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15.09.2014 | Umwelt | Interview | Online-Artikel

Auf dem Weg zur nachhaltigen Grünlandnutzung

verfasst von: Matthias Schwincke

4 Min. Lesedauer

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Wo Gras wächst, können Schätze ruhen. Wie lassen sich diese heben? Über Potenziale einer nachhaltigen Grünlandnutzung sprach "Springer für Professionals" mit Dr. Anita Idel, Tierärztin und Lead-Autorin im Weltagrarbericht.

Springer für Professionals: Wie bewerten Sie die aktuelle, vom Bundesamt für Naturschutz angestoßene Initiative für einen besseren Grünlandschutz?

Anita Idel: Speziell begrüße ich, dass die Bedeutung der Wanderschäferei betont wird und grundsätzlich halte ich diesen Vorstoß für positiv. Denn Grünland wird seit Jahrzehnten vernachlässigt: Vor allem von der Landwirtschaftspolitik, die vorrangig das Ackerland fördert. Aber auch im Naturschutz betonen nur wenige Akteure die vielfältigen Möglichkeiten einer standortangepassten landwirtschaftlichen Grünlandnutzung für Biodiversität und Klimaschutz. So greift auch der aktuelle BfN-Grünlandbericht deutlich zu kurz.

Welche Aspekte sind Ihrer Meinung dort zu wenig berücksichtigt?

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Es fehlt eine grundsätzliche Wahrnehmung der enormen und vielfältigen Potenziale von Grünland in der landwirtschaftlichen Nutzung. Das BfN fokussiert auf den zurecht problematisch bewerteten Status-Quo. Ich vermisse eine Vision für positive Grünlandentwicklung, die die Fruchtbarkeit und Vielfalt von Landschaften dauerhaft fördert. Die Tierbeweidung kommt im BfN-Bericht viel zu kurz und wenn, dann dominiert der negative Fokus: die Übernutzung. Die Wahrnehmung positiver Effekte beschränkt sich auf sehr spezielle Landschaftstypen – wie die Heide und die zur ihrer Erhaltung notwendigen Heidschnucken.

Sie bestreiten ja nicht den problematischen Status quo – welche Potenziale schweben Ihnen vor?

Bodenfruchtbarkeit, biologische Vielfalt, Klima - dazu ein kleiner historischer Exkurs: Alle heutigen Kornkammern der Erde, z.B. die Schwarzerdeböden der Ukraine oder die humusreichen Prärieböden des mittleren Westens der USA, verdanken ihre enorme Fruchtbarkeit einer jahrtausendelangen saisonalen Beweidung durch wandernde Tiere: große Wiederkäuer wie Bison, Wisent oder Auerochse und zudem in Wechselwirkung auch Pferdeartige und weitere Graser. Ihr Biss löst einen Wachstumsimpuls aus: Mit der Energie der Sonne nehmen die Pflanzen CO2 aus der Luft auf und bilden nicht nur oberirdisch Gräser sondern auch unterirdisch Wurzeln (Photosynthese), aus denen letztlich Humus entsteht. Weil er zu mehr als der Hälfte CO2 enthält, entlastet eine zusätzliche Tonne Humus im Boden die Atmosphäre um 1,8 Tonnen CO2. In Abhängigkeit von den geologischen und klimatischen Voraussetzungen konnte Mischbeweidung Bodenfruchtbarkeit entwickeln. Graslandschaften sind das weltweit größte Biom und zählen zu den artenreichsten Pflanzengesellschaften.

Was bedeutet das für die Grünlandnutzung in Deutschland?

Nachhaltige Grünlandnutzung ist ein Muss – auch in Deutschland. Vor allem ist es notwendig, Bodenfruchtbarkeit zu erhalten und auch zurückzugewinnen. Unsere Böden verarmen durch die übliche Mono-Bewirtschaftung: Es geht somit auch um temporäres Grünland in landwirtschaftlichen Fruchtfolgen – für die Förderung der Bodengare und der Ackerbegleitflora sowie als Futter und als Erosionsschutz. Wie in Überschwemmungsregionen verbietet sich künftig auch für manche Hanglagen eine Ackernutzung – angesichts der Anzahl und Intensität der Starkregenereignisse. Noch ein Wort zur Bodenverdichtung: Die Gefahr wird bei mechanischer Grünlandnutzung massiv unterschätzt; denn meistens wird nur die Grasnarbe beachtet nach dem Motto "Die kann das ab".

Wie könnte ein Konzept für eine nachhaltige Grünlandbeweidung aussehen?

Chance und Herausforderung – bedingt durch jahrzehntelange Vernachlässigung in Forschung, Ausbildung und Beratung. Die jeweiligen geographischen und klimatischen Verhältnisse erfordern ein standortangepasstes Beweidungsmanagement. Denn wie auch für den Ackerbau gilt: Es gibt kein "Standardrezept" – weder  für die Anzahl und Zusammensetzung der Tiere noch für die Beweidungsfrequenzen. Während wir inzwischen wissen, wie folgenschwer Monokulturen sich auswirken, halten wir "mono" auf der Weide für normal. Das Wissen um intelligentes Beweidungsmanagement und insbesondere die Vorteile der Mischbeweidung – ob gleichzeitig oder rotierend – ist gering. Zu den Rahmenbedingungen, die geändert werden müssen, zählt wesentlich die Ausbildung; denn Veterinärmedizin und Agrarwissenschaften propagieren tierische Monokulturen.

Wo sehen Sie den wichtigsten politischen Änderungsbedarf?

Solange die Förderung des Grünlandes – auf EU-Ebene und national – dem Ackerland nicht mindestens gleichgestellt wird, werden seine enormen Potenziale zu wenig wahrgenommen und in der Folge nicht umgesetzt werden. Schlimmer noch: Der Wegfall der Milchquote 2015 verschärft den Druck nach weiterer Intensivierung. Auch deshalb ist der Naturschutz aktuell besonders gefordert, sich stärker als bisher in die landwirtschaftliche Praxis einzumischen. Denn was nützen unter dem Strich einige wenige intakte Naturschutzflächen, wenn die Zerstörung der Natur insgesamt durch die Landwirtschaft immer weiter und schneller betrieben wird?

Das Interview führte Matthias Schwincke, freier Autor, für Springer für Professionals.

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