräfteentwicklung.
Dabei können die bewährten "Papier-Bleistift-Tests" mittlerweile als wenig zeitgemäß gelten. Der Siegeszug des Internets hat auch in diesem Bereich Einzug gehalten und bietet eine Fülle an Möglichkeiten. Allerdings tummelt sich auf diesem Wachstumsmarkt auch schon eine Reihe von Anbietern mit schier unübersehbaren Produkten. Daher sollen hier dem Leser die verschiedenen Instrumente kurz vorgestellt werden:
Kategorien von Online-Assessments
Sämtliche psychologischen Testverfahren lassen sich aufteilen in zwei Gruppen:
- Leistungstests: Die Aufgaben werden ausgewertet als richtig oder falsch. Üblicherweise gibt es dann pro richtige Lösung einen Punkt, und ein Teilnehmer mit mehr Punkten kann als besser gelten als Bewerber mit weniger Punkten. Viele Leistungstests zählen zur großen Familie der "Intelligenztests", wobei dieser nicht unproblematische Begriff gern vermieden und durch neutralere Ausdrücke wie "kognitive Fähigkeiten" oder "Problemlösekompetenz" ersetzt wird. Viele Leistungstests finden bewusst und gezielt unter Zeitdruck statt, so dass oftmals nicht alle Aufgaben bearbeitet werden können.
- Persönlichkeitsfragebögen: Der Bewerber beschreibt sich selbst entlang vorformulierter Aussagen wie "Ich gehe abends gerne aus". Diese werden dann zu dahinter liegenden Dimensionen wie "Extraversion" zusammengefasst und in einem Persönlichkeitsprofil dargestellt. Persönlichkeitsfragebögen sollen zwar zügig, aber vor allem vollständig bearbeitet werden, eine Zeitbegrenzung macht daher keinen Sinn (und erleichtert so die Unterscheidung zu den Leistungstests).
Vorteile von Online-Assessments
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Herausforderungen im Umgang mit Online-Assessments
Ungeachtet der beschriebenen Vorteile von Testverfahren allgemein und insbesondere der Online-Assessments sollte sich der Anwender auf die folgende Schwierigkeiten einstellen:
- Herausforderungen bei Leistungstests: Bekanntlich haben Intelligentere nachweislich mehr beruflichen Erfolg – im Durchschnitt. Gleichwohl lässt sich das Abschneiden im Online-Assessment kaum rein "linear" interpretieren: Wenn Bewerber A einen IQ von 130 und Bewerber B 135 hat, können beide als hochintelligent gelten. Somit ist es dann wenig ratsam, A direkt auszuschließen, um B zu bevorzugen. Darüber hinaus werden üblicherweise verschiedene Intelligenzbereiche ermittelt, aus denen meist differenzierte Befunde resultieren wie "verbale Intelligenz" und "numerische Intelligenz“.
Doch was bedeutet dies nun für die Personalentscheidung? Abschließend noch der Hinweis, dass sich im beruflichen Alltag offensichtliche "Inselbegabungen“ mit herausragenden Intelligenzwerten in einzelnen Bereichen regelmäßig als problematisch herausgestellt haben. Doch trotz solcher Überlegungen steht außer Frage, dass sich anhand von Leistungstests eine erfolgreiche (Vor-)Selektion von Kandidaten vornehmen lässt, insbesondere bei größeren Personenanzahlen. - Herausforderungen bei Persönlichkeitsfragebögen: Jede menschliche Persönlichkeit muss als einzigartig und ausgesprochen facettenreich angesehen werden. Insofern stellt jedes Persönlichkeitsmodell eine – zum Teil recht "holzschnittartige" – Vereinfachung dar. So streiten sich die Experten schon seit Jahren, ob sogenannte "Typenmodelle", die auf nur vier oder noch weniger Dimensionen beruhen (Beispiel "MBTI" oder "DISC") überhaupt im beruflichen Kontext verwendet werden dürfen. Doch mit steigender Zahl an Dimensionen wird dann auch die Interpretation von Persönlichkeitsprofilen schwieriger, auch leidet die Trennschärfe der verschiedenen Bereiche.
Die größte Herausforderung bleibt jedoch die Bewertung des erzielten Ergebnisses. Diese basiert nämlich oft auch einem "Soll-Ist"-Vergleich mit dem im Voraus definierten Wunschprofil des idealen Bewerbers. Doch in der Realität bergen solche "Soll-Vorgaben" oft ernstzunehmende Schwierigkeiten: Um beim Beispiel "Extraversion" zu bleiben: Wenn etwa Vertriebs-Professionals für Kernspintomographen gesucht werden, sollten diese auf jeden Fall extravertiert sein? Oder birgt der Menschenschlag "vielredender Handy-Verkäufer" nicht für die Zielgruppe der Chefärzte und Klinikvorstände ernsthafte Gefahren, so dass eher eine bedachtere Persönlichkeit von Vorteil wäre?
Hinweise zum Umgang mit Online-Assessments
Fest steht, dass psychologische Testverfahren das persönliche Kennenlernen im Interview und / oder AC niemals ersetzen werden. Keine Stelle oder Beförderung wird allein auf dieser Grundlage vergeben! Dazu muss sich der Anwender darauf einstellen, dass der Erkenntnisgewinn immer mit zusätzlicher Komplexität einhergeht. Dies wiederum macht triviale Interpretationen und schlichte "Rezepte" unmöglich. Auf der anderen Seite werden ganz neue Möglichkeiten einer "verstehenden Managementdiagnostik" eröffnet, weil es plötzlich möglich wird, dem Bewerber als Menschen und Individuum gerecht zu werden. Denn auch und gerade gestandene Führungskräfte und Personalleiter werden aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung bestätigen können, dass weniger die reine Fach- und Problemlösekompetenz über beruflichen Erfolg entscheidet als vielmehr die dahinter liegende Persönlichkeit. Noch pointierter ausgedrückt sagt dazu der vielzitierte Jack Welch (Ex-CEO von GE): "We hire them for their skills – and fire them for their personality!"