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26.11.2013 | Social Media | Interview | Online-Artikel

„Die SPD steht vor einer Herkulesaufgabe“

verfasst von: Andrea Amerland

4:30 Min. Lesedauer

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Erst die Wahlniederlage und jetzt auch noch als Juniorpartner in die Große Koalition. Die Profilierungsprobleme der SPD werden nicht kleiner. Wohl auch deswegen setzen die Sozialdemokraten in der Koalitionsfrage auf volles Risiko und kommunikativ in der nächsten Legislaturperiode auf eine heikle Doppelstrategie, erklärt Springer-Autor Dominic Schwickert im Interview.

Springer für Professionals: Im politischen Berlin zeichnet sich ein Ende der Koalitionsgespräche ab. Wie bewerten Sie das Ergebnis der zähen Verhandlungen?

Dominic Schwickert: Die Koalitionsverhandlungen oder das, was wir von ihnen wissen, zeigen eines: Strategiefähig sind die daran beteiligten Partner weder für sich genommen noch gemeinsam. Die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den beiden größten Parteien führt offensichtlich keineswegs zum größten Gemeinwohl. Aber das erstaunt nach diesem Wahlkampf und diesem Wahlausgang nicht: Die SPD muss gerade nach ihrer Niederlage „Gesichtswahrung“ betreiben, weswegen sie mehrere rote Linien wie beispielsweise den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gezogen hat. Die CDU versucht hingegen ihr Kontinuitätsversprechen zu halten, indem sie auf möglichst wenig Veränderung drängt, zumal in der Steuerpolitik. Die CSU stellt schließlich ihre neue Kraft unter Beweis, indem sie ein Nebenthema wie die PKW-Maut zum wichtigsten Politikinhalt hochjubelt – was im Übrigen deutlich macht, wie sehr politische Konzepte letztlich von ihrer Vermarktung und Kommunikation abhängig sind. Doch trotz der aktuell zu beobachtenden Symbol- und Klientelpolitik muss ein Zweckbündnis nach den Erfahrungen der vergangenen vier Jahre einer Liebeskoalition nicht unterlegen sein. Und so sollte auch nicht jeder politische Kompromiss als Verrat angesehen werden. Der Kompromiss ist vielmehr eine Kardinaltugend der Demokratie – nur braucht er bei manchen der aktuell relevanten Akteure mehr Augenmaß, bei anderen vielleicht mehr Leidenschaft. Beides gehört zum gelungenen Kompromiss, wie es Olaf Scholz in seinem Beitrag für unser Buch „Zwischen Macht und Ohnmacht“ sehr passend beschrieben hat.

Ob wir in Kürze eine handlungsfähige Regierung haben werden, hängt letztlich allein an dem Mitgliedervotum der SPD. Hat sich die SPD-Führung hier bei der Gesichtswahrung etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt?

Nein, im Gegenteil. Ich halte die Entscheidung der SPD-Parteiführung, ihre Mitglieder über die Koalitionsfrage abstimmen zu lassen und damit eben auch mit in die Verantwortung zu nehmen, für zukunftsweisend. Dies umso mehr, weil sich abzeichnet, dass alle verbliebenden strittigen Fragen wohl nun am Ende der Verhandlungen im ganz kleinen Kreis geklärt werden. Solche Hinterzimmer-Deals der drei Parteivorsitzenden tun unserer Demokratie nicht gut. Hingegen halte ich das Mitgliedervotum in der Glaubwürdigkeits- und Imagekrise der politischen Parteien in Deutschland generell für ein starkes Signal. Und: Es war für die SPD-Führung taktisch wohl die einzige Möglichkeit, nach einem polarisierenden Wahlkampf bei der eigenen Basis überhaupt die Zustimmung für die Koalitionsgespräche mit der Union zu erwirken. Denn die von Sigmar Gabriel initiierte Beteiligungsoffensive wirkte wie ein Befreiungsschlag, eine Flucht nach vorn nach dem verheerenden Wahlergebnis. Aber was natürlich stimmt: der Mitgliederentscheid birgt für alle Beteiligten ein kaum kalkulierbares Risiko. Für die Parteiführung der SPD geht es um alles oder nichts, denn bei einem gescheiterten Votum wäre sie nicht mehr haltbar. Mehr noch: die Partei wäre für Jahre nicht mehr regierungsfähig. In gewisser Weise stünde auch die Union erst mal vor einem politischen Scherbenhaufen. Ein gutes Beispiel dafür, wie nahe Macht und Ohnmacht in der Politik manchmal beieinander liegen.

Trotz der anstehenden Großen Koalition ist nach dem Parteitag der SPD in Leipzig die Debatte um Rot-Grün-Rot wieder entbrannt. Kann es zu einem bewusst herbeigeführten Bruch der Großen Koalition und dann schon vor 2017 zu einem rot-grün-roten Regierungsbündnis kommen?

Die Signale der Öffnung auf dem Parteitag in Leipzig laden zu solchen Spekulationen über machtpolitische Manöver ein. Aber ich halte sie für abenteuerlich. Denn mit einem Koalitionsbruch wäre die mühsam errungene Glaubwürdigkeit der SPD sofort und für lange Zeit verloren – auch gegenüber den Mitgliedern, die wohl in wenigen Wochen mit knapper Mehrheit für einen Koalitionsvertrag mit der Union stimmen werden. Dennoch ist es absolut folgerichtig, dass sich die SPD nach zwei krachenden Niederlagen im Bund neue Bündnisoptionen öffnen will; einerseits stellt Schwarz-Grün ab sofort eine reale Option dar, andererseits bleibt abzuwarten, wohin bisherige FDP-Wähler sich orientieren. Die SPD hat dabei einen Drahtseilakt ohne Netz und doppelten Boden zu bewältigen: Sie muss Balance halten zwischen Regierungsverantwortung und Kabinettsdisziplin in einer ungeliebten Großen Koalition auf der einen Seite sowie der eigenen Profilbildung und inhaltlich-atmosphärischen Vorbereitung eines Mitte-Links-Bündnisses unter sozialdemokratischer Führung auf der anderen Seite. Man wird ein solches Bündnis sanft und informell vorbereiten, aber kaum verbindlich schließen können. Denn sobald wir endlich eine neue Bundesregierung haben, geht auch die Abgrenzungsmaschinerie zwischen den Regierungs- und Oppositionsparteien los – und hier wird nicht selten richtig scharf geschossen.

Zur Person
Dominic Schwickert ist Geschäftsführer des Berliner Think Tanks „Das Progressive Zentrum“. Zur Bundestagswahl 2013 koordinierte er die Kampagne #bewegungjetzt.
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